Kommentar

Rezos wichtiger, aber unvollständiger Impuls

Mit einem neuen Beitrag über das Vertrauen in die Presse erzielt ein bekannter YouTuber eine hohe Reichweite. Die in weiten Teilen richtige und wichtige Kritik hätte allerdings noch umfassender ausfallen können. In einem Kommentar erläutert Constantin Huber, weshalb das Anliegen, das Vertrauen in die Medienlandschaft zu verbessern und mehr Menschen dazu zu bewegen, dass sie seriöse Zeitschriften guten Gewissens konsumieren können, unterstützenswert ist und durch welche Veränderungen dies womöglich noch besser erreicht werden kann.

Durch die "Zerstörung der CDU" mitten im Europawahlkampf letzten Jahres ist der YouTuber "Rezo" auch einem breiteren Publikum abseits seines eigentlichen Online-Metiers, der Musik und Unterhaltung, bekannt geworden. Seither ist viel geschehen, so wurde seine Kritik des Politikversagens, wonach zum Beispiel eklatante soziale Missstände nicht adäquat angegangen werden, vielfach medial aufgegriffen. Außerdem gab es für seine Beanstandung der nicht ausreichenden Maßnahmen zur Eindämmung des anthropogenen Klimawandels Rückendeckung von Seiten der Wissenschaft. Und auf Zeit-Online hat Rezo, der seinen bürgerlichen Namen nicht öffentlich nennt, mittlerweile eine Kolumne, in welcher er regelmäßig seine Sicht auf das aktuelle Geschehen niederschreibt.

Hilfestellung zur Pressearbeit

Mit seinem jüngst veröffentlichten Video namens "Die Zerstörung der Presse" scheint er wieder einen Nerv getroffen zu haben. In diesem spricht er über die Missstände in der deutschen Medienlandschaft, genauer: das selbst verschuldete fehlende Vertrauen der Bevölkerung in die Presse. Diese Missstände führt Rezo auf mehrere Faktoren zurück. Eine fragwürdige Arbeitsweise einiger Journalist*innen und die Bereitschaft innerhalb der Bevölkerung, an stark verkürzte Ansichten oder gar Verschwörungsmythen zu glauben, sind Beispiele hierfür. Allerdings macht er bei aller Kritik an den Medienhäusern deutlich, dass es auch sehr ordentlich arbeitende Redaktionen gibt, wie etwa der "Spiegel" mit seiner Dokumentationsabteilung, welche als Vorbild fungieren könnten.

Dem Gebiet der Verschwörungsideologien widmet sich Rezo tiefergehend. Menschen, die solche verbreiten, handelten ihm zufolge unwissenschaftlich und irrational, was sich unter anderem darin zeige, dass sie ihre Behauptungen nicht belegten und weder in puncto Argumentation noch im Bereich der Recherche befähigt seien, eine ordentliche Arbeit abzuliefern. Dennoch erzielten sie eine hohe Reichweite, weil sie mit manipulativen Tricks arbeiteten. Und das könne in letzter Konsequenz sogar gefährlich sein, da zwielichtige Parteien oder Bewegungen dadurch gestärkt werden könnten. Problematisch seien vor allem jene, die eindeutig falsche Inhalte erstellen und jene, die sie weiterverbreiten. Menschen, die das täten, wollten keine "Schäfchen" sein, die blind irgendwelchen Ideologen folgen, seien aber genau das. Sie wollten skeptische "Hinterfrager" sein, seien aber weit davon entfernt. Daher liege es an jedem Individuum, selbstkritischer mit Quellen umzugehen.

Eine weitere wichtige Message steckt in Rezos Appell, wonach die etablierten Medien- und Zeitungshäuser einige Missstände aufzuarbeiten hätten, damit kein unnötiges Misstrauen geschürt wird. Der Verweis auf die von einigen wenigen Journalist*innen inszenierte, aber medial breit ausgebreitete Schlammschlacht innerhalb der Virologie, zeigt hier sehr anschaulich, was in den letzten Tagen offensichtlich falsch lief. Generell macht Rezo das Verbergen der Ansichten von Journalist*innen durch weniger leicht angreifbare Fragen, das ungerechtfertigte Verwenden von Konjunktiven, um unterschwellig Tatsachenbehauptungen in den Raum zu stellen sowie Verweise auf eine nicht näher definierte "Community" als Hauptursachen für fehlendes Vertrauen aus.

