Religiös-fundamentalistische Einstellungen werden häufig als ein wichtiger Erklärungsfaktor für extremistische Gewalt betrachtet. Empirische Belege sind aber rar. Um die Rolle gewaltlegitimierender Schriftverse zu untersuchen, haben die WZB-Forscher Ruud Koopmans und Eylem Kanol ein Umfrageexperiment unter gut 8.000 christlichen, muslimischen und jüdischen Befragten in sieben Ländern durchgeführt.
Um Anhänger zu mobilisieren und ihre Handlungen zu rechtfertigen, beziehen sich religiöse Extremisten oft auf Schriftverse, die Gewalt gegen vermeintliche Glaubensfeinde legitimieren. Ob diese eine echte motivierende und mobilisierende Kraft besitzen, ist umstritten. In einem Umfrageexperiment unter 8.000 christlichen, muslimischen und jüdischen Gläubigen in sieben Ländern in Europa, Nordamerika, dem Nahen Osten und Afrika haben wir untersucht, ob gewaltlegitimierende Schriftverse die Unterstützung für religiöse Gewalt tatsächlich steigern können. Die Ergebnisse zeigen, dass, wenn Personen mit ähnlichen gewaltlegitimierenden Zitaten aus der Bibel, Thora oder dem Koran konfrontiert werden, sie religiöse Gewalt signifikant stärker unterstützen. Die Zustimmung für religiöse Gewalt steigt am deutlichsten unter Personen mit einer fundamentalistisch geprägten Glaubensauffassung. Die Erkenntnis, dass gewaltverherrlichende Schriftstellen eine bedeutsame Rolle bei der Gewaltunterstützung zukommt, sollte zu einem Umdenken in der Deradikalisierungs- und Präventionsarbeit führen, in der religiöse Ursachen und Motivationen bisher unterbelichtet geblieben sind.
Einführung
Der 11. September 2001 war der Anfang einer Terrorwelle, wie die Welt sie bisher noch nie gesehen hatte. In den zwanzig Jahren seit den Anschlägen auf die Twin Towers und das Pentagon kamen bei weltweit über 90.000 Terroranschlägen mehr als 180.000 Zivilisten ums Leben. Die tödlichsten Terrorgruppen dieser Welle gehören zur Kategorie des islamistischen Extremismus, darunter Al-Qaida und der sogenannte Islamische Staat, die Taliban, Al Shabaab und Boko Haram. Angriffe von christlichen Extremisten, wie der ugandischen Lord's Resistance Army, forderten auch Opfer. Viele der tödlichen Terroranschläge in Westeuropa wurden ebenfalls im Namen der Religion verübt. Tausende von jungen Menschen sind außerdem aus Europa nach Syrien, in den Irak und in geringerer Zahl nach Afghanistan, Pakistan, Tschetschenien und Somalia gereist, um sich islamistischen Terrorgruppen anzuschließen.
Doch was ist genau religiös an religiös motivierter Gewalt? Diese scheinbar einfache Frage ist von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung wirksamer Gegenstrategien, aber die Antwort ist umstritten. Fest steht, dass religiöse Extremisten sagen, dass sie sich aus religiösen Quellen haben inspirieren lassen und dass sie bei ihren Versuchen, Anhänger zu mobilisieren, häufig aus religiösen Schriften zitieren. Der jüdische religiöse Extremist und Mörder des israelischen Premierministers Yitzhak Rabin, Yigal Amir, sagte zum Beispiel in seiner Prozesserklärung, dass er sich von der biblischen Geschichte von Jael inspirieren ließ, die den philistischen Kriegsherrn Sisera tötete (Peri 2000). Amerikanische christliche Extremisten, die Abtreibungskliniken oder FBI-Gebäude angriffen, beriefen sich häufig auf den Priester Phineas, der tötete, um unmoralische Handlungen zu verhindern (Pratt 2010). In der "Dschihad-Erklärung an die Amerikaner, die das Land der zwei heiligen Stätten besetzen", die im August 1996 von Al-Qaida veröffentlicht wurde, zitierte Osama Bin Laden zahlreiche Verse aus islamischen Schriften, darunter diese: "Und wenn die verbotenen Monate verflossen sind, dann tötet die Götzendiener, wo ihr sie trefft, und ergreift sie, und belagert sie, und lauert ihnen auf in jedem Hinterhalt" [Al Tawbah: 5].
Viele Wissenschaftler stehen der Vorstellung, dass religiöse Motivationen eine kausale Rolle bei der Erklärung religiöser Gewalt spielen können, skeptisch gegenüber. Vielmehr verweisen sie auf wirtschaftliche Missstände, politische Marginalisierung oder psychologische Traumata als herausragende Determinanten (siehe z.B. Gurr 2006, Mousseau 2011; Piazza 2011, Pargeter 2009, della Porta 2013, Speckhard und Ahkmedova 2006). Bisher sind vor allem Religionssoziologen eher bereit gewesen, religiöse Ideologien, insbesondere in ihrer fundamentalistischen Auslegung, als eine Hauptmotivationskraft zu betrachten (z.B. Bruce 2000). Diese Debatte ist mit Daten aus biografischen Interviews oder Bevölkerungsumfragen schwer zu lösen, da es schwierig ist, tatsächliche Motivationen von den nachträglichen Rechtfertigungen zu unterscheiden (Dawson 2019: 78). Experimentelle Studien sind besser geeignet, einen kausalen Zusammenhang zu belegen. So haben Bushman et al. (2007) gezeigt, dass Christen, die biblischen Darstellungen von Gewalt ausgesetzt sind, mit höherer Wahrscheinlichkeit aggressives Verhalten zeigen. Unsere Studie ist nach unserem Kenntnisstand die erste, die diese experimentelle Herangehensweise sowohl auf alle drei abrahamitischen Religionen als auch auf einer breiten internationalen Datengrundlage anwendet und somit belastbare Aussagen über den Einfluss von gewaltlegitimierenden Schriftversen auf die Unterstützung von Gewalt erlaubt. Außerdem fragen wir, ob Anhänger der drei monotheistischen Religionen ähnlich auf Gewaltaufrufe aus den heiligen Schriften reagieren, und ob sich deren Wirkung nach dem Glaubenswissen und der Glaubensauslegung der Befragten unterscheidet.
