Bei der globalen Klimakatastrophe steht nicht weniger als der Fortbestand der menschlichen Zivilisation auf dem Spiel, schreibt der Philosoph und Historiker Philipp Blom in seinem neuen Essay "Das große Welttheater". Im Interview erklärt er, wieso wir nur überleben werden, wenn wir uns nicht länger als "Krone der Schöpfung" verstehen, sondern als eine Primatenart, die vom Aussterben bedroht ist.
hpd: Sie haben sich in Ihren früheren Werken hauptsächlich mit den Umbrüchen vergangener Zeiten auseinandergesetzt. Inzwischen widmen Sie sich auch den gesellschaftlichen Entwicklungen unserer Zeit. Woran liegt es, dass Sie sich als Historiker nun verstärkt mit der Gegenwart beschäftigen?
Philipp Blom: Für einen Historiker gibt es keine großartigere Zeit zu leben als jetzt. Wir leben nämlich in einer Zeit, in der eine historische Epoche endet und eine neue beginnt. Einen solchen Umbruch selbst zu erfahren und zu studieren, ist für mich als Historiker überaus faszinierend. Es geht bei Geschichte ja nicht darum, wann welcher Kaiser auf welchem Thron saß, sondern vielmehr um gesellschaftliche Strukturen, um das Bestehen von Kräfteverhältnissen und von intellektuellen Konstellationen. Diese analytische Perspektive kann man auch auf heute anwenden, um die gegenwärtigen Entwicklungen zu verstehen.
Als Mensch finde ich unsere Zeit zugleich sehr beängstigend. Schließlich lebe ich in ihr und muss die Luft um mich herum atmen. Durch meine Bücher versuche ich, Menschen zu erreichen und zumindest einen kleinen Beitrag zu aktuellen Diskursen wie dem Klimawandel zu leisten. Die Welt ist zu spannend, um tatenlos bei ihrer Zerstörung zuzusehen. Und ich bin noch zu jung, um mich einfach zurückzulehnen und Wein zu trinken. Dabei mache ich mir allerdings keine Illussionen, dass wir individuell die Geschichte so beeinflussen könnten, dass auf einmal alles anders wird.
Wo finden heute konkret Umbrüche statt und was sind die großen Scheidepunkte unserer Zeit?
Der große Scheidepunkt unserer Zeit ist die Klimakatastrophe. Wir stehen vor einer Kaskade von katastrophalen Entwicklungen, die daraus herrühren, dass wir immer tiefer in die Natur eingreifen. Dabei geht es nicht um die paternalistische Vorstellung, dass wir als Menschen den Planeten zerstören. Selbst wenn wir die Biodiversität dramatisch reduzieren und uns damit selbst von diesem Planeten eliminieren, wird es nämlich nur ein paar tausend Jahre dauern, bis die Erde wieder blüht und gedeiht – nur eben ohne uns.
Entscheidend ist also vielmehr, die Möglichkeit dafür zu schaffen, weiterhin auf diesem Planeten überleben zu können. Nicht im erbitterten Kampf um Ressourcen, sondern als zivilisierte Menschen, die versuchen, die Welt etwas besser zu hinterlassen, als sie sie selbst vorgefunden haben. Das Ganze wird nicht einfach sein. Es ist eine existenzielle Herausforderung von historischem Ausmaß, die wir derzeit noch noch nicht ausreichend ernst nehmen.
Bisher wurde nicht wirklich etwas unternommen, was einen echten Wandel herbeiführen könnte. Meinen Sie, dass wir das Ruder noch herumreißen können?
Ich bin kein Prophet, sondern Historiker. Ob wir diese Herausforderung meistern werden, kann ich nicht sagen. Im Moment sieht es jedenfalls nicht gut aus. Weder bei den wissenschaftlichen Fakten noch bei der demokratischen Meinungsbildung. Die Klimatastrophe ist ein globales Problem, das nur global gelöst werden kann. Es hätte daher keinen Sinn, wenn Deutschland morgen eine CO2-freie Wirtschaft hat, solange in anderen Regionen der Welt unvorstellbar große Flächen der Regenwälder gerodet werden. Vor der Corona-Pandemie waren es weltweit 30 Fußballfelder Regenwald pro Minute, die verschwinden. Das ist erschreckend und macht deutlich, wie wenig Zeit uns noch bleibt.
