Die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe veröffentlichte ein Buch mit einem Plädoyer "Für einen linken Populismus", so der Titel, womit gegen Neoliberalismus und Rechtspopulismus angegangen werden soll. Auch wenn sie aus der Blickrichtung eines machtpolitischen Realismus interessante Überlegungen vorträgt, bleibt ihre Gegenkonzept "Linkspopulismus" doch in verschiedenerlei Hinsicht etwas konturlos und ist nicht unproblematisch.
Soll man mit Linkspopulismus gegen Rechtspopulismus vorgehen? Bejaht wird diese Frage von einigen Intellektuelle und Sozialwissenschaftlern. Die einflussreichste Repräsentantin dieser Strömung ist sicherlich Chantal Mouffe, die Politische Theorie an der University of Westminister lehrt. Ihr Buch zum Thema trägt denn auch den schlichten Titel "Für einen linken Populismus". Es versteht sich dezidiert als politische Intervention und Streitschrift, um sowohl auf die Legitimationskrise des Neoliberalismus wie auf den Aufstieg des Rechtspopulismus zu reagieren. Die Autorin sieht daher auch in beiden Entwicklungen einen direkten Zusammenhang. Bekannt wurde sie durch frühere Buchveröffentlichungen zusammen mit Ernesto Laclau, der wiederum durch Populismus-Analysen schon in den 1980er Jahren auf sich aufmerksam machte. Das aktuelle Plädoyer für einen linken Populismus knüpft entsprechend an deren gemeinsames Buch "Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus" von 1985 an.
Der schmale Band von nur knapp über 100 Seiten kann indessen ohne Kenntnis dieses Werkes gelesen und verstanden werden, zumal Mouffe immer wieder auf dort formulierte Positionen zurückkommt. Bereits in der Einleitung formuliert sie als zentrale These, "dass eine erfolgreiche Intervention in dieser Krise der hegemonialen Ordnung den Aufbau einer klaren politischen Frontlinie voraussetzt, und dass ein linker Populismus – verstanden als diskursive Strategie, die auf die Errichtung einer politischen Frontlinie zwischen 'dem Volk' und 'der Oligarchie' abzielt – in der derzeitigen Lage genau die Art von Politik darstellt, die zur Wiederherstellung und Vertiefung der Demokratie vonnöten ist" (S. 16). In dieser Aussage sind schon die Kerninhalte des Plädoyers enthalten. Dabei orientiert sich die Autorin am Denken von Machiavelli, was hier bedeutet, dass ihr machtpolitische Dimensionen für die politische Gesamtschau von herausragender Relevanz sind. Entsprechend ist für Mouffe denn auch Populismus zunächst einmal ein auch links füllbarer Politikstil.
Ausgangspunkt der Betrachtungen ist eine Krise des dominanten Neoliberalismus, dem sich auch die sozialdemokratischen Parteien unterworfen hätten. Gleichzeitig sei es zu einer postdemokratischen Entwicklung gekommen, was zur Erosion der Ideale von Gleichheit und Volkssouveränität geführt habe. Dadurch sei ein "populistischer Moment" entstanden, der gegenwärtig von Rechtspopulisten gefüllt werde. Um dieser Entwicklung entgegenzutreten und eben auch ein radikales Demokratieverständnis zu erneuern, wäre ein linker Populismus notwendig. Es gelte sich dazu der "Existenz von Antagonismen" (S. 49) bewusst zu sein, die soziale Frage müsse "wieder in den Vordergrund" (S. 72) gestellt, die "affektive Dimension des Identifikationsprozesses" (S. 85) dürfe nicht ignoriert und es müsse bei all dem auch die Vorstellung von einem Volk diskursiv konstruiert werden: "Eine linkspopulistische Strategie strebt die Herauskristallisierung eines kollektiven Willens an der von gemeinsamen Affekten getragen wird, die auf eine demokratische Ordnung abzielen" (S. 90).
Auch wenn es auf den ersten Blick anders scheint, geht es Mouffe nicht um eine Überwindung des parlamentarischen Verfassungsstaates. Gleichwohl plädiert die Autorin für eine Ausweitung des Gemeinten, wobei sie aber selbst bezüglich der Formen im Unklaren bleibt. Im Diskurs soll als Gegengewicht zur Hegemonie ein "Volk" konstruiert werden, ohne dabei den in der Gesellschaft präsenten Pluralismus zu negieren. Doch bleibt dies alles als allgemeine Absichtserklärung eher blass, die Konturen des gemeinten Linkspopulismus bleiben diffus. Zwar wird auf Jeremy Corbyn in Großbritannien und Bernie Sanders in den USA verwiesen. Aber in einem Buch, das für eine politische Strategie werben will, hätte man sich hier doch mehr inhaltliche Zuspitzungen gewünscht. Dass bei der Einforderung einer Freund-Feind-Bestimmung dann ausgerechnet auf den autoritären Staatsrechtler Carl Schmitt verwiesen wird, gibt der ganzen Angelegenheit noch eine zusätzlich bedenkliche Note. Insofern lautet in der Gesamtschau das Urteil: interessant, aber nicht unproblematisch.