Wie schwer sich einige Vertreter aus dem Journalismus-Ressort mit dieser Kritik tun, zeigt sich an den sehr unterschiedlichen Reaktionen auf diese. Zum einen gibt es zwar Autoren wie Arno Frank vom "Spiegel", die die Recherchearbeit von Rezo trotz einiger Mängel als tadellos klassifizieren. Zum anderen gibt es aber auch Redakteure der Boulevardpresse wie etwa Julian Reichelt von der "Bild", welcher auf Twitter als Antwort auf die Kritik herumpöbelte und an Rezo gewandt verkündete, er solle froh sein, dass nicht alle so denken wie er. Nur in einem Punkt scheinen sich durchweg alle, die das Video sahen, einig: dass es sich bei dem Video nicht um eine "Zerstörung", sondern um eine Kritik an der Presse handele, um dieser aus der Vertrauenskrise zu verhelfen.

Der fehlende Part

Allerdings versäumt er auch ein paar Punkte zu nennen wie etwa die Tatsache, dass Verschwörungsideologen gerne auf sich selbst oder wissenschaftlich nicht anerkannte Kolleg*innen verweisen. Esoteriker, die über UFOs fantasieren oder Reichsbürger, die der Illusion eines angeblich besetzten Deutschlands anhängen sowie viele bis tief ins rechtsextremistische Milieu hinein vernetzte Persönlichkeiten publizieren ihre kruden Theorien zum Beispiel über den Kopp-Verlag. Dort sind Selbstreferenzen und eine methodisch unsaubere Arbeitsweise an der Tagesordnung. Auch wird nicht erwähnt, dass die seriösen Zeitschriften in aller Regel erwiesene Falschaussagen korrigieren, wohingegen auf den Blogs und Webseiten der Verschwörungsideologen noch nie etwas korrigiert wurde. Diesem eklatanten und wesentlichen Unterschied hätte wenigstens durch einen Nebensatz mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden können.

Eine viel profundere Kritik als das Beleuchten der Missstände, von denen viele bereits seit Jahren bekannt sind, wäre gewesen, in Richtung der etablierten Zeitschriften anzukreiden, dass sie bei einzelnen Themen recht häufig reaktionäre Standpunkte vertreten, wenn es etwa um die längst überfällige Trennung von Staat und Religion, die Liberalisierung der Sterbehilfe, die Cannabislegalisierung oder die gesundheitliche Aufklärung im Hinblick auf Schwangerschaftsabbrüche geht. Hier beweisen nicht wenige Redaktionen eine regelrechte Kirchenhörigkeit und Antiquiertheit. Ähnlich verhält sich das mit Sachverhalten, die wissenschaftlich längst entschieden sind, wie etwa beim Thema Homöopathie (wirkt nicht), Impfungen (wirken und schützen) oder der Gentechnik (wird seit Jahrzehnten benutzt und ist nicht "böse"). Viel zu häufig werden hier aus einem etwas eigenartigen Verständnis von einer ausgewogenen Berichterstattung Gegenmeinungen als "ebenbürtig" gegenübergestellt. Bei der Frage "Welche Eigenschaften hat die Erde?" würde doch aber auch niemand, der noch zurechnungsfähig ist, es als notwendig ansehen, einen sogenannten "Flat Earther" zu einer Podiumsdiskussion einzuladen oder dessen Ansichten in Artikeln als mindestens ebenso relevant darzustellen.

Insofern ist hier noch viel Potenzial zur Verbesserung der Arbeitsweise vorhanden, auf das Rezo hätte verweisen können.

Unterstützen Sie uns bei Steady!