Sie gehen davon aus, dass das menschliche Handeln von Ideen und Narrativen geleitet wird. Welche Einstellungen hindern uns daran, verantwortungsvoll mit unserer Umwelt umzugehen?
Darauf gibt es eine Kurzzeit- und eine Langzeitantwort. Die Kurzzeitantwort ist der allmächtige Markt, der völlig außer Kontrolle geratene Hyperkapitalismus. Womit ich nicht meine, dass Märkte an sich schlecht sind oder der Kapitalismus an sich böse ist. Ein Markt kann beispielsweise die Demokratie fördern, weil er eine pragmatische Toleranz verlangt. Für das Geschäft ist es nämlich erst einmal egal, welche privaten Ansichten jemand hat oder welche sexuelle Präferenzen er besitzt, solange Verträge eingehalten werden.
Markt und Kapitalismus sind aber nur dann konstruktiv, wenn sie ein Teil der Gesellschaft sind, welche damit Ziele realisiert, die sie sonst nicht realisieren könnte. Bei der Corona-Pandemie haben wir nun sehr deutlich gesehen, dass der Markt auf bestimmte Probleme keine Antworten hat. So haben Marktmechanismen etwa bei der Bereitstellung von mediznischer Ausrüstung versagt. Und wir haben deutlich gesehen, dass die Prioritäten des Marktes nicht zwangsläufig die Prioritäten einer Gesellschaft sein müssen. Deshalb haben wir uns auch dafür entschieden, alte Menschen zu schützen, die nicht ökonomisch produktiv sind und die den Staat Geld kosten. Als Gesellschaft haben wir aus guten Gründen völlig marktunkonform gehandelt.
Die Idee des ewigen Wirtschaftswachstums und der allumfassenden Profitabilität ist eine Idee, die uns auch in Bezug auf die Klimaktastrophe die Sicht versperrt. Der Markt kann hier durchaus eine Rolle bei der Lösung des Problems spielen, doch er wird mit seinen eigenen Prioritäten keinesfalls ein Erlöser sein, der die Bedürfnisse der Menschen ausreichend berücksichtigt.
Und die Langzeitantwort?
Die führt uns etwas weiter zurück auf die biblische Idee "Macht euch die Erde untertan". Sie geht davon aus, dass der Mensch die "Krone der Schöpfung" sei, die sich frei an der Natur als Materiallager bedienen kann. Das war lange Zeit eine konstruktive Idee, weil sie dazu geführt hat, dass Gesellschaften über sich selbst hinausgewachsen sind. Zumindest in Europa hat diese Idee so lange funktioniert, bis Erdöl im großen Stil verwendet wurde. Seitdem sind Produktivität, Wohlstand und damit auch der Konsum dramatisch angestiegen. Dies führte zwar zu einem enormen zivilisatorischen Fortschritt, zugleich aber auch zu einer zunehmenden Ausbeutung der Natur. Während sie anfangs lokal begrenzt und reversibel war, beschleunigte sie sich im Laufe der Zeit so enorm, dass dadurch die Lebensgrundlage unserer Spezies untergraben wird. Nicht in einigen Jahrhunderten, sondern in wenigen Jahrzehnten könnte dies zu einem katastrophalen Kollaps der menschlichen Zivilisation führen.
Insofern kann man durchaus sagen, dass wir heute am Ende von 3.000 Jahren Kulturgeschichte stehen. Wir werden nämlich nur dann überleben, wenn wir unseren Platz innerhalb der Natur finden. Nicht als "Krone der Schöpfung", sondern als eine Primatenart, die vom Aussterben bedroht ist.
Unser derzeitiger Umgang mit der Natur folgt eher dem Motto "Nach uns die Sintflut". Der Glaube an eine bessere Zukunft scheint verloren gegangen zu sein...
Das ist eine sehr gefährliche Idee. Hinter ihr steht eine Ausverkaufsmentalität, die sich zwar in einer komfortablen Gegenwart wähnt, aber keine Perspektive für eine Zukunft hat, in der es sich zu leben lohnt. Für Gesellschaften ist diese Haltung zerstörerisch. Wenn es für Menschen keine rationale Hoffnung mehr gibt, werden sie leicht zynisch und laufen Bauernfängern hinterher.
