Künstliche Intelligenz kommt auch in religiösen Dingen immer mehr in Mode. Dabei kann sie skurril sein wie das Projekt "Ask Jesus", bei dem man einen Jesus-Bot alles fragen kann – auch, wie man einen Hot Dog zubereitet. Sie birgt aber auch Gefahren, indem sie – wie jüngst bei einigen hinduistischen Chatbots festgestellt – bei Antworten in Bezug auf religiöse Schriften auch die gewaltbejahenden Passagen der alten Texte ungefiltert wiedergibt.
Selbstlernende neuronale Netze ("Künstliche Intelligenz – KI") können heute relativ problemlos so tun, als seien sie Beethoven, George R.R. Martin, Präsident Selenskyj oder die Stimme unseres Chefs. Wie überzeugend das Ergebnis ist, ist eine Frage des Inputs, der eingesetzten Rechnerleistung – und unserer Empfindung oder Leichtgläubigkeit.
Lebenshilfe-Algorithmen
In unserem Podcast-Gespräch über KI schlug Philipp Möller neulich vor, Sonntagspredigten doch künftig von einer KI schreiben zu lassen. Warum nicht? Denn religiöse Texte haben – wie medizinische oder juristische Kompendien – einen klaren Bezugsrahmen und sind damit für eine KI leicht zu interpretieren. Zu einem Stichwort kommt der passende Kontext, ein bisschen Duktus-Imitation und fertig ist "der übliche Sermon".
Düpiert das jemanden? Ja, denn unter spiritueller Lebenshilfe verstehen wir etwas, was vom Herzen kommt, was von Mensch zu Mensch weitergegeben wird. Solange wir einer Maschine dies nicht zutrauen, fühlen wir uns von einem Chatbot schlechter beraten als von einer Freundin, einem Guru oder sogar einer anonymen Person im Internet. Denn wir suchen nicht nur guten Rat, sondern Verständnis, Trost und Mitgefühl.
Aber seien wir ehrlich: Ein Trauerredner, der die verstorbene Person, um die es geht, gar nicht kannte, macht sich auch nur ein Bild aus wenigen Gesprächen und ruft dann die passenden Plattitüden ab. Auch von Standesbeamten bei Hochzeiten kennen wir Derartiges und das muss im Ergebnis nicht mal schlecht sein. Die entscheidende Frage bei der KI ist im Vergleich aber nicht nur "Wie gut ist die KI?", sondern auch: Womit wurde die KI gefüttert? Und wie stark vertrauen wir auf sie?
Menschen, die sich KI zunutze machen, beurteilen kritisch, ob es ihnen passt, was da an gesammelter Weisheit aus dem Computer kommt. So würden eine Pastorin oder ein Pfarrer einen KI-generierten Text immer redigieren und moderieren, bevor sie ihn vortragen. Der moralische Kompass der Bibel ist schließlich alles andere als eindeutig, man kann daraus das Eine ablesen und ebenso sein Gegenteil.
Strikt "bibeltreue" Christen müssten eine solche moderate Verwässerung ihrer Heiligen Schrift eigentlich ablehnen. Das Wort Gottes, von einer KI korrekt referiert, müsste ihnen eigentlich genug sein – so wie sie die Bibel jederzeit an einer beliebigen Stelle aufschlagen können, um darin eine genau auf ihre Situation bezogene Botschaft zu erkennen.
Jesus-Bot und Krishna aus der Retorte
Wie beeindruckend absurd eine durch KI zum Leben erweckte religiöse Person sein kann zeigt das Projekt "Ask Jesus". Man kann einen Jesus-Bot danach fragen, wie man ein Hot Dog zubereitet. Oder wovon er eigentlich so gelebt hat, damals als arbeitsloser Tischler. Darf man ein Liebesgedicht klauen? Kann er den Wasseranteil in unserem Blut zu Wein verwandeln? Was die Leute eben so interessiert – und das kann schon sehr witzig sein.
Denn die Antworten gibt ein stereotypisch geschönter Messias, der mit Hall in der Stimme und salbungsvollen Gesten über alles Gewünschte spricht: "Du kannst die Gurken so anordnen, dass du mit jedem Bissen eine isst, oder auch anders. Wesentlich ist, mein Freund, dass du innere Freude dabei empfindest. Ich hoffe, die Antwort auf deine Frage ist eine Inspiration auch für andere." Auch seriöse Fragen beantwortet der Chatbot voller Gleichmut, ermutigt hier zu Ehrlichkeit, wirbt dort für Verständnis im Umgang mit Anderen usw. Wie ernst sie die Sache nehmen möchten, liegt also bei den Fragenden selbst.
