Volle Selbstverantwortung der Kirchen für ihre Finanzen überfällig

Kirchensteuer Ade

Über Geld und Gehälter wird diskutiert, wenn die Leistungen Luft nach oben haben. Nur die Kirchensteuer gibt es weiterhin "umsonst". hpd-Autor Jürgen Roth fordert: Das muss sich endlich ändern!

Wer beim Fußball die Tore schießt, riskiert keine Gehaltsdebatte. Er wird anders beurteilt als jene, die von der Ersatzbank nicht auferstehen. Was im Sport gilt, trifft auch auf andere Bereiche zu, von den Diäten der Abgeordneten bis zu den Zulagen für Bankmanager. Diskussionen über Geld sind stets Auseinandersetzungen über die Qualität der Arbeit.

Beim aktuellen Ansehen der Großkirchen sollte es doch möglich sein, grundlegende Debatten über das Verhältnis zwischen Staat und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu führen. Bislang sind die Diskussionen über den staatlichen Kirchensteuereinzug immer wieder aufgeflammt, dann aber wieder versandet. Ein Grund dafür ist, dass aus einzelnen Initiativen nie eine umfassende gesellschaftliche Debatte wurde.

Unzufriedenheit und Frust über die Arbeit gerade der großen Kirchen kommen längst nicht mehr von außen, sondern mehr und mehr auch aus den eigenen Reihen. Nicht nur bei Säkularen, auch bei Mitgliedern der Kirchen und denen, die sie in letzter Zeit frustriert verlassen haben, wird die staatliche Privilegierung immer kritischer gesehen. So ist der Verein zur Umwidmung der Kirchensteuern längst nicht mehr allein auf weitem Feld.

Die Kritik an der Kirchensteuer – wie auch an anderen Privilegien – sollte deshalb auch von säkularer Seite integrativer geführt werden. Eine Mäßigung im Ton ist unerlässlich, unterschiedliche Gruppen zusammenzubringen. Ohne solche Bündnisse dreht sich das Hamsterrad weiter, kommt aber nicht von der Stelle.

Kirchensteuertopf als Herzkammer der Großkirchen

Die äußerst undurchsichtige Geldbeschaffung der Kirchen umfasst im Wesentlichen – neben der Kirchensteuer – die berüchtigten "Staatsleistungen" sowie die Vielzahl direkter und indirekter Zuwendungen durch staatliche Stellen.

Die Kirchensteuer ist die mit Abstand wichtigste Geldquelle. Sie stammt aus dem 19. Jahrhundert, wurde 1919 in Artikel 137 Absatz 5 der Weimarer Verfassung festgeschrieben und vom Grundgesetz "inkorporiert". Seinerzeit gehörten aber noch über 95 Prozent der Menschen in Deutschland einer der beiden christlichen Großkirchen an. Davon ist bis heute kaum mehr als die Hälfte übriggeblieben. Die "Einheit von Bürger und Christ" ist längst vorbei.

Mit dem Einzug der Kirchensteuer durch die Finanzämter durchbricht der Staat das Prinzip seiner Neutralität in Fragen der Religionsausübung der Bürger*innen. Solche aus der Vergangenheit herrührenden Sonderrechte schließen mittlerweile fast die Hälfte der Bevölkerung aus. Sie passen mit ihrem zunehmend diskriminierenden Charakter längst nicht mehr zum modernen Verfassungsstaat. Deutschland verlangt von den Muslimen eine mitteleuropäische Moderne, schafft aber nicht mal bei den alten Kirchen eine zukunftsfähige Regelung der wechselseitigen Beziehungen.

Der Einzug der Mitgliedsbeiträge als eine Steuer nach der Abgabenordnung ist ein Anachronismus. Eine Steuer ist eigentlich eine Geldleistung als öffentliche Abgabe an ein öffentlich-rechtliches Gemeinwesen (Bund, Land, Kommune). Anders als aufgabenbezogene und zweckgebundene Gebühren und Beiträge kann niemand eine Steuer – egal ob für den Staat oder die Kirchen – verweigern oder an die Zahlung Bedingungen knüpfen. Mit der Kirchensteuer verleiht der Staat den begünstigten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften die – eigentlich nur ihm zustehende – Steuerhoheit. Er macht sie damit zum Staat im Staate.

