KONSTANZ. (hpd) Der Evangelische Kirchentag in Stuttgart ist zu Ende gegangen. Zehntausende feierten unter dem Motto "…damit wir klug werden!" – und auffällig peinlich wurde auf den meisten Veranstaltungen des großen Glaubensfestes die zweite Hälfte von Psalm 90, Vers 12 ausgeklammert.
Denn die Botschaft "Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen...", wie die Einleitung des Zitats lauten müsste, passt so gar nicht in eine lebendige "Party", als die gerade junge Besucher den Kirchentag empfinden. Mit dem Tod beschäftigt sich die Menschheit ungern – und deshalb war es wohl auch den Machern in Stuttgart wichtig, besser nur die halbe Wahrheit in ihren Slogan zu packen.
Dabei scheinen die monotheistischen Religionen der Welt zumindest eine Gemeinsamkeit zu haben: Mit ihrem Blick auf das Jenseits verbindet sich nicht selten eine Verherrlichung des Sterbens. Werden wir erst dann klug, wenn wir uns bewusst machen, dass wir sterben müssen? Für mich als Humanisten klingt diese These grotesk. Klug werden wir sicher nicht dadurch, dass wir uns einer unverrückbaren Tatsache stellen, die wir ohnehin nicht verhindern können – auch wenn uns das von niemandem bisher gesehene Paradies versprochen wird. Klug werden wir durch unsere Erfahrungen, die wir in Lebzeiten machen. Für mich ist der Umstand der Diesseitigkeit einer der prägendsten Aspekte, weshalb ich mich für den Glauben an den Menschen statt an einen Gott entschieden habe.
Daher war es auch ein inhaltlicher Grund für meinen Austritt aus der Kirche: Die wiederkehrenden Predigten zu Johannes 12 haben mich aufgerüttelt. Der 25. Vers lautet dort: "Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben". Als ich diese Bibelstelle erstmals hörte, kam mir der spontane Gedanke: "Das klingt ja fast wie eine Ermutigung zum Suizid". Ist es die Aufgabe des Christentums, den Menschen das Leben im Hier und Jetzt schlecht zu reden? In zahlreichen Gesprächen mit Theologen versuchte man, mir durch eine weich gespülte Exegese den Hintergrund dieses Johannes-Verses zu erläutern. Bis heute hat es allerdings niemand geschafft, mir klar zu machen, weshalb ich aus den Worten der "Heiligen Schrift" nicht das ablesen kann, was ich auf den ersten Blick denke: das Anpreisen einer Todessehnsucht.
Einsatz für Klimaschutz, für den Frieden in der Welt und gegen eine ungezügelte Globalisierung – der Kirchentag befasste sich mit wahrhaft weltlichen Themen der Gegenwart. Sicher hätte auch eine Vielzahl der Besucher gestutzt, wäre ihnen klar gemacht worden, woher der Halbsatz im Motto wirklich stammt. Das fehlende Wissen über das, was das Bekenntnis einer Religion im Detail sagt, ist sicherlich ein Grund dafür, dass es den Kirchen durch geschicktes Aussenden zensierter Worte gelingt, auch weiterhin vergleichsweise viele Menschen an sich zu binden. Klugheit – wenn nicht sogar Gerissenheit – kann man ihr deshalb durchaus attestieren; sie weiß, wie man Kommunikation betreibt – das Verschweigen von Unangenehmem hilft. Ob ihr allerdings dabei ebenso bewusst ist, dass auch sie irgendwann sterben muss?
10 Kommentare
Kommentare
valtental am Permanenter Link
Eine Kritik, die ihre Kraft allein aus dem Gegenstand bezieht. Wohltuend unaufgeregt, wie man es sich für die Berichterstattung auf hpd.de generell wünschen möchte.
Siegbert am Permanenter Link
Der Psalmvers "Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden!" spricht meines Erachtens nicht einer Relativierung des diesseitige Lebens das Wort, sondern Im Gegenteil.
Es ist ja nicht so, dass Gläubige fröhlich Suizid begehen würden, weil sie dann schneller im Himmel wären (sonst gäbe es auch nicht so viele lebende), sondern die meisten haben Angst vor dem Tod, und gerade darin sehe ich auch einen Grund für die Gläubigkeit und die Hoffnung, dass es eben dann doch nicht aus sei.