Der Idee folgend, dass Gewalt dem wahren Wesen der Religion widerspricht, wird öfter behauptet, dass Gewalttäter und -befürworter vor allem unter denjenigen zu finden sind, die weniger Kenntnisse über den Inhalt der heiligen Schriften haben (z. B. Wiktorowicz 2005; Neo et al. 2017). Empirische Belege zu dieser Frage sind selten, meist nicht-experimentell und unschlüssig. Fair, Goldstein und Hamza (2017) untersuchten die Rolle des Wissens über den Islam – gemessen anhand von Sachfragen zu religiösen Schriften und Lehren, die eindeutig zu beantworten sind – unter pakistanischen Muslimen und fanden heraus, dass mehr Wissen, wenn auch nicht sehr stark, mit einer geringeren Unterstützung für verschiedene islamistische militante Gruppen zusammenhing. Auf der Grundlage von Tiefeninterviews und Langzeitbeobachtungen von IS-Aktivisten zeigt Wood (2019) jedoch, dass diese häufig über detaillierte Kenntnisse des Korans und anderer religiöser Quellentexte verfügen, die sie zur Legitimation ihrer apokalyptischen Version des Islamismus nutzen. Indem wir die Rolle von religiösem Wissen über verschiedene religiöse Gruppen und Kontexte hinweg untersuchen, wollen wir belastbarere Evidenz zu der Frage liefern, ob Gläubige, die mehr über den Inhalt der Schriften wissen, eher mehr oder weniger von gewaltlegitimierenden Mobilisierungsversuchen beeinflusst werden.
Religiös-fundamentalistische Einstellungen werden häufig als ein wichtiger Erklärungsfaktor für extremistische Gewalt betrachtet, aber empirische Belege sind auch hier rar. Die bisherige Forschung hat sich hauptsächlich auf den christlichen Fundamentalismus konzentriert und festgestellt, dass dieser stark mit negativen Einstellungen gegenüber anderen Gruppen wie Homosexuellen (z.B. Laythe et al. 2002), Anhängern anderer Religionen (z.B. Glock & Stark 1966; Altermeyer 2003) oder ethnischen Minderheiten (z.B. Eisinga, König & Scheepers 1995) verbunden ist. Eine kleinere Anzahl von Studien hat diesen Zusammenhang auch unter Muslimen festgestellt (z.B. Hunsberger, Owusu & Duck 1999; Koopmans 2015). Zum Zusammenhang zwischen Fundamentalismus und Gewaltbefürwortung fehlen aber rigorose empirische Untersuchungen. Es scheint jedoch plausibel, dass die feindseligen Einstellungen gegenüber Anderslebenden und Andersgläubigen, die stark mit Fundamentalismus assoziiert sind, die Hemmschwelle zur Unterstützung von Gewalt gegen jene Menschen senken. Außerdem ist eines der definierenden Merkmale des Fundamentalismus der Glaube an die wörtliche Auslegung der Schrift (Altemeyer und Hunsberger 1992: 118). Wir erwarten daher, dass religiöse Fundamentalisten besonders anfällig für Mobilisierungsversuche sind, die biblische oder koranische Legitimationen für die Anwendung von Gewalt hervorheben.
Forschungsstrategie und -daten
Um die Rolle gewaltlegitimierender Schriftverse zu untersuchen, haben wir ein Umfrageexperiment unter gut 8.000 christlichen, muslimischen und jüdischen Befragten in sieben Ländern – den Vereinigten Staaten, Deutschland, Zypern, Libanon, Israel, Palästina und Kenia – durchgeführt. Die Religionszugehörigkeit der Befragten wurde anhand der Frage "Welcher Religion gehören Sie an?" ermittelt. Am Ende der Umfrage wurden die Befragten nach dem Zufallsprinzip einer Experimental- oder einer Kontrollbedingung zugewiesen. Die Befragten in der Experimentalgruppe wurden mit einem gewaltlegitimierenden Schriftzitat konfrontiert. Dieses Zitat basierte auf zwei ähnlichen Versen, die in der Bibel und dem Thora-Buch Deuteronomium (Vers 17: 2-5) und im Koran Sure 5, Al Mai'dah (Vers 33) zu finden sind. Das Zitat lautet folgendermaßen: "Laut dem [für christliche Befragte: Bibel Buch Deuteronomium / für jüdische Befragte: Thora Buch Deuteronomium / für muslimische Befragte: Koran, Sure 5, Al Ma'idah] sollten diejenigen, die in den Augen Gottes Unheil stiften und Böses tun, getötet werden". In der Kontrollgruppe wurden die Befragten nicht auf eine Schriftquelle hingewiesen. Sowohl in der Experimental- als in der Kontrollgruppe wurde dann gefragt: "Was denken Sie persönlich? Sollten Menschen, die in den Augen Gottes Unheil stiften und Böses tun, getötet werden?" Die Antwortmöglichkeiten reichten auf einer 5-Punkte-Likert-Skala von "stimme überhaupt nicht zu" bis "stimme voll zu". Durch den Vergleich der Ergebnisse in den Experimental- und Kontrollgruppen testen wir, ob der Verweis auf eine gewaltlegitimierende Schriftstelle die Unterstützung der Befragten für die Anwendung von religiöser Gewalt erhöht.
