Sie sind unerwünscht und offiziell weiß niemand von ihnen. Manche werden abgetrieben, andere fühlen sich allzeit verleugnet: Priesterkinder. Einige Tausend sollen Schätzungen zufolge in Deutschland leben. Tomek ist ein solches Priesterkind.
Tomek sitzt in einem Café und nippt an seiner Cola. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein Buch über Afrika. Morgenröte, Bäume und die traditionellen Masken sind auf das Cover gedruckt. Ein paar Seiten weiter winkt ein Mädchen mit Flechtfrisur in die Kamera, daneben der Schriftzug: Gott segne dich, Afrika!
Tomek blättert, bis er es gefunden hat: ein Foto in schwarz-weiß, das vor etlichen Jahrzehnten aufgenommen wurde und ein wenig körnig daherkommt. Ein Mann ist abgebildet, der Autor des Buchs. Ein Priester. Er trägt Vollbart, Soutane und um seinen Hals baumelt ein Kreuz. Ein leises Lächeln umspielt seine Mundwinkel.
Tomek betrachtet das Foto und kneift die Augen zusammen, dabei leuchtet ihm die Abendsonne ins Gesicht und legt einen Weichzeichner auf seine Zornesfalte. Der Mann auf dem Foto ist sein Vater. Die gleiche Nase, das gleiche leise Lächeln. Tomek dreht sich weg. "Wenn ich ihn anschaue", sagt er, "dann empfinde ich bloß Verachtung."
Er nennt seinen Vater nicht Vater, für ihn bleibt er sein Erzeuger. Und trotzdem ist da eine Verbundenheit, die über Rationalität hinausgeht. Etwas, das den Sohn nicht loslässt. Vielleicht die Hoffnung auf Anerkennung? Oder der Wunsch nach Vergeltung? Womöglich beides zugleich? Tomek weiß darauf keine Antwort.
Das Kuckuckskind und die Dornenvögel
Ende vierzig ist Tomek mittlerweile. Seinen Vater hat er nur zweimal gesehen, doch die Mutter schrieb dem Priester ihr Leben lang Briefe. Bis heute.
Irgendwann in den 1960er Jahren, irgendwo in Polen, traf die damals junge Frau auf den attraktiven Gottesmann. Sie besuchte den Kirchenchor und versäumte keine Messe. Er war Jugendseelsorger, älter als sie, charmant, beredt, und sie vernarrte sich in ihn. Hals über Kopf. Dann wurde sie schwanger und ihr Geliebter machte sich aus dem Staub, ging als Missionar nach Brasilien. Später nach Afrika.
Sie heiratete einen anderen Mann und schob ihm das ungeborene Baby als Kuckuckskind unter. Mit dem Priester hielt sie weiterhin Kontakt. Blieb er doch der 'gute Freund' der Familie, der Postkarten sandte aus der Dritten Welt. Stets trug sie ein Foto von ihm in ihrer Tasche, keins von ihrem Ehegatten, nur ein Bild von dem Missionar, das sie oft anblickte und dessen Ränder über die Jahre verblassten.
Der Stiefvater verließ die Familie, als Tomek sieben war. Ob er es wusste? Tomek ist sich unsicher. Mit ihm gesprochen hat er darüber nicht.
Die Mutter heiratete nie wieder, das Foto behielt sie in ihrer Tasche. Sie schickte Briefe nach Brasilien und Afrika und schaute wehmütig die Fernsehserie "Die Dornenvögel". Sie seufzte dann und erklärte, dies sei die Geschichte ihres Lebens. In die Kirche rannte sie dennoch regelmäßig, ihren Sohn im Schlepptau. Heute ist Tomek Atheist. "Zu viel Heuchelei", meint er.
"Du siehst ihm so ähnlich!"
Der Priester und 'gute Freund der Familie' besuchte die Mutter einmal in Polen, als Tomek ein Teenager war. Er blieb nur übers Wochenende und Tomek nannte ihn 'Onkel'. "Ich ahnte von all dem nichts", erinnert er sich, "für mich war er einfach ein Bekannter meiner Mutter."
Das war die erste Begegnung zwischen den beiden. Und offenbar wussten nicht wenige Leute über die Vaterschaft Bescheid, denn nicht nur die Nachbarn tuschelten. "Ich bekam manchmal von den Freundinnen meiner Mutter zu hören, ich sähe dem Priester so ähnlich. Und sie lachten dann."