Ich denke, der Vers drückt aus, was viele Menschen, die knapp dem Tod entronnen sind, auch sagen: Dass ihnen das Leben (natürlich das irdische und einzig existente) dann viel wertvoller erscheint und sie gleichzeitig gelassener sein lässt. Weil sie in diesem Sinne klüger geworden sind, dass sie für sich gelernt haben, was ihnen wichtig ist im Leben, und was unwichtig ist, wo sie bisher dachten, das sei wichtig.
valtental am Permanenter Link
Ihr gesamter erster Absatz ist richtig - aus der Sicht des Judentums. Der Psalm90 wird ja auch als ein Gebet des Moses ausgegeben, und für den war m.W.
Allerdings als Motto eines christlichen(!) Kirchentages muss dieser Psalm jüdischer Denkart m.E. auch christlich interpretiert werden, denn Kernbestandteil der christlichen Ideologie ist (im Gegensatz zum Judentum) nun mal die Verneinung und Abwertung alles Irdischen und die Orientierung auf ein jenseitiges Reich Gottes, auch wenn manche Christen das heute oft gern anders gewichten wollen. Nur dann wäre es kein Christentum mehr, dessen Kern ja die von der Figur Jesus demonstrierte "Wiederauferstehung" für das Jenseits ist. Christen, die Ihre Interpretation sympathisch finden, müssten dann ehrlichweise zum Judentum konvertieren, oder ihren Jenseitsglauben aufgeben, womit sie aber auch keine Christen mehr wären, sondern höchstens Anhänger eines vermeintlichen Menschen Jesus. Denn der kirchliche behauptete Christus ist immer ein auferstandener.
Deshalb ist es schon grotesk, wie ein christlicher Kirchentag einen jüdischen Psalm als Motto wählt, welcher dem Kern der eigenen Ideologie widerspricht. Man löst diesen Widerspruch einfach durch Weglassen auf. Im Neuen Testament war wohl zum Thema "...damit wir klug werden!" nichts Brauchbares zu finden. Wie auch, wenn die maßgebende Figur Paulus fortwährend gegen Weisheit schwadroniert: 'denn es steht geschrieben: "Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen." (1.Kor.19) Weisheit findet man nach ihm nur noch im Glauben.
Eine Auseinandersetzung mit dem Tod ist einer Klugheit i.S. einer besonnen, verantwortungvollen Lebensweise durchaus förderlich, aber sicher nicht der einzige Weg dorthin. Es gestalten genügend Menschen ein verantwortungsvolles Leben auf das Leben hin. Oder erkennt man den Wert des Lebens nur im Kontrast zum Tod? Können nur die "wahrhaftes" Glück empfinden, Lebensweisheit erlangen, die über Sterblichkeit reflektieren? Oder kann man tiefes Glück auch einfach aus der Schönheit des Lebens erfahren und den Tod auf das Unumgängliche im Familien- und Bekanntenkreis beschränken? Könnte man auch glücklich werden mit der Maxime eines mir Entfallenen: Über den Tod denke ich länger nach, wenn ich gestorben bin... Oder würden Kirchentagsbesucher diese Einstellung mit gedankenlosem Hedonismus, Hybris, Oberflächlichkeit gleichsetzen? Wenn ja, sollten diese mal das Buch des Ethnologen Daniel Everett: 'Das glücklichste Volk' zur Hand nehmen, um zu prüfen, ob ein Todesbezug zur Erlangung von "Klugheit" vielleicht nur ein christlich geprägtes Kulturkonstrukt ist, welches bei anderen Völkern für die Erfahrbarkeit von Glück irrelevant ist.
Heinz Hertlein am Permanenter Link
Zitat:
"Das ist eigentlich ungewöhnlich aus Sicht und Feder eines Gläubigen,"
Nicht ungewöhnlich für das alte Testament/den Tanach. Und Psalmen sind nun mal AT.
Dem Tode die Macht genommen haben, soll Jesus durch die Auferstehung, laut christlichem Mythos. Im Judentum ist das Jenseits kein derart zentrales Thema. Nicht zuletzt deswegen nicht, weil es im Tanach kaum thematisiert wird. Hinweise auf die Sterblichkeit des Menschen findet man dagegen einige.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Früher hatten es Religionen einfacher. Da war - gerade durch das Christentum befördert - der Analphabetismus größtes Hindernis, sich sachlich zu informieren.
Doch seit der Aufklärung ist Schluss mit (un)lustig! Heute können Querverbindungen rasch hergestellt werden, um z.B. gerade den kontextuellen Zusammenhang diverser Bibelzitate herzustellen.
