Innerhalb kurzer Zeit haben zwei polnische Frauen Preise erhalten. Die 12-jährige Wiktoria Gabor hat die Junior-Eurovision gewonnen und die Schriftstellerin Olga Tokarczuk erhielt den Literatur-Nobelpreis.
Wiktoria Gabor wurde in einer aus Polen stammenden Roma-Familie in Deutschland geboren und hat die Schule in England besucht. Vor Kurzem kehrte sie mit der Familie nach Polen zurück und wohnt nun in Krakau.
Ihr Erfolg ist noch höher einzuschätzen, weil sie im Jahr zuvor auch den landesinternen "Mädchen Junior Eurovision"-Wettbewerb gewann. Man sollte also erwarten, dass dieser Doppeltriumph eine große Euphorie hervorrufen würde. Es gab zwar offizielle Gratulationen, aber im Internet war sie Hass und rassistischen Anfeindungen ausgesetzt.
Allerdings haben sich viele mit Wiktoria solidarisiert: "Entschuldigung, Viki, für diejenigen, die nicht wissen, was sie tun; angeblich ist das polnische Blut die beste Mischung von Gift, Neid, Rassismus und Heuchelei. Leute, kommt zu Sinnen. Wir sind nicht die einzigen in der Welt."
Nach offiziellen Statistiken wohnen in Polen ca. 17.000 Roma, von denen sich ca. 10.000 als Polen betrachten. Die alten Vorurteile sind aber geblieben und wachsender Nationalismus stärkt sie.
Wesentlich größere Problem haben nicht nur die Internet-Nationalisten, sondern auch die regierenden Politiker mit Olga Tokarczuk, der zweiten Preisträgerin. Am 10. Oktober 2019 gab die Schwedische Akademie in Stockholm die Verleihung des Nobelpreises für Literatur an sie bekannt, "für ihre narrative Vorstellungskraft, die, in Verbindung mit enzyklopädischer Leidenschaft, für das Überschreiten von Grenzen als eine neue Form von Leben steht."
"Wir haben uns die Geschichte Polens als ein offenes, tolerantes Land ausgedacht, das sich nie mit etwas Schlimmem gegenüber eigenen Minderheiten befleckt hat. Jedoch haben wir schreckliche Dinge gemacht: Als Kolonisatoren, als ethnische Mehrheit, die die Minderheiten unterdrückte, als Sklavenhalter oder Juden-Mörder." Solche Aussagen Tokarczuks hatten heftige Angriffe seitens der rechtsstehenden Medien und Politiker veranlasst. Sie stellen in Frage, dass sie eine polnische Schriftstellerin ist. Denn Tokarczuks Eltern stammen – wie viele nach dem Krieg in Schlesien angesiedelte Polen – aus den an die Sowjetunion verlorenen Ostgebieten.
Da sie zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verleihung des Nobelpreises auf einer Deutschland-Reise war, um sich mit ihren Lesern zu treffen, wurde sofort eine Verschwörungstheorie erfunden: Das sei ein deutsch-jüdisches Komplott mit Hilfe Skandinaviens.
Die regierenden Politiker konnten sich nicht überwinden, Tokarczuk zu gratulieren. Der stellvertretende Ministerpräsident und Kulturminister sagte vor der Presse, dass er kein Buch der Nobelpreisträgerin gelesen habe. Sein Amtskollege sagte das Gleiche und fügte hinzu: "Ich werde auch keins lesen."
Während Tokarczuk in Stockholm ihre Rede hielt und ihre Perspektive auf die zeitgenössische Literatur präsentierte, wurde im öffentlichen Fernsehen Polens ein Interview mit einem Popmusiker ausgestrahlt. Erst am Tag der Preisverleihung gratulierte der Präsident Olga Tokarczuk und der Kulturminister sprach eine Einladung für sie zum Besuch im Ministerium aus.
Im Gegensatz zu den Regierungssalons wurde die Nobelpreisträgerin auf der Straße enthusiastisch bejubelt. In diesen politisch düsteren Zeiten ist die Vergabe des Nobelpreises an die polnische "linke Femistin" ein wunderbares Ereignis. Als das Flugzeug mit Tokarczuk am Bord am 13. Dezember 2019 auf dem Warschauer Flughafen landete, wurde es mit "Wassersalut" empfangen; Feuerwehrfahrzeuge haben über der Maschine einen Wasserbogen gebildet. In der Ankunftshalle warteten Unzählige auf Olga Tokarczuk.
