Protestantismus in deutschen Parlamenten

Der Exzellenzcluster "Religion und Politik" erforscht die parlamentarischen Tätigkeiten von evangelischen Theologinnen und Theologen vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Erste Ergebnisse diskutieren Sozialethiker Prof. Dr. Arnulf von Scheliha und Theologin Uta Elisabeth Hohmann kommende Woche mit Wissenschaft und Politik auf der Tagung "'Eyn sonderlicher Gottis Dienst'? Evangelische Theolog*innen als Parlamentarier".

Seit den Anfängen demokratischer Strukturen in Deutschland hätten Theologen und später auch Theologinnen als gewählte Mandatsträger für verschiedene Parteien auf Reichsebene und später Bundes- und Länderebene gearbeitet, erläutern die Wissenschaftler. Die Ergebnisse ihrer quantitativen und qualitativen Auswertungen unterschiedlichster Quellen wie etwa Parlamentshandbüchern, Parteiakten und Nachlässen legen nahe, dass gängige Klischees über Bord zu werfen sind: "Demokratieskepsis assoziieren wir überwiegend mit der katholischen Kirche." Tatsächlich sei es aber auch ein langer Weg des Monarchie-fixierten Protestantismus hin zur Akzeptanz von Demokratie und Pluralismus gewesen. "Gerade evangelische Parlamentarierinnen und Parlamentarier bildeten dabei aber wesentlich früher als bisher bekannt Denkmodelle aus, um protestantische Überzeugungen mit der demokratischen Idee zu verbinden."

Zur digital durchgeführten Tagung des Exzellenzclusters werden vom 24. bis 26. Februar auch die Münchner Historikerin Prof. Dr. Claudia Lepp erwartet und der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Dr. Stephan Reimers. Auf einem Podium geben die aktuellen NRW-Landtagsabgeordneten und Theologinnen Sigrid Beer (B 90/Grüne) und Kirstin Korte (CDU) sowie der Theologe und Kommunalpolitiker Micha Heitkamp (SPD) Einblicke in die gegenwärtige politische Praxis.

Interessierte können sich für eine Tagungsteilnahme via Videoplattform Zoom bis Montag, 22. Februar, bei Uta E. Hohmann unter uta.hohmann[at]uni-muenster.de anmelden.

Die Suche nach dem richtigen Verhältnis von Protestantismus und Demokratie

"Uns interessieren besonders die wechselseitigen Rückkoppelungseffekte zwischen dem politisch-parlamentarischen Handeln und dem protestantisch-theologischen Denken der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Die Abgeordneten waren auf einer theologischen Suche nach dem richtigen Verhältnis von Protestantismus und Demokratie", führen Arnulf von Scheliha und Uta Elisabeth Hohmann aus. Die Auswertung der Biographien und parlamentarischen Tätigkeiten aller Abgeordneter und ihre Zusammenstellung in einer Datenbank "TheoParl" ermögliche erstmals eine genaue Bestimmung der Rolle von Theologinnen und Theologen: Wie ist der theologische Berufsstand in deutschen Parlamenten repräsentiert? In welchen Parteien engagieren sich evangelische Theologen in welchen Epochen vorrangig? Welche fachpolitischen Aufgaben werden im Parlament schwerpunktmäßig von evangelischen Theologen übernommen und lässt sich eine bestimmte Typologie von Karriereverläufen nach ihrem Ausscheiden aus dem Parlament feststellen?

Im Rahmen des aktuellen Themenjahrs "Zugehörigkeit und Abgrenzung" am Exzellenzcluster beleuchten die Wissenschaftler auf der Tagung auch die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Abgeordneten. Von Scheliha und Hohmann: "Wir fragen nach den Beweggründen der theologischen Parlamentarierinnen und Parlamentarier für ihr parteipolitisches Engagement im demokratischen System und danach, ob die theologische Profession eine Gruppenzugehörigkeit über Fraktionsgrenzen hinweg schaffte." (sca/vvm)

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