Das einst treffende Argument, man reiße bei der Bibelkritik einzelne Passagen aus dem Zusammenhang, ist nun zum Bumerang geworden. Es zeigt sich, dass eher Kirchenvertreter sehr manipulativ Texte aus dem Zusammenhang reißen, um eine angebliche Menschenfreundlichkeit der Religion zu suggerieren.
Dabei kann es bei Religion immer nur um Gottesfreundlichkeit gehen, weil sie ansonsten keinen Sinn macht. Dem Menschen ist sie nur insofern zugewandt, wie sie ihn auf den rechten Weg zu Gott leiten will. Ohne die Gottesuntertänigkeit ergeben die meisten Regeln überhaupt keinen Sinn.
In Bezug auf den Islam wird auch gerne (z.B. von Aiman Mazyek) der Halbsatz: "Im Glauben sei kein Zwang..." zitiert. Der vollständige Satz + der gesamte Vers lehrt freiheitsliebenden Menschen das Gruseln, weil jeder, der eine andere Linie, als die Allahs vertritt, als verirrter Narr bezeichnet wird, der in der Hölle schmoren wird. Kein Zwang?
Wenn die Religionsvertreter schon nicht so ehrlich sind, auf die Sklavenhaltermentalität Gottes hinzuweisen - die in allen "heiligen" Büchern zum Ausdruck kommt - dann müssen wir es tun.
Immer und immer wieder!
Wolfgang am Permanenter Link
Im Grunde sind die meisten Christen "Analphabeten", denn sie haben ihre Bibel nie ganz gelesen und kennen nur wenige "vorgepredigte" Bibelstellen.
stellte ich fest, wenn Bibelstellen vorgelogen äh, vorgelesen wurden, dann immer nur die positiven Sätze. Erstaunlicherweise nahmen die Gläubigen das widerspruchslos hin. Auch meine katholische Ehefrau. (Das ist ein anderes Thema) Darauf hingewiesen, erwiderte meine Frau, "diese Sätze wurden von Menschen in die Bibel gebracht, die Jesus nicht leiden konnten". Das ist erlebtes Christendumm.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Deshalb beschäftigt man dort auch Theo"logen"!
Marktforschung nennt man das heute - die Grundvoraussetzung für gutes Marketing, für erfolgreiches Verkaufen fauler Früchte, die am Baum der Kundenkenntnis wachsen. Und nur so motiviert man möglichst viele Schafe, ihr sauer Verdientes dem netten Onkel im Frauenkleid zu stiften - der tut ja so viel Gutes und hat auf alles einen passenden Satz.
Oder was hat mal eine bayrische Gottesdienstbesucherin nach der Messe auf die Frage, um was es bei der Predigt ging, geantwortet: "Dös weiß i ned - aber schee wars..."
Guido W. Reichert am Permanenter Link
Was Sie im Hinblick auf Ihre Frau schreiben ... also das sind in meinen Augen klare Trennungsgründe. ;)
Mark Fraser am Permanenter Link
Tatsachlich wurde ein Teil des Verses weggelassen. Das kann man zurecht kritisieren. Allerdings dürfte der zweite Teil des Verses den meisten Besuchern durchaus geläufig gewesen sein.
Siegbert am Permanenter Link
Mein Eindruck ist nicht, dass in unserer Gesellschaft 'die Themen "Sterben" und "Tod" weitgehend verdrängt' werden, sondern das ist ein großes Thema, das die Menschen beschäftigt, und wir
Es scheint mir eher so, dass der Kirchentag mit seinen Veranstaltungen zu dem Thema Tod und Sterben weniger selbst agiert als auf eine Haltung in der allgemeinen Gesellschaft reagiert, die von einer zunehmenden Akzeptanz von Sterbehilfe geprägt ist. Das mag mit der Überalterung der Gesellschaft aufgrund der erreichten höheren Lebensalter und geringerer Geburtenrate zu tun haben, der zunehmenden medizinischen Möglichkeiten und auch der zunehmenden Orientierung an individuellen Menschenrechten (Selbstbestimmung). Konservativ und religiös orientierte Menschen lehnen Sterbehilfe eher ab, daher mag es nicht verwundern, wenn die eigene Position auf dem Evangelischen Kirchentag betont wird und Argumente für sie gesucht werden, in der Hoffnung, die Gesellschaft dahingehend beeinflussen zu können. Davon lebt die (säkulare) Demokratie.