Die Nobelpreisträgerin hat sich sofort nach der Rückkehr erneut in der Opposition engagiert. Am 18. Dezember sagte sie zu mehreren tausend Bürgern, die vor dem Parlament gegen den "Maulkorb-Erlass", einen Gesetzentwurf zur Disziplinierung von Richtern, demonstrierten: "Es ist uns klar, in welch großer Bedrängnis polnische Richter jetzt leben, wie sie die Arbeitsplätze verlieren, wie sie auf andere Posten verschoben werden, wie sehr ihre Familien leiden. Ich möchte ihnen nur sagen, wir sind mit euch." Das Wort der Nobelpreisträgerin wird nicht nur in Polen gehört.
Gegen den "Maulkorb-Erlass" wurde nicht nur in Warschau, sondern auch in fast 200 anderen polnischen Städten protestiert. Doch worum geht es dabei? Darüber klärt eine "Erklärung des Landesvorstands des Komitees zur Verteidigung der Demokratie zum Entwurf für die Änderung des Gesetzes über die Verfassung der ordentlichen Gerichtsbarkeit" auf:
Der am 12. Dezember 2019 von den Abgeordneten der Partei Prawo i Sprawiedliwość im Sejm eingebrachte Entwurf für die Änderung des Gesetzes über die Verfassung der ordentlichen Gerichtsbarkeit, des Obersten Gerichts sowie einiger anderer Gesetze enthält zahlreiche inakzeptable Änderungen der Vorschriften über das Funktionieren der Gerichte und Staatsanwaltschaften, darunter beispiellose Lösungen, welche die Richter zur Nichtbefolgung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. November 2019 zwingen sollen. Die geplanten Vorschriften greifen unmittelbar in die richterliche Unabhängigkeit ein, indem sie unter anderem einen Disziplinarverstoß einführen, der auf der Verweigerung der Anwendung einer Vorschrift, die nicht zuvor vom Verfassungsgericht in Frage gestellt wurde, beruht. Auf diese Weise wird versucht, den Gerichten die selbstständige Beurteilung der Rechtswirksamkeit der Berufung von Richtern unter Beteiligung des neu besetzten Landesjustizrats gemäß den im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union formulierten Vorgaben zu untersagen und die Nichtanwendung des europäischen Rechts zu erzwingen – unter Androhung der strengsten Disziplinarsanktionen mit der Entlassung aus dem Beruf des Richters oder Staatsanwalts einschließlich.
Das Regierungslager erklärt damit der unabhängigen Justiz den offenen Krieg und lenkt Polen unmittelbar in Richtung Ausstieg aus der Europäischen Union, denn es ist unmöglich, einerseits dieser Gemeinschaft anzugehören und andererseits Bestimmungen ins Rechtssystem einzuführen, deren Zweck es ist, die Anwendung des europäischen Rechts zu unterlaufen.
Die eingebrachten Vorschläge stellen einen verzweifelten Versuch dar, die Erosion der sogenannten Justizreform durch die Konfrontation mit dem europäischen Recht aufzuhalten. Eine symbolische Bedeutung kommt dem Datum der Einbringung des Entwurfs zu: Es handelt sich um den Vorabend des Jahrestags der Verhängung des Kriegszustands im Jahr 1981, der ebenfalls den demokratischen Wandel in unserem Land aufhalten sollte. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein solcher Versuch diesmal gelingt.
Landesvorstand Komitee zur Verteidigung der Demokratie
5 Kommentare
Kommentare
Klaus Bernd am Permanenter Link
Leider brachte mich der Titel des Beitrags auf eine ganz falsche Spur.
Gerhard Wackerhage am Permanenter Link
Nicht die Preisträgerinnen sind peinlich,sondern es sind Preisträgerinnen, die den Machthabern in Polen peinlich sind.
In dieser dunklen Zeit in Polen ist die Vergabe des Nobelpreises an Olga Tokarczuk
eine tolle Ermutigung für die polnische Opposition.
So sehr der Nobelpreis für den Freund der serbischen Kriegsverbrecher Milosevic und Karadzic ,Handke,ein doch sehr fragwürdiges Unterfangen war,so ist diese Auszeich-
nung für Tokarczuk,zumindest was die politische Wirkung angeht,ein Volltreffer.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ich verstehe den Titel nicht. Ist nicht eher die Kritik an den Preisträgerinnen peinlich?
Nora Koch am Permanenter Link
Gut, ich bin offenbar nicht die einzige die vom Titel fehlgeleitet wurde...
Andrzej Wendryc... am Permanenter Link
Die Worte/Begriffe haben heute in Polen die entgegengesetzte Bedeutung. Was für (noch viele) Bürger Stolz, für die Regierenden Peinlichkeit bedeutet.