In einem Interview mit der Badischen Zeitung vom 23. April zur Abschaffung der Staatsleistungen wurde hpd-Autor Jürgen Roth gefragt, ob ein Ende der Zahlungen die Kirchen nicht schwäche. Seine Anmerkungen haben einige Fragen ausgelöst, die er hier vertieft und im größeren Zusammenhang darstellt.
Ich hätte diese unterstellte Schwächung als wertvollen Beitrag im Sinne der Aufklärung anpreisen können. Die staatliche Neutralitätspflicht in religiös-weltanschaulichen Angelegenheiten erlaubt aber keine gezielte Schwächung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften durch öffentliche Stellen.
Deshalb habe ich geantwortet: "Die Kirchen sind eine wichtige gesellschaftliche Kraft. Es geht nicht um platten Anti-Klerikalismus, sondern darum, die gesellschaftlichen Realitäten anzuerkennen." Im Weiteren habe ich dann die Abschaffung der Staatsleistungen (ohne Entschädigung) sowie den flächendeckenden Ethikunterricht gemeinsam für alle Schülerinnen und Schüler verlangt.
Diese Anmerkungen haben einige Fragen ausgelöst, die ich vertieft und im größeren Zusammenhang darstellen möchte.
Gesellschaftliche Bestandsaufnahme
Das 100 Jahre alte "Staatskirchenrecht" ist eine Schrottimmobilie ohne Anspruch auf Denkmalschutz. Die Eltern der Weimarer Verfassung und des Grundgesetzes hatten noch immer die Identität von Bürger und Christ im Kopf. Bei rund 95 Prozent Kirchenmitgliedschaft lagen historisch andere Bedingungen vor als heute.
Wir verdanken es Persönlichkeiten wie Horst Herrmann, Charlotte Maack, Johannes Neumann und Erwin Fischer, dass die dominierende Allmacht der Großkirchen aus den 50er- und 60er Jahren nach und nach deutlich schwächer geworden und einer breiten Kritik unterzogen wurde. Dieser Dank geht auch an viele Frauen in der Diskussion über Abtreibungen. Selbstverständlich vergessen wir Karlheinz Deschner nicht, der in unermüdlicher Arbeit den gerne präsenten Nimbus der historisch-moralischen Unantastbarkeit der Kirchen auf den Schrottplatz der Geschichte abtransportiert hat.
Die Kirchen und ihre Lobby in den Parteien werden begreifen müssen, dass ihre Mitglieder in mehreren Bundesländern, den meisten Städten und in Kürze auch im Bund gegenüber fast 40 Prozent Konfessionsfreien in der Minderheit sind. Sie werden nicht bis zum jüngsten Gericht in Gewändern herumlaufen können, die ihnen längst viel zu weit geworden sind.
Die Reform braucht Verbündete
Säkulare Politik kann nur Erfolg haben, wenn sie den richtigen Ton in der gesellschaftlichen Debatte trifft und für ihre Ziele Verbündete findet. Die ersten Erfahrungen des Bündnisses BASTA sind durchaus ermutigend. Ab einer "kritischen Masse" kommt dann der Punkt, wo in der Politik die Dinge nachhaltig in Bewegung geraten.
Nicht nur diejenigen, die sich seit Jahr und Tag sehr kritisch und in harschen Worten mit den Kirchen auseinandersetzen, auch viele Reformkräfte innerhalb der Großkirchen missbilligen, dass der Staat durch Sonderprivilegien eine strenge Hierarchie zwischen den religiösen Gemeinschaften errichtet. Auch ihnen stößt übel auf, dass es noch immer zugeht wie früher bei Hofe: je näher beim Herrscher an der Tafel, umso bedeutender die eigene Stellung.
Wer sich indes in der Kirchenkritik erschöpft, tappt schnell in die Falle. Er ruft zugleich all diejenigen auf den Plan, die nur Gutes und Löbliches zu berichten haben. Am Ende dreht sich die Debatte im Kreis und endet wie so oft im Nichts.
