Glyphosat: Der Stellvertreterkrieg

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Rapsfeld

BERLIN. (hpd/gwup) Vor einigen Tagen veröffentlichte die "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften" (GWUP) eine Pressemitteilung, in der mehr Vernunft in der Diskussion um das Pflanzenschutzmittel Glyphosat gefordert wurde. Darauf gab es viele kritische Kommentare, die der Vorsitzender der GWUP, Amardeo Sarma, zum Anlass nahm, auf die Diskussion noch einmal genauer einzugehen.

Der Streit um die Zulassung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat hält an.

Die GWUP-Pressemitteilung hat einiges an Reaktionen hervorgerufen, darunter auch Kritik.

Das Thema ist vielschichtig. Wer sich um Gesundheit und die Umwelt sorgt, hat ein Recht auf sachliche Informationen auf wissenschaftlicher Grundlage. Gesundheit, Naturschutz und unsere Versorgung mit bezahlbaren Lebensmitteln verdienen einen angemessenen, rationalen Umgang.

Warum steht aber gerade Glyphosat im Zentrum der Kritik? Weshalb will man ausgerechnet dieses Mittel verbieten und nicht gleich alle Pflanzenschutzmittel? Schließlich gib es auf dem Markt viele Unkrautvernichter, die sich in Effektivität und Einfluss auf Gesundheit und Umwelt unterscheiden.

Fakt ist: Glyphosat ist effektiver als andere Pflanzenschutzmittel. Für Gesundheit und Umwelt ist es weniger problematisch als die Alternativen – das gilt auch für Mittel aus dem Bio-Landbau. Daran kann es also nicht liegen.

Kritiker der Glyphosat-Zulassung berufen sich oft auf das Vorsorgeprinzip. Doch auch dies taugt nicht als Basis für die strikte Glyphosat-Ablehnung, wie wir sie in Deutschland erleben. Betrachten wir dazu die IARC-Studie, die das Mittel als "wahrscheinlich krebsauslösend" einstuft.

Die IARC hat neben Glyphosat folgende Stoffe, Lebensmittel und Einflüsse als "möglicherweise",  "wahrscheinlich" oder tatsächlich  krebserregend eingestuft: Babyöl, Sonneneinstrahlung, Alkohol, Grapefruitsaft und den Friseurberuf. Eine längere Liste findet man hier.

Warum scheren diese potenziellen Krebsauslöser die Politik nicht? Warum werden die genannten Produkte nicht auch verboten?

Davon abgesehen, liegen die Mengen, denen wir ausgesetzt sind, erheblich unter denjenigen, bei denen die IARC eine Krebsgefahr bei Tieren entdeckt haben will. Dass inzwischen kleinste Mengen aufgrund besserer Messmethoden aufgespürt werden können, bedeutet nicht, dass diese für Verbraucher relevant sind.

Warum also gerade Glyphosat? Aus meiner Sicht wirken drei Motive zusammen, die sich gegenseitig verstärken.

1. Ein Stellvertreterkrieg gegen Gentechnik

Tatsächlich soll mit der Glyphosat-Kritik die grüne Gentechnik und vor allem der vermeintliche Monopolist Monsanto getroffen werden.

Leider wird dabei die konventionelle Landwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Denn Glyphosat wurde schon vor der Gentechnik-Ära eingesetzt. Auch deutsche Bauern, die keine Gentechnik verwenden, nutzen das Pflanzenschutzmittel. Durch ein Glyphosatverbot werden sie ebenfalls geschädigt.

Doch es gibt noch weitere Kollateralschäden. Monsanto hat gar nicht mehr das Monopol für Glyphosat, sondern ist nur noch einer von vielen. Inzwischen gibt es mehr chinesische, mehr indische Hersteller  als US-amerikanische. Das Verbot würde auch diese Wettbewerber in Schwellenländern treffen.

2. Schützenhilfe für die Bio-Branche

Eine Anti-Glyphosat-Politik verbessert die Wettbewerbssituation der Bio-Branche.

Damit kommen wir zu dem Erfolg einer oft übersehenen Lobbyarbeit. Seit Jahren kann die Bio-Branche auf Förderung und Werbung durch die Politik und manche NGOs zählen. Diese Lobbyisten im Umweltpelz erwecken erfolgreich den trügerischen Schein, Bio-Produkte seien besser oder umweltschonender. Doch die höheren Preise beanchteiligen sie im Wettbewerb.

