"Koko, die sprechende Gorillafrau" in "Ape Culture/Kultur der Affen"

Eine Äffin lernt die Menschen verstehen

BERLIN. (hpd) "Wird Koko die erste weiße protestantische Gorillafrau?" fragt eine männliche Stimme in Barbet Schroeders "Koko, die sprechende Gorillafrau". Der 1978 gedrehte Dokumentarfilm läuft derzeit in der Ausstellung "Ape Culture/Kultur der Affen" im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Mit 300 Worten der Taubstummensprache, die Koko produzieren konnte, 300 weiteren, die sie verstand, konnte sie sogar lügen, aber scheinbar auch ihr Gewissen erkunden.

Man könnte den Film "Koko, le Gorille qui parle" als eine Variante von "Die Schöne und das Biest" sehen. Die blonde Doktorandin Francine Patterson arbeitete sieben Jahre ohne Ferien von morgens bis abends mit Koko, dem ersten 1971 im Zoo von San Francisco geborenen Gorilla-Nachwuchs. Koko ist, als der Film gedreht wurde, ein 50 Kilo schweres Teenager-Mädchen. Es eignet sich die Welt vor allem mit dem Mund an, will manchmal toben und öfter schmusen. Francine unterrichtet sie in Englisch und der Zeichensprache. Koko wird an einer Eisenhalskette spazieren geführt und versucht gutwillig, dem Unterricht ihrer Lehrerin zu folgen.

Man kann den Film auch als feministische Variante einer Doku über die Kognitionsforschung an einer Menschenäffin betrachten. Koko wird angehalten, sich mit Lidschatten, Lotion und Puder zu schminken, um zu sehen, ob sie den Puder an ihrer Stirn im Spiegel erfasst und bewusst manipuliert, was auf ein Ich-Bewusstsein schließen ließe. Sie tut es und leckt anschließend den Inhalt der Puderdose inbrünstig und vollständig auf. Sie soll einer Menschen-Puppe das Fläschchen geben. Sie macht das Spiel mit, nachdem sie sich jedoch zunächst davon überzeugt hat, dass das Fläschchen leer ist, ihr also nichts entgeht.

Man kann dem Streifen dahingehend folgen, wie ein komplett den Bedingungen der Menschen unterworfenes Wesen vermenschlicht wird, und riesige Missverständnisse ahnen. Man kann aber auch staunen, was diese nichtmenschliche Äffin alles kann. Das offenbart sich besonders in den Momenten, die wissenschaftlich schwer dingfest zu machen sind, weil sie in keiner Versuchsanordnung wiederholbar sind. So wenn Koko sich Worte erfindet wie "Stein-Keks" für einen sehr harten Cookie. Oder als sie ausgeschimpft wird, weil sie gestohlen hat, und "Kate", wie ihre Taubstummensprachlehrerin heißt, antwortet und ihr so die Schuld in die Schuhe schiebt. Nachdem im Fernsehen eine Reportage über sie lief mit einer Szene, in der sie isst, kommentiert sie: "Koko isst." Als sie einen Kameraden sieht, der sie gebissen hat, sagt sie: "Schlecht, schlecht." Darauf gefragt, warum, gestikuliert sie: "Beißen." Nur ganz andere Narrative aus der Geisteswissenschaft könnten solche Sternstunden auswerten.

Koko mag es nicht, aus heiterem Himmel getadelt zu werden. Wie ein verwöhntes Kind reagiert sie mit einem Tobsuchtsanfall. Der einmal damit endet, dass sie ihre Bilderbücher zerreißt und aus der Bücherkiste ein Nest baut. Darüber erst recht gescholten und zur Strafe weggesperrt, ist sie sichtlich eingeschüchtert. "Problem" signalisiert sie, und danach "Schlecht" und versucht, ihre Lehrerin zu umarmen. Schuldbewusst oder als Unterwerfungsversuch ihrer zierlichen Herrin gegenüber? Wir sehen Koko in ein wahres Selbsterfahrungsgespräch verwickelt und mutmaßen, dass sich an dieser Frage entscheidet, ob man sie für einen etwas autistischen nahen Verwandten unserer selbst hält oder ein im Laufe der Jahre vermenschlichtes Tier. Daran, dass sie ein Individuum ist, mag kaum noch einer zweifeln. So einfallsreich und sanft, fast immer gut gelaunt, so liebesbedürftig und einfühlsam und bemüht, wie sie mit ihrer zierlichen Pflegemutter und Dompteuse umgeht. Und so verblüffend anpassungsfähig an die Kultur der Menschen, wie sie sich erweist.


Haus der Kulturen der Welt: "Ape Culture/Kultur der Affen", John-Foster-Dulles-Alle 10, 10557 Berlin, bis 6. Juli

Barbet Schroeder: "Koko: A Talking Gorilla" (englisch), DVD über Amazon erhältlich