In den 1990er Jahren zog Tomek nach Deutschland, um zu studieren. In der Stadtbibliothek entdeckte er Bände über Wissenschaft und Philosophie. Er las ein Buch nach dem anderen, fiel vom Glauben ab und kehrte der Kirche den Rücken. Als Kind wollte er selbst noch Pfarrer werden, doch nun dachte er zum ersten Mal über Religion nach, hinterfragte sie und verabschiedete sich von ihr. Und auch sein Misstrauen wuchs, irgendetwas in ihm gab keine Ruhe; irgendetwas zwickte in der Magengegend: Könnte der Priester nicht vielleicht doch sein Vater sein?
Eines Tages klingelte Tomek an seiner Tür. Der mittlerweile hochangesehene Kleriker lebte nun in Deutschland und leitete dort eine Gemeinde. Auf den unverhofften Besuch hatte er jedoch keine Lust und so wimmelte er den jungen Mann ab. Tomek schrieb ihm Briefe, schickte Faxe, doch erhielt nie eine Antwort. "Das fand ich seltsam", erzählt er, "und deshalb musste ich der Sache nachgehen." Tomek schaltete einen Anwalt ein und der mutmaßliche Vater beteuerte schriftlich, er hätte die Mutter ja gar nicht gekannt und er hätte Polen zu früh verlassen, um als Erzeuger in Frage zu kommen.
Tomek konfrontierte seine Mutter mit der Aussage ihres einstigen Geliebten und sie beschwor ebenfalls seine und ihre Unschuld. Da wäre nie etwas gewesen. Niemals!
Jahre vergingen. Tomek brach das Studium ab, fühlte sich rastlos. Irgendwann stieß er auf ein altes Foto im Netz, das den Prediger in Afrika zeigte. Er druckte es aus und präsentierte es seinen Freunden, testete sie, fragte, wer das sei. "Die Antwort war immer dieselbe", schmunzelt Tomek, "das bist du. Als Priester verkleidet."
Tomek gab nicht auf, er durchpflügte das Internet und entdeckte schließlich das Afrika-Buch in einem Webshop. Er bestellte es, und plötzlich wurde alles anders; denn auf der letzten Seite war das Datum aufgelistet, an dem der Missionar Polen tatsächlich verlassen hatte; nämlich als Tomeks Mutter bereits schwanger war. Der Priester hatte also nachweislich gelogen.
Tomek beauftragte erneut einen Anwalt, der die Vaterschaft belegen sollte, und auch die Mutter beichtete ihrem Sohn nach vier Jahrzehnten Unaufrichtigkeit endlich die Liebesbeziehung.
Es vergingen wieder einige Jahre, der Pfaffe beschwerte sich bei der Polizei, verklagte Tomek wegen Nötigung, die Kirche unterstütze ihren geistlichen Herrn dabei. Tomek investierte zehntausende Euro, die größtenteils vor Gericht verdampften, doch am Ende konnte er einen Vaterschaftstest erzwingen, der mit 99,99 Prozent bewies, was er seit langem wusste: Er ist der Sohn eines Priesters. "Das war die Bestätigung", lächelt er, "und jetzt will ich, dass er öffentlich dazu steht."
Laut Schätzungen einer Betroffeneninitiative sollen rund 9.000 der insgesamt fast 17.000 deutschen katholischen Geistlichen sexuelle Beziehungen unterhalten, und jeder dritte hat mutmaßlich ein Kind gezeugt. Allerdings sind diese Zahlen weder aktuell noch verifizierbar, denn die Klerisei hüllt sich in Schweigen und stellt keine Erhebungen an. Manch ein Priester verlangt von der Frau gar einen Schwangerschaftsabbruch, ungeachtet der bigotten Tatsache, dass Pontifex Franziskus Abtreibung als Auftragsmord ächtet, wenngleich bereits diese unsägliche päpstliche Anmaßung dem Fass den Boden ausschlägt. Andere Seelenhirten beschäftigen die verbotene Geliebte als Haushälterin und leben mit ihr ein heimliches Familienleben. Und natürlich sind da auch jene Gottesmänner, die kreuzehrlich zu ihren Frauen und Kindern stehen. Doch sofern sie ihre intime Beziehung zur Mutter nicht beenden, werden sie von der Kirche suspendiert und entfernt.
Seiner Mutter kann Tomek bis heute nicht verzeihen. "Sie hat immer versucht, mir irgendwelche höheren Werte einzutrichtern, wie Wahrheit oder Verantwortung – dabei hat sie mich vierzig Jahre lang belogen. Der Priester war ihr wichtiger als ihr eigenes Kind."