Verliert jedoch die konventionelle Landwirtschaft ein bedeutendes Mittel zur Ertragsoptimierung, werden auch ihre Produkte teurer. Damit verringert sich der Preisabstand zu Bio-Produkten, diese gewinnen an Wettbewerbsfähigkeit.

Diese Politik trifft diejenigen, die sorgsam mit ihrem Geld umgehen müssen. Ihnen sollen die Luxusprodukte der esoterikgläubigen Oberschicht schmackhaft gemacht werden. Die Folge ist eine Art Luxussteuer für Arme.

Das sollte vor allem die Politiker zum Nachdenken bringen, die ihre Politik auf die schwächeren Teile der Bevölkerung richten wollen. Welche Verbraucher werden finanziell am härtesten getroffen?

3. Tiefes Misstrauen in die Industrie

Viele Menschen misstrauen die Industrie und vor allem großen Konzernen. Der Vorwurf: Wir werden von "Lobbys" der Konzerne beherrscht.

Hier dient Monsanto als Projektionsfläche, als das leibhaftige Böse.  Monsanto ist der "Satan", der vernichtet werden soll, vergleichbar mit der "bösen Pharmaindustrie" in der Rhetorik der Pseudomedizin.

Dabei ist Monsanto nicht das größte Unternehmen im Bereich der Gentechnik. Monsanto ist sogar kleiner als die Biokette Whole Foods. In der oft zu beobachtenden extremen Form wird das Misstrauen zu einem Hass, der in seiner Irrationalität durchaus mit dem Hass am anderen Ende des politischen Spektrums auf Flüchtlinge, den "Staat", die EU und die Vereinten Nationen vergleichbar ist.

Auf Facebook werden bereits Gefängnisstrafen für Förderer von Glyphosat gefordert.

Die Sehnsucht nach einer heilen Scheinwelt

Die Ablehnung spiegelt auch eine Sehnsucht nach einer heilen "Naturwelt" wider, die es nie gab und nie geben wird, zumindest nicht bei einer Weltbevölkerung von bald 10 Milliarden. Hier geht die Ablehnung oft Hand in Hand mit einer Ablehnung von Wissenschaft schlechthin.

Zurück zur aktuellen Debatte.

Manche genannten Kritikpunkte gehen über die Frage der direkten gesundheitlichen Gefahren hinaus. Auch sie verdienen eine sachliche Betrachtung, wie ich sie im Folgenden vornehmen werde.

Behauptung: Die Biodiversität wird zerstört

Einige Glyphosat-Kritiker befürchten, dass durch eine Vernichtung der Unkräuter Lebensraum für Insekten und Vögel verschwindet.

Doch dies gilt für alle Formen der Unkrautvernichtung, für jeden Unkrautvernichter und auch für das händische bzw. mechanische Ausrupfen: In allen Fällen haben es Insekten schwerer, sich in den betreffenden Flächen einzunisten.

Alle Landwirte  – konventionell wie biologisch – haben ein legitimes Interesse, ihren Nutzpflanzen optimale Wachstumsbedingungen zu bieten. Unkräuter und Schädlinge (für die Nutzpflanzen) sind unerwünscht. Gewiss sind die Lebensräume für Insekten und Vögel auf solchen Flächen begrenzt. Doch oft wird übersehen, dass die Artenvielfalt nur auf den eigentlichen Anbauflächen reduziert ist.

Je kleiner die Flächen sind, die wir für die Landwirtschaft benötigen, desto mehr Flächen stehen für die Artenvielfalt zur Verfügung. Wenn kleine Flächen mehr Ertrag bringen, kann dies also sogar zu einer Erhöhung der Artenvielfalt beitragen.

Behauptung: Pflügen statt Pflanzenschutzmittel

Brauchen wir überhaupt Pflanzenschutzmittel? Können wir nicht wie unsere Großeltern pflügen statt spritzen? Auch diese Einwände sprechen  grundsätzliche landwirtschaftliche Überlegungen an, beziehen sich also nicht spezifisch auf Glyphosat.

Das Pflügen bringt erhebliche Probleme für die Umwelt mit sich. Die moderne Landwirtschaft – die sogenannte "No-till"-Landwirtschaft (ohne Pflügen) – verzichtet auf das energieintensive Pflügen, das Kraftstoff kostet und CO2 erzeugt.