Das religiöse Wissen wird anhand der Anzahl der richtigen Antworten auf drei Multiple-Choice-Fragen zum Inhalt von Bibel, Thora und Koran gemessen, die eindeutige richtige Antworten haben. Eine davon, der Name des Sohnes, den Gott Abraham zu opfern aufforderte, war allen drei Religionen gemeinsam; die beiden anderen Fragen waren religionsspezifisch. Zum Beispiel fragten wir Christen, was an Pfingsten geschah, und Muslime, wo der Mi'raj (Mohammeds Aufstieg in den Himmel) stattfand. Religiösen Fundamentalismus messen wir anhand einer Skala, die sich aus acht bewährten Fragen zusammensetzt. Darunter sind Fragen über die wörtliche Auslegung der heiligen Schriften, die Überlegenheit des eigenen Glaubens und der Vorrang religiöser Vorschriften vor säkularen Gesetzen. Es ist wichtig zu beachten, dass die Anwendung von Gewalt als Mittel zur Erreichung religiöser Ziele weder in der Definition von Fundamentalismus noch in den Items, mit denen er gemessen wird, enthalten ist.
Ergebnisse
Da die Befragten rein zufällig in die Experimental- und Kontrollgruppen zugeteilt wurden, können wir den Effekt der Bloßstellung an eine gewaltlegitimierende Schriftstelle einfach durch die Differenz zwischen der Experimental- und der Kontrollgruppe messen. In Abbildung 1 wird der Prozentsatz der Befragten dargestellt, die der Aussage "diejenigen, die in den Augen Gottes Unheil stiften und Böses tun, sollten getötet werden" zustimmten oder vollständig zustimmten. Die Ergebnisse zeigen einen konsistenten und ziemlich starken Effekt des Hinweises auf Schriftzitate auf die Befürwortung von Gewalt. Im Durchschnitt über alle religiösen Gruppen und Länder hinweg unterstützten 18 Prozent der Befragten die Anwendung von Gewalt in der Kontrollgruppe, verglichen mit 30 Prozent in der Experimentalgruppe mit Schriftzitat. Die Abbildung zeigt auch wichtige Unterschiede zwischen den Religionen. Unter den Muslimen liegt die durchschnittliche Zustimmung ohne Schriftzitat bei 29 Prozent und sie steigt in der Experimentalgruppe stark auf 47 Prozent an. Bei Christen und Juden ist die durchschnittliche Zustimmung niedriger und liegt in der Kontrollgruppe bei neun bzw. drei Prozent. Für beide Gruppen ist die Unterstützung von Gewalt in der Experimentalgruppe wie bei den Muslimen höher, aber der Anstieg auf zwölf bzw. neun Prozent ist vergleichsweise gering.
Im nächsten Schritt richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Ergebnisse aus Deutschland (Abbildung 2). Im Vergleich mit allen christlichen und muslimischen Befragten in der Studie ist die Unterstützung für Gewalt gegen Feinde der Religion bei den in Deutschland lebenden Christen (2%) und Muslimen (5%) deutlich niedriger. Allerdings ist der Anstieg der Unterstützung für Gewalt in der muslimischen Experimentalgruppe erheblich stärker, bis auf 16 Prozent (Christen 3%).Wir stellen also fest, dass eine aus den Heiligen Schriften abgeleitete Legitimation für Gewalt gegen vermeintliche Glaubensfeinde eine effektive Strategie zur Mobilisierung von Unterstützung für religiöse Gewalt sein kann. Dies gilt für alle drei Religionen, aber zeigt sich am stärksten unter muslimischen Befragten.
Inwieweit ist dieser Effekt von Schriftquellen homogen über verschiedene Aspekte von Religiosität?
Feld A in Abbildung 3 zeigt das Ausmaß der Unterstützung für Gewalt in den Kontroll- und Experimentalgruppen, wenn wir diejenigen mit hohem und niedrigem religiösem Wissen gegenüberstellen. Es gibt deutlich unterschiedliche Muster für die drei religiösen Gruppen. Bei Juden ist religiöses Wissen mit einer geringeren Unterstützung von Gewalt assoziiert und bei Christen gibt es keinen signifikanten Unterschied zwischen denjenigen mit niedrigem und hohem Wissensstand. Muslime, die sich mit Islam besser auskennen, unterstützen jedoch signifikant häufiger die Anwendung von Gewalt. So findet sich die höchste Gewaltunterstützung bei Muslimen mit besseren religiösen Kenntnissen in der Experimentalgruppe (52%), die geringste Unterstützung bei Juden mit besseren religiösen Kenntnissen in der Kontrollgruppe (1%).
Feld B in Abbildung 3 vergleicht die Unterstützung für Gewalt zwischen fundamentalistischen und nicht-fundamentalistischen Gläubigen. Wir definieren Fundamentalisten als diejenigen, die der Mehrheit der Fundamentalismus-Items zustimmen. Nach dieser Definition können 32 Prozent der Christen, 49 Prozent der Muslime und 16 Prozent der Juden in unserer Stichprobe als Fundamentalisten bezeichnet werden. Die kenianischen Muslime haben den höchsten Anteil an Fundamentalisten (80%), die deutschen Christen (9%) den niedrigsten. In jedem Land weisen Muslime höhere Fundamentalismuswerte auf als Christen und/oder Juden, mit Ausnahme des Libanon, wo der Anteil der Fundamentalisten unter den Christen etwas höher ist.
Der Zusammenhang zwischen Fundamentalismus und Unterstützung von Gewalt ist stark und eindeutig. In allen drei Religionen ist die Unterstützung für Gewalt in der Kontrollgruppe mindestens doppelt so hoch unter fundamentalistischen Gläubigen. Der Effekt der Schriftzitate ist auch bei Fundamentalisten aller drei Glaubensrichtungen stärker. Fundamentalismus hängt also eindeutig mit der Befürwortung von Gewalt zusammen, und die Beziehung ist unter Muslimen am stärksten ausgeprägt. Fundamentalisten sind auch, wie wir erwartet haben, leichter durch Hinweise auf gewaltlegitimierende Zitate aus Schriftquellen zu beeinflussen.
Schlussfolgerungen
Warum verweisen religiöse Extremisten so häufig auf die Heiligen Schriften ihrer Religion? Unsere experimentellen Ergebnisse zeigen, auf der Basis einer sehr breiten Datengrundlage, dass dies eine wirksame Strategie ist, da solche Verweise sehr gut geeignet sind, um in der Gemeinschaft der Gläubigen Unterstützung für religiöse Gewalt zu mobilisieren. Diesen Effekt finden wir unter Juden, Christen und Muslimen, aber ist unter Letzteren besonders stark ausgeprägt.