Mehrmals die Woche betet sie, dass Jesus ihr die Sünden vergeben möge. Zuweilen ruft sie ihren Sohn auf dem Handy an und fragt: "Warst Du am Sonntag in der Kirche?" Und wenn Tomek irritiert verneint, antwortet sie stets: "Oh, das ist aber schade."
Tomek vermutet, dass sie den Priester immer noch verehrt, ihm immer noch treu ergeben ist. Und hier offenbart sich die abgrundtiefe Tragik einer einsamen Frau, die ihr irdisches Dasein auf einer Schimäre aufgebaut hat. Auf einer Illusion. Denn weder der liebe Gott noch das Bodenpersonal interessieren sich für sie. Und obwohl ihr angehimmelter Priester ein verantwortungsloser Feigling ist, so bleibt Tomek das Beste, was der Mann in seinem langen katholischen Leben je vollbracht hat.
Mittlerweile ist er 84 und wohnt in Frankreich in einer Residenz für ehemalige Missionare. In dem Dorf weiß niemand von seinem Sohn. 15.000 Messen hat er in einem halben Jahrhundert gelesen, unzählige Babys getauft, Paare getraut, Menschen beerdigt und mindestens ein Kind gezeugt. Um das er sich nie geschert hat. Kann sein Gott ihm das tatsächlich verzeihen?
Tomek scheint derweil seinen Weg gefunden zu haben; er engagiert sich für den Düsseldorfer Aufklärungsdienst, er hat Freunde, die ihn lieben und er arbeitet in einem gut bezahlten Job, der ihm Spaß bringt. Und dennoch wünscht er sich manchmal in düsteren Momenten, nicht geboren zu sein. "Da ist halt dieses Gefühl, dass dich niemand will", sagt er und schlägt das Afrika-Buch zu, "ich habe zwar der Religion abgeschworen, aber ich bin ein Produkt des katholischen Glaubens; das Ergebnis der katholischen Liebe meiner Eltern. Ich bin eigentlich verboten."
15 Kommentare
Kommentare
Kay Krause am Permanenter Link
Im Laufe der Jahre, die ich bis jetzt regelmäßig die Artikel im hpd lese, habe ich zur Redaktion ein großes Verrtrauen gewonnen!
Nein, liebe Redaktion, das kann nicht sein (weil nicht sein kann, was nicht sein darf!), da wollt Ihr uns Lesern einen Bären aufbinden! Und außerdem: was sagt der Papst dazu?
Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Wir hatten einen Kirchenrechtsprofessor der immer wieder sagte: "Es gibt nichts, was nicht ist."
Kay Krause am Permanenter Link
Emmerich Lakatha, Frage: hat dieser Herr Professor seine Aussage auch (logischerweise!) auf "Gott" bezogen?
So, wie wir Westdeutschen die sogenannte DDR zeit deren Dauer immer in Anführungsstrichen = "DDR" geschrieben haben, so sollten wir es auch zukünftig mit dem undefinierbaren Begriff "Gott" halten. Unabhängig davon, ob andere es mir nachtun, werde ich ab heute damit beginnen. zugegeben: nur ein kleiner Schritt. Aber ein Schritt!
Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Bitte keine Haarspalterin! Überlegen Sie, was gemeint ist, und Ihre Frage wird sich von selbst beantworten.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Dieser erschütternde Artikel zeig deutlich die krankhafte Bewusstseinsspaltung der Menschen, die ihr Leben unter dem Joch der Kirche verbringen.
Wolfgang Schaefer am Permanenter Link
Christen führen kein bewusstes Leben, ihr Leben beginnt erst nach dem Tode. Furcht-bar!
Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Der Fall mag für Polen typisch sein oder nicht. Ich glaube kaum, dass sich in Österreich und Deutschland Gleiches abspielt. Oder doch?
Kay Krause am Permanenter Link
Glosse
Priester können nicht nur Gottes Segen
an das betend' Volk vergeben.
Sie können auch (und das nicht mit den Händen)
frommen Frauen ihren Samen spenden.
Das Produkt - es ist zwar gottgewollt,
doch es hat nicht sein gesollt.
Das Produkt bin ich, und hatte Glück:
doch mit Grauen denke ich daran zurück,
dass ich abgetrieben werden sollte,
was jedoch der Papst nicht wollte,
sodass ich lebe, brav die Kirchensteuer zahle,
und mir in Gedanken einen Vater male.
Mit meinen Brüdern sind wir schon zu dritt.