Der Soziologe Zygmunt Baumann sprach in diesem Zusammenhang einmal von "Retrotopie". Die Idee des Fortschritts verheiße heute weniger die Aussicht auf eine Verbesserung der persönlichen Lage als die Angst davor, abgehängt und zurückgelassen zu werden. Daher würden sich viele von der Zukunft abwenden und sich nach der Rückkehr einer verklärten Vergangenheit sehnen. Es ist gewissermaßen die Hoffnung, dass es wieder so wird, wie es niemals war.
Ja, so ist das. Wie die Welt eigentlich zu sein hat und was normal ist, wird in den allermeisten Fällen durch die Kindheit definiert. Lange Zeit waren das aus verständlichen biografischen Gründen die Fünfzigerjahre. Zufälligerweise sind wir alle aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten Kinder gewesen. Die verschiedenen Vorstellungen von dem, was als "normal" anzusehen ist, sind deshalb mit Konflikten verbunden, auch weil es keine gemeinsame Vision einer vernünftigen Zukunft zu geben scheint.
Dabei gäbe es doch gute Gründe, sich der Zukunft nicht zu verschließen, sondern aufgeschlossen zuzuwenden. Die Welt, in der wir heute leben, ist zu einer der friedlichsten in der Menschheitsgeschichte geworden. In rasantem Tempo wurden zivilisatorische Fortschritte erzielt, die vor hundert Jahren noch undenkbar gewesen wären. Hunger, Gewalt, Analphabetismus und Kindersterblichkeit sind laut den Statistiken in den vergangengen Jahrhunderten deutlich gesunken.
Solche Zahlenspiele, die immer wieder angestellt werden, sind sehr problematisch. Wenn man beispielsweise sagt, dass es im 20. Jahrhundert viel weniger Gewalt gegeben hat, ist das sicher zutreffend für Menschen, die in Südamerika gelebt haben. Nicht zutreffend ist es für Menschen, die in Litauen, Polen oder Kambodscha gelebt haben. Kumulativ mag es positive Entwicklungen gegeben haben. Aber sie beruhen im Prinzip darauf, dass wir eine Wirtschaft haben, die die Grundlagen unseres Überlebens untergräbt und die wir deshalb nicht weiterführen können. Entweder endet sie in einer Katastrophe oder wir müssen sie in etwas überführen, das Bestand haben wird.
Wodurch würde ein sich ein nachhaltiges Wirtschaften auszeichnen?
Notwendig wäre ein radikaler Green New Deal, der über die kosmetischen Maßnahmen hinausgeht, die derzeit von Politikern beschlossen werden. Ein ambitioniertes Ziel wäre es, dass ganz Europa durch grüne Energie in höchstens 20 Jahren CO2-neutral sein muss. Man würde damit en passant auch die Technologie und Expertise erhalten, die demnächst überall auf der Welt gebraucht werden. In nicht weit entfernter Zukunft wird dies ein massiver Wettbewerbsvorteil sein.
Es kann jedenfalls nicht nur darum gehen, bloß eine CO2-Steuer einzuführen. Denn wenn Menschen solche Maßnahmen nicht mit ihrem Willen unterstützen, werden sie die betreffenden Regierungen abwählen oder die Vorgaben ignorieren. Hinzu kommt, dass Unternehmen inzwischen eine größere und flexiblere Macht haben, weil sie sich nicht in einem abgegrenzten Territorium bewegen. Sie können damit drohen, einen Produktionsstandort in ein anderes Land zu verlagern, was zu höherer Arbeitslosigkeit führt. Dadurch wird die Handlungsfähigkeit eines Staates sehr stark ausgehebelt. Legislativ lässt sich das Problem daher letztlich nur auf internationalem Niveau lösen.
Was fehlt, damit Menschen den erforderlichen Willen aufbringen, verantwortungsvoll zu handeln?
Es bräuchte ein neues Selbstverständnis, das an die Überlegungen der Aufklärung anschließt. Denn die Aufklärung forderte nicht nur Rationalität und Menschenrechte, sondern versuchte den Menschen auch als Teil der Natur zu verstehen. Aufklärerische Wissenschaftler des 18. Jahrhunderts wie Comte de Buffon beschrieben den Menschen zum ersten Mal in seiner frappierenden Ähnlichkeit zu Primaten. Schon vor Darwin erstellten sie Stammbäume der Entwicklungsgeschichte, die den Menschen als biologisches Wesen in der Natur statuierten.
