Ein katholischer Priester unterhält eine intime Beziehung zu einer Frau. Aus der Affäre entsteht ein Sohn. Doch der Priester verleugnet ihn jahrzehntelang, verklagt ihn sogar wegen Nötigung. Mittlerweile ist die Vaterschaft bewiesen. Heute geht der Rechtsstreit in die nächste Runde.
Tomasz Kucharski sieht seinem Vater ähnlich. Die gleiche Nase, das gleiche Lächeln. Mehr verbindet die beiden nicht, denn Gottfried M. will nichts zu tun haben mit seinem Sohn. Auch Kucharski lehnt das Wort "Vater" entschieden ab. Für ihn bleibt er nur sein Erzeuger. Und trotzdem ist da ein Gefühl, das über Rationalität hinausgeht. Ein Gefühl, das den Sohn nicht loslässt. Eine Mischung aus Wut, Trauer und der Hoffnung auf Anerkennung.
Die Geschichte beginnt irgendwann in den 1960er Jahren, irgendwo in Polen. Dort traf Kucharskis Mutter auf den heute 87-jährigen Gottfried M. Er war Jugendseelsorger, älter als sie, charmant, beredt. Sie verliebte sich in ihn, wurde schwanger und Gottfried M. ging als Missionar nach Brasilien, später nach Afrika. Sie heiratete einen anderen Mann und schob ihm das ungeborene Baby unter. Mit dem Priester hielt sie dennoch Kontakt. Sieben Jahre später verließ der Stiefvater die Familie. Ob er es wusste? Kucharski ist sich nicht sicher. Mit ihm gesprochen hat er darüber nicht.
Als Tomasz Kucharski ein Teenager war, besuchte Gottfried M. ihn und seine Mutter in Polen. Das einzige Mal. Er blieb nur übers Wochenende und Kucharski nannte ihn "Onkel". Doch irgendetwas war unstimmig. Wie ein Ziehen in der Magengegend. Dass die Freundinnen der Mutter ihn auf seine Ähnlichkeit mit dem Priester ansprachen, verwirrte ihn. Und ebenso, dass die Mutter stets ein Foto des Priesters in ihrem Portemonnaie mit sich trug.
Viele Jahre später, nachdem Kucharski nach Düsseldorf gezogen war, recherchierte er, fand Fotos des Priesters in Büchern, erkannte sich selbst in ihm, schrieb ihm Briefe, die Gottfried M. allesamt unbeantwortet ließ. Noch leugnete die Mutter eine intime Verbindung. Also schaltete Kucharski einen Anwalt ein, durchstöberte das Internet nach mehr Informationen, gab keine Ruhe, bis Gottfried M. im Jahr 2013 Strafanzeige wegen Nötigung erstattete und seine Anwälte eine einstweilige Verfügung erwirkten. Jetzt brach die Mutter endlich ihr Schweigen und gestand ihrem Sohn die Wahrheit. Kucharski fühlte sowohl Erleichterung als auch Enttäuschung. Und er begriff, dass sein Leben auf einer Lüge aufgebaut war.
Laut Schätzungen einer Betroffeneninitiative sollen rund 9.000 der insgesamt fast 17.000 deutschen katholischen Geistlichen sexuelle Beziehungen unterhalten. Hilfsvereine für Priesterkinder vermuten, dass es weltweit rund 10.000 von ihnen gibt. Allerdings sind diese Zahlen nicht verifizierbar. Die katholische Kirche gibt keine Auskunft. Wie viele Kinder es also tatsächlich sind, bleibt unklar. Klar ist dagegen, dass sich die meisten von ihnen nach Anerkennung sehnen.
Auch Tomasz Kucharski hätte sich Kontakt gewünscht. Oder zumindest eine Erklärung, eine Entschuldigung. Kucharskis Mutter machte eine Zeugenaussage und gab ihr vierjähriges Verhältnis mit dem Priester zu Protokoll. Sie erklärte außerdem, bis in die Gegenwart Briefkontakt mit ihm zu unterhalten. Gottfried M. bestritt jedoch, eine intime Beziehung mit ihr eingegangen zu sein. "Der Vortrag von Frau Kucharska ist reine Fantasie", hieß es in einem Schreiben seiner Anwälte an das Amtsgericht Düsseldorf. Dem Gericht lagen allerdings die Briefe und Postkarten des Priesters vor, die er der Mutter über Jahre hinweg geschickt hatte und die sie bis heute aufbewahrt. Und so entschieden die Richter, dass der Priester einen genetischen Vaterschaftstest abzulegen hat.
