TRIER. (hpd) Die Terrororganisation “Islamischer Staat” (IS) schockiert durch ihre ausufernde Brutalität. Doch sind die terroristischen Handlungen bloß Ausdruck reiner Zerstörungswut oder gar des “Bösen” schlechthin? Eine Gegenüberstellung zweier unterschiedlicher Perspektiven.
Die Geschichte der Religionen ist zu großen Stücken eine Kriminalgeschichte. Es mag auf den ersten Blick irritieren, dass gerade jene Weltanschauungen, die Nächstenliebe und Friedfertigkeit zu ihren zentralen Positionen zählen, ein solches Gewalt- und Eskalationspotenzial aufweisen.
Zu dieser Geschichte der Gewalt gehört auch der religiöse Terrorismus, welcher spätestens seit dem 11. September 2001 große Beachtung in den Medien fand und den Blick auf die Religionen (insbesondere auf den fundamentalistischen Islam und Islamismus) nachhaltig beeinflusste. Gegenwärtig liegt die dschihadistisch-salafistische Terrororganisation “Islamischer Staat” (IS) im Fokus der medialen und öffentlichen Aufmerksamkeit. Ihre schockierende Brutalität äußert sich unter anderem in Massenhinrichtungen, (Selbstmord-)Attentaten, massiver Normierung des alltäglichen Lebens sowie der Vertreibung und Verfolgung von Anders- und Ungläubigen.
Wieder werden dabei Stimmen laut, welche die terroristischen Handlungen des IS als Ausdruck reiner Irrationalität und Destruktion einstufen. Doch ist diese Meinung haltbar? Sind die IS-Terroristen bloß wahnsinnige Gotteskrieger ohne jegliches Kalkül?
Die Irrationalitäts-Hypothese
Vertreter der Irrationalitäts-Hypothese gehen davon aus, dass die islamistischen Terroristen kein politisches oder religiöses Programm für ihre Gräueltaten bräuchten. Ihre Triebkraft sei weder eine soziale noch eine ökonomische Benachteiligung. Der Exzess der Gewalt bestehe nicht als Mittel zum Zweck, sondern um seiner selbst willen. Im terroristischen Akt manifestiere sich also die blinde Zerstörungswut ohne Hintersinn. Mehr noch: Diese Terroristen seien nichts anderes als das ultimative “Böse”, dessen angestaute Agression und Boshaftigkeit explosionsartig zur Entladung komme.
Mystifizierende Kampfbegriffe wie die “Achse des Bösen” aber auch aktuelle politische Analysen in den Feuilletons zeigen, dass diese Position keine Einzelmeinung ist. Trotz ihrer Popularität besitzt die Irrationalitäts-Hypthose jedoch keine Erklärungskraft. Der Terrorismus würde sich einer wissenschaftlichen Klärung vollkommen entziehen, obwohl Einblicke in Deutungsmuster und Gründe des Phänomens durchaus möglich sind.
Die Rationalitäts-Hypothese
Demgegenüber steht die Rationalitäts-Hypothese. Diese Theorie, die von einer Rationalität des Terrorismus ausgeht, versucht, auf den ersten Blick irrational erscheinende Handlungen zu verstehen. Denn was individuell irrational erscheinen mag, kann als politische Handlung durchaus zweckmäßig sein und somit als Motivation für den individuellen Terroristen dienen. Auf diese Weise wird es möglich, nicht nur die Opferbereitschaft des einzelnen Terroristen zu erklären, sondern auch die politische Kalkulation terroristischer Gruppen zu rekonstruieren und die Gründe ihrer – nicht notwendigerweise zielführenden – Strategiewahl nachzuvollziehen.
Aus der Perspektive dieses analytischen Ansatzes wird angenommen, dass die Strategie des IS eine kollektive Rationalität aufweist. Die Gruppe besitzt Präferenzen oder Werte und wählt aus einer Reihe von Alternativen Terrorismus als eine mögliche Handlungsoption.
Die IS-Terroristen verfolgen demnach keinen Nihilismus. Die Taten und die dahinterstehende Motivation sind zwar von einer Vernichtungslogik geprägt, streben jedoch zugleich konkrete weltlich-politische Ziele an. Ihre Absicht ist nicht nur Zerstörung und Chaos hervorzurufen, sondern auch die Stärkung der eigenen Macht zu befördern. Dazu bedienen sie sich bewusst verschiedener Taktiken.
Eine dieser Taktiken setzt beispielsweise auf die Inszenierung von Hinrichtungen, wie es vor Kurzem mit der Ermordung des Journalisten James Foley geschah. Den Terroristen ging es dabei nicht nur um den Zerstörungseffekt ihrer Brutalität, sondern auch um ein Signal, welches medial verbreitet wurde. Der Terrorismus ist insofern eine Kommunikationsstrategie, die psychologische Effekte erzielen soll. Mittels der Ästhetik des Grauens soll Angst verbreitet und Aufmerksamkeit generiert werden, um Empörung hervorzurufen und potenzielle Mitstreiter zu erreichen. Sich der Macht der inszenierten Gewalt bewusst, betreibt der IS daher auch eine eigene Propaganda-Abteilung, das AlHayat-Medienzentrum, welches die abscheulichen Botschaften mit großer medialer Kompetenz an ein Weltpublikum verbreitet.