Diesen realistischen Ansatz gilt es heute weiterzudenken. Der Philosoph Bruno Latour erkannte einmal richtig, dass wir nicht auf der Erde, sondern in der kritischen Zone leben – also der winzigen Membran zwischen dem toten Gestein unter unseren Füßen und der ewigen Leere über unseren Köpfen. Unsere Atmosphäre wird dabei konstituiert und beinflusst durch unendlich viele Faktoren, von Mikroben über Jetstreams bis hin zu menschlicher Gesetzgebung.
Wenn wir unsere Verwobenheit mit dem Rest der Natur endlich anerkennen würden, wäre das der Anfang eines lohnenden Menschenbildes. Mit ihm würde man Abstand von der Vorstellung nehmen, dass wir die Natur beherrschen und ausbeuten können. Es wäre die Voraussetzung dafür, den wissenschaftlichen, politischen und legislativen Klimaschutz-Initiativen ein echtes Wollen zur Seite zu stellen.
Viele Menschen empfinden es als Kränkung, sich selbst als Naturwesen oder gar als Primaten anzusehen. Warum fällt es uns so schwer, unser Welt- und Menschenbild trotz besseren Wissens radikal in Frage zu stellen?
Wir sind nunmal alle Kinder unserer Zeit. Es ist enorm schwierig, etwas zu denken und zu vertreten, was die Menschen um einen herum nicht denken – insbesondere wenn man sie schätzt, respektiert und liebt. Weil das so schwierig ist, ist es natürlich sehr viel einfacher, etwas zu vertreten, was sich auf gewohnte Strukturen stützt.
Den eigenen Gedanken dorthin zu folgen, wo man ihnen eigentlich nicht hinfolgen möchte, ist vielleicht eine der größten Herausforderungen. Denn dort werden Ansichten in Frage gestellt, die einem viel bedeuten. Es ist daher wichtig, neue Erfahrungen zu machen und aus ihnen heraus zu versuchen, neue Erklärungsmuster zu suchen. So entstehen Risse im alten Weltbild, durch die etwas Licht eindringen kann.
Kann die Corona-Krise als eine neue Erfahrung gesehen werden, aus der wir lernen können?
Es wäre illusionär zu meinen, dass wir als Gesellschaft nun geläutert aus dieser Krise hervorgehen werden. Allerdings hat sie immerhin eines gezeigt: Früher haben die Kritiker des entfesselten Neoliberalismus immer wieder zu hören bekommen, dass das ungebremste Wirtschaftswachstum eine notwendige Voraussetzung für Demokratie und Freiheit sei. Angeblich sei es unmöglich, diese Maschine anzuhalten, ohne dass eine Katastrophe mit verheerenden Konsequenzen eintritt. Aber dann ist genau das passiert. Gesellschaften haben entschieden, ihre eigenen Interessen über Marktinteressen zu stellen.
Man darf natürlich nicht beschönigen, dass diese Entscheidung eine massive Wirtschaftskrise nach sich gezogen hat, bei der viele menschliche Existenzen gefährdet und vernichtet wurden. Damit verbunden war jedoch auch das theoretische und praktische Verstehen davon, dass Dinge auch anders laufen können als bisher. Es wurde deutlich, dass Gesellschaften doch noch Kontrolle darüber haben, wie sie leben wollen. Das hat einen Präzendenzfall geschaffen, der in folgenden Diskussionen über die nächsten Jahrzehnte nicht mehr wegzureden ist. Ob daraus rechtzeitig die richtigen Schlüsse gezogen werden, können wir jetzt noch nicht sagen. Sicher ist jedoch, dass sich dieser Präzendenzfall als sehr wichtig erweisen wird.
Vor allem die Wissenschaft hat im Zuge der Pandemie verlorenes Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewonnen.
Ich bin mir nicht sicher, ob der Vertrauenszuwachs tatsächlich so groß ist, wie wir das gerade gerne glauben. Aus der Dringlichkeit des Moments heraus wurde die Wissenschaft auf einmal das stärkste Entscheidungskriterium für die Politik, auch weil sie unmittelbare Resultate lieferte. Deutlich wurde jedenfalls, dass die Leugnung wissenschaftlicher Tatsachen nicht weiterhilft. In Ghana gab es beispielsweise einen Pfarrer, der Covid-19 durch Handauflegen heilen wollte und leider selbst an der Krankheit gestorben ist. Da waren Ursache und Konsequenz unmittelbar sichtbar, ebenso wie die zutreffenden Prognosen von Wissenschaftlern.
Wenn es aber darum geht, politische Prioritäten zu setzen, geht es nicht mehr primär um wissenschaftliche Wahrheiten, sondern um Interessen und Prinzipien. Der Prozess der Entscheidungsfindung wird dadurch wieder wesentlich politisiert. Es gibt viele Menschen, die von Grund auf leugnen, dass es überhaupt eine Pandemie gibt und die allen möglichen Verschwörungstheorien hinterherlaufen. Ich glaube daher nicht, dass wir nun in eine Zeit gekommen sind, in der Menschen endlich die Wissenschaft akzeptieren. Denn letztlich wird sich nicht die wissenschaftlich sauberste und logischste Position durchsetzen, sondern diejenige, die am meisten emotionale Resonanz bereithält.
Die Fragen stellte Florian Chefai für den hpd.
Philipp Blom ist Schriftsteller, Historiker, Journalist und Übersetzer. Er studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford. Seine Schriften publizierte er u. a. in The Independent, Financial Times, The Guardian, Die Zeit, NZZ, FAZ, Süddeutsche Zeitung und Der Standard.
Blom ist Beiratsmitglied der Giordano-Bruno-Stiftung und wurde im März 2017 in den Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels berufen.
18 Kommentare
Kommentare
Giordano Bruno am Permanenter Link
Ein phantastisch ehrlicher und aufrüttelnder Artikel, welcher zum Nach und Umdenken geradezu auffordert.
einfach ignoriert wird zu Gusten von Wunschdenken und Heils-visionen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Langes, aber schönes Interview, Flo!
Philipp Blom ist m.E. einer der Wenigen, die den Punkt (den Umbruch) erkannt haben, einer der nur 3,5 %, die es für eine Revolution benötigt.
Die anderen 96,5 % übrigens werden das als Alarmismus abtun, ganz sicher. Was aber auch 'nur' ein weiteres Symptom der Systemkrise ist; genauso wie Corona und den panische Umgang damit.
David Z am Permanenter Link
"... einer der nur 3,5 %, die es für eine Revolution benötigt."
Huch, Sie erschrecken mich. Wissen Sie denn nicht, dass Revolutionen selten gut ausgehen?
G.B. am Permanenter Link
Bereits bestellt, freu mich aufs lesen.
Bernd Neves am Permanenter Link
"Angeblich sei es unmöglich, diese Maschine anzuhalten, ohne dass eine Katastrophe mit verheerenden Konsequenzen eintritt. Aber dann ist genau das passiert.
Nein, im Wesentlichen ist genau das nicht passiert. Die Exportwirtschaft und die Fleischindustrie haben ohne wesentliche Einschränkungen weiterproduziert, ganz zu schweigen von den Big Tech- und Pharmariesen Die Lockdown-Maßnahmen betrafen in der Hauptsache Selbständige, Kleinunternehmer und deren Angestellte und Freischaffende.
Die Profitmaschinerie der Konzerne ist ungehindert weitergelaufen und ist sogar noch größer geworden. Die "Katastrophe mit ihren verheerenden Konsequenzen" durch die "massive Wirtschaftskrise" dagegen betrifft fast nur die "kleinen Leute". Und die wurden ja auch schon vor Corona nur nachrangig berücksichtigt, so what's the news?
Der Stopp ist nur für Leute eingetreten, die sich nicht dagegen wehren konnten. Wehren konnte sich allerdings z.B. die Automobilindustrie,, wie am Canceln des in der MPK verabredeten Osterlockdowns deutlich gezeigt wurde.
Volker Zielke am Permanenter Link
3000 Jahre ??? Das würde ich dringend korrigieren ! Schriftliche Quellen zur Menschheitsgeschichte gibt es erst von den Hochkulturen des Alten Vorderen Orients in Mesopotamien (Sumer) und Ägypten (etwa ab 3100 v.
