Im Vatikan beginnt der Prozess um einen riesigen Finanzskandal

Ein Ex-Kardinal auf der Anklagebank

Er gehörte zu den mächtigsten Männern im Vatikan, manche handelten ihn sogar schon als Nachfolger von Papst Franziskus. Doch ab dem morgigen Dienstag steht Ex-Kardinal Giovanni Angelo Becciu im Vatikan vor Gericht, zusammen mit neun anderen Personen und mehreren Unternehmen. Bei einem faulen Immobiliendeal sollen sie Kirchengelder in dreistelliger Millionenhöhe verbraten haben. Becciu muss sich wegen Veruntreuung und Amtsmissbrauchs verantworten, anderen Beteiligten wirft die Staatsanwaltschaft Unterschlagung, Geldwäsche, Korruption und Betrug vor.

Angelo Becciu (73) ist der erste Kardinal in der jahrhundertelangen Geschichte des Vatikans, der sich einer staatlichen Gerichtsbarkeit stellen muss. In früheren Fällen hatte man derlei diskret unter sich geregelt, der Beschuldigte brauchte sich lediglich gegenüber Amtskollegen oder dem Papst zu rechtfertigen. Diesmal jedoch gab Franziskus sein Okay zur staatlichen Ermittlung und setzte Becciu letzten Herbst von allen Ämtern ab, entzog ihm auch die Kardinalsrechte.

Als Substitut des Staatssekretariats war Becciu von 2011 bis 2018 der zweite Mann in der vatikanischen Verwaltung gewesen, entschied über Anlagen und Finanzen. Im Zuge der aktuellen Ermittlungen nahm Papst Franziskus der gesamten Behörde die Entscheidungsgewalt über Gelder und Immobilien und übertrug diese Aufgaben der Güterverwaltung APSA.

Vorausgegangen war eine kolossale Fehlinvestition, die die Staatsanwaltschaft Becciu zu Lasten legt. Dabei geht es um den Kauf einer Luxusimmobilie im Londoner Nobelviertel Chelsea, Preis: 350 Millionen Euro. Als Entscheider habe der Kardinal Geschäftspartnern vertraut, die klammheimlich in die eigene Tasche wirtschafteten – für den Vatikan ein herbes Verlustgeschäft, bezahlt durch Spendengelder von Gläubigen.

Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft habe es Becciu und seinen Mitarbeitern schlicht an Kompetenz zur Beurteilung von riskanten Investmentdeals gemangelt, trotzdem hätten sie bei Immobiliengeschäften ordentlich mitgemischt. Doch mit bloßer Naivität ist es nicht getan, wenn man der Anklageschrift glaubt. Darin wird Becciu zudem der Erpressung beschuldigt. Einem Untergebenen soll er befohlen haben, eine belastende Aussage gegenüber den Ermittlern zu widerrufen. In weiteren Anklagepunkten legt man ihm Amtsmissbrauch und die unrechtmäßige Bevorteilung des eigenen Bruders zu Last.

Steckt hinter dem Finanzskandal im Vatikan "nur" ein monströser Fall von Selbstüberschätzung naiver Kirchenmänner? Dass Angelo Becciu genau diese Verteidigungsstrategie fahren wird, gilt als wahrscheinlich. Vor Prozessauftakt zeigt der Ex-Kardinal jedenfalls keine Spur von "mea culpa". Durch seine Anwälte ließ er verlauten, er sei "Opfer einer organisierten Intrige" und der Prozess werde letztlich seine Unschuld beweisen.

Die 500 Seiten dicke Anklageschrift reicht indes erheblich weiter. Sie basiert auf umfangreichen Ermittlungen, unter anderem in den USA, Großbritannien und der Schweiz und schildern ein komplexes Korruptionsgeflecht. Illustre Namen werden genannt, von Bankern und Investmentmaklern, aber auch zwei Ex-Präsidenten der Vatikanischen Finanzaufsicht, René Brühlart und Tommaso di Ruzza.

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