Die evangelische Kirche hat eine Aufarbeitungsstudie zum Thema Missbrauch angekündigt, die Ursachen, Spezifika und bestehende Risikofaktoren aufklären soll. Dafür sind drei Jahre veranschlagt. Der Anti-Kindesmissbrauchs-Beauftragte der Bundesregierung äußerte sich derweil kritisch zum Aufarbeitungsprozess der Protestanten und sieht die katholische Kirche in einer "Vorreiterrolle". Schwer tun sich beide Kirchen beim Thema Entschädigung.
Nicht nur in der katholischen Kirche gibt es Fälle von Kindesmissbrauch, auch bei den Protestanten. 770 sind bisher offiziell bekannt. Mitte Juni hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine "breit angelegte Aufarbeitungsstudie" angekündigt. Laut Pressemitteilung soll ein unabhängiger Forschungsverbund ab dem Herbst Ursachen und Spezifika von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche untersuchen. Dies soll in mehreren Teilstudien über einen Zeitraum von drei Jahren geschehen und 3,6 Millionen Euro kosten.
Die Ausschreibungsphase ist abgeschlossen, wer sie unter welchen Rahmenbedingungen durchführen wird, wird erst im Spätsommer bekanntgegeben, teilte eine Sprecherin der EKD dem hpd auf Anfrage mit. Geklärt werden sollen bestehende besondere Risikofaktoren, auch in der Diakonie. Dabei sollen nicht nur Pfarrer*innen in den Blick genommen werden, sondern auch haupt-, nebenberufliche und ehrenamtliche Mitarbeitende. Die EKD spricht von rückhaltloser Aufarbeitung zur bestmöglichen Verhinderung von künftigem Leid und Gewalt. Betroffene sollen den Prozess begleiten.
Eine von ihnen äußerte sich kritisch dazu im Deutschlandfunk: Kerstin Claus hat sexuelle Gewalt in der evangelischen Kirche erlebt und gehört dem Betroffenenrat des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung (UBSKM) an. Sie hatte auch als erste Betroffene auf der Synode der EKD im vergangenen Herbst in Dresden gesprochen und von ihren schlimmen Erfahrungen berichtet. "Diese Studien, die jetzt in Auftrag gegeben werden, helfen hier und heute den Betroffenen (…) erst mal überhaupt nicht." Sie seien eine Analyse von Problemlagen, aber keine Problemlösungen. "Studien sind keine Aufarbeitung und sie ersetzen keine Aufarbeitung."
Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung selbst, Johannes-Wilhelm Rörig, ist ebenfalls nicht zufrieden mit den bisherigen Bemühungen der evangelischen Kirche. Auch er kritisierte ihren Aufarbeitungsprozess im Deutschlandfunk – und nannte ausgerechnet die katholische Kirche als positives Beispiel: sie sieht er in einer "Vorreiterrolle", während die Protestanten noch Nachholbedarf hätten. Er begründet seine Sichtweise damit, dass die Deutsche Bischofskonferenz mit ihm eine gemeinsame Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für die Missbrauchsaufarbeitung unterzeichnet habe, von evangelischer Seite gebe es lediglich eine Absichtserklärung ("Letter of Intent").
Auch an einem anderen Instrument der EKD aus ihrem "umfassenden Maßnahmenpaket", wie es in der genannten Pressemitteilung stolz heißt, lässt Kerstin Claus kein gutes Haar. Bei der "Zentralen Anlaufstelle.help" werde man lediglich an die jeweilige Meldestelle der zuständigen Landeskirche weiterverwiesen – also an innerkirchliche Strukturen. Den Titel "Zentrale Anlaufstelle" finde sie "anmaßend" und diese sei "nicht hilfreich", sagte sie im Deutschlandfunk-Interview. Sie wisse nicht, ob hier den Betroffenen oder der Landeskirche geholfen werde, die nun endlich eine Anlaufstelle vorweisen könne.
Beide Kirchen bedienen sich der gleichen Ausreden
Womit sich die evangelische Kirche noch schwertut, sind Entschädigungszahlungen. Hier lassen sich einige Parallelen zu den Katholiken feststellen: Zum einen die Bezeichnung als "Zahlungen in Anerkennung des Leids", zum anderen die vorgebrachte Begründung dafür, dass diese Zahlungen nicht höher ausfallen. Man wolle die Opfer nicht unnötig durch Feststellungsverfahren belasten und das ihnen Zugefügte könne man ohnehin nicht mit Geld aufwiegen. Praktisch an dieser Begründung ist vor allem, dass man mit ihr Geld sparen kann. Wäre nämlich die katholische Kirche im Frühjahr den Forderungen einer von ihr eingesetzten Arbeitsgruppe gefolgt, hätte sie das bis zu einer Milliarde Euro kosten können. Stattdessen einigte man sich auf "individuell festgelegte Einmalzahlungen" im Bereich von 5.000 bis 50.000 Euro, die von der zuständigen Diözese oder dem jeweiligen Orden zu leisten seien.