MartinT am Permanenter Link
2600 v.u.Z bis circa Jahr Null, dann ab den Anfängen der Aufklärung gegen 1600 weiter bis heute noch mal 400 Jahre = etwa 3000. Paßt doch ;-)
Adam Sedgwick am Permanenter Link
Ja, ein sehr aufschlussreiches Interview, es decken sich einige Aussagen mit dem Artikel über den Sinn des Lebens. Eigentlich ist in diesem Interview hier alles gesagt.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Hatte ja schon etwas dazu geschrieben. Aber:
Das Unheil nahm jedoch erst so richtig Fahrt auf vor vllt. 2.500 bzw. vor gut 1.600 Jahren mit dem Dreikaiseredikt katholisch zementiert - nach dem Motto "Seid fruchtbar und mehret euch und machet euch die Erde untertan", gefolgt von der hemmungslosen Ausplünderung unserer Ressourcen seit ca. 250 Jahren im Zuge der industriellen Revolution und wiederum gefolgt von der noch hemmungsloseren 'Entsorgung' fast jeglichen Mülls in die Umwelt.
Die diesbzgl. 'Krönung' war mir die kürzliche GWUP-Farce (auch hier im hpd veröffentlicht: https://hpd.de/artikel/fukushima-lange-halbwertszeit-mythen-19097), dass die Fukushima-Folgen im Grunde doch harmlos seien (weil, nur z.B., das Tritium-kontaminierte Kühlabwasser der AKW-Ruinen problemlos als "Trinkwasser" in Australien angeboten werden könnte).
Das fasse ich eigtl. immer noch nicht!
Corona ist da eigtl. nur ein weiteres Symptom unserer veritablen Systemkrise.
Terry Gilliams Filmgroteske "12 Monkeys" (von 1995!) nimmt da einige Aspekte voraus.
Warnende [Altvater, Schellnhuber (Rezension hier: https://hpd.de/artikel/selbstverbrennung-schroff-18589), Glaubrecht und jetzt Blom] gab und gibt es genug.
Wir müssen sie nur sehen (lesen) und hören wollen.
Die Zeit ist wahrlich reif für 'eine globale soziale Bewegung' (Schellnhuber) wie Fridays for Future!
Nochmals Dank, Flo, für das Interview - insgesamt ein sehr wichtiger Standpunkt.
Claudia am Permanenter Link
Sofern manch geschichtswissenschaftlich Ahnungsloser meint, sich über den Begriff "3000 Jahre Kulturgeschichte" mokieren zu müssen, den Blom verwendet, weil's ja auch vorher schon Kultur gegeben habe, m
Volker Zielke am Permanenter Link
@claudia .... in der Headline steht Kulturgeschichte, da steht nichts von irgendeiner Hochkultur. Das haben Sie bestimmt übersehen.
David Z am Permanenter Link
Aus den Religionen kennen wir sie: Jene Menschen, die Dinge behaupten, die niemand wissen kann.
Die Behauptung "Bei der globalen Klimakatastrophe steht nicht weniger als der Fortbestand der menschlichen Zivilisation auf dem Spiel" fällt in die gleiche Kategorie.
"Wenn man beispielsweise sagt, dass es im 20. Jahrhundert viel weniger Gewalt gegeben hat, ist das sicher zutreffend für Menschen, die in Südamerika gelebt haben. Nicht zutreffend ist es für Menschen, die in Litauen, Polen oder Kambodscha gelebt haben."
Das erscheint mir wie eine Binsenweisheit. Dem jeweiligen Getöteten hilft der Rückgang der Gewalt selbstverständlich nicht weiter. Dennoch ist ein Rückgang festzustellen und das ist zunächsteinmal gut, denn es reduziert im statistischen Durchschnitt das Leid derer, die Leid erfahren können.
Dann aber zu behaupten, diese positive Entwicklung läge allein am bösen Neoliberalismus, der durch einen "radikalen GreenDeal" abgelöst werden müsse, ohne zu erkennen, dass dieser Systemwechsel gemäss der eigenen Logik dann die Wahrscheinlichkeit für den Anstieg von Gewalt zwangsläufig begünstigt, ist für einen Philosophen ziemlich kurz gedacht.