Trotz seit den 70er Jahren stetig sinkender Mitgliederzahlen konnten allein die beiden Großkirchen mit 12,71 Milliarden Euro im Jahr 2019 einen Spitzenwert bei den Einnahmen verbuchen: 6,76 Milliarden Euro für die katholische und 5,95 Milliarden Euro für die evangelische Kirche. Die Statistiken für 2020 liegen noch nicht vor. Langfristig rechnen Fachleute allerdings mit einem sinkenden Steueraufkommen.

Gerne wird der Sonderstatus mit der Begründung gerechtfertigt, dass die Kirchen für die Finanzämter doch Verwaltungsgebühren bezahlten. So mache der Staat eigentlich sogar ein gutes Geschäft. Richtig ist aber, dass es eher zugeht wie bei den Sonderangeboten beim Discounter. Auch dort tragen nicht die Anbieter, sondern die Kunden selbst die Kosten, die längst eingepreist sind. Die Steuerpflichtigen zahlen diese Gebühr längst mit. Dem steht außerdem noch die Ersparnis der eigenen Verwaltungskosten gegenüber. Insofern sind die Kirchen die doppelten Nutznießer: Sie kassieren die Steuer und sparen sich den Inkasso-Apparat. Da hat sich seit den Zeiten der Scheiterhaufen wenig geändert.

Das Grundgesetz schreibt diese herrschende deutsche Praxis des staatlichen Kirchensteuereinzugs keineswegs fest. Garantiert wird lediglich die Verwendung der "bürgerlichen Steuerlisten" der Finanzbehörden. Der Staat muss lediglich "helfen", nicht aber selbst kassieren. Für eine Reform dieser überkommenen Praxis stehen dem Staat – auch ohne Grundgesetzänderung – weitgehende Gestaltungsspielräume zur Verfügung.

Kirchensteuer unvereinbar mit dem Gleichheitsprinzip

Warum dürfen nicht auch das Rote Kreuz und andere nicht-religiöse Vereinigungen auf die direkte Hilfe der Finanzbehörden beim Eintreiben der Mitgliedsbeiträge zurückgreifen? Der Staat räumt weder gemeinnützigen Vereinen, Parteien noch Gewerkschaften das Recht ein, ihre Mitgliedsbeiträge über das Finanzamt einzuziehen.

Einziehen dürfen zudem nur anerkannte (geborene und gekorene) öffentlich-rechtliche Körperschaften. Alle anderen dürfen nicht. Mit dieser Abstrafung wird auch in die geschützten Rechte derer eingegriffen, die den Körperschaftsstatus gar nicht anstreben oder die Steuererhebung auch aus theologischen Gründen ablehnen. Der Staat darf aber keiner Religionsgemeinschaft ein bestimmtes Strukturmodell – nach dem Vorbild der Großkirchen – aufdrängen.

Der Staat hebt mit der Sonderstellung der zum Steuereinzug berechtigten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gerade die großen christlichen Kirchen und ihre Mitglieder auf eine sittlich und rechtlich höhere Stufe als alle anderen, ob religiös oder nicht. Religionsfreie werden so zu Menschen mit dem Defizit einer fehlenden Gläubigkeit herabgewürdigt. Ihre Haltung weicht nach dieser vormundschaftlichen Denkweise von einer religiös begründeten gesellschaftlichen Norm ab. Eine ideologisch derart vorgestrig begründete halb-staatliche Sonderstellung bestimmter ("geborener und gekorener") religiös- weltanschaulicher Körperschaften ist freilich längst aus der Zeit gefallen. Sie ist auch unvereinbar mit dem Gleichheitsgrundsatz und der staatlichen Neutralitätspflicht in Religionsfragen.