Wir haben es in der Missbrauchsdebatte bei den Pfarrern nicht nur (nicht einmal überwiegend) mit Vergewaltigern zu tun, sondern vielfach mit Menschen, die sich aufopfernd um Arme und Flüchtlinge kümmern. Wer darüber hinwegsieht, wird rasch darüber belehrt, dass die Flüchtlingsinitiative nur in kirchlichen Räumen Unterschlupf findet etc. Der Autor hat dies schon unzählige Male selbst erlebt. Dieses Pingpong konkurrierender Erfahrungsbereiche bringt die Reformdebatte nicht wirklich voran.
Bitte nicht falsch verstehen: Kritik an den Zuständen in den Kirchen ist und bleibt ein wichtiger Bestandteil der Reformdiskussion, nicht zuletzt, um die Glaubwürdigkeit der Kirchen nachhaltig zu erschüttern. Das gilt ganz aktuell für die Missbrauchsdebatte und viele andere Punkte mehr. Wir müssen aber – wie ausgeführt – die Wirkungsmacht klassisch antiklerikaler Anwürfe für die gesellschaftspolitische Debatte realistisch einschätzen.
Lässt sich der Anachronismus bestehender Privilegien nur teilweise an der konkreten Missbilligung von Erscheinungsbild und Tätigkeit der Kirchen festmachen, müssen andere Wege begangen werden. Einer davon ist der Verweis auf die ständige Benachteiligung der Konfessionsfreien sowie der vielen zivilgesellschaftlichen Vereinigungen:
- Warum müssen Beschäftigte in Kliniken und Kitas nach der Pfeife von Kirchenoberen tanzen, weil sie wegen der kirchlichen Monopolstellung in ihrer Region keine andere Stelle bekommen?
- Warum müssen Muslime und Kirchenfreie als Steuerzahler die Strafzinsen der Bundesländer an die Großkirchen (historische Staatsleistungen) mitbezahlen?
- Warum werden hochprofitable Grundstücksgeschäfte der Kirchen durch Gebührenverzicht und Steuerbefreiung subventioniert, während Organisationen wie ATTAC die Gemeinnützigkeit aberkannt wird?
- Warum müssen Menschen beweisen, dass sie zu DDR-Zeiten die Kirche verlassen haben, wollen sie nicht für Jahre und Jahrzehnte Kirchensteuer nachzahlen?
- Warum bevölkern Kirchenleute die Rundfunkräte, während die 40 Prozent Religionsfreien in die Röhre schauen?
- Warum wechseln sich beim "Wort zum Sonntag" wie in früheren Zeiten evangelische und katholische Würdenträger ab, während andere nicht zu Wort kommen?
Die Aufzählung ist unvollständig, macht aber die Unhaltbarkeit der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Glaubensgemeinschaften hinreichend deutlich.
Staatliche Neutralität als Grundlage erfolgreicher säkularer Politik
Religionspolitik ist mehr als die Reform des "Staatskirchenrechts" an Haupt und Gliedern. Die inhaltliche Ausrichtung der Religionspolitik in Deutschland bedarf dringend einer grundlegenden und vertieften Debatte darüber, dass sich alle Religionen und Weltanschauungen an bestimmte Regeln zu halten haben.
Zur Freiheit der Religionsausübung gehört immer auch die Freiheit der anderen, diese Religion zu kritisieren und ihre Inhalte zu hinterfragen. Betätigungsfreiheit und die Freiheit der öffentlichen Auseinandersetzung sind zwei Seiten einer Medaille. Gerade muslimische Vertreter verwechseln jedoch den Schutz der Glaubensfreiheit durch den Staat mit einem Anspruch an den Staat, sie vor der gesellschaftlichen Debatte abzuschirmen. Diese Haltung zeigt, dass einige dieser Funktionäre nicht in der mitteleuropäischen Wirklichkeit angekommen sind und das vermutlich auch gar nicht anstreben. Sie sind befangen in der Tradition eines Staatsislam als herrschender Leitkultur mit einer Lizenz zur Verfolgung Andersdenkender.