Gottfried M. lebte zu dieser Zeit in einem Seniorenheim für katholische Missionare in Frankreich. Die Speichelprobe sollte er in der deutschen Grenzstadt Kehl machen lassen. Es gelang ihm eine Zeitlang, den Test zu vermeiden, entweder aus gesundheitlichen Gründen oder weil seine Anwälte nicht erreichbar waren. 2016 dann endlich der Beweis: Gottfried M. ist zu 99,999 Prozent Kucharskis leiblicher Vater.
Damit ist Kucharski jetzt zwar erbberechtigt, doch hat er wegen der Gerichtskosten einige tausend Euro Schulden aufnehmen müssen. Deshalb verklagte er seinen Vater und das für ihn zuständige Erzbistum Paderborn auf Schadensersatz. Knapp 22.000 Euro verlangt Kucharski.
Im Mai 2020 entschied das Landgericht Paderborn – mit dem Kreuz hinter dem Richtertisch – gegen Kucharski. Da eine Vaterschaft die persönliche Angelegenheit des Priesters sei, trage das Erzbistum keinerlei Verantwortung, lautete die Begründung. Und auch Gottfried M. ist nach Meinung des Gerichts nichts anzulasten. In den Briefen und Postkarten war Kucharski kein Thema, weshalb Gottfried M. ein Wissen um seine Vaterschaft nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte. Gottfried M. leistete auch keine finanzielle Unterstützung, außer einmalig 50 D-Mark im Jahr 1989. Unterhaltszahlungen gab es logischerweise nicht.
Tomasz Kucharski legte Berufung ein. Er ist sich sicher, dass sein Vater seit Jahrzehnten von ihm weiß. Dass Gottfried M. versucht hat, den Vaterschaftstest zu vereiteln, spricht gegen sein gutes Gewissen, das er als katholischer Priester eigentlich hätte haben sollen, sagen auch Kucharskis Anwälte. Sie beschuldigen ihn "unter dem Deckmantel des Zölibats" zu lügen, und werfen ihm Prozessbetrug vor. Doch Gottfried M.s Anwälte halten dagegen, dass er erst durch den Vaterschaftstest von seiner Vaterschaft erfahren habe.
Des Weiteren beschuldigt Kucharski das Erzbistum Paderborn, Gottfried M. geholfen zu haben, Deutschland zu verlassen und nach Frankreich zu ziehen, wohlwissend, dass damit der Beweis der Vaterschaft erschwert werden würde. Frankreich ist nämlich nicht dazu verpflichtet, die Anordnung eines deutschen Gerichts durchzusetzen. Für Kucharski und seine Anwälte ist der Fall klar: Hätte Gottfried M. tatsächlich nicht gewusst, dass er der Vater Kucharskis ist, dann hätte er alles getan, um das zu klären. Dann hätte er den Vaterschaftstest so schnell wie irgend möglich durchführen lassen.
Die Sache geht nun ans Oberlandesgericht Hamm. Heute ist Prozessauftakt. Tomasz Kucharski ist realistisch, er hofft zwar auf Entschädigung, rechnet sich aber nur eine 50-prozentige Chance aus. Dass Gottfried M. selbst vor Gericht erscheinen wird, glaubt Kucharski nicht. Im September 2020 versuchte er zum letzten Mal, mit seinem Vater ins Gespräch zu kommen. Mittlerweile lebt der Priester in einem Seniorenheim im Kreis Wesel. Kucharski besuchte ihn dort überraschend. Gottfried M. wollte die Fragen seines Sohnes nicht beantworten, stattdessen drohte er mit seinem Anwalt. "Er sagte zu mir, seine Sünden seien ihm längst erlassen", erinnert sich Kucharski.
