Von heute bis Sonntag findet in Nürnberg der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag statt – gefördert mit rund 10 Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln. Gegen die massive staatliche Förderung des religiösen Großevents wird auch diesmal wieder die Kunstaktion "Das 11. Gebot: Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!" mit ihrer überlebensgroßen Moses-Figur demonstrieren. Für eine schmackhafte Glaubensalternative im christlichen Einheitsbrei sorgt die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters.
Rund 22 Millionen Euro wird der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag voraussichtlich kosten. Knapp die Hälfte davon stammt aus öffentlichen Geldern, also Steuergeldern der Allgemeinheit. Das Land Bayern zahlt 5,5 Millionen Euro und die Stadt Nürnberg vier Millionen Euro (etwa eine Million davon in Sachleistungen), der Bund 500.000 Euro. Besonders brisant daran ist, dass Nürnberg mit rund 1,9 Milliarden Euro Schulden bayerische Schuldenkönigin ist und bereits drastische Sparmaßnahmen angekündigt hat, unter anderem bei städtischen Großveranstaltungen.
Der Bund für Geistesfreiheit Bayern (bfg Bayern) hatte die Entscheidungsträger deshalb bereits im vergangenen Herbst gerügt. "Das kann ja wohl nicht sein, dass die Stadt beim öffentlichen Dienst spart und die eigenen Veranstaltungen reduziert, während eine innerkirchliche Veranstaltung mit vier Millionen Euro großzügig gefördert wird", hatte Frank Riegler, stellvertretender Vorsitzender des bfg Bayern und Vorsitzender des bfg Erlangen die großzügige Finanzierung des religiösen Events kritisiert und dafür plädiert, die Kirchentagsgelder besser in die öffentliche Infrastruktur wie den Ausbau des ÖPNV, für Schulen und Kitas zu verwenden.
Gegen die massive Finanzierung von Kirchentagen aus öffentlichen Geldern richtet sich auch die Kunstaktion "Das 11. Gebot: Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!". Mit seiner überlebensgroßen Mosesfigur samt Steintafel ist Aktionskünstler David Farago von der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) seit 2014 auf allen Katholikentagen und Evangelischen Kirchentagen präsent, um über die Finanzierungspraxis der religiösen Großevents aufzuklären. Seit dem Evangelischen Kirchentag 2017 ist Moses auf Evangelischen Kirchentagen überdies in Begleitung vom "Nackten Luther", der die Glorifizierung des Antisemiten Luther in evangelischen Kreisen kritisiert.
Während das 11. Gebot die staatliche Finanzierung des Kirchentags kritisiert, packt die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e. V. (KdFSMD) das Event bei seinem innersten Kern: dem Glauben. Auf dem "Markt der Möglichkeiten" (Halle 4 Stand-Nummer 4-D09 des Kirchentags) werden die Anhänger des Fliegenden Spaghettimonsters den christlichen Besuchern während der gesamten Dauer des Kirchentags eine schmackhafte Glaubensalternative präsentieren: den Pastafarianismus. Am Stand werden Enttaufungen stattfinden, Nudelmessen zelebriert, die wundersame Verwandlung von Wasser in Bier vorgeführt und die Wirkung nudeliopathischer Mittel erklärt. Junge und junggebliebene Besucher dürfen in der Spaghettimonster-Kinderbibel blättern. Beim Kirchentag setze man auf das "Wirken von innen", ist in einer Pressemitteilung der KdFSMD zu lesen. Man wolle den Abergläubischen mit den Argumenten der einzig wissenschaftlichen Religion den nudeligen Weg weisen.
6 Kommentare
Kommentare
Gerhard am Permanenter Link
Sehr gut, dass in Nürnberg doch jemand aufbegehrt gegen Geschwurbel und Staatsleistungen. Ich hatte beim HvD in N. mehrmals nachgefragt, ob es eine Gegenaktion geben würde.
Andreas Edmüller am Permanenter Link
Hallo Gerhard,
zumindest der HVD Bayern zeigt Flagge. Ich bin wissenschaftlicher Beirat und halte am Samstag um 19 Uhr diesen Vortrag: "Die Legende von der christlichen Moral. Warum das Christentum moralisch orientierungslos ist." (https://hpd.de/veranstaltungen?action=cal&id=3205&tab=cal_single).
L 24 am Permanenter Link
Aufbegehrt?
Auch in Nürnberg dürften Säkulare die schweigende Mehrheit stellen.
Wenn das Aufstellen von Karnevalsfiguren und eine Buchvorstellung über Moralphilosphie "Aufbegehren" sind, dann hab ich das Wort bislang falsch verstanden.
Wo sind die Panels? Wo die Debatten? Wo die Akteure denen man anmerkt, dass sie mit Herz und Leidenschaft bei der Sache sind? Wo die Gegenveranstaltung mit Reden, Diskussionen und ansprechender Aufklärung?
Die deutsche atheist. Bewegung, die schon mit dem Begriff ihre Probleme hat (den eigtl. jeder auf Anhieb versteht ohne wissenschaftl. Begriffsabgrenzungen), bietet ausser dem akademisierten und ritualisierten Rufen aus dem Elfenbeinturm heraus nicht wirklich etwas.
