Eine nicht ganz gelungene Studie

Die Tyrannenliebe der Intellektuellen

BONN. (hpd) Mark Lilla, Professor für Geistswissenschaften an der Columiba University, will in seinem Buch "Der hemmungslose Geist. Die Tyannophilie der Intellektuellen" den Opportunismus von Denkern gegenüber Diktaturen anhand von Fallbeispielen aus dem 20. Jahrhundert erörtern. Da die einzelnen Beiträge zu Benjamin, Derrida, Foucault, Heidegger und Schmitt eher essayistisch gehalten sind, liegt mit dem nicht ganz so gelungenen Buch nur eine fragmentarische Erörterung zum Thema vor.

Intellektuelle gelten als Kritiker von Herrschaftsmissbrauch und Ungerechtigkeit. Emile Zolas Einmischung in die Dreyfus-Affäre auf der Seite des fälschlicherweise des Verrats bezichtigten jüdischen Offiziers gilt denn auch als "Geburtsstunde" des modernen Verständnisses von einem Intellektuellen.

Gleichwohl steht diese Auffassung für eine zumindest einseitige und selektive, wenn nicht gar für eine falsche und romantisierende Deutung. Denn nicht wenige Intellektuelle huldigten oder legitimierten Diktaturen, wofür einschlägige "Lobgesänge" auf die faschistischen und kommunistischen Systeme im 20. Jahrhundert exemplarisch stehen. Doch wie erklärt sich diese Ambivalenz von Kritik und Unterwerfung? Der Frage geht Mark Lilla, Professor für Geisteswissenschaften an der New Yorker Columiba University, in seinem Buch "Der hemmungslose Geist. Die Tyrannophilie der Intellektuellen" nach. Die Bezeichnung "Tyrannophilie" meint dabei die Bejubelung eben jener Denker gegenüber brutalen Despoten und Diktatoren.

Die damit angesprochene Fragestellung ist indessen in der Philosophiegeschichte nicht neu, verweist der Autor doch bereits auf der ersten Textseite des Buches auf ein berühmtes Fallbeispiel aus der griechischen Antike: "Platon war der Erste, dem – an sich selbst – auffiel, dass viele Intellektuelle der irrigen Vorstellung erliegen, eine gute Gesellschaft könne geschaffen werden, indem man einem Tyrannen dient, der die Macht hat, seinen Willen durchzusetzen" (S. 9). Dass derartige Auffassungen eben auch noch im 20. Jahrhundert existierten, wollen die folgenden Fallstudien veranschaulichen.

Dabei geht es jeweils um Jacques Derrida, Michel Foucault, Martin Heidegger, Alexandre Kojéve und Carl Schmitt, wobei jeweils noch andere Intellektuelle wie etwa Jean Paul Sartre nähere Aufmerksamkeit finden. Lilla geht jeweils auf die biographische, geistige und politische Entwicklung der genannten Intellektuellen ein. Hierbei fragt er immer wieder nach den Bedingungsfaktoren für die thematisierte "Tyrannophilie".

Im Nachwort kommt der Autor dabei auch wieder auf Platon zurück, hatte dieser doch bekanntlich die Hoffnung auf die Umorientierung des Tyrannen des Herrschers von Syrakus gehegt. Danach referiert er noch einschlägige Deutungen früheren Autoren von Raymond Aron über Norman Cohn und Jürgen Habermas bis zu Jacob Talmon. Als bedeutenden Gesichtspunkt wird dann bilanzierend genannt: "Man muss gar nicht Sartres narzisstischem Mythos über den Intellektuellen als Helden aufsitzen, um zu sehen, was Platon schon vor langer Zeit erkannte: Dass es im menschlichen Geist eine Beziehung gibt zwischen dem Streben nach Wahrheit und dem Wunsch, zur ‘Ordnung der Städte und Haushaltungen’ beizutragen" (S. 206). Lilla schließt mit den Worten: "Die Ereignisse des letzten Jahrhunderts gaben nur den Rahmen ab für die außerordentliche Zurschaustellung intellektueller Philotyrannie, doch deren Ursprünge verschwinden ja nicht einfach in einem weniger extremen politischen Umfeld. Sie sind Teil unserer Seele" (S. 208).

Die einzelnen Kapitel des Buches gehen auf bereits zuvor in "The New York Review of Books" und "The Times Literary Supplent" zurück. Dass diese dann nach kurzen Änderungen zu einem eigenständigen Buch zusammengestellt wurden, führt indessen zu einem gravierenden Problem: Die jeweiligen Fallstudien liefern zwar beachtenswerte Informationen zur Biographie und dem Handeln der genannten Intellektuellen. Dies geschieht aber in essayistischer Form, womit sich das Fehlen einer systematischen Ausrichtung an einer konkreten Fragestellung erklärt.

Warum etwa Benjamin in das Buch aufgenommen wurde, bleibt unverständlich. Lilla betont doch selbst dessen Distanz zu "real existierender kommunistischer Politik" (S. 100). Bei Foucault wird nur am Rande auf seine Bejubelung der "islamischen Revolution" im Iran 1979 eingegangen. Auch die Gesamteinschätzung im Schlusswort ist eher fragmentarisch, wenn auch durchaus interessant gehalten. Das Buch zur "Tyrannophilie der Intellektuellen" muss somit noch geschrieben werden.
 


Mark Lilla, Der hemmungslose Geist. Die Tyrannophilie der Intellektuellen, München 2015 (Kösel-Verlag), 223 S., 19,99 Euro