In schroffem Gegensatz zu jeder Form archaischer Denk- und Handlungsmuster steht das aufgeklärte Credo einer liberalen Verfassungsordnung. Dazu gehören untrennbar das Recht auf Religionsfreiheit und das Recht auf Religionskritik. Diese Auseinandersetzung über Religionen und ihre Gründe müssen auch in zugespitzter und satirischer Form geführt werden. Keine Religion und keine Weltanschauung steht unter Artenschutz, egal ob sie hierzulande schon seit 1500 Jahren im Geschäft sind oder erst im Rahmen von Zuwanderung an die Türen der mitteleuropäischen Gesellschaften klopfen. Daher haben nicht nur konservative Religionsfunktionäre, sondern auch die sprachpolizeiliche Korrektheitsmafia den liberalen Verfassungsstaat nicht verstanden, wenn sie in unheiliger Allianz Religionskritik als Rassismus diffamiert und aus dem öffentlichen Diskurs verbannen will. Das muss zur Zeit die bekannte Frankfurter Islamwissenschaftlerin Prof. Schröter leidvoll erfahren, die einer überaus dümmlichen und fanatisierten Hetzkampagne ausgesetzt ist.
Wie unaufrichtig die Debatte geführt wird, zeigen auch die tragischen Anschläge der letzten Wochen. Bringen in Neuseeland faschistische Verbrecher Muslime um, laufen weltweit Frauen aus Solidarität in Kopftüchern umher. Sprengen aber in Sri Lanka Islamisten christliche Kirchen und die Besucher der Messen in die Luft, findet dieser Umstand keine Beachtung. Es passt nicht in das üblich geworden Opferschema der selbst ernannten Wohlfahrtsausschüsse.
Der Staat darf im wohlverstandenen Interesse säkularer Politik Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften weder bevorzugen noch absichtlich schwächen. Ob die eine oder andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Zulauf haben oder ob sich das Publikum mit Grausen abwendet, ist ein gesellschaftlicher Prozess, sollte aber nicht das Ergebnis staatlicher Einwirkung sein. Das Gebot der Zurückhaltung – unter Beachtung bestimmter menschenrechtlicher Schutzpflichten – gilt auch für die Politik gegenüber dem Islam in seiner Gesamtheit und seinen unterschiedlichen Schattierungen. Der deutsche Staat kann sich keine hausgemachte Körperschaft nach dem organisatorischen Vorbild der christlichen Großkirchen schnitzen.
Schlussfolgerung
Atheisten, Agnostiker und reformfähige Menschen unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen sollten deshalb unbeschadet ihrer Unterschiede und Gegensätze ein gemeinsames Ziel anstreben: den Wandel der Kirchen vom geistlichen Ärmchen deutscher Staatlichkeit hin zu einer zivilgesellschaftlichen Kraft.
Ein solches Bündnis kann einen wichtigen Beitrag darüber zustande bringen, das Recht der Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht nur organisatorisch zu verändern, sondern in Zeiten wachsender Vielfalt der religiösen Überzeugungen ein neues gesellschaftliches Fundament für eine Religionspolitik im Sinne der Aufklärung zu schaffen.
12 Kommentare
Kommentare
Junius am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Roth, Ihnen ist aber schon klar, daß den Religionsvereinen in diesem Lande an einer "Religionspolitik im Sinne der Aufklärung" überhaupt nicht gelegen ist?
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Und, trotz anderslautenden Rechenkünste hier und anderswo, formell vertreten sie zusammen immer noch die überwiegende Mehrheit."
Das kann man auch differenzierter sehen. Zum einen ist es eine Frage sehr weniger Jahre (zwei bis maximal vier), bis es weniger als 50 % christlich konfessionell gebundener Bürger in Deutschland gibt. Dann sind die konfessionellen Christen rechnerisch in der Minderheit. Doch selbst diese Minderheit untergliedert sich in Personengruppen, die aus beruflichen Gründen noch Mitglieder einer der Kirchen sein müssen, die aus Bequemlichkeit noch Mitglieder sind oder die zwar Mitglieder, aber ohne Glauben sind.
