Sterbehilfedebatte

Die Konferenz ist nicht das Ende der Diskussion

BERLIN. (hpd) Ein Höhepunkt der Aktivitäten des Bündnisses “Selbst­bestimmung bis zum Lebens­ende” war eine gut besetzte als auch gut besuchte Konferenz am vergangenen Samstag unter dem Titel “Mein Leben gehört mir - Fragen und Antworten zur Sterbehilfe”. Im Ergebnis wurde ein erster Vorschlag für einen eigenen Gesetzesentwurf zur Sterbehilfe gemacht.

Vorträge von Dr. Michael Schmidt-Salomon (GBS), Elke Baezner (DGHS) und Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, die am Vortag bereits bei einer Pressekonferenz Rede und Antwort standen, sowie des Strafrechtlers Prof. Dr. Robert Roßbruch und des Medizinethikers PD Dr. med. Meinolfus Strätling führten in die Thematik ein. Dabei verwies Schmidt-Salomon darauf, dass “die Menschen in Europa inzwischen weniger Angst vor dem Tod haben. Aber umso mehr vor dem Sterben.” Denn da die Menschen immer länger leben und die Medizin einen solchen Fortschritt gemacht hat, leben die Menschen zwar immer länger; sind aber auch viel länger krank. Und sterben häufig anonym und würdelos, nachdem sie lange als Pflegefälle leben mussten.

PD Dr. med. Meinolfus Strätling klärte eingangs erst einmal die Begriffe, mit denen in der Debatte um die Sterbehilfe häufig missbräuchlich oder leichtfertig umgegangen wird. Er sprach über Ergebnisse von (noch viel zu seltenen) Studien, die nahelegen, dass rund 1 bis 3 Prozent aller in einem Jahr verstorbenen sich suizidieren. Er wies darauf hin, dass die Zahl derer, denen eine gute Palliativmedizin trotzdem nicht Schmerzen lindern vermag, im zweistelligen Bereich liegen dürfte. Deshalb, so Stätling, sei die Palliativmedizin nicht die “Heilsbotschaft”, als die sie sich gern selbst darstellt.

Und - damit die Angaben aus dem Buch von Uwe-Christian Arnold unterstützend - oft sei Palliativmedizin kaum noch von (aktiver) Sterbehilfe zu unterscheiden. Denn eine sog. “palliative Sedierung” nimmt zumindst billigend in Kauf, dass das Leben des Patienten verkürzt wird. Man muss auch davon ausgehen, dass Patienten im einstelligen Prozentbereich sogar auf eigenen Wunsch im Rahmen hochspezialisierter palliativmedizinischer Versorgung Formen von aktiver Lebensverkürzung erhalten.

Er wies weiter darauf hin, dass Suizidwillige - anders als es die Gegner behaupten - im Gespräch mit anderen Menschen zum großen Teil von ihrem Vorhaben abstehen. Allein deshalb würde jedes Verbot von Beratungen und Vereinen, die diese Beratung anbieten, genau das Gegenteil von dem erreichen, was diese Gegner nach ihrem eigenen Bekunden erreichen wollen. Zudem - so der Referent - würden solche Vereine einfach aufgrund ihrer Erfahrung immer bessere Beratung anbieten können.

Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf erläuterte noch einmal die juristischen Hintergründe. Dabei wies er darauf hin, dass die derzeitige Situation eigentlich kaum einer gesetzlichen Regelung bedürfe. Allerdings könne man darüber reden, dass mit Verordnungen Rechtssicherheit für Ärzte entstehen könnten, die sich dafür entscheiden, Menschen beim Suizid zu attestieren. Eine Regelung über das Strafrecht lehnt Hilgendorf ab. “Einzig die Durchführung der Hilfe muss geklärt werden; alles andere ist in Deutschland ausreichend geregelt.”

Der Vortrag von Prof. Dr. Robert Roßbruch stach in einigen Aspekten aus der Debatte heraus. Zum einen ist er Fachanwalt für Betreuungsrecht, Patientenrecht (und Patientenverfügungen), zum anderen kam von ihm dann ein Gesetzes-Vorschlag, der bei der späteren Podiumsdiskussion beraten wurde. Roßbruch wies darauf hin, dass es noch immer Unsicherheiten bei Pflegepersonal und auch Ärzten gibt, welche Rechte sich aus einer Patientenverfügung ergeben. Dabei - so Roßbruch - ist das Gesetz seit fast zehn Jahren in Kraft.

Seiner Auffassung nach lassen sich aus den Regelungen um die Patientenverfügung auch Schlussfolgerungen zum ärztlich attestierten Suizid ziehen. Die im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) im Paragraphen 1901b ff. geregelten Rechte der Patienten auf zum Beispiel einen Behandlungsabbruch, an den sich Ärzte und Pflegepersonal zwingen halten müssen (da sie ansonsten eine Körperverletzung begehen), lassen sich auch auf die bei der Konferenz diskutierte Frage ausweiten.

Das lasse sich - so Roßbruch - auch aus der Rechtsprechung der Höchsten Gerichte ableiten. So heißt es in einem Urteil (vom 25.06.2010 – 2 StR 454 177/09): “1. Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) ist gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht (§ 1901a BGB) und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen. 2. Ein Behandlungsabbruch kann sowohl durch Unterlassen als auch durch aktives Tun vorgenommen werden.”