Warum ist dies der Fall? Ein wichtiger Teil der Antwort ist, dass es eine starke Verbindung zwischen religiösem Fundamentalismus und Gewaltunterstützung gibt. Die stärkere Verbreitung fundamentalistischer Glaubensauffassungen unter Muslimen ist deshalb eine wichtige Erklärung für die durchschnittlich höhere Unterstützung religiöser Gewalt unter Muslimen und ihre größere Anfälligkeit für Gewaltaufrufe, die sich auf Schriftquellen beziehen. Im Vergleich zum Fundamentalismus ist die Rolle von religiösem Wissen geringer und nicht einheitlich über die drei Religionen. Für Muslime gilt, dass diejenigen, die bessere Korankenntnisse aufweisen, eher geneigt sind religiöse Gewalt zu unterstützen und diese Unterstützung stärker steigern, wenn sie mit entsprechenden Koranversen konfrontiert werden.
Man könnte argumentieren, dass die Zustimmung zur Gewalt, nachdem man einem Schriftzitat ausgesetzt war, nicht eine tatsächliche Gewaltbefürwortung reflektiert, sondern eher den Wunsch, als guter Muslim, Christ oder Jude zu erscheinen. Dies würde jedoch nicht die Unterschiede zwischen den Religionen erklären, denn wir müssen davon ausgehen, dass auch Christen und Juden als gute Gläubige wahrgenommen werden möchten. Was unser Experiment zeigt, ist, dass nur bestimmte Gläubige durch Schriftverweise dazu gebracht werden können, Gewalt stärker zu befürworten, während andere sich kaum oder gar nicht von Hinweisen auf gewaltlegitimierende Schriftstellen beeinflussen lassen. Auch wenn der Wunsch, als "guter" Gläubiger aufzutreten, eine Rolle spielen könnte, unterscheiden sich die Anhänger der drei Religionen dann offenbar recht stark in der Frage, welche Position ein guter Gläubiger einnehmen sollte und ob diese Position von dem wortwörtlichen Inhalt der Heiligen Schriften abweichen kann oder nicht.
Wir glauben nicht, dass die Tatsache, dass unsere Ergebnisse bei Muslimen am stärksten ausgeprägt sind, mit intrinsischen Merkmalen des Islams oder des Korans zusammenhängt. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Gläubigen der drei Religionen besteht jedoch darin, inwieweit sie in jüngster Zeit einer fundamentalistischen und extremistischen kognitiven Mobilisierung ausgesetzt gewesen sind, die die Idee einer wortgetreuen Schriftauslegung propagiert und die Bedeutung derjenigen Teile der Schriften, die Gewalt legitimieren, selektiv erhöht hat. Seit den 1970er Jahren sind islamisch-fundamentalistische Bewegungen und Regime in der gesamten islamischen Welt auf dem Vormarsch. Dies liefert einen plausiblen Grund, warum Muslime in der aktuellen Situation eher geneigt sind, Gewalt in der Kontrollgruppe zu unterstützen (was den kumulativen Effekt vergangener Mobilisierung durch religiöse Extremisten widerspiegelt) und auch leichter durch Verweise auf gewaltlegitimierende Schriftzitate zu überzeugen sind.
Diese Erkenntnisse haben wichtige Konsequenzen für die Politik und die Deradikalisierungs- und Präventionsarbeit. Extremistische religiöse Bewegungen können nicht wirksam bekämpft werden, wenn ihre religiösen Wurzeln und die motivierende Kraft gewaltlegitimierender Schriftquellen nicht ernst genommen werden. Die Scheu, sich mit dem Religiösen im religiösen Extremismus auseinanderzusetzen, lenkt von der Notwendigkeit ab, auch religiöse Antworten auf das Phänomen zu finden. Ein pro-aktiver, öffentlich mobilisierter Gegendiskurs gegen fundamentalistische Glaubensinterpretationen ist dringend notwendig, um die Mobilisierungskraft religiöser Extremisten wirksam zu brechen. Dies wird nur gelingen, wenn Moscheen und Imame buchstabengetreuen Schriftverständnissen explizit entgegentreten und sich für historisch-interpretative Auslegungen stark machen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Vermittlung von Wissen über religiöse Inhalte keine wirksame Strategie gegen Gewalt und Intoleranz ist, solange sie nicht mit einer Zurückweisung fundamentalistischer Interpretationen dieser Inhalte einher geht.
Literatur
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Autoren/-innen: Ruud Koopmans, Eylem Kanol für bpb.de.
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18 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Wie sagte schon Steven Weinberg so treffend: "Mit oder ohne Religion würden gute Menschen Gutes tun und böse Menschen Böses. Aber damit gute Menschen Böses tun, bedarf es der Religion."
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Religion ist nicht deswegen schädlich, weil sie ein so furchtbares Menschenbild zeigt, sondern weil sie ein scheinbar menschenfreundliches Bild erzeugt, das jedoch nur auf die Ingroup angewandt wird, während alle anderen Dreck sind. Salbungsvolle, wohlklingende Worte, die das eigene (durch Erziehung verminderte) Ego kitzeln, verpacken geschickt Unterdrückungs- und Mordaufrufe. In allen abrahamitischen Religionen.
Daher sollte gezielter bei der Ermittlung von Tatmotiven auf die Beantwortung dieser Frage hingearbeitet werden und auch entsprechend (bei gesicherter Erkenntnis) der Öffentlichkeit kommuniziert werden: War die Tat religiös motiviert?
Der bedingungslose Schutz von Gruppen, weil man sie für Opfer hält, führt nur zu einem Aufflammen des Rechtsnationalismus. Er führt zu Verschwörungsmythen und gesellschaftlicher Spaltung. Wir müssen den Fakten in die Augen schauen und dann mit moderaten Glaubensvertretern (wie Seyran Ates oder Mouhanad Khorchide) nach Wegen aus der aktuellen Krise suchen.