"Es hätte daher keinen Sinn, wenn Deutschland morgen eine CO2-freie Wirtschaft hat, solange in anderen Regionen der Welt unvorstellbar große Flächen der Regenwälder gerodet werden."
Hier liegt Herr Blom allerdings völlig richtig.
Adam Sedgwick am Permanenter Link
Die größte Furcht habe ich sicherlich vor einem grundlegendem Umsturz, also wenn die Eigentum- und Machtverhältnisse neu geregelt, verteilt, werden.
Beim nächsten Umsturz oder nächsten Revolution wird es wahrscheinlich alles andere als friedlich zugehen. Etliche haben eine Menge Privatbesitz zu verlieren, und da liegt das ernste Problem. Also genießen wir noch die verbleibende Zeit und katalogisieren wir die noch verbliebenen und verbleibenden Arten, und gehen mit etwas Kultur zugrunde.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Lieber Adam, "vor einem grundlegendem Umsturz" fürchte ich mich genauso wenig wie vor dem Tod.
Eva-Catrin Reinhardt am Permanenter Link
Guter Artikel,
das, was wir nun tun müssen:
- das große Problem wahrnehmen
- Geschäftsmodelle erfinden, mit denen wir die ganzen Probleme lösen
- Skalierungsmöglichkeiten des Internets anwenden
- Kollaboration anstatt von Wettbewerb
- Interdisziplinärer Austausch
Dann hat die Menschheit noch eine Chance, sonst nicht. Ich habe einen ersten Schritt gemacht.
DS am Permanenter Link
Ich stimme Blom sehr zu, dass der Mensch letztlich auch nur ein Tier unter Tieren ist und es von jeher irreführend, anmaßend und womöglich desaströs in den Folgen war, sich durch Berufung auf sogenannte Kultur(leistun
Allerdings unterliegt auch Blom - nicht ganz unerwartet - dem "humanistic bias": "Entscheidend ist also vielmehr, die Möglichkeit dafür zu schaffen, weiterhin auf diesem Planeten überleben zu können. Nicht im erbitterten Kampf um Ressourcen, sondern als zivilisierte Menschen, die versuchen, die Welt etwas besser zu hinterlassen, als sie sie selbst vorgefunden haben." Wie kitschig-konventionell! Gibt es da einen Imperativ für "die Menschheit"? Wenn Blom das normativ meint und nicht nur als Appell an angeblich Selbstverständliches, würde mich die nähere Begründung interessieren. Warum soll eine Menschheit sein?
"Selbst wenn wir die Biodiversität dramatisch reduzieren und uns damit selbst von diesem Planeten eliminieren, wird es nämlich nur ein paar tausend Jahre dauern, bis die Erde wieder blüht und gedeiht – nur eben ohne uns." Genau so dürfte es sein, und wäre das in irgend einer Weise schlimm, außer man klebt auch hier an der angeblichen Selbstverständlichkeit, dass es doch mit der Menschheit immer weitergehen müsse? Die Lebenden würden sich noch ein bestmöglich "schönes Leben" machen und insbesondere aufhören, weiterhin durch Zeugung neue ökologisch-ökonomische Anspruchsteller in diese völlig unkontrollierbare Gesamtsituation zu bringen.
Es ist absolut richtig: "Den eigenen Gedanken dorthin zu folgen, wo man ihnen eigentlich nicht hinfolgen möchte, ist vielleicht eine der größten Herausforderungen. Denn dort werden Ansichten in Frage gestellt, die einem viel bedeuten." Da scheint mir des öfteren auch für ein Denken, das sich als "humanistisch" versteht und insofern in Wertungshinsicht dann doch vom Menschen nicht lassen will - zwar nicht mehr Krone der Schöpfung, aber doch irgendwie bewahrungswürdig -, noch einiges an Arbeit vorhanden zu sein.
Helmuth Dau am Permanenter Link
Vernunft und Gefuehl, statistisches und individuell-erfahrenes Schicksal decken sich so gut wie nie. Das je wichtige von den Gegensatzpaaren sind fuer uns "Gefuehl" und "individuelles Schicksal".