Fazit
Die Rationalitäts-Hypothese besitzt also – im Gegensatz zur Irrationalitäts-Hypothese – tatsächliche Erklärungs- und Deutungskraft. Doch kennzeichnet sich der islamistische bzw. religiöse Terrorismus deswegen durch eine reine Rationalität aus? Mitnichten!
Die besondere Gefahr, die von Terroroganisationen wie dem IS ausgeht, begründet sich in der Verbindung von hohem strategischem und taktischem Know-how mit den unzeitgemäßen Glaubensinhalten einer jenseitig ausgerichteten Religion. Die Ablehnung der kulturellen Errungenschaften der Aufklärung bei gleichzeitiger Inanspruchnahme ihrer technologischen Fortschritte ist zugleich ein explosives Aufeinandertreffen von Rationalität und Irrationalität.
Umso deutlicher wird die Notwendigkeit einer humanistischen Islamkritik. Dazu gehört auch die interdisziplinäre und entmystifizierende Auseinandersetzung mit jenem Terrorismus, der seine Motivation, Rechtfertigung, Organisation und Ideologie aus der Religion bezieht. Es wäre dabei ein Fehler die bedeutende Rolle der Religion für die IS-Terroristen und ihre faschistoide Agenda zu marginalisieren.
3 Kommentare
Kommentare
Omar Abouhamdan am Permanenter Link
Die Terrorerhaltungssatz: Es ist ja doch nicht möglich, Energie/Terror von nichts zu erzeugen oder zu vernichten.
MartinM am Permanenter Link
Mich erinnert das - kulturelle Errungenschaften der Aufklärung werden abgelehnt, während zugleich technisch und organisatorisch moderne Mittel einsetzt werden - stark an den von Horkheimer/Adorno in ihrer "Dialek
Die "instrumentelle Vernunft" ist die "totale Zweckrationalität" ("der Zweck heiligt die Mittel"). Die Mittel sind technisch-rational, der angestrebte Zwecke ist völlig willkürlich gewählt und können ausgesprochen unvernünftig, ja irrational, sein.
Horkheimer/Adorno gingen dabei vom Faschismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem vom deutschen Nationalsozialismus aus.
Typisch für faschistische Systeme ist ein extremer Gegensatz zwischen den rationale, moderne, vernünftige Mittel und den hochgradig irrationalen Zielen - völlig überzogene, politikgewordene Machtphantasieen wie die Wiedererrichtung des römischen Reiches im italienischen Faschismus oder das 1000-jährige Reich des NS, die zu Vernichtungskriegen, und, im deutschen NS, millionenfachem, industriell organisierten Mord, führten.
Wobei Horkheimer/Adorno mit ihrer Behauptung, es sei ein spezifisch "abendländischer" Rationalitätstypus, meiner Ansicht nach falsch liegen.
Bei aller Verschiedenheit zwischen "westlichen" Ideologien und dem extremen Islamismus fällt mir auf, dass stets alles, was sich dem instrumentellen Denken (unhinterfragter Zweck, rationale Mittel) entzieht, des Aberglaubens verdächtigt wird. Der traditionelle Ahnenkult im Irak und in der Levante ist z. B. "nicht zielführend" - also wird er als "abergläubische Abweichung" von der behaupteten "reinen Lehre" bekämpft, wobe die radikalsten Mittel (Waffengewalt) die "besten" sind.
Man darf m. E. nicht vergessen, dass die stark kapitalistisch geprägte "westliche Morderne", auch wenn sich mittlerweile weitgehend "entchristlicht" zu sein scheint, in der Reformation und Gegenreformation wurzelt. Ihre asketischen Ideale und auch die Richtigkeitsansprüche der universalistisch gedachten Moral haben ihre Wurzeln bei Augustinus, Luther, Calvin usw. .
Die Islamisten (vor alle jene salafistischer Ausprägung) haben ähnlich asketische Ideale und eine ähnliche Vorstellung, ihre Moral sei universal und irrtumslos, wie die "puritanischen" Protestanten der Reformationszeit.
Da sie zugleich "von der Morderne lernen", aber eben nur das, was für sie "zielführend" ist, überrascht es nicht, dass sie handeln wie einst die puritanischen Bilderstürmer, allerdings mit modernen, ungleich effektiveren Mitteln.
Demokrat2000 am Permanenter Link
Den IS hätte es eigentlich nicht gebraucht um endlich die menschenverachtende Heerschaftsideologie des politischen Islams zu erkennen und zu debattieren.