Auch wenn er erneut vor Gericht scheitern sollte, und auch wenn es ihn finanziell an seine Grenzen führen würde, will er weiterkämpfen. Für Tomasz Kucharski geht es längst nicht mehr um persönliche Genugtuung. "Ich werde alles Rechtliche versuchen, damit die Kirche endlich Verantwortung für ihre heuchlerische Politik und Sexualmoral übernimmt", sagt er, "irgendein Priesterkind muss ja das erste sein. Mit den Missbrauchsopfern war es ja genauso."
14 Kommentare
Kommentare
Rene Goeckel am Permanenter Link
Nur der Klerus kann so penetrant lügen. Pfui Deibl.
Roland Fakler am Permanenter Link
Sie wollen als Heilige erscheinen. Dazu müssen sie ihre natürlichen Neigungen verheimlichen und auf unheimliche weise ausleben.
Michael Ganß am Permanenter Link
Held. Würde für Herrn Kucharskis Prozesskosten spenden.
Tomasz Kucharski am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Ganß,
könnte ich solche Hilfe tatsächlich gebrauchen. Falls Ihr Angebot noch aktuell ist, können Sie mich gerne über die Autorin dieses Artikels kontaktieren, Frau Nadine Pungs.
Mit freundlichen Grüßen
Tomasz Kucharski
Holger Wieborg am Permanenter Link
wäre es nicht gut, für solche (und ähnliche - oder relativ unähnliche) fälle ein säkulares crowdfunding anzuleiern?
hat ein wenig was von "wandel durch annäherung" aus dem kalten krieg, aber mit der aktuellen fluchtbewegung aus der katholischen kirche zeigt sich doch auch ein empfinden von moralischen werten, das nicht auf der zweifelhaften basis von religiösen dogmen beruht.
Humanistischer ... am Permanenter Link
Bitte kontaktieren Sie uns per E-Mail unter redaktion@hpd.de, Herr Ganß. Wir werden Ihre Mail dann an die Autorin Nadine Pungs weiterleiten, die mit Herrn Kucharski in Kontakt steht.
Angelika Wedekind am Permanenter Link
Das Thema Priesterkinder ist enorm wichtig und ich bewundere den Akteur, der so mutig und entschieden mit dem Problem an die Öffentlichkeit geht.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Ja, ja, man schwärmt vom Leben als dem Geschenk Gottes und schützt es vom Zeitpunkt der Zeugung an. Aber sobald das Leben anfängt in die Windeln zu scheißen, macht man sich mit Hilfe von Mama Kirche vom Acker.
Arno Gebauer am Permanenter Link
Moin,
dieser schlimme, aber längst überfällige Bericht offenbart,
wie krank und verkommen die Kirchenbediensteten mit ihren
eigenen Nachkommen umgehen.
Ihr oberste Chef hat sich ja auch nicht verhalten.
Die Kirchen haben eine Kultur des Todes auf Erden installiert.
Es ist höchste Zeit, dass solche Glaubensgemeinschaften
verschwinden.
Viele Grüsse
Arno Gebauer
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Genau meine Meinung seit 60 Jahren, dafür kämpfe ich bis zum Schluß.
Assia Harwazinski am Permanenter Link
Hut ab vor Thomasz Kucharski! Ein bemerkenswerter, mutiger, überfälliger Schritt, für dessen Enderfolg man nur hoffen kann. Möge es vielleicht der erste dieser Art, aber nicht der letzte sein.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Das wäre in der Tat die allerbeste Spendenquelle; aber ich fürchte, die Pfaffia wird sich einen Scheiß darum scheren.
Doch, so ist die.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Irre Geschichte, Nadine und Ricarda, die ihr das ausgegraben und bebildert habt!
Wildwiib am Permanenter Link
Alle Sünden seien ihm vergeben, sagte Gott zu Jesus, als dieser ihn damit konfrontierte, sein Sohn zu sein? Der Kirchentyp ist an Scheinheiligkeit ja nicht zu überbieten.
Und noch was, welche Sünde genau wurde ihm vergeben, jene der Zeugung oder der Fleisch gewordene Sohn? Erstens kommt das einer Anerkennung sowohl der Zeugung, als auch des Sohnes gleich und zweitens ist es extrem verachtend, den eigenen Sohn als Sünde zu bezeichnen.
Aber eben, liebe deinen Nächsten wie dich selbst oder vielmehr bei Kirchentypen, liebe dich selbst.