Auch die EKD will auf "individuelle Hilfen" setzen, orientiert an "gesetzlichen Schmerzensgeldbemessungen", und keine Pauschalleistungen pro Betroffenem zahlen. Wer wie viel bekomme, wollten die Landeskirchen nicht sagen, eine gemeinsame Strategie gebe es nicht, heißt es in einem weiteren Beitrag des Deutschlandfunks. Summen, wie sie die Expertenkommission der Bischofskonferenz nahegelegt hatte, seien für die evangelische Kirche aber "ausgeschlossen".
Wörtlich sagte der Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, während der Herbst-Synode in den ZDF-heute-Nachrichten: "Jenseits solcher Forderungen haben wir uns entschieden, eine freiwillige Leistung zu zahlen, die eben nicht diesen ganzen aufwändigen und auch die Betroffenen belastenden Rechtsvorgang beinhaltet. Entschädigung kann es deswegen nicht geben, weil eine solche schlimme Erfahrung nicht mit Geld wettgemacht werden kann." Eine Begründung, die Kerstin Claus zynisch findet.
Über die Höhe besagter "individueller Hilfen" sollen "unabhängige Kommissionen" entscheiden. Unabhängig sind die wohl vor allem von den Betroffenen, die nicht in den Gremien vertreten seien, so Claus im Bayerischen Rundfunk (BR).
10 Kommentare
Kommentare
Wolfgang am Permanenter Link
Entschädigung finanziell reicht nicht, aus den Vereinen austreten wäre wirksamer!
Rene Goeckel am Permanenter Link
Ich kann es nicht anders ausdrücken: In welchem Bananenstaat leben wir eigentlich? Die Verquickung Staat/Kirche/Justiz ist ein Jahrhundertskandal.
A.S. am Permanenter Link
Der deutsche Staat, dieser "lange Arm der Kirchen", wird auch in Zukunft die Kircheninteressen über seine eigenen und die seiner Bürger stellen.
M. Landau am Permanenter Link
»» das Grundgesetz
... fängt damit an: »Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen«
https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html
Amen!
Besonders schwer hat man es den obersten Richtern der Kirchenrepublik nicht grade gemacht um in religiöser Umnachtung verharren zu können. Und, welch göttliche Fügung, der Präsident des damaligen Parlamentarischen Rats, der das Grundgesetz ersonnen und gefertigt hat, war der totale Katholik Konrad Adenauer. Dessen ebenso katholischer Buddy Hans Globke war, seit dem Endsieg, immer dabei.
Damit war, gleich von erste Tag an, klar, wo die Reise hingehen sollte und würde.
Die vorangehenden deutschen Verfassungen - Frankfurt 1848 - Bismarck 1871 - Weimar 1919 - verzichteten allesamt auf eine Glaubenspräambel.
Was ist heute anders? Garnichts.
Worte der unendlichen Kanzlerin:
https://www.pro-medienmagazin.de/politik/2019/07/17/so-steht-merkel-zum-christlichen-glauben/
Es ist kein Zufall, dass ich eine christliche Quelle wähle. Deren hyperengagierte Mitwirker halten all die unzähligen Glaubensbekenntnisse ihrer Bundeskanzlerin, für gut und richtig und legen damit ausführlich dar, wes Geistes Kinder, sie allesamt sind. Das spiegelt sich dann, seit über siebzig Jahren in der Politik wieder, die von diesen Menschen geprägt wird. Der Gotteskult ist deren allumfassende Grundlage. Niemand dort käme auf die Idee in der Politik darauf zu verzichten. Entsprechende Dialogansätze, ohne religiöses Beiwerk, werden bereits im Ansatz abgewürgt und, mit den üblichen christlichen Tratitionsworthülsen, rigoros zurückgewiesen.
Wer wird, im Angesicht abgrundtiefer Gottesfürchtigkeit, da noch zweifeln wollen? Wer wird es wagen dumme Fragen zur Verantwortungslosigkeit politischer Entscheidungen zu stellen, die aus irgendwelchen religiösen Ammenmärchen heraus gefasst, das Leben von Millionen Menschen maßgeblich bestimmen? Und wenn diese Glaubenspolitiker mal was vor die Wand setzt, so wie jeden Tag, gehen sie zur Beichte. Ein paar Grüße an Maria, ein Paternoster und alles ist wieder gut, denn, sie sind zuerst einmal Gott gegenüber verantwortlich und erst dann den Menschen. So steht es geschrieben, gleich am Anfang des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Amen und aus.
Ernst Wolfsperger am Permanenter Link
Der Rest des Satzes In der GG-Präambel sollte (vor allem von sich darauf berufenden Kirchenvertretern) immer auch zitiert werden: „...
Hier wird einfach ein historisches Ereignis beschrieben (Wahrheitsgehalt fragwürdig) und dem GG nicht etwa Gottesbezug vorangestellt, der den kirchlichen Einfluss begründet.
A.S. am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Wolfsperger,
die Kirchen versuchen durchaus, diese Präambel als Begründung für ihr "Recht auf Einmischung in die Politik" zu instrumentalisieren.