Die Kirchensteuer nützt dem Sozialstaat nicht besonders viel

Das Sterntaler-Prinzip der Kirchensteuer wird zumeist mit dem Hinweis gerechtfertigt, der Sozialstaat brauche diese Einnahmequelle, weil mit dem Geld doch so viel Gutes gemacht wird. Manche Kritiker der Kirchen hören es vielleicht nicht so gerne: aber viele Mitglieder leisten unstreitig eine wichtige gesellschaftliche Tätigkeit, beispielsweise in der Flüchtlingsarbeit. Es fragt sich aber, wie hoch der Anteil der Kirchensteuer an diesen Ausgaben tatsächlich ist. Da kommt nämlich sehr viel Geld über Sammlungen und Zuwendungen von Mitgliedern zusammen. Wenn der Ratsvorsitzende der EKD ein Schiff zur Seenotrettung losschickt, zahlt er Kosten nicht aus dem Steuertopf. Er räumt lieber den Spendenmarkt ab, was dann zu Lasten anderer Träger geht, die ohne staatliche Hilfe auskommen müssen. Manche müssen sogar um die Anerkennung als gemeinnützige Organisation kämpfen, was die Voraussetzung dafür ist, dass Zuwendungen steuerlich abzusetzen sind.

Wenig bekannt ist, dass rund zwei Drittel der Mittel für die Bezahlung von Pfarrern und Kirchenpersonal aufgewendet wird. Hinzu kommen weitere allgemeine Aufgaben. Für soziale Zwecke bleiben – nach eigenen Angaben der Kirchen – maximal 8 Prozent der Einnahmen aus Kirchensteuern übrig, vermutlich noch weniger. Es ist schon erstaunlich, wie intransparent die Zahlengrundlagen sind.

Die Kosten von kirchlichen Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern, Altenheimen etc. werden fast ausschließlich – zwischen 85 und 100 Prozent – aus öffentlichen Steuermitteln oder durch Beiträge, Krankenkassen oder direkt von Bund, Ländern und Gemeinden finanziert. Die Besorgnis, ein Wegfall der Kirchensteuer ginge zu Lasten der Schwächeren, überschätzt den Eigenanteil der Kirchen an den Kosten dieser Arbeit und vereinnahmt die Tätigkeit vieler Ehrenamtlicher für den eigenen Apparat.

Der stetig wachsende Vermögensbestand sowie die umfassende staatliche Finanzierung haben es den Kirchen ermöglicht, eine bedeutende wirtschaftliche Macht zu erlangen. Mit ihren insgesamt über 1,8 Millionen Beschäftigten sind die großen Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas mit ihren rund 1,3 Millionen Beschäftigten die größten Arbeitgeber nach dem Staat.

Der Missbrauch fiskalischer Zwangsmittel

Die Kirchensteuer wird von den Finanzämtern der Länder eingezogen und den Zahlungspflichtigen aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft auferlegt. Wer nicht zahlen will oder in Rückstand gerät, riskiert nach der Abgabenordnung Säumniszuschläge, Zwangsgelder, Geldstrafen und sogar Freiheitsstrafen. Wer nicht zahlt, ohne formell aus der Kirche ausgetreten zu sein, muss sogar nachzahlen und hat die volle Gewalt der staatlichen Abgabenordnung gegen sich. So haben beispielsweise Einsprüche gegen einen Steuerbescheid keine aufschiebende Wirkung für die Zahlungspflicht.

Ganz anders geht es zu bei den Mitgliedsbeiträgen für bürgerliche Vereine, Gewerkschaften oder Parteien. Zahlt dort ein Mitglied den Beitrag nicht, müssen die Vereine letztlich vor Gericht ziehen.

Kirchensteuer als Blaupause eines ungerechten Steuersystems

Gutverdienende Steuerpflichtige werden vom Staat darüber hinaus durch die volle Absetzbarkeit der Kirchensteuer als Sonderausgabe belohnt. So erleiden Bund und Länder Einnahmeverluste von rund 4 Milliarden Euro im Jahr – bezahlt auch von denen, die selbst keiner Kirche angehören.

Die Kirchensteuer gewährt Spitzenverdienern weiträumige "Gestaltungsmöglichkeiten". Das gilt sowohl für die Verrechnung der Kirchensteuer mit der Einkommenssteuer wie auch für deren beliebte "Kirchensteuer-Kappung" für Bezieher*innen hoher Einkommen: Normalerweise wird die Kirchensteuer aus einem bestimmten Prozentsatz der festgesetzten Einkommenssteuer (je nach Bundesland 8 bis 9 Prozent) ermittelt. Um zu verhindern, dass Vermögende die Kirchen verlassen, wird ihnen ein niedrigerer Kappungs(prozent)satz zugestanden. Die Steuer bleibt so konstant und steigt nicht mit der Steuerprogression an. Der Staat schweigt dazu und kassiert.