Wissenschaft und Statistik werden uns nicht wirklich helfen:
1) sie wenden sich an die Vernunft und nur ueber Katastrophenszenarien wecken sie Gefuehle - und das sehen wir zur Zeit. Nicht gerade "wissenschaftlich".
2) unser individuelles Schicksal verlaeuft nur katastrophal, wenn wir verwitwen, durch eine Scheidung gehen, ein Kind wegstirbt oder wir uns selber der Kante naehern - hat alles KEINE globale oder historische Dimension.
Auf jeden Fall ist es keine globale Katastrophe, wenn gruenwaehlende Grossbuerger in der stuttgarter Innenstadt minimal mehr NOx und Feinstaub abkriegen als der Bauer auf der Alb. Frueher zog man wg. "guter Luft" aufs Land, heute spendet man dem BUND und macht Demo und wg. "Stadtluft macht frei" zieht keiner mehr in die Stadt, oder doch?
Die Geschichte der Menschheit ist eine Erfolgsgeschichte und wie alles kann der Erfolg nicht unermesslich wachsen - irgendwann laeuft er in die Saettigung. Ich vermute, wir sind im Knick der Kurve. Womoeglich laufen wir in die Saettigung, aber ganz anders als der Club of Rome in den 70ern sagte "wg. Rohstoffmangel und globaler Eiszeit", sondern "wg. Muellproblemen (inkl. CO2) und globaler Warmzeit" - genau das Gegenteil. Globale Entwicklungen sind nur mit Abstand zu erkennen, weder Naturwissenschaftler noch Historiker koennen uns sagen, was genau jetzt "global gesehen" passiert - etwas paradox: gerade wg. der Naehe undeutlich.
In meiner Lebensspanne habe ich erlebt, wie meine Mutter in den 50ern 1 Stunde frueher aufstand, um die Oefen anzuheizen, wie bis in die 60er "Zentralheizung" ("ZH") in den ImmoAnzeigen als Komfortmerkmal angefuehrt war und wie ab den 90ern die Klimaanlage im Auto Standard wurde. Toll, wie wir heute leben - da kommen/wollen wir nie mehr runter. Und der Rest der Welt will da auch rauf, und fuer unsere Kinder bitte noch etwas mehr Komfort. Und das koennen wir weder jenen noch diesen versagen. Eine Loesung waere, dass die Menschheit sich zahlenmaessig zuruecknaehme - tut sie aber nicht. Energie ist Leben, wer einmal davon gekostet hat, gibt sie/es nicht mehr her. Wer will schon in der Entropie versinken?
Einige Foristen hier haben die Superreichen als die Schuldigen erkannt und uns selbst als die unschuldigen Laemmer. Koennte es nicht sein, dass Bezos, Gates, Tim Apple und Marilyn Lockheed (die beiden letzteren Kreationen des 45. Praesidenten) einfach unsere "wahren" Beduerfnisse erkannt und befriedigt haben? Wer das klug anfaengt wird superreich und/oder Praesident. Das ist immer so gewesen und ist das verwerflich?
Historisch gesehen sind wir nicht die ersten, die sich in der Kurve vom Wachstum in die Saettigung waehnten. Eigentlich gab es immer die unternehmerischen Typen, die neue Entwicklungen anstiessen und die Saettigung weiter hinausschoben und es gab die durchgeistigten Typen, die sagten "so kann das doch nicht weitergehen" und die apodiktisch die Apokalyptik predigten. In DER Gegend stehen wir immer noch und ich erfreue mich der Begrenzung meiner Lebensdauer, obwohl... neugierig waere ich schon, ob dieses mal die Apokalyptiker Recht haben.
Fuer 2000 sagten Club of Rome und Zeugen Jeh. das Ende voraus - war dann nur ein Boersenzusammenbruch, fuer 2050 sagen Greta, die Potsdamer und Zeugen Jeh. das Ende voraus. Das schiesst der Olaf von 2050 mit seiner Bazooka weg. Leider bin ich dann 105 Jahre alt und wenn ich Pech habe, sagt mir ein Pfleger irgendetwas, was ich nicht mehr verstehe. Es faellt mir ja jetzt schon schwer, wie der geneigte Leser sicher erkannt hat.
Rainer am Permanenter Link
Hoffentlich leiten uns die Untergangspropheten nicht in den Untergang!