Auf der Straße nennen wir ihn "Onkel Schmitt".
Wenn wir ihn "Papa" nennen, den bigotten Bösewicht,
dreht er sich um und kennt uns nicht.
In Wahrheit weiß die ganze Stadt,
dass der Mann drei Kinder hat.
Doch man spricht nicht drüber, schweiget still,
weil der Klerus es so will!
Was für ein heuchelnder Verein,
muß doch diese Kirche sein?!
Mit gottlosem Gruß,
Kay Krause
Arno Gebauer am Permanenter Link
Moin,
Mißbrauch ist Basis des Christentums!
Gott läßt als Auftragsmörder seinen Sohn ans Kreuz binden, um
seinen abhängig gehaltenen Ebenbildern zu zeigen, dass er diese liebt!
Welch ein göttlicher Blödsinn!
Ein katholischer Priester, der geschworen hat, den Zölibt zu leben,
zeugt ein Kind, welches er dann verleugnet und damit misachtet.
Das ist schlimmster Mißbrauch, der von der Kindesmutter auch noch
gedeckt wird.
Das Verhalten des Priesters ist verantwortungslos und offenbart die
asoziale Gesinnung und menschenverachtenden Werte der katholischen Kirchenporganisation.
Solche Typen sollten stets per Gerichtsbeschluß zu hohen Unterhaltszahlungen
und zur Anschaffung und Nutzung einer Sex-Gummipuppe verpflichtet werden!
Viele Grüße
Arno Gebauer
Tobias Seyb am Permanenter Link
Tut mir leid - ich kann hier keinen Nachrichtenwert erkennen.
Leid kann einem nur der Sohn tun, der nicht mit etwas klarkommt, das neben ihm Unzählige aud den verschiedensten Gründen erleben müssen (hier, einen Elterteil zu haben, der sie verleugnet und dazu eine verlogene Mutter).
Soll der Sohn doch mal in die Residenz in Frankreich gehen und nach dem Priester, seinem Vater, fragen, um ihn zu besuchen. Paar Freunde oder Verwandte mitbringen, so dass das jeder mitkriegt. Nicht beirren lassen. Raus aus der Opferrolle. Sagen, dass die Vaterschaft in D be- und anerkannt sei.
Kay Krause am Permanenter Link
Tobias Seyb, das geht mir mit ihrem Kommentar genauso.
Werner Helbling am Permanenter Link
In der Schule hat man mir einmal beigebracht, im Naturkundeunterricht, dass der menschliche Sexualtrieb der stärkste Trieb nach dem Selbsterhaltungstrieb sei.
Wolfgang Schaefer am Permanenter Link
Das ist kein Einzelfall aber es gibt tausende von Lügen. Der Pfaffenspiegel beschreibt, wenn Frauen zum Beichten gingen, wurden sie oft "belästigt".
der Priester noch seinen "Opferstab" Wenn das Geschäft nicht so ganz boomte, durften sich die Frauen noch von IHREN Sünden freikaufen, der Priester bezahlte nichts und wenn ein Kindlein die Welt erblickte, machte er sich mit kirchlicher Hilfe aus dem Staub.
Priester bezahlen bis heute persönlich keinen Unterhalt, den bezahlt die Kirche und somit wieder von unseren Steuern. Was für ein Wunder!
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Man sollte sich seine Meinung erst bilden, wenn man alle Zeugen zum Fall befragt hat.
Vielleicht wollte die Mutter das Kind für sich alleine haben, um ihre Muttergefühle befriedigen zu können und die Liebe des Kindes nicht teilen zu müssen?
Vielleicht wollte die Mutter ja gar keinen Vater für das Kind, sondern lediglich Unterhalt und wählte daher einen Priester, um sicher zu gehen?
Vielleicht hat der Priester dies erkannt und zog sich zurück, um nicht noch weiter in seinen Vatergefühlen verletzt zu werden?
Auch der Sohn sollte seine Mutter einmal kritisch hinterfragen, warum sie sich auf so eine Beziehung eingelassen hat. Sie wollte das Kind von einem „Heiligen“, daher hat auch sie ihren Sohn für ihre Träume benutzt.
Uli Schoppe am Permanenter Link
Oh Herr Kilian, schönes Opferbashing.
Der in seinen Vatergefühlen Verletzte verklagt sein Kind wegen Nötigung? Geht's noch?
In ihrer Parallelwelt haben die Mißbrauchsopfer die armen Priester bestimmt provoziert und müssen die armen irritieren Kinderficker um Verzeihung bitten...