Ein anderes Phänomen erfreut sich in Indien zunehmender Beliebtheit und die Organisation Atheist Republic hat es in einem ihrer Videos behandelt: Hinduistische Chatbots, die alle gestellten Fragen in Bezug auf eine der hinduistischen Hauptschriften beantworten. Seiten wie "Gita-AI", "GitaGPT", "Gita Chat" oder "Ask Gita"* basieren auf ChatGPT und der Baghavad Gita, einem Text mit Unterweisungen, die Gott Krishna seinem Schüler Arjuna in einem 700 Verse langen Dialog in Sanskrit erteilt. Krishna fordert Arjuna darin unter anderem eindringlich auf, gegen seine eigene Familie in den Krieg zu ziehen. Den meisten Menschen ist dieser Text nicht besonders zugänglich, der Chatbot ändert das.
Frappierend aus Sicht von Armin Navabi (Atheist Republic): Anders als Prediger geben Chatbots auch die überaus gewaltbejahenden Passagen des alten Textes ungefiltert wieder. Ob es in Ordnung sei, für den Erhalt des Dharma (des religiösen Gesetzes, der Lehre) sein Leben zu opfern? Aber ja, antwortet der Krishna der Gita-AI, zu sterben sei nichts anderes als die Kleider zu wechseln. Diese Angabe sei ohne Gewähr, bevor man handle, solle man besser selber nochmal nachschauen. Ein anderer Chatbot interpretiert dieselbe Quelle sogar so, dass es auch in Ordnung sei, jemand anderen zu töten, wenn es dem Dharma diene – ohne Disclaimer.
Aus heutiger Sicht der blanke Wahnsinn, aber von vormodernen religiösen Texten kennt man solche Aussagen ja zuhauf. Priester bemühen sich dann meist, die Aussagen abzumildern oder ins Metaphorische zu verlagern, um Bedenken zu zerstreuen. Aber welchen Sinn sollten diese Texte ergeben, wenn sie in ihren Kernaussagen beliebig anpassbar wären?
Flaschengeister der Radikalisierung?
Immerhin: Im Selbstversuch ist es mir nicht gelungen, in der Gita-AI Gewalt rechtfertigende Antworten zu generieren. Stattdessen erschienen so betont milde und gütige Passagen, dass ich schon an eine Abschaltvorrichtung bei Besuchern aus dem atheistischen Deutschland geglaubt habe: Nein, allen Wesen sei mit Freundlichkeit und Verständnis zu begegnen. Frauen sollten die gleichen Chancen haben, gerade auch andere Religionen seien zu respektieren – alle Angaben wiederum ohne Gewähr.
Tatsächlich – und darauf weist auch Navabi hin – ist die zumeist gelehrte und gelebte Praxis im Hinduismus eine tolerante. Schließlich handelt es sich nicht einmal um eine Religion im engeren Sinn, sondern vielmehr um eine Vielzahl an religiösen Kulten und Schulen, die es historisch gewohnt sind, friedlich nebeneinander zu koexistieren und miteinander zu feiern. Identitäre Politiker versuchen allerdings, aus religiöser Gemeinschaft machtpolitische Ansprüche zu formen. In Indien ist religiöser Hass nicht erst seit der hindu-nationalistischen Regierung Modi ein Problem, sondern bereits seit 120 Jahren eine Waffe, die besonders in Abgrenzung zum Islam eingesetzt wird. Da ist es schon angezeigt, einen kritischen Blick auf Projekte wie Gita-AI zu werfen.
Ein gern geäußerter Verdacht ist, dass eine "dumme" KI religiöse Texte allzu wörtlich wiedergeben und damit Fundamentalismus stärken könnte. Diese Gefahr besteht – aber nicht wegen einer falschen, sondern gerade wegen einer weitgehend korrekten Interpretation der Quellen. Denn tatsächlich kann ein Sprachmodell wie ChatGPT gerade nicht nur zitieren, sondern große Zusammenhänge sinngemäß einordnen und in "eigenen" Worten interpretieren. Aber gerade dadurch konfrontiert es sein Gegenüber mit dem unverblümten Gehalt des religiösen Textes, auch wenn dieser eigentlich verpönt ist. Befragt man das alte Testament dazu, was mit einer Ehebrecherin zu geschehen habe, dann wird man sich im 21. Jahrhundert mit Grausen abwenden. Das ist aber nicht das Problem der KI, sondern das Problem der Religion mit ihrem eigenen historischen Offenbarungstext und der Tatsache, dass die Welt sich in den letzten 2.000 Jahren verändert hat.
Hier zeigt sich einmal mehr, dass Medienangebote, die von einer KI, von Usern oder einer Crowd generiert werden, mit hoher regulatorischer Verantwortung einhergehen. Wer diese vernachlässigt oder gar eine verdeckte Agenda betreibt, verdient einen Schuss vor den Bug. Und kaum hat man diesen Gedanken formuliert, finden sich bereits Hinweise auf Manipulationen: Das Tech-Magazin Rest Of World fand deutliche Hinweise auf politische Einflussnahme in einem Gita-Chatbot. Während dieser zu Elon Musk "keine Meinung" hatte, wurde Präsident Modi in den höchsten Tönen gepriesen und sein Opponent als inkompetent bezeichnet. Da Religion in Indien immer noch das Geschäftsmodell Nummer 1 ist, kann man sich ausmalen, wie wirkmