Islamische Verbände: Das verräterische Schweigen zur Taliban-Herrschaft in Afghanistan

Nichts zu hören ist von den reaktionären islamischen Verbänden in Deutschland zur Machtübernahme der Taliban und zur Situation der Menschen in Afghanistan. Erstaunlich, weil sie doch sonst schnellstens mit der Erklärung hausieren gehen: "Das hat nichts mit dem Islam zu tun." Nicht einmal das kommt. Gibt es seitens der Verbände und der von ihnen vertretenen Muslim*innen keine Meinung zu diesem Thema, keine Kritik? Schweigen die Verbandsspitzen gegen den Willen der Mitglieder oder zeigt sich hier ein Abgrund von weit verbreitetem "Steinzeitislam" auch in Deutschland bei den von den Verbänden vertretenen Muslim*innen?

Von der Deutschlandvertretung der türkischen Relgionsbehörde Ditib gibt es ebenso wenig eine Äußerung wie vom Zentralrat der Muslime (ZdM). Der Vorsitzende des ZdM, Ayman Mazyek, hat zwar persönlich einige Worte des Bedauerns zu der afghanischen Entwicklung gefunden, spricht von einem "Desaster" und davon, dass die meisten Muslime keinen Steinzeitislam wollten, auch die Afghanen nicht. Warum aber schweigt der ZdM als Organisation? Hier wiederholt sich ein weiteres Mal: Mazyek, das mediale Aushängeschild des ZdM,  findet wohlfeile Worte für die deutsche Mehrheitsgesellschaft, die von ihm repräsentierten Verbände schweigen jedoch beharrlich und unterstützen eben nicht die Aussagen ihres Vorsitzenden. Haben die Äußerungen von Mazyek überhaupt eine politische Bedeutung? Es sieht nicht danach aus.

Wo bleibt der Aufschrei der Muslim*innen?

Einzig Millî Görüş hat sich doch noch geäußert, aber keineswegs zum Schicksal der Menschen in Afghanistan, sondern ausschließlich mit einer Kritik an der Bundesregierung wegen des Abzug-Desasters. Kritik an den totalitären Taliban? Fehlanzeige. Kein Wort des Bedauerns, der Solidarität zu den unter die Knute der Taliban geratenen Muslim*innen in Afghanistan, kein Wort zu Menschenrechten, insbesondere Frauenrechten. Lediglich der Generalsekretär fand noch einige dürre Worte zum Schicksal der Menschen in Afghanistan. Eine offizielle Erklärung der Organisation steht aber aus. 

Prof. Mouhanad Khorchide (Münster) spricht davon, dass für Taliban die Scharia die einzig gültige Gesellschaftsordnung ist – der einzigen Gesellschaftsordnung, die Gottes Willen entspreche. Diese zwingen sie in diesen Tagen mit Gewalt, mit militärischen Mitteln und mit Terror der muslimischen Bevölkerung auf.

Der Aufbau eines "Gottesstaates" steht an. Da ist, wie die Taliban selbst erklären, kein Raum für Demokratie. Eine Trennung von Moschee und Staat gibt es für die Taliban nicht, Säkularität hat für sie keine Bedeutung und wird massiv bekämpft.

Angesichts des Schweigens der Verbände fragt der Professor für islamische Philosophie Ahmad Milad Karimi (Münster) nach dem ausgebliebenen Aufschrei der Muslime und schreibt:

"Der Islam hat für die Taliban jedoch keinen eigenen Zweck als Religion, die zum Beispiel zur moralischen Veredlung, spirituellen Fülle oder humanitären Tugenden führen soll. Der Islam ist Mittel zur Herrschaft, zur Macht. Bei diesem massiven Missbrauch der Religion darf nicht geschwiegen werden. Hier sind Muslime weltweit gefragt, Haltung zu zeigen, nicht wegzuschauen, nicht hinzunehmen, was in Afghanistan geschieht. Denn die Taliban sind nicht nur ein politisches Problem, sondern auch ein religiöses Desaster."

Nicht einmal: "Das hat nichts mit dem Islam zu tun"

Was spielt sich da ab, wenn selbst das Geschrei "Das hat nichts mit dem Islam zu tun" nicht angestimmt wird? Offenbar hat die Errichtung eines totalitären Emirats durch die Taliban für die Verbände doch etwas mit dem Islam zu tun. Was, teilen sie allerdings offiziell nicht mit, doch zeigt sich, dass sie für die Machtübernahme der Taliban klammheimliche Freude und wohl auch mehr empfinden. 

Aus den "sozialen" Medien ist zu vernehmen, dass dort von Muslim*innen in Deutschland die Machtübernahme der Taliban begrüßt, zumindest aber verharmlost wird. Ob und für was diese Äußerungen repräsentativ sind, mag dahinstehen, aber in den "sozialen" Medien zeigen zum Totalitarismus bereite Muslim*innen ihr wahres Gesicht. Die Schläfer*innen werden wach und zeigen sich.

