Tagung der Humanistischen Akademie

Humanistische Trauerarbeit: Kein Gott, kein Trost?

Über 60 Gäste diskutierten am 5. und 6. April 2019 in Berlin mit sechs ReferentInnen über eine neue Kultur des Abschieds, über Trost und Trauer, das verbreitete Bedürfnis nach neuen Bestattungsformen, humanistische Seelsorge und ebensolche Trauerzeremonien.

Der Philosoph und bekannte Autor Wilhelm Schmid verwies in seinem Vortrag auf die etymologische Herkunft des Wortes Trost aus dem semantischen Umfeld von "Baum" und "Holz" – bei dem englischen "tree" sei dies noch erkennbar – mit den Bedeutungen "fest", "stark", "treu". Er leitete hieraus ein Verständnis von Trost als "wieder Wurzeln schlagen" und "Zusammenhänge bzw. Sinn finden" ab, wodurch schließlich ein Weiterleben möglich werde. Ohne dass Schmid dies weiter ausführte, deutet die etymologische Hinsicht damit schon eine auch konzeptionell wichtige Differenz von Trost als "Halt finden" und "Zueinanderstehen" zu anderen Sprachspielen und sozialen Situationen an, in denen es um "Wahrheit erkunden" oder "rationale Analyse" geht.

Diese Differenz war dann auch der Ausgangspunkt der anregenden philosophischen Ausführungen von Franz Josef Wetz, Professor für Philosophie und Ethik an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Anders als viele naturalistische und atheistische Kollegen und Kolleginnen reagiert er bei den Themen Sterblichkeit und Tod nicht achselzuckend mit dem knappen Hinweis "biologische Tatsache, jede Angst ist irrational". Stattdessen anerkannte er in seinem Vortrag – wie auch schon in seinem aktuellen Buch "Tot ohne Gott. Eine neue Kultur des Abschieds" – die Grenzen der rationalen Analyse bei solch emotional bedeutsamen Fragen: Sämtliche Weisheiten könnten mit ihren rationalen Erkenntnissen die Todesangst nicht gänzlich überwinden, sie könnten aber trösten. Trost bestimmte er als ein "Surrogat", als einen "schlechten Ersatz für Problemlösungen". Trost sei immer "Vertröstung", denn es könne eigentlich nicht mehr geholfen werden. Dennoch aber sei Trost "kein Übel".

Wilhelm Schmid unterschied in seinem Vortrag zwischen einerseits "Trost" und andererseits "Vertrösten" oder "Wegtrösten". Wirklicher Trost nehme Unveränderbares in seiner ganzen Tragik ernst und könne Kraft geben in einer Phase der totalen Kraftlosigkeit. Er führte vier verschiedene Dimensionen von Trost aus: sinnlich (zum Beispiel "Augentrost", Berührung), seelisch (zum Beispiel soziale Beziehungen), geistig (zum Beispiel Merksätze, Literatur, Aufgaben) und schließlich "transzendent" (im Sinne von "Schwellen überschreiten"). Allen Dimensionen sei gemeinsam, dass sie – wohlgemerkt: nach der Verzweiflung – Zusammenhang und Sinn stiften können, die neue Kraft geben. Schmid bezeugte seine philosophischen Ausführungen durch deren konsequente Einbettung in den persönlichen Erlebnishintergrund einer schweren Krebserkrankung in der Familie. Für seinen so offenen wie bewegenden Vortrag erhielt er minutenlang Applaus des Publikums.

Einen weiteren erhellenden begrifflichen Akzent setzte dann die Kulturpädagogin, Mediatorin und Heilpraktikerin für Psychotherapie Eva Vogt, indem sie "Trost spenden" geradezu als das Gegenteil ihrer Arbeit als Trauerbegleiterin definierte. Denn dies klinge ihr allzu sehr nach einem Gefälle zwischen gönnerhafter Gabe und demütigem Empfang. Sie wolle nicht trösten und auch nicht diesen Auftrag haben. Stattdessen sei sie Begleiterin: Sie gehe und fühle mit, sortiere gemeinsam Empfindungen und Fragen, probiere gemeinsam aus, was guttue; vor allem aber akzeptiere sie, "wie es gerade ist". Das Publikum erhielt auf diese Weise einen konkreten Einblick in die professionelle Praxis der Trauerbegleitung.

Wahrer und falscher Trost?

Eine Frage, die nach diesen Vorträgen auf der Hand lag, war: Gibt es "falschen" Trost oder ist Trost eigentlich immer richtig, wenn er "funktioniert", das heißt tröstet? In Bezug auf "Trost durch Gott" war die Differenz zwischen Wetz und Schmid deutlich geworden: Für ersteren schien Trost, der auf eine andere Welt verweist, falscher Trost zu sein, weil er Menschen etwas vormacht, was es nicht gibt. Schmid hingegen begründete auf Nachfrage sein Verständnis von Transzendenz physikalistisch mit den Gesetzen der Thermodynamik: Auch nach dem Tode blieben Energien erhalten, die letztlich der Ausgangspunkt seien für alle anderen anthropomorphen Bilder und Ideen von einem Jenseits wie zum Beispiel die Freude auf das Wiedersehen mit dem schon länger verstorbenen Ehemann. Zusammen mit dem Hinweis, dass man darüber aber nichts mit absoluter Gewissheit wissen könne, hält Schmid Trost durch Transzendenz nicht für falschen Trost. Das Beharren auf der eigenen Überzeugung, dass man Formen eines Lebens danach aber für äußerst unwahrscheinlich hält, könne man – so konnte man als Zuhörer schlussfolgern – im Sprachspiel und der sozialen Situation "Trost" vernünftigerweise auch beiseitelassen.

Die Frage nach dem "falschen Trost" wurde aber auch noch anders diskutiert: Wetz bezeichnete es als "unsinnig", wenn jemand die Asche seiner Verstorbenen lieber in der Nähe im eigenen Garten als auf dem Friedhof vergraben wolle; unsinnig, denn die Person sei ja sowieso nicht mehr da. Unsinnig sei es auch, wenn Menschen auf öffentlichen Gedenktafeln den eingravierten Namen eines Verstorbenen berühren, um sich diesem nahe zu fühlen. Dass trotz seiner Eingangsthese hier dann der Rationalität ein so dominanter Stellenwert beigemessen und das strenge rationale Verdikt "unsinnig" erging, traf in Teilen des Publikums auf ähnlichen Widerspruch wie zuvor die Aussagen von Schmid zur Transzendenz. Die Frage des "falschen Trostes" wäre es sicherlich wert gewesen, noch genauer diskutiert zu werden.

Was neben dieser Frage von diesem Abend bleibt, ist der Eindruck einer lebhaften, kontroversen und anregenden Debatte sowie die Erkenntnis, dass die Frage "Kein Gott, kein Trost?" in humanistischer Perspektive sowohl bejaht als auch verneint werden kann. Nein, auch ohne Religion und den Glauben an Gott können Menschen sich in schwierigen Lebenssituationen gegenseitig trösten. Wilhelm Schmid hat ein ganzes Spektrum des Tröstens ohne Gott entfaltet, in dem das Leiden und die Traurigkeit nicht einfach billig weggetröstet werden. Ja, es gibt ohne Gott keinen Trost in Bezug auf die menschliche Sterblichkeit, der dieser heroisch den Stachel zu ziehen vermag. Mit Wetz: Nicht mit der Sterblichkeit fertig zu werden, ist ein deutliches Zeichen von Humanität.

Podium mit Anke Lauke, Tina Bär, Uller Gscheidel und Thomas Oppermann (v.l.), Foto: © Frank Spade
Podium mit Anke Lauke, Tina Bär, Uller Gscheidel und Thomas Oppermann (v. l.), Foto: © Frank Spade

Humanismus – Methode oder Positionierung?

Die Vorträge und Diskussionen des Samstagvormittags knüpften in verschiedenen praktischen Kontexten an die Debatten des Vorabends an und warfen eine zusätzliche Kernfrage auf. Uller Gscheidel, Geschäftsführer von Charon Bestattungen Berlin, berichtete von einem mittlerweile weit verbreiteten Bedürfnis von Trauernden, die Gestaltung von Trauerfeierlichkeiten und Zeremonien stärker selbst in die Hand nehmen zu können. Diese kulturelle Veränderung fände sich noch nicht im Bestattungsrecht wieder und nach Einschätzung des Referenten werde man darauf wohl auch noch einige Zeit warten müssen. Anknüpfend an die Debatte um Trost verwies er darauf, dass ein Trost im Sinne von "Rettung", wie er zum Beispiel bei Kindern möglich sein kann, wenn sie Angst vor einem Tier haben, bei Tod und Sterblichkeit schlichtweg nicht möglich sei.

Hier schloss sich Thomas Oppermann, Trauerredner und Geschäftsführer des Humanistischen Verbandes Nordrhein-Westfalen, weitgehend an: Selbst Trost im Sinne von "Schmälern" sei hier nicht möglich, es ginge stattdessen um "Beistehen", Ermutigung im Leiden, einen Raum für Schmerz und Leiden schaffen. Oppermann beschrieb das spezifisch humanistische Profil der Trauerfeiern seines Verbandes: kein Gesang, aber Musik (keine religiösen Liedtexte); Rednerpult (keine Kanzel); sich als Bestandteil der Trauergemeinschaft verstehen (dort auch sitzen); sich an den Verstorbenen und nicht an den Toten wenden; ehrenamtlich; keine Durchführung von religiösen Ritualen durch den humanistischen Trauerredner (wohl aber gegebenenfalls Raum dafür geben). Hervorzuheben sei vor allem der Aspekt einer sehr individuellen Rede, mit dem Schwerpunkt auf dem gelebten Leben des Verstorbenen und der Erinnerung an das Zusammenleben mit ihm, wobei die Kontrolle der Erinnerung dabei konsequent bei den Angehörigen verbleiben müsse. Schärfer als zuvor Gscheidel forderte Oppermann eine zeitnahe Änderung überkommener Bestattungsgesetze.

Die Humanistikerin und humanistische Seelsorgerin Anke Lauke wagte methodisch den Versuch, einen zentralen Aspekt humanistischer Seelsorge und Lebensbegleitung leibhaftig erfahrbar zu machen. Anstelle einer Definition von Trost sammelte sie zunächst Assoziationen des Publikums zu diesem Begriff. Ihre These, man müsse die Bedeutung von Trost, die der jeweilige Mensch mit diesem Wort verbinde, zunächst sorgfältig im Gespräch klären, weil diese Bedeutung eben nicht selbstverständlich sei, verifizierte sich in der anschließenden Gesprächsübung der Gäste zu "Zuhören und Verstehen". Die Gesprächspartner berichteten von überraschenden Differenzierungen und vielfältigen Bedeutungsgehalten. Für Lauke ist gerade die spezifische Herausforderung, in das Verstehen des Anderen nicht immer schon vornehmlich das Eigene hineinzulegen, ein wesentlicher Bestandteil der Haltung einer humanistischen Seelsorgerin. Als weitere Elemente nannte sie: Mitreflexion der eigenen Bedeutungskonzepte, Erkundung statt Lösungen vorschlagen sowie die Unterstützung des Ratsuchenden dabei, seinen eigenen Werten gemäß zu leben. Laukes umfänglicher Forschungsbericht zu diesen Themen für die Humanistische Akademie wird im Mai hier publiziert werden.

Erwartungsgemäß wurde der Begriff "Seelsorge" in der anschließenden Diskussion von einigen Gästen kritisch hinterfragt. Dagegen verwiesen Lauke selbst wie auch andere Gäste auf die hierarchischen und distanzierten Konnotationen eines Alternativbegriffs wie "Beratung", auf die – auch nicht religiöse – Bedeutungsvielfalt von "Seele" sowie darauf, dass Seelsorge ein klares und verständliches Bild und auch ein bekanntes Berufsbild vermittele. Die zentralere Kontroverse bestand jedoch in den vorgebrachten unterschiedlichen Verständnissen von Humanismus: Reicht so etwas wie "zugewandte Bewertungsenthaltsamkeit" für "humanistische" Seelsorge (Lauke) oder bedarf es einer deutlichen nicht religiösen Profilierung, wie Oppermann sie für ein "humanistisches" Trauerzeremoniell deutlich machte? Womöglich ist dies aber – so ließe sich weiterdenken – auch von der Dienstleistung selbst abhängig, so dass größere Offenheit bei einem Seelsorgeangebot eher angemessen ist als beim Angebot humanistischer Trauerfeiern.

Gscheidel wünschte sich auf dem Podium mehr Toleranz von humanistischer Seite für weit verbreitete "gemischte Identitäten" mit religiös/weltanschaulichem Patchwork, oftmals sei die Trennlinie gar nicht mehr so einfach zu ziehen wie noch vor Jahrzehnten. Auch Lauke sprach sich für eine stärkere Anerkennung der Vielfalt und Vielschichtigkeit von Identitäten aus und wollte ihr Angebot nicht als ein exklusives für Atheistinnen und Atheisten verstanden wissen. Oppermann hielt dagegen, weltanschauliche Orientierung im Rahmen eines humanistischen Angebotes könne durchaus auch eine kritische Reflexion "gemischter Identität" beinhalten.

Insgesamt stießen Thema, Vorträge und Debatten auf große Resonanz bei den Gästen, die zum Teil sogar eigens aus anderen Bundesländern angereist waren. Das besondere Thema und seine Aufbereitung sorgten dafür, dass auch im Anschluss an das Programm sowie in den Pausen leidenschaftlich weiter diskutiert wurde. Die Humanistische Akademie wird sich auch in Zukunft mit den besonderen Herausforderungen eines humanistischen Umgangs mit Sterblichkeit und Tod beschäftigen.

Die Videodokumentationen der Vorträge werden zeitnah auf der Webseite der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg abrufbar sein. Die Beiträge von Wilhelm Schmid und Franz Josef Wetz erscheinen in überarbeiteter Form im nächsten Band unserer Schriftenreihe.