Säkulare warnen vor einem fatalen Signal

Islamischer Gebetsruf in Köln

In Köln dürfen künftig muslimische Gemeinden die Gläubigen per Lautsprecher von der Moschee aus zum Freitagsgebet rufen. Während Oberbürgermeisterin Henriette Reker das Modellprojekt als Zeichen von Vielfalt und Respekt feiert, sehen Säkulare darin ein fatales Signal für den politischen Islam.

Der Gebetsruf ist auf Antrag freitags in der Zeit zwischen 12 und 15 Uhr erlaubt, wobei der genaue Zeitpunkt je nach Jahreszeit variiert. Die Dauer ist auf jeweils fünf Minuten begrenzt, für die Lautstärke gelten abhängig von der Lage der Moschee unterschiedliche Vorschriften. Das Modellprojekt ist zunächst auf zwei Jahre begrenzt. Danach will die Stadt entscheiden, ob sie die Reglung dauerhaft weiterführt.

Als Unterstützerin ohne Wenn und Aber positioniert sich Oberbürgermeisterin Henriette Reker: "Muslim*innen, viele von ihnen hier geboren, sind fester Teil der Kölner Stadtgesellschaft. Wer das anzweifelt, stellt die Kölner Identität und unser friedliches Zusammenleben infrage", wird die parteilose Stadtchefin in der offiziellen Pressemeldung zitiert. "Wenn wir in unserer Stadt neben dem Kirchengeläut auch den Ruf des Muezzins hören, zeigt das, dass in Köln Vielfalt geschätzt und gelebt wird."

Auch auf ihrem Twitter-Kanal lässt Reker keinen Zweifel an ihrer Haltung aufkommen. Mit Hinweis auf das Kirchengeläut des Doms und auf die "vielen" muslimischen BürgerInnen erklärt sie Köln zur "Stadt der (religiösen) Freiheit & Vielfalt". Den Muezzin-Ruf zu erlauben, sei für sie "ein Zeichen des Respekts".

Tweet der Kölner Oberbürgermeisterin
Tweet der Kölner Oberbürgermeisterin

Wie zu erwarten, hat die Ankündigung in den sozialen Medien ein enormes, geteiltes Echo ausgelöst, siehe hierzu etwa das Posting des öffentlich-rechtlichen Senders WDR. Ausführliche, fundierte Stellungnahmen kommen indes aus den Reihen der säkularen Organisationen und ihrer VertreterInnen. So betrachtet Dr. Lale Akgün, islampolitische Sprecherin der Säkularen Sozialdemokraten, die Aktion als "ein missglücktes Stück Symbolpolitik". Der Plan sei "an keinem Punkt durchdacht und am wenigsten unter politischen Gesichtspunkten", schreibt Akgün weiter. Denn attraktiv sei die Erlaubnis zum Gebetsruf weniger für die vielen kleinen "Hinterhofmoscheen" als vielmehr für die umstrittene Zentralmoschee im Stadtteil Ehrenfeld. Die Einrichtung hatte bereits vor der Eröffnung im Jahr 2018 für hitzige Debatten gesorgt, da sie von der umstrittenen Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) geleitet wird. Somit handele es sich bei der Kölner Entscheidung laut Akgün um einen "Knicks vor dem politischen Treiben Erdogans, auch in Deutschland. Ein Schlag ins Gesicht aller politischen Dissidenten, die in Deutschland politisches Asyl bekommen haben. Übrigens auch in Köln."

Mina Ahadi gehört zu diesen Geflüchteten. 1981 floh sie aus dem Iran, seit 1996 lebt sie in Köln, wo sie sich als Vorsitzende im Zentralrat der Ex-Muslime engagiert. In einen Offenen Brief an Oberbürgermeisterin Reker weist sie auf die verheerenden psychischen Auswirkungen der Entscheidung für Verfolgte hin, die wie sie mit der Hoffnung auf eine offene, säkulare Gesellschaft nach Deutschland kamen. Nicht wenige hätten in ihren Herkunftsländern öffentliche Hinrichtungen Andersdenkender erlebt und dabei den Muezzin anhören müssen. "Bei jedem Gebetsruf werden all diese schrecklichen Erinnerungen für mich und auch für viele andere aus dem Iran, dem Irak, Afghanistan, Syrien und Saudi-Arabien lebendig." Auch wenn sie nun in Deutschland lebten, erzeuge der Gebetsruf bei ihnen gleichwohl einen starken psychischen Druck und eine Retraumatisierung, schreibt Ahadi.

Im Namen des Zentralrates fordert sie weltanschauliche Neutralität im öffentlichen Raum. Dies betreffe freilich alle Religionen, im "hillije Kölle" und anderswo: "Dass in Deutschland jede Woche der Klang von Kirchenglocken die Ruhe derer stört, die das Glockengeläut aus guten Gründen nicht hören wollen, muss überdacht werden." Und das sind nicht wenige. Inzwischen stellen die Konfessionsfreien mit 41 Prozent den größten Bevölkerungsanteil in Deutschland, vor den Katholiken (27 Prozent) und den Protestanten (24 Prozent). Konfessionsgebundene Muslime machen laut aktueller Statistik lediglich 3,5 Prozent der Bevölkerung aus.

Im Offenen Brief kündigt der Zentralrat rechtliche Schritte gegen die Entscheidung an und ruft alle säkularen und religionskritischen Organisationen sowie Frauen- und LGBTI-Organisationen auf, sich dem Protest anzuschließen.

Reaktionen bei Twitter auf den Tweet der Kölner Oberbürgermeisterin
Reaktionen bei Twitter auf den Tweet der Kölner Oberbürgermeisterin

Bleibt die Sache mit dem Glauben. Manch einer mag versucht sein, den Ruf zum Freitagsgebet aus theologischer Sicht zu begründen. Doch daraus wird nichts, argumentiert Islamkennerin Lale Akgün: "Hätte man sich mal die Mühe gemacht, vielleicht einen islamischen Theologen (oder Theologin) zu konsultieren, hätten diese erzählen können, dass der Muezzinruf eigentlich nur die Gläubigen zum Gebet ruft; ein Relikt aus Zeiten, als die Menschen nicht im Besitz einer Armbanduhr oder eines Handys mit Zeitanzeige waren. Der Muezzin ruft ja eigentlich nur 'kommt zum Gebet'. Übrigens muss dieser Ruf auch nicht auf Arabisch erfolgen. (…) Es gab mal Zeiten, da wurde der Muezzinruf in der Türkei auf Türkisch gerufen. Warum also in Köln nicht auf Deutsch? Das wäre wenigstens originell gewesen."

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