Insider deckt Ideologie von Ditib auf

Was wir in diesen Medien nicht erfahren: Warum schweigt etwa Ditib? Von dieser türkischen Behörde selbst werden wir nichts dazu hören. Einen Einblick in die dortigen Strukturen und Ideologien, die dieses Schweigen erklären können, erhalten wir dieser Tage von einem gut informierten Aussteiger. Murat Kayman, ehemals hoher Ditib-Funktionär, hat eine Erklärung für das Schweigen dieser Regierungsbehörde: Eigentlich hätte man – so schreibt er – mit dem üblichen  empörten Aufschrei der islamischen Verbände "Das gehört nicht zum Islam" rechnen können, wie seinerzeit bei ISIS, aber dieser Aufschrei blieb aus.

Kayman fragt, ob es den Verbänden schwerfalle, für Muslim*innen einzutreten, die vor Steinzeitmuslimen flüchteten, und welche Gründe dies habe. Er schreibt:

"Es ist zu befürchten, dass dem Schweigen etwas anderes zu Grunde liegt. Nämlich eine hohe Bereitschaft zur Solidarisierung mit den Taliban und zur Idealisierung ihrer vermeintlich religiösen Motive. Die Taliban haben das umgesetzt, was vielen Muslimen, darunter nicht wenigen Verbandsvertretern, als Ideal einer gesellschaftlichen Entwicklung gilt. Nämlich die uneingeschränkte Durchsetzung des eigenen, konkurrenzlosen politischen Machtanspruchs. Die Taliban haben zunächst die gottlosen Sowjets aus dem Land gejagt und nun gelingt es ihnen auch mit den imperialistischen Amerikanern und allen sonstigen Mächten des säkularen Westens. Sie haben nun endlich die Gelegenheit, ein ganzes Land ungestört nach ihren Vorstellungen eines islamkonformen Lebens zu formen. So denken viele Muslime. … Vor diesem Hintergrund haben die Verbandsvertreter entweder keinen inneren Impuls, der Herrschaft der Taliban und ihren Methoden zu widersprechen, oder sie sehen keine Möglichkeit, dies zu tun, ohne den Aufschrei und Widerstand der eigenen Gemeindebasis zu provozieren."

Kayman stellt in Hinsicht auf die türkischstämmigen Verbände klar: deren Islamverständnis folge derselben Tradition, demselben theologischen Grundgerüst wie dem der Taliban. Danach heilige gewissermaßen der vermeintlich "heilige Zweck" jegliches Mittel der politischen Herrschaft "selbst dann noch, wenn sie das Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung und Entrechtung annehmen". Was für ihn aus dem religiösen Wahrheitsanspruch folgt: "Auf diesem gedanklichen Boden keimen Frauenverachtung, die Ablehnung säkularer Lebensentwürfe, Homophobie, ein pragmatisches Verhältnis zur Wahrheit, die Sexualisierung von Moral, die Akzeptanz von Korruption und Gier, der Führerkult und der Wunsch, Respekt durch Angst zu erzwingen."

Sein Fazit: "Natürlich hören wir nichts zu diesen Problemen. Denn diese Probleme haben im Grunde nichts mit Afghanistan zu tun. Sie beschreiben nicht ausschließlich Kabuler Zustände. Das kollektive Schweigen zeigt deutlich: Es sind auch die Probleme von muslimischen Organisationen, die den Anspruch erheben, deutsche Religionsgemeinschaften zu sein. Das ist unser Problem hier in Deutschland." Ein Insider, der auspackt, klar und deutlich, dabei die Finger in die schwärende Wunde legt.

Kulturrelativistische Politiker*innen hofieren Feinde der Freiheit

Ob allerdings diejenigen Politiker*innen von CDU, FDP, Grünen, Linken und SPD, die in ihrer kulturrelativistischen Dusseligkeit die freiheitsfeindlichen Verbände hofieren, auf diesen Insider hören werden? Es ist zu befürchten, dass das nicht der Fall sein wird.

Einzig Cem Özdemir als bundesweit bekannter Politiker kritisierte vor kurzem die islamischen Verbände in Deutschland für ihr "lautes Schweigen". Wenn es Äußerungen gebe, so Özdemir, dann seien diese verharmlosend bis verständnisvoll.

Cem Özdemir hat völlig Recht mit seiner Einschätzung, dass wir derzeit "in der islamischen Welt einen Kampf jener, die die Werte der Aufklärung und Demokratie teilen, mit denen, die diese radikal ablehnen" erleben. Heute können wir sehen, auf welcher Seite die islamischen Verbände in Deutschland stehen: ganz offensichtlich nicht auf Seiten derjenigen Muslim*innen, die für Werte der Aufklärung und Demokratie, die für Menschenrechte stehen.

Das Propaganda-Märchen von "Kein Zwang im Glauben"

Die reaktionären Islamverbände verbreiten in Deutschland zur Beruhigung der Mehrheitsgesellschaft und um ihre angebliche nichttotalitäre Harmlosigkeit zu unterstreichen gerne und immer wieder die Parole "Kein Zwang im Glauben". Und sie behaupten, dass dies eine allgemeingültige zentrale Aussage des Islams sei. Jetzt aber schweigen sie, wenn ein solcher "Zwang im Glauben" ausgeübt wird: die besondere islamistische Ideologie der Taliban wird Millionen Muslim*innen in Afghanistan aufgezwungen, die sich nicht zur Steinzeitideologie der Taliban bekennen, auch wenn es in einem Teil der Bevölkerung  Unterstützung für diese Ideologie gibt. In Afghanistan gibt es "Zwang im Glauben", aufgezwungen mit purer Gewalt. Die Verbände in Deutschland protestieren nicht.

Dass die reaktionären islamischen Verbände in Deutschland wahrlich keine Vertreter von allgemeinen Menschenrechten, Frauenrechten und Kinderrechten sind, ist zur Genüge bekannt. Ihr Schweigen zum jetzt stattfindenden brutalen "Zwang im Glauben" entlarvt ihre Erklärungen über den friedlichen Islam, der eben keinen solchen Zwang ausübe, als leeres Gerede und als billige Propagandafloskel, um die deutsche Gesellschaft einzulullen, von genauerem Hinsehen und von Nachfragen bei den Verbänden abzuhalten. Diese sind bisher mit dieser Masche, unterstützt von vielen Personen aus dem linken und  linksliberalen politischen Spektrum, gut durchgekommen. Dies konnte auch deshalb funktionieren, weil bekanntlich dieses politische Spektrum auf dem islamistischen Auge blind ist und Realitäten nicht zur Kenntnis nimmt, verdrängt; hier zeigen sich durchaus Ähnlichkeiten mit der Querdenkerszene: Nichts als Ideologie!

Menschenrechte nur Vehikel für Opfer-Duktus

Menschenrechte fallen den Verbänden immer nur dann ein, wenn es um sie selbst geht, dann inszenieren sie sich allfällig als Opfer, deren Rechte verletzt würden. Das ist allen bekannt, die die Wirklichkeit nicht durch eine ideologisch gefärbte kulturrelativistische und identitätspolitische Brille betrachten.

Das jetzige Schweigen der Verbände sollten wir nicht vergessen. Wenn solche Verbände Bekenntnisse zur Demokratie in Deutschland und zu Menschenrechten absondern, handelt es sich offensichtlich um Lippenbekenntnisse, die mit ihrer tatsächlichen Ideologie nicht übereinstimmen. Dies zeigt das Schweigen zu Afghanistan deutlich, und es ist deshalb ein beredtes Schweigen.

Ditib wünscht Gottes Unterstützung zum Sieg über die Ungläubigen

Speziell bei Ditib kommt hinzu: ihre türkisch-nationalistische Agitation, ihr Aufruf zum Kampf gegen die Ungläubigen wird verheimlicht. Dr. Abdel-Hakim Ourghi hat vor kurzem die Korankalligrafien, die den Gebetssaal der Kölner Ditib-Zentralmoschee zieren, ins Deutsche übersetzt: "Du bist unser Schutzherr. So verhilf uns zum Sieg über die Ungläubigen." (Sure 2 Vers 286).

Bei einer solchen Auffassung ist es nachvollziehbar, dass Ditib die Eröffnung der Moschee mit der Anwesenheit des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan – und nicht etwa der des Bundespräsidenten – krönte. Zwischen Ditib und Erdoğan mit seinem nationalistisch-islamistischen Kurs und der Einschränkung von Menschenrechten in der Türkei passt offenbar kein Blatt Papier. Seitens des "Sultans" aus Ankara wurde zu Afghanistan bereits geäußert, dass "kein Widerspruch zwischen dem Glauben der Taliban und dem der Türkei" bestünde, es gebe in der Türkei "nichts, was ihrem Glauben widerspreche". Da weiß man doch eindeutig, wo auch Ditib steht.

Zum Schluss: Schweigen der Doppelzünglerinnen

Auch diejenigen muslimischen Frauen in Deutschland, die regelmäßig ein Geheul anstimmen, wenn eine muslimische Frau im Öffentlichen Dienst eine Verhüllung tragen möchte und ihr dies untersagt wird, sind zu Afghanistan stumm wie ein Fisch. Stummer geht es nicht.

Diese Personen schreien Zeter und Mordio wegen der angeblichen Verletzung von Menschenrechten in Deutschland, und verbreiten die Propagandalüge, es handele sich um "Berufsverbot", wenn eine muslimische Frau während ihrer Arbeitszeit auf ihre Verhüllung verzichten muss. Wie nennen sie es aber beispielsweise, wenn nun in Afghanistan Frauen zwar noch studieren dürfen, aber eine Kopf- und Gesichtsverhüllung tragen müssen, die lediglich einen Schlitz für die Augen freilassen? Nun, sie sagen gar nichts dazu, weil es ihnen nicht um universelle Rechte für Frauen geht, sondern nur um das Recht zur Verhüllung und nicht gegen die Verhüllung. So verhalten sie sich selbstverständlich auch in Bezug auf den Iran, Saudi-Arabien und die Hamas.

Nach dem, was jetzt in den "sozialen" Medien geäußert wird und was bei den reaktionären Verbänden zu Tage tritt, muss wohl davon ausgegangen werden, dass die Doppelzünglerinnen wohl auch klammheimliche Freude über die Vorgänge in Afghanistan verspüren.

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