Wenn Europa diesen Reformern den Rücken stärkt, durch Anerkennung und entsprechender Zurückweisung aller radikalen und fundamentalistischen Gruppierungen, vor allem solcher, die aus dem islamischen Ausland finanziert werden, dann mag dies eine Signalwirkung entfalten: Gläubige der Welt, versammelt euch unter dem Dach der moderaten, liberalen Reformatoren. Diese sind die einzige Chance auf ein friedliches Miteinander in einer bunten Gesellschaft, die immer globaler und immer vernetzter wird. Religion MUSS Privatsache werden und sich Menschenrechten und freiheitlichen Verfassungen unterordnen...
A.S. am Permanenter Link
"Religion MUSS Privatsache werden und sich Menschenrechten und freiheitlichen Verfassungen unterordnen..." - Das ist ein naiver Wunsch, Herr Kammermeier.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Mit meinem MUSS verbinde ich keinen Wunsch, sondern eine Forderung. Der Anspruch der Religion ist klar, aber für mich sind die Verfassung und die Staatsführung maßgeblich.
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Natürlich werden Fundamentalisten dann Zeter und Mordio schreien, aber sollen sie. Unser aktuelles Problem besteht darin, dass Religion von der Politik als etwas Unberührbares aufgefasst wird. Gerade die woke Bewegung tut da ihr Übriges dazu, indem sie Kritik an menschenverachtenden Praktiken einiger Religionen als unzulässige Einmischung deklariert.
D.h. wir sollten die politischen Parteien wählen, die den Religionen am kritischsten gegenüberstehen. Das ist heute schwer geworden, weil die SPD ihren säkularen Pfad offenbar verlassen hat wie das aktuelle Beispiel des zurückgezogenen Wahlwerbespot zeigt.
Die GRÜNEN sind da keinen Deut besser, eher sogar schlimmer und CDU/CSU sowieso. Die FDP hat gewisse Ansätze, Religion zu Privatisieren (ersatzlose Ablöse der Staatsleistungen), verfolgt aber einen neoliberalen Wirtschaftskurs. Die Partei der Humanisten wäre der geeignetste Kandidat, aber die kommen im öffentlichen Diskurs leider nicht vor.
Erst, wenn wir eine religionskritische Regierung haben, kann das Projekt der Privatisierung von Religion gelingen. Das wird zu scharfen Kontroversen führen (die die großen Parteien momentan offenbar scheuen), aber da müssen wir als Gesellschaft durch, wenn wir erwachsen werden wollen...
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Die Talibans sind längst unter uns
Dieser Beitrag von Koopmans und Eylem Kanol sowie der von Lale Akgün, letzterer macht es noch deutlicher, besagen: Wir haben die Ideologie der Taliban längst auch in unserem Land. Der sog. politische Islam, die eigentlich tonangebende Variante des Islam, hat sich längst auch bei uns festgesetzt.
Wir sollten uns also nicht der Illusion hingeben, dass Afghanistan weit, weit weg von uns ist. Was den Wenigsten von uns bewusst ist und auch die meisten verantwortlichen Politiker nicht wahrhaben wollen, ist die Tatsache, dass der sog. politische Islam bereits viele gesellschaftliche Positionen bei uns erobert hat. Und da er der »natürliche Freund« der Kirchen ist, hat er starke Verbündete in Deutschland.
Zur Zeit wird die Ahnungslosigkeit unserer regierenden Politiker in Bezug auf Afghanistan kritisiert – zu Recht. Was aber offenbar von diesen Politikern auch nicht gesehen wird, ist die gefährliche Rolle des politischen Islam in Deutschland und Europa.
Minister Seehofer ist eine der größten Stützen des politischen Islam. Auf der sog. Deutschen Islamkonferenz arbeitet er fast ausschließlich mit deren Vertretern zusammen: DITIB, Zentralrat der Muslime, Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, Islamische Gemeinschaft Milli Görüs und einigen weiteren. Im Hintergrund mischen die vom Verfassungsschutz beobachteten und als gefährlich eingeschätzten Grauen Wölfe und die Muslimbrüder mit. Alles das weiß Seehofer, er ignoriert das trotz immer wieder erfolgter Aufklärung durch Kenner der Materie! Zu nennen wären hier zum Beispiel Ahmad Mansour oder Hamed Abdel-Samad. Die wenigen Vertreter eines liberalen, aufgeklärten Islam auf der Islam-Konferenz werden ignoriert oder gar verhöhnt.
Seehofer gehört zusammen mit den Kirchen zu jenen politischen Kirchenvertretern, die wie der tonangebende politische Islam massiven Einfluss auf die Gestaltung der Gesellschaft ausüben will. Dazu gehören zum Beispiel: Das Verhindern bzw. das Erschweren der Schwangerschafts-unterbrechung, der Präimplantationsdiagnostik, der Sterbehilfe, der Embryonenforschung - alles Themen, die sie bekämpfen, weil eben auch die Kirchen immer noch einen religiös formierten Staat anstreben.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen Text von mir verweisen:
»Der politische Islam ist mit einer offenen und liberalen Gesellschaft nicht vereinbar – Ein Essay zur Bedrohung unserer Kultur«. Der Text ist vor kurzem auf den (deutschsprachigen) Seiten der Richard-Dawkins-Foundation erschienen unter dem Titel »Der politische Islam und die liberale Gesellschaft«.
Hier ist der Link:
https://de.richarddawkins.net/articles/der-politische-islam-und-die-liberale-gesellschaft-1-3
Der politische Islam und die liberale Gesellschaft (1/3) - Richard Dawkins Foundation
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Dieser Artikel, beziehungsweise dieses Umfrageexperiment hat genau meine, seit vielen Jahren vorhandene Sicht auf die 3 monotheistischen Religionen gefestigt.
muslimischer Religion.