Chantal Mouffe, Für einen linken Populismus, Berlin 2018 (Suhrkamp-Verlag), 111 S., ISBN: 978-3-518-12729-2, 14,00 Euro
4 Kommentare
Kommentare
Wolfgang von Sulecki am Permanenter Link
" .. Aber in einem Buch, das für eine politische Strategie werben will, hätte man sich hier doch mehr inhaltliche Zuspitzungen gewünscht .. "
Der Hinweis auf die USA scheint mir hier weiter zu helfen, wenn danach gesucht wird:
Die neue linke Bewegung dort (genannt "social democratic" aber nicht mit unseren Sozialdemokraten zu vergleichen;) - der B. Sanders noch zu versöhnlich erscheint! - stellt doch klar heraus:
Die Bedürfnisse der Menschen gelten derzeit weniger als die Bedürfnisse der Oligarchen - und dieser Zustand muß umgekehrt werden. Hierzu bedienen sich die Initiator/-inn/-en im wesentlichen der neuen Medien und schaffen so eine Gegenöffentlichkeit für jene Kräfte, denen Trump & Konsorten selbst das letzte Hemd nicht gönnen weil es den *profit* schmälert.
Was wir hier ebenfalls gut gebrauchen könnten. Die Bewegungen "Aufstehen!" und "DIEM" sind da erste Ansätze. Dass das deutsche Parlament zuerst Wirtschaftsinteressen vertritt ist - sehr bedauerlich - noch nicht im Bewußtsein der Massen angekommen. Mindestens da sind uns einmal die USA voraus, trotz schärferen Gegenwindes.
rainerB. am Permanenter Link
Schön, dass nun auch der Chefrezensenten des hpd erstmals mitteilt, dass Populismus als Politikstil nicht zwangsläufig nur als
Jedoch nicht ohne mit einem vorsorglich betreuenden Warnhinweis an die Leser: "Interessant, aber nicht unproblematisch" Dafür wird mal wieder der bekannte Kontaktvorwurf bemüht, dass "ausgerechnet auf den autoritären Staatsrechtler Carl Schmitt verwiesen wird, gibt der ganzen Angelegenheit noch eine zusätzlich bedenkliche Note."
Welcher "bedenkliche" Verweis von Mouffe konkret bemüht wird, bleibt im Dunkeln. "Autoritärer Staatsrechtler" sagt doch alles...
"Konturen des gemeinten Linkspopulismus bleiben diffus. [...] mehr inhaltliche Zuspitzung gewünscht" - im Gegenteil! Mouffe benennt klar ein Hauptproblem vieler Linker, denen alles was nach Emotion und Volk riecht, zutiefst verdächtig erscheint, anstatt damit und in Verknüpfung mit Fakten nach polit. Hegenomie zu streben. Stattdessen soll es nüchtern sachlischer Diskurs richten, zumal viele Linke ein Problem mit Elitenkritik haben, hinter der sie meist einen Frontalangriff auf die Demokratie vermuten, und weil sie das Volk als nationales Konstrukt lieber heute als morgen abgeschafft sehen möchten.
Eben mit letzteren fragwürdigen Prämissen verbauen sich Linke (außer Corbyn, Sanders, Mélonchon) ein erfolgreiches Handeln selbst und überlassen das Feld Rechtsautoritären, welche besser wissen, dass ohne Emotion und greifbare Frontstellung politisch nur schlecht mobilisiert werden kann.
Der zweifellos vielbelesene Rezensent sollte eben diese fragwürdigen Prämissen doch mal am Buch "Über Volkssouveränität" von Ingeborg Maus reflektieren (2011/18), und die Leser vlt. am Verlassen seines begrenzend wirkenden politischen Lagerdenkens teilhaben lassen. Das könnte in der Sache durchaus interessant und gewinnbringend werden.
Frank am Permanenter Link
Es gibt keine Unterschied zwischen Links,- und Rechtspopulismus. Man muss sich nur man Venezuela oder Nicaragua anschauen.
David Zahn am Permanenter Link
Das Gerede über "Populismus" ist eine taktische Nebelkerze. Jede Parteil betreibt irgendwie irgendwo "Populismus".
Das, was zählt, ist allein das Argument und nicht die subjektive und oft willkürlich gewählte Klassifizierung als "Populismus".
Die Diskussionen über "Populismus" erinnert entfernt an die Diskussion über "Islamophobie": Ein Kampfbegriff zur Diffamierung des Andersdenkenden.