Religionskritik scheint mir hierzulande mehr und mehr reduziert auf die Kritik an den Bindungen der relig. Vereinchen mit den staatl. und öffentlich-rechtlichen Institutionen mit der höflichen Bitte um Korrektur. Sehr, sehr deutscher Ansatz. Man will das Haus vom Dach her sanieren - das im Fundament längst morsch ist und notdürftig gestützt von Menschen, die oft selbst gar nicht wissen warum sie es aufrecht erhalten. Es fragt sie auch niemand danach...
Ich finde NIRGENDWO eine wirklich packende, zufassende, dem Thema angemessen scharfe und debattenfreudige atheist. Organisation hierzulande. Publikum dafür gäbe es, Mitschaffende sicher auch die fähig sind und leidenschaftlich.
Wenn ich dann sehe was nur am angelsächsischen Raum alles passiert, wie sichtbar und klar die Akteure dort auftreten um Aufklärung zu treiben im Geiste Voltaires - kompetent, souverän und ohne Scheu vor der angemessenen Zuspitzung - kann man nur neidisch werden. Und das, obwohl die Voraussetzungen in unserer Gesellschaft um Längen besser sind als zB. in den USA.
In meinem Umfeld gibt es viele Atheisten, die sehr genau wissen warum sie es sind. Die empört sind von der Selbstverständlichkeit, wie diese irrationalen Vereine mit ihre kostümierten Vorständen sich hier anmassen gesellschaftlich mitzumischen. Niemand von denen wüsste, wo er sich engagieren könnte.
Wer zB. jemals auf einer Demo von relig. Abtreibungsbefürwortern war und den Vergleich macht mit einer Veranstaltung von säkularen Abtreibungsgegnern sieht, wer die bessere Arbeit macht. Von Freikirchlern oder Dawa-Aktivisten gar nicht zu reden. Die spielen in einer ganz anderen Liga. Auf der Strasse und in den sozialen Medien.
Wir sehen aktuell eine Zunahme gerade konservat. religiöser Bauernfängerei. Für die kath. Kirche ein immer weiter schwelendes Problem, und vom Islam wollen wir gar nicht reden - da scheint man sich gar nicht zuzutrauen die Religion zu kritisieren weil man vielleicht den erwartbaren Zuschreibungen "Rechten nachzulaufen" nichts entgegen zu setzen hat. Ich weiss es nicht... Weltweit ist diese Religion unter Druck, laufen Mitglieder weg, gerade hier ist inhaltliche Aufklärung und Hinterfragen der eig. Glaubenssätze wirkungsvoll - und der Deutsche mit der grössten Reichweite in solchen Fragen arbeitet lieber auf englisch und von den USA aus. Das Klima für seine teilweise wirklich scharfe, Tabus nicht scheuende Kritik ist in Deutschland einfach zu schlecht. Hier würde er "das kann man doch so nicht sagen!" zu hören bekommen, als kritisierte jemand die Kirche zur Adenauerzeit.
Das Klima für all diese Verführer ist in Deutschland viel zu angenehm. Auch wenn die in der Minderheit sind und sich dabei noch gegenseitig Konkurrenz machen.
Die Mehrheit aber hat nicht ansatzweise ihr Potential auch nur angerührt. Als scheue man sich regelrecht davor. Und dabei wissen wir längst: die wirklich spirituelle Bindung, die Gottesergebenheit der Mitglieder zB. der Kirchen hierzulande, ist so locker dass man die "Gläubigen" kaum noch mit den Inhalten ihres Glaubens behelligt. Ein Glück für die Kirchen, dass atheist. Bewegungen in Deutschland dies auch nicht tun.
Nein, wir gründen Vereine und appellieren an Vater Staat, dass bitte die tief in Politik verankerte religiöse Lobby, die seit Gründung der Republik ihre Arbeit macht, mal ein bisschen damit aufhört. Die hören zu, lächelnd, mit Verständnis - und spielen auf Zeit.
Die empören sich nicht über Pappmaschee-Figuren. Im Gegenteil. Das ist genau das Mass an Protest, der ihnen nicht wirklich weh tut und den sie darum grosszügig dulden können. Andere Wange usw.
Aufbegehren... schön wäre es. Angemessen wäre es. Notwendig.
Andreas Edmüller am Permanenter Link
Stimme L 24 vollumfänglich zu. Unseren "säkularen Vereinen und Gesellschaften" fehlen durch die Bank Offensivgeist und Biss. Zusammen haben sie z.B.
Ich tummle mich erst seit relativ kurzer Zeit in diesem Umfeld - zumindest so ein bisserl - und verstehe die Ursachen dieser Laschheit und Wirkungslosigkeit noch nicht richtig. Vielleicht sollten wir bei hpd.de darüber einmal ausführlich diskutieren ... es würde mich auch interessieren, was da los ist.
David Z am Permanenter Link
Diese Finanzierung ist doppelt kritikwürdig.
Nicht nur dass die der säkulare Staat hier ein Religionsevent mit Steuergeldern bezuschusst. Der Verein, der hier bezuschusst wird, mischt sich auch noch einseitig auf Seiten einer bestimmten Partei ins politische Tagesgeschäft ein.
Andreas Edmüller am Permanenter Link
Stimmt. Problem: Das wird sich erst dann ändern, wenn die Parteien Angst haben, durch derartige Subventionen Wählerstimmen zu verlieren.