Daher sind die sich wirklich als Christen empfindenden Bürger bereits heute in der Minderheit. Auf diese gesellschaftliche Realität muss Politik reagieren. Auch Medien sind aufgerufen, hier ihre Grundeinstellung zu überprüfen, ob nicht auch säkulare Interessen berücksichtigt werden sollten. Die gbs z. B. hat erfahrungsgemäß eine viel zu geringe Bekanntheit in der Öffentlichkeit, gemessen an ihren Aktionen und Wirkungen. Dies liegt an mangelnder Medienpräsenz, die man nicht erzwingen kann, sondern die im Land der Meinungsfreiheit durch unvoreingenommenes Beobachten der gesellschaftlichen Realität (eindeutiger Trend zur Säkularisierung) aus den Redaktionen erwachsen müsste.
Dass Religionsgemeinschaften kein Interesse an Aufklärung haben, liegt in der Natur der Sache - und genau aus diesem Grund werden sie in Nationen mit gutem Bildungsangebot an Bedeutung verlieren, bis ein spiritueller Rest bleibt. Eine aufgeklärte Religion - ein Widerspruch in sich - würde von den Restgläubigen sofort abgelehnt werden. Aus diesem Grund darf die katholische Kirche von Reformen auch nur sehr leise sprechen - so leise, dass man deren Umsetzung recht schnell vergisst...
Junius am Permanenter Link
Ach Herr Kammermeier, das funktioniert doch nicht.
Jürgen Roth am Permanenter Link
Es ist nicht falsch, was Sie gerade über die Leitungen der Kirchen sagen. Dennoch gibt es interne Reformkräfte, die wir als Säkulare nicht über- aber auch nicht unterschätzen sollten.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Sehr guter Artikel, der Richtungsweisend für die Zukunft ist. Nur so lässt sich Säkularisation realisieren und Demagogen einhält gebieten.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Das gehört eigtl. eher als Leserbrief in die Bad. Ztg. als hierher.
Jürgen Roth am Permanenter Link
Danke aber für den Hinweis. Ich hoffe aber, Sie haben den Beitrag dennoch gelesen haben. Die Badische Zeitung würde sich aber gewiss über ein Abo freuen.
awmrkl am Permanenter Link
"Menschen unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen sollten deshalb unbeschadet ihrer Unterschiede und Gegensätze ein gemeinsames Ziel anstreben: den Wandel der Kirchen vom geistlichen Ärmc
Deshalb sollte mE EIN großes Ziel solcher Bestrebungen sein: Alle Kirchen, religiöse Gemeinschaften und wie sie sich sonst noch so nennen mögen, zu maximal Vereinen (unter Vereinsrecht) zu machen (also jeglichen Status darüberhinaus (KdöR usw) abzuerkennen): Das ist insofern gerechtfertigt, als religiöse Betätigung schon heute weithin als Hobby, Freizeitbeschäftigung, Liebhaberei gesehen wird, zu sehen ist, zurecht. Es ist nicht mehr als gerne mit anderen Schach, Fußball, Golf zu spielen oder Hamster, Tauben oder Kaninchen zu züchten.
Das was daraus abgeleitete Organisationen wie Diakonie, Caritas usw. tun, hat wiederum mit Religion garnix zu tun. Das sind stinknormale wirtschaftliche Unternehmen, und so sollten sie auch behandelt werden, mit *allen* Konsequenzen.
Dafür sollten wir Verbündete finden.
Meine ersten Gedanken dazu.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Ach das wäre ein Traum wenn Ihre Vorschläge realisiert würden.
Darauf hoffe ich schon seit über 60 Jahren.
A.S. am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Roth, auch wenn ich Ihnen im vielem zustimme, so wird doch immer die Abschaffung von Privilegien für eine Organisation eine Schwächung selbiger zur Folge haben.
Außer den Staatsleitungen sind auch die Konkordate/Staatskirchenverträge abzuschaffen. Unterricht in Aberglauben gehört nicht in die Schulen. Unterricht über Aberglauben und die sich aus solchen ergebenden gesellschaftlichen Gefahren schon.
Jürgen Roth am Permanenter Link
Ich bin ganz bei Ihnen, dass Privilegien abgeschafft werden müssen; Zahlen die Länder keine Staatsleistungen mehr, fehlt den Kirchen logischer Weise über eine halbe Milliarden Euro pro Jahr in der Kasse.
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Pragmatisch ist gut - provokant auch. Wenn wir Abschaffung der Kirchenfinanzen fordern, müssen wir unbedingt das Geld für Belange Säkularer zurück fordern.