Die drei monotheistischen Religionen haben alle in ihren Schriften Gewaltpotential und sind mit den grundlegendsten Menschenrechten nicht vereinbar.
Dieser Umstand, dass Religionen an ihren Mittelalterlichen Strukturen festhalten, unter dem Deckmantel der Tradition, dient einzig deren Machterhalt und Reichtum.
Das schlimmste an der Geschichte ist, dass dadurch ein weltweites Leben in Frieden und Freiheit permanent verhindert wird, ebenso wie ein kultureller Fortschritt der Menschheit
insgesamt.
David Z am Permanenter Link
Das dumme ist nur, dass sich Ihre Sicht nicht mit der Umfrage begründen lässt, wenn diese doch eindeutig feststellt, dass eine Religion klar aus dem Rahmen fällt.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
werter David Z, alles Gut, Sie wissen eh alles besser und haben den absoluten Überblick über die Wahrheit.
A.S. am Permanenter Link
"Der Idee folgend, dass Gewalt dem wahren Wesen der Religion widerspricht, wird öfter behauptet, dass Gewalttäter und -befürworter vor allem unter denjenigen zu finden sind, die weniger Kenntnisse über den Inhalt
Diese Behauptung, von den Priestern(!) verbreitet, wäre dringend zu überprüfen.
Nach meiner Geschichtskenntnis (unprofessionell) ist eher das Gegenteil zutreffend.
Große Verbrechen bedürfen einer starken, künstlichen Legitimation: Gott bzw. dessen angeblicher Wille erfüllen genau diesen Zweck.
Es sind die Kirchen, die uns seit 1945(!) erzählen, Religion diene dem Frieden. Zuvor haben die Kirchen noch Hitlers Krieg gegen die "gottlosen Bolschewiken" unterstützt.
Über die Jahrhunderte galt auch im Christentum der "Krieg für Gott und Kirche" als "gottgefällig".
Meine Meinung ist: Wenn religiöse Führer behaupten, Religion diene dem Frieden, dann ist das glatt gelogen.
Detlev F. Neufert am Permanenter Link
Eine Frage: Wurde bei dieser Befragung die gesamte Bibel als Ausgangspunkt zugrunde gelegt? Christen sind dem Neuen Testament verpflichtet, nicht dem Alten Testament.
Leif M. am Permanenter Link
Siehe dazu den Artikel: "Die Bibel, die Jesus las -- Wie Jesus das Alte Testament bestätigt" mit zahlreichen Verweisen. (https://docplayer.org/175897947-Wie-jesus-das-alte-testament-bestaetigt.html)
Matthäus 5,17: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz oder die Propheten außer Kraft zu setzen. Ich bin nicht gekommen, um außer Kraft zu setzen, sondern um zu erfüllen (oder: die Fülle zu geben)!
„Denn ich sage euch: Solange Himmel und Erde nicht vergehen, wird auch kein einziger Buchstabe und nicht ein einziges Strichlein vom Gesetz vergehen; alles muss sich erfüllen. Wer darum eines dieser Gebote – und wäre es das geringste – für ungültig erklärt und die Menschen in diesem Sinn lehrt, der gilt im Himmelreich als der Geringste. Wer aber danach handelt und entsprechend lehrt, der gilt viel im Himmelreich.“ (Mt 5,18-19; NGÜ)
Der Autor kommt zu dem Fazit: "Jesu Verständnis des ATs kann und sollte weiterhin auch das Verständnis der Christen sein! Wer das AT ausklammert, der sägt an seinen eigenen Glaubenswurzeln."
Wolfgang von Sulecki am Permanenter Link
Danke für diese Darstellung der Tatsache der Verstärkung exzessiver Gewalt sofern die 'richtige' Strategie zur Aufstachelung benutzt wird.
Gibt es von den Teilnehmenden in den Untersuchungen Daten hinsichtlich des jeweiligen Bildungsstandes? Gemeinhin herrscht m.W. die Auffassung Gewaltbereitschaft sei mit niedrigem IQ korreliert. Zweifellos wäre eine solche Feststellung nützlich um zwischen Anstieg aus der hier untersuchten Exposition mit einschlägigen Schriften und/oder Gründen mangenden Intellekts zu unterscheiden.
David Z am Permanenter Link
Interessante Analyse. Aber sie hört an der entscheidenden Stelle auf, plausibel zu sein:
"Wir glauben nicht, dass die Tatsache, dass unsere Ergebnisse bei Muslimen am stärksten ausgeprägt sind, mit intrinsischen Merkmalen des Islams oder des Korans zusammenhängt."
Diese Aussage ist nicht nachzuvollziehen, wenn später empfohlen wird, doch bitte den Islam zu historisieren. Das erscheint mir doch ziemlich naiv.
Ein intrinsisches Merkmal des Islam ist, dass er den Koran als das letzte und unverfälschte Wort Gottes definiert. Der Fundamentalismus ist folglich bereits intrinsisch angelegt. Allein der chauvinistische Gedanke, das letzte Wort Gottes zu "vertreten" ist doch schon klar ein spezifischer Trigger für Gewalt.
Ebenfalls intrinsisch ist die Absolutsetzung der sakro sankten Stellung des Propheten, eines Menschen aus dem Frühmittelalter, der dadurch mit seinen archaischen Ideen und Vorgaben nur schwerlich relativiert werden kann, insbesondere wenn man ihn gleichzeitig als allzeit gültiges Vorbild verehrt, ebenfalls intrinsisch.
Und zu guter letzt besteht Koran/Sunna aufgrund der Rolle Mohameds als Sektenführer, Politiker und "Staatsoberhaupt" zum grossen Teil intrinsisch aus Anweisungen und Vorgaben für das tägliche Dasein der Anhängerschaft. Und diese Vorgaben strotzen leider vor Intoleranz und Gewalt.
All das haben andere Religionen nicht bzw nicht in gleichem Umfang.
Es liegt also sehr viel näher anzunehmen, dass die jeweiligen Ideen durchaus eine elementare Rolle spielen. Eine wie auch immer geartete Indoktrinierung als Erklärung anzuführen, wird der Sache nicht gerecht.
Ideen haben Konsequenzen:
Muslimischen/Jüdischen Kindern werden die Vorhäute nicht nur von Fundamentalisten abgeschnitten. Oder noch klarer anders herum: je fundamentalistischer ein Jainist seine Religion lebt, desto ungefährlicher - weil gewaltloser - ist er für seine Umwelt.
Kurzum: Das Problem ist nicht der muslimischer Fundamentalismus, sondern die Fundamente des Islam.
A.S. am Permanenter Link
Lieber David Z, haben Sie schon mal darüber nachgedacht, ob Religion uns nicht "indoktriniert" wird?
David Z am Permanenter Link
Dem würde ich zustimmen. Jede Ideologie, die Kindern verinnerlicht wird, stellt mMn eine Indoktrination dar.
Ich sehe allerdings nicht den Zusammenhang zum o.g. Thema. Ideologien wie auch Religionen sind nicht alle gleich. Somit sind auch die Konsequenzen der Indoktrination nicht alle gleich. Das Ergebnis der Studie scheint das eindrucksvoll zu bestätigen.
Johannes Reiter am Permanenter Link
Lieber David Z.,
als Religionskritiker müssten sich für Sie zwei Dinge verbieten: Erstens, die Essentialisierung des Islam ("der Islam") und zweitens seine Personifizierung. Der Islam definiert und vertritt nichts, er ist keine Person, sondern in der islamischen Theologie werden bestimmte Ideen vertreten, die Sie referieren. Die Menschen handeln - nicht die Religionen.
Theologische Ideen sind nie unumstritten; und ob diese Ideen überhaupt der großen Mehrheit der Gläubigen geläufig sind, darf spätestens nach der vorliegenden Studie sehr bezweifelt werden. Sie können daher als Erklärung auch nicht voll befriedigen.
Begründen zu wollen, warum Jesus, David oder Mose geeignetere Vorbilder für einen Menschen des 21. Jahrhunderts sein sollen, als etwa Mohammed, wird unweigerlich in Willkür ausarten. Sie alle sind in den wesentlichen Punkten geeint: Theokratisches Denken, Ausgrenzung Andersdenkender, mehr oder weniger deutliche Gewaltfantasien gegen Kritiker.
Wenn das Christentum so signifikant weniger Gewaltpotenzial einbringen soll, wie Sie behaupten, hätte es Inquisition. Kolonialismus und Holocaust nie geben dürfen, die ja wohl gerade von gebildeten Christen getragen wurden. Um das zu erklären, würden vermutlich auch Sie auf die Historisierung zurückgreifen, die Sie für Muslime nicht gelten lassen wollen.
Überhaupt: Die angeblichen "intrinsischen Merkmale" des Islam, von denen Sie sprechen, werfen die Frage auf, wie es denn kommt, dass unter Christen und Juden ein immer noch so ernüchternd hoher Zustimmungswert für Gewalt besteht. Historisch betrachtet war er, wie Sie wissen, noch sehr viel höher - insgesamt steht die Gewaltgeschichte des Christentums der des Islam um nichts nach.
Hat das Christentum also nur weniger oder nur weniger drastische Trigger zu bieten? Sie haben allein in den letzten 30 Jahren für mehrere Genozide ausgereicht (Libanon, Ruanda, Uganda, Bosnien). Auf allen Kontinenten gibt es christliche Militanz.
Die Studie belegt sogar einen so hohen Anteil an Fundamentalisten unter Christen und Juden, dass sich durchaus nicht absehen lässt, was von diesen in näherer Zukunft vielleicht noch zu befürchten ist.
Und schließlich lassen auch Sie unerklärt, warum ein bedeutender Anteil der gebildeten und auch der fundamentalistischen Muslime Gewalt nicht gutheißt. Kenntnis der Fundamente des Islam und Ablehnung von Gewalt müssen sich nicht ausschließen und sind offenbar auch keine Randerscheinungen. Soviel hat die Studie klar gezeigt.
Ihre Diagnose, dass "die Fundamente des Islam" problematischer seien als die von Christentum oder Judentum, ist insofern sehr aus der unmittelbaren Gegenwart gegriffen und muss an der Willkür scheitern, auf der sie gebaut ist.
Die Studie liefert keine wirklichen Indizien dafür, dass die Gewaltbereitschaft unter Muslimen gerade deshalb so hoch ist, weil es im Islam bestimmte Ideen gäbe, die in den anderen Religionen kein gleichwertiges Gegenstück hätten. Eher wäre zu fragen, warum diejenigen Trigger, die es gibt, sich gerade seit einigen Jahrzehnten so dramatisch auswirken.
Die Autoren der Studie tragen dem Rechnung, da Sie wissen, dass die Welle des islamistischen Terrors einen historischen Anfang hat. Sie muss also historisiert werden.
SG aus E am Permanenter Link
...
Von einem anderen Vers dieser Sure nehmen wir indessen kaum Kenntnis, obwohl er (indirekt) für die europäische Aufklärung prägend wurde: „Und wenn Allah wollte, hätte er euch wahrlich zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Aber (es ist so,) damit er euch in dem, was er euch gegeben hat, prüfe. So wetteifert nach den guten Dingen!“ (5,48), ist der Grundstein auch für Lessings Version der Ringparabel.
Und dass der Koran auch Gewaltlosigkeit predigen könnte, liegt wahrscheinlich außerhalb jeder mitteleuropäisch-aufgeklärten Vorstellungskraft: „Wenn du deine Hand nach mir ausstreckst, um mich zu töten, so werde ich meine Hand nicht nach dir ausstrecken, um dich zu töten“, sagt der andere der beiden Söhne Adams (5,28).
Nach welchen Kriterien Fundamentalisten sich ihre Lieblingsverse heraussuchen, war mir allerdings schon immer ein Rätsel ...
David Z am Permanenter Link
"Nach welchen Kriterien Fundamentalisten sich ihre Lieblingsverse heraussuchen, war mir allerdings schon immer ein Rätsel ..."