Die Religionszugehörigkeit geht Arbeitgeber nichts an

Der Staat verpflichtet außerdem Arbeitgeber*innen, die Kirchensteuer zu berechnen und abzuführen. Dazu müssen die Beschäftigten ihren Arbeitgeber*innen ihre Religionszugehörigkeit mitteilen. Diese Praxis steht trotz der festgeschriebenen Zweckbindung im Widerspruch zur Garantie des Artikels 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 136 Absatz 3 der Weimarer Verfassung. Danach ist niemand verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die datenschutzfeindliche Regelung beeinträchtigt die Rechte der Beschäftigten in nicht hinnehmbarer Weise und kann keinen Bestand haben.

Pauschale Abgeltung durch Banken beenden

Bei Vermögensgewinnen behält der Staat automatisch 25 Prozent Abgeltungssteuer ein. Christliche Anleger*innen können ihre Kirchensteuer darauf anrechnen. Die Einnahmen für die Kirchen betragen pro Jahr rund 750 Millionen Euro. Gleichzeitig zahlen die Kirchen selber aber keine Kapitalertragsteuern auf Vermögensgewinne, da sie nach Einkommenssteuergesetz davon befreit sind. Bei einem geschätzten Kapitalvermögen der Kirchen im dreistelligen Milliardenbereich und einer ein-prozentigen Verzinsung wären das mindestens 250 Millionen Euro pro Jahr. Dabei ist zu beachten, dass diese Wohltat auch von denen mitfinanziert wird, die keine Mitglieder der Kirchen sind.

Dieses Verfahren bei der Entrichtung der Kirchenkapitalertragsteuer hat öffentlich großen Unmut hervorgerufen. Vielen Zahlungspflichtigen wurde erstmals bewusst, dass auch hinter ihrem Rücken Informationen über ihre Religionszugehörigkeit bis zu ihren Banken gelangten.

Entkoppelung von Konfession und Meldepflicht überfällig

Die Koppelung eines Konfessionsmerkmals mit einer bürgerlichen Meldepflicht hängt eng mit dem Kirchensteuereinzug der Finanzämter zusammen. Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften erhalten bei Umzügen ohne Kenntnisnahme der Betroffenen jeweils Kontrollmitteilungen.

Diese Praxis ist ein schwerwiegender Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Menschen. Die Europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) schützt in Artikel 9 Absatz 1 aber gerade auch religiöse und weltanschauliche Überzeugungen als "besondere Kategorie(en) personenbezogener Daten".

Andere "Vereinszugehörigkeiten" oder die Mitgliedschaft in einer Partei oder Gewerkschaft werden aus guten Gründen auch nicht auf dem Standesamt gemeldet und beendet. Dass man für ein so sensibles, persönliches Thema wie die Konfessionszugehörigkeit einen Sperrvermerk setzen lassen kann und muss, reicht als Schutz nicht aus und ist nicht länger akzeptabel.

Neuer Anlauf zur Reform mit neuen Chancen

Die Chancen für eine breite gesellschaftliche Reformdebatte sind gut. Die rund 40 Prozent religionsfreier Bürgerinnen und Bürger und auch Angehöriger kleinerer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften erwarten vollen Respekt für ihre Entscheidung von Seiten des Staates. Sie verbitten sich die vielfältigen und zählebigen Benachteiligungen. Sie haben nicht weniger Anspruch auf Gehör als die Religionen.

Der Hinweis, die starke Lobby der Kirchen verhindere jede Reformdebatte, ist richtig und falsch zugleich. Deren Einfluss in der Politik ist zu Recht im hpd ein Dauerthema. Aber auch die Autolobby ist stark, trotzdem reden alle über das Ende des Verbrennungsmotors und eine neue Fahrradpolitik. Die Politik wird sich bewegen, wenn sich gesellschaftlich etwas bewegt – aber auch nur dann!

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