Für ihn wäre eine entsprechende Regelung im BGB auch für das Recht auf einen attestierten Suizid rechtlich logisch. Denn “eine solche Regelung hätte für den zur Suizidbeihilfe bereiten Arzt den großen Vorteil, dass er bundeseinheitlich keine standesrechtlichen Sanktionen mehr zu befürchten hätte, denn was über ein Bundesgesetz erlaubt ist, kann durch landesrechtlich normiertes Standesrecht rechtlich nicht verboten sein.”

Er legte einen entsprechenden Entwurf für eine gesetzliche Regelung im BGB vor:
§ 630i Hilfe zur Selbsttötung
(1) Liegt eine schwere, unheilbare Erkrankung vor oder ist das Leiden [für den Patienten] unerträglich geworden, so kann auf Verlangen des Patienten ärztliche Hilfe zur Selbsttötung geleistet werden.
(2) Der zur Hilfe zur Selbsttötung bereite Arzt muss
1. zu der Überzeugung gelangt sein, dass der Patient seinen Wunsch freiwillig, nach reiflicher Überlegung und in einem einwilligungsfähigen Zustand geäußert hat,
2. zu der Überzeugung gelangt sein, dass der Zustand des Patienten aussichts- los oder sein Leiden unerträglich geworden ist,
3. den Patienten über seine Situation, über die Prognose und über die Möglichkeit der Sterbebegleitung im Rahmen einer stationären oder ambulanten Palliativversorgung aufklären,
4. gemeinsam mit dem Patienten zu der Überzeugung gelangt sein, dass es für seine Situation keine andere annehmbare Lösung gibt,
5. mindestens einen anderen, unabhängigen Arzt zu Rate gezogen oder eine anerkannte Suizidkonfliktberatungsstelle in den Entscheidungsprozess einbezogen haben, und
6. bei der Hilfe zur Selbsttötung mit der gebotenen medizinischen Sorgfalt vorgehen.

Dieser Entwurf wurde bei der Podiumsdiskussion, an der auch Erwin Kress für den Humanistischen Verband Deutschland (HVD) und Prof. Dr. Rosemarie Will für die Humanistische Union (HU) teilnahmen, umfangreich diskutiert. So umfangreich, dass Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf irgendwann im Interesse der Zuhörer darum bat, die “mir zwar Spass machende” Diskussion abzubrechen, was mit einem erlösenden Beifall aufgenommen wurde.

Das zeigte, dass über die juristischen Feinheiten in jedem Falle noch unter Fachleuten intensiv diskutiert werde. Allerdings ist allen klar geworden, dass eine Initiative vom Bündnis ausgehen muss. Die Hoheit über diese Entscheidungen darf keinesfalls denen überlassen werden, die versuchen, sich gegen den großen Mehrheitswillen der Bevölkerung durchzusetzen.

Das bestätigte auch Elke Baezner aus einer Schweizer Sicht. Denn auch dort würde es Versuche einer kleinen Minderheit geben, einer Mehrheit ihre Rechtsauffassungen aufzudrängen. Erwin Kress wies darauf hin, dass es nach seiner Meinung vor allem darum ginge, die Garantenpflicht bzw. die Entlassung aus der Garantenpflicht für Ärzte, die Letzte Hilfe geben wollen, zu definieren. Regelungen benötigt es auch, um klarzustellen, wie man einen Suizid “fachgerecht durchführen” kann, da das humanste Medikament dafür in Deutschland verboten wäre.

Interessanterweise will die ehemalige Verfassungsrichterin des Landes Brandenburg Prof. Dr. Rosemarie Will eine Regelung der Sterbehilfe im Strafrecht. Sie wies darauf hin, dass auch die Regelungen zur Patientenverfügung ursprünglich strafrechtlich geregelt werden sollten. Sie warf dem Regierung vor, sich seiner Gesetzgebungspflicht zu verweigern. Denn solche ethisch grundlegenden Fragen dem Richterrecht (d. h. den Urteilen verschiedener Richter) zu unterwerfen sei ein Versagen, da es so dauerhaft keine Rechtssicherheit geben könne. Hilgendorf stimmte ihr zu und plädierte für ein eigenes “Sterbehilfegesetz”, das zwar in das Strafrecht gehöre, aber eben auch genaue Regeln aufstellen sollte, was erlaubt sei. “Ein solches Gesetz ist allerdings Zukunftsmusik.”

Das Podium zeigte sich relativ optimistisch, dass die “Rolle rückwärts”, die die Gröhe-Initiative jetzt vor hat, für die Initiatoren gründlich nach hinten los gehen könnte. Das Thema werde jetzt in der Gesellschaft diskutiert und auch in den Medien erfolgt eine Bearbeitung, die der Kampagne eher zuträglich sei. Es wurde noch einmal darauf hingewiesen, dass alle bisherigen Gesetzesvorschläge Verbotsregelungen sind. Zumal Frau Will alle bisherigen Vorschläge für grundgesetzwidrig hält. Deshalb - so die einhellige Meinung - müsse es unsere Aufgabe sein, gegenteilig zu argumentieren.

Die Konferenz, das darf abschließend gesagt werden, hat einen Weg dafür aufgezeigt.