In wasserarmen Gegenden kommt noch hinzu, dass dem Boden beim Pflügen Wasser entzogen wird, was geringere Erträge mit sich bringt – ein bedeutender Aspekt angesichts der globalen Erwärmung. Darüber hinaus verringert der Verzicht aufs Pflügen die Bodenerosion. Außerdem entweichen weniger klimaschädliche Stickoxide.

Behauptung: Der Einsatz von Glyphosat führt zur Entstehung von "Superunkräutern"

Auch hier wird ein allgemeines Problem der Landwirtschaft angesprochen. Die Entstehung resistenter Unkräuter ist schlicht Resultat von Evolution. Als Gegenmaßnahme bauen moderne Landwirte in aufeinanderfolgenden Jahren unterschiedliche Nutzpflanzen auf einem Feld an.

Auch wird nichts "totgespritzt", sondern man wendet vielmehr Strategien an, die die Resistenzbildung bei  Unkräutern erschweren – ähnlich wie beim verantwortungsvollen Antibiotika-Einsatz in der Medizin.

Interessenkonflikte und Käuflichkeit

Wenn es um Studien geht, haben wir ein doppeltes Problem.

Einerseits fordert man zu recht, dass die Industrie Studien durchführt, um Nutzen und Risiko ihrer Produkte zu bewerten. Die Unternehmen machen den Gewinn, also sollen auch sie die Kosten für die Prüfung tragen.

Andererseits werden auch einwandfrei durchgeführte Studien von Kritikern gebrandmarkt. Hat beispielsweise eine beteiligte Forscherin zu irgendeinem früheren Zeitpunkt für die Industrie gearbeitet, gilt sie bei Kritikern als "käuflich" oder "korrumpiert".

Was ist aber mit den Interessenvertretern der Bio-Branche, auch wenn sie indirekt über NGOs an der Diskussion teilnehmen? So waren an der IARC-Studie Anti-Gentechnik-Aktivisten beteiligt.

Auch bei ihnen sollte kritisch und sachlich nach Interessenkonflikten gefragt werden – wie bei allen anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch.

Wer Monsanto- und allgemein Industrie-Studien potentielle Interessenkonflikte vorwirft, nicht aber der Bio-Branche oder den NGOs, muss erklären, warum er zweierlei Maß anlegt.

Interessenkonflikte gibt es auf beiden Seiten

Weder Monsanto- noch Greenpeace-Studien sind allein aufgrund des Auftraggebers zu kritisieren. In beiden Fällen können mögliche Interessenkonflikte vorliegen.

Ein Beispiel für jahrzehntelange Trickserei der Industrie sind die Studien zur gesundheitlichen Wirkung des Tabakkonsums. Eine andere Situation zeigt sich aus meiner Sicht in den Bereichen Gentechnik und Glyphosat, wo die größten Täuschungsmanöver von den Gegnern ausgehen.

Gilles-Éric Séralini, der auch gern von Greenpeace beauftragt wird, behauptet, es gäbe einen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Tumoren bei Ratten. Berichtet wurde hierüber auch bei der Skepkon 2016.

Séralini musste aufgrund methodischer Mängel die Publikation zurückziehen. Sein Verhalten schrammt hart am ethischen Fehlverhalten vorbei und hat sogar einenWikipedia-Eintrag, gleichwohl blieb der Aufschrei aus.

Kurz: Interessenkonflikte gibt es. Sie sind aber kein Alleinstellungsmerkmal von Industrie und Konzernen. Es gibt sie genauso bei NGOs und Anti-Gentechnik-Aktivisten. Nachgewiesen wurde das Fehlverhalten in Sachen Gentechnik und Glyphosat bei den Gentechnik-Gegnern.

In jedem Fall gilt es, eine These sachlich und wissenschaftlich zu prüfen. Im Fall der globalen Erwärmung beispielsweise liegen Greenpeace und BUND im Einklang mit dem aktuellen Forschungsstand.

Was nun?

Als Basis für gesellschaftliche und politische Entscheidungen es unabdingbar, den der aktuellen Forschungsstand zu kennen. Dieser ist nicht verhandelbar. Es liegt auf der Hand, dass Parlamente je nach Prioritäten und politischer Orientierung unterschiedliche Entscheidungen fällen können und werden.  Was nicht geht, ist politische Willkür, die Fakten ignoriert.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors aus dem GWUP-Blog.