Da ist nichts rätselhaftes dabei, wenn man sich vor Augen hält, dass der Islam bzw der Koran (wie jede Religion) menschengemachtes Werk ist, erschaffen von einer Person aus dem Frühmittelalter, die als Sektenguru, Politiker und warlord lebte und dieser Mensch mit "seinem" Islam eine Gemeinschaft nach seinen (Macht-)Interessen und Notwendigkeiten strukturierte.
Was Drohnenangriffe hier im Kontext der Religionsanalyse zu suchen haben, wird aus Ihrem Beitrag leider nicht ersichtlich. Und dass "gute Dinge" eine höchst subjektive Beschreibung darstellt, dürfte offensichtlich sein. Im Kontext der islamischen Theologie fällt unter diesen Begriff zB auch der Dschihad.
David Z am Permanenter Link
Lieber Johannes,
das sehe ich anders.
Grade als Religionskritiker sollten Sie wissen, dass Religionen unterschiedlich sind, sowohl in ihrer theologischen Aufstellung, ihren Ideen und ihren Konsequenzen in der Realität, und man sie daher nicht einfach fröhlich gleichschalten kann. Macht man dies, simplifiziert man fahrlässig: Das wäre in etwa so, als ob man die Unterschiedlichkeit bei Verbrechen leugnen würde: Jeder Diebstahl, jeder Mord ist gleich - egal ob Bankraub vs Zigarettenschachtel oder Raubmord vs Affektmord. Nein, eine solche Sichtweise wird weder der Sache gerecht, noch verhilft es zu einer realistischen Betrachtung und Bewertung. Ich kann Ihren Einwand daher nur zurückweisen.
Auch zurückweisen muss ich Ihren Gedanken, dass der Islam "nichts definiert und vertritt". Wie jede Religion, so wie auch jede Ideologie, definiert und vertritt er bestimmte Ideen und Grundsätze. Zu glauben, diese seien alle völlig willkürlich, erscheint mir doch ziemlich naiv und weltfremd. Ja, es sind Menschen, die handeln. Aber doch nicht völlig losgelöst von den jeweiligen Ideenkonstrukten.
Sie haben völlig Recht, wenn Sie erwähnen, dass theologische Ideen nie unumstritten sind. Aber es gibt hier durchaus klar erkennbare Unterschiede: Es gibt Ideen, die erlauben eine andere Sichtweise und es gibt Ideen, die erlauben dies nicht, sofern man sich im Kontext des jeweiligen Theologiekonzepts nicht der intellektuellen Unredlichkeit preisgeben will. Banales Beispiel: "und dann schlagt sie [eure Frauen]" mit "und dann streichelt sie" umzudeuten ist doch offensichtlich mehr als fragwürdig. Dass ausschließlich theologische Ideen in der Gleichung stehen, habe ich nie behauptet. Sie sind neben den gefährlichen intrinsischen Eigenschaften einer jeden Religion/Ideologie, wie zB inner/outer group thinking, Kollektivismus, Wahrheits-Chauvinismus etc, aber ein wichtiger Teil, ohne den die Erklärung der Studie einfach nicht aufgeht.
Daher kann ich auch nicht ihre Undifferenziertheit bei den "Propheten" nachvollziehen. Sie sind eben nicht "in allen wesentlichen Punkten geeint". Ganz und gar nicht. Beispiel: Die Gläubigen der einen Religion hacken Dieben Hände und Füsse ab, weil es ihr Prophet so vorgemacht und vorgeschrieben hat, während die Gläubigen anderer Religionen dies nicht machen. Spezifische Ideen haben spezifische Konsequenzen, wie man hier unschwer erkennen kann.
Inquisition, Kolonialisierung, Holocaust, Ruanda oder "christliche Milizen" haben wenig bis gar nichts mit den Ideen des Christentums oder gar ihres "Propheten" zu tun. Und selbst wenn, dürfen wir feststellen, dass diese Probleme in der Gegenwart keine Rolle mehr spielen. Offensichtlich hat es diese Religion geschafft, sich innerhalb ihrer Theologie, mit der Moderne mehr oder weniger zu arrangieren. Der Islam hat dies in 1400 Jahren hingegen nicht geschafft (trotz diverser Versuche!), was zu der Erkenntnis führt, dass es hier offensichtlich Hindernisse gibt: Und diese Hindernisse sind nicht in den sozialen Problemen der Gegenwart sondern in der Theologie und den ihr eigenen Ideen zu finden.
"Und schließlich lassen auch Sie unerklärt, warum ein bedeutender Anteil der gebildeten und auch der fundamentalistischen Muslime Gewalt nicht gutheißt. ..."
Das kommt eindeutig auf die Art der Gewalt an und ist in der von Ihnen beschrieben Pauschalität so nicht korrekt.
"Ihre Diagnose, dass "die Fundamente des Islam" problematischer seien als die von Christentum oder Judentum, ist insofern sehr aus der unmittelbaren Gegenwart gegriffen und muss an der Willkür scheitern, auf der sie gebaut ist."
Nein. Sie berücksichtig den gesamten historischen Rahmen. Grade dieser ist es, der die Unterschiede aufzeigt. Und selbst wenn sie sich nur auf die Gegenwart bezöge, stellten wir doch offensichtliche Unterschiede fest. Willkür liegt in der Behauptung, die Handlungen von Gläubigen seien völlig willkürlich und von ihrer religiösen Ideologie losgelöst.
"Die Studie liefert keine ... Eher wäre zu fragen, warum diejenigen Trigger, die es gibt, sich gerade seit einigen Jahrzehnten so dramatisch auswirken."
Sie erkennen also durchaus an, dass es in dieser Religion spezifische Trigger gibt, die sich dramatisch auswirken können. Quod erat demonstrandum.
Kurzum: Ja, richtig: diese Religion müsste historisiert werden. Aber dies gestaltet sich offensichtlich schwer bis unmöglich, weil sie sich mit ihren spezifischen Ideen selbst im Weg steht.