Bei näherer Betrachtung wird schnell klar, dass Demokratie kein jüdisch-christliches Projekt ist, sondern ein agnostisches. Demokratie fußt auf der Einsicht, dass wir Menschen auf uns allein gestellt sind und, "eingesperrt" auf dem Planeten Erde, uns wohl oder übel werden zusammen raufen müssen. Ohne göttliche "Bedienungsanleitung" für's Zusammenraufen.
M. Landau am Permanenter Link
Hallo Herr Wolfsperger,
das GG habe ich lediglich zum, ganz allgemein üblichen, Nachweises zitiert. Da es in meinem Kommentar um den Gottesbezug darin geht - und nur darum, habe ich mich aufs Wesentliche konzentriert.
Ihr Einwurf könnte etwas für sich haben, wenn die Präambel im Grundgesetz denn ein historisches Ereignis beschreiben würde. Dem ist aber nicht so, denn dann stünde dort etwa folgendes:
»»Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.««
Genau das haben sie gewollt, geplant, beabsichtigt und dann auch gemacht. Ihre Interpretation als Beschreibung eines historischen Ereignisses, träfe dann ebenso zu. Der Hinweis auf einen Gott ist jedoch fehl am Platz, denn es gibt keinen Gott. Genau das ist Grund und Anlass meines Kommentars und nicht, was sie damals dort gemacht haben.
Nur damit hier kein Missverständnis entsteht, es geht nicht darum was sonst wer glaubt oder nicht, sondern um das was als real existent deklariert wird. So steht dort nicht etwa "im Glauben an Gott und vor den Menschen" oder Ähnliches, sondern ganz konkret als Realität: Gott. Der wird noch vor den Menschen genannt. Ganz unvermittelt liefert diese Reihenfolge, man könnte auch sagen 'Rangordnung', noch ein deutliches Indiz auf die geistige Haltung des oder der Urheber des Gottesbezugs. Der Wortlaut im Grundgesetz ist klar und unzweideutig.
Der Gottesbezug hat keine rechtsverbindliche Funktion, es ist eine politisch-religiöse Worthülse die dann, wie Sie sehr richtig anmerken, von Protagonisten der Kirchen, nur zu gerne in Anspruch genommen wird. Genau aus diesem Grund muss dieser Gottesbezug aus dem Grundgesetz entfernt werden. In der derzeitigen Form deutet diese Präambel in eine Richtung, die eines säkularen Staates und einer freiheitlich-rechtlichen Demokratie nicht gerecht wird, möglicherweise ihrer sogar unwürdig sein kann. Leider muss ich dabei eingestehen, dass das nur ein Detail ist. Dennoch, dieses Detail steht nicht im Vorwort eines Kirchenbuchs, sondern im Grundgesetz, der Rechtsgrundlagen dieses Staates. Möglicherweise wäre ein simpler Wegfall des Gottesbezugs ein zukunftsweisendes und positives Zeichen oder sogar ein Schritt hin zur Normalisierung, was allen Menschen in diesem Lande gerecht werden würde - endlich! Auch das ist im Grundgesetz bereits enthalten - §140 - bzw. aus der Weimarer Verfassung übernommen.
Ich persönlich zöge den Laizismus vor, aber für den Anfang wäre die Trennung von Staat und Religion, nach über 100 Jahren Verschleppung, ein - zunächst - akzeptabler Kompromiss.
A.S. am Permanenter Link
Herr Landau,
Sie haben Recht: Schon bei der Verabschiedung des Grundgesetzes wurde durch den Gottesbezug ein Selbstzerstörungsmechanismus in die junge deutsche Demokratie eingebaut.
Forciert wird die Selbstzerstörung durch die von einigen Schulgesetzen geforderte "Erziehung zur Gottesfurcht". Denn das heißt ja nichts anderes als: Erziehung zur Ehrfurcht vor der Kirche.
M. Landau am Permanenter Link
Hallo Herr/Frau A.S., vielen Dank für Ihren Hinweis,
einen Moment lang habe ich gestutzt, beim Wortteil "furcht". Aber tatsächlich ist sie überall, diese Furcht, welche die Kirche seit je her schürt und bis heute 'kultiviert', zu dem einzigen Zweck des Machterhalts ihrer Institutionen und Kirchenführer. Ein Grund mehr den Gottesbezug aus dem Grundgesetz zu entfernen, denn Furcht, Angst und Schrecken, und sei es nur eine Andeutung darauf, können nicht Grundlage für Freiheit, Recht und Demokratie bilden.
A.S. am Permanenter Link
Angt bzw. Furcht macht aus freien Menschen Untertanen, im Extremfall Sklaven.
Diktatoren und Sklavenhalter verbreiten Furcht und Angst mit Gewehren und Peitschen und machen so andere Menschen zu ihren Untertanen bzw. Sklaven.
Priester verbreiten Angst und Furcht mit (unbewiesenen!) Göttern und machen so andere Menschen zu ihren (Gottes-)Untertanen bzw. (Gottes-)Sklaven.
Gewehre sind echt, benötigen aber Personal, die die Bedrohung aktiv ausüben.
"Gottesfurcht" residiert im Kopf. Einmal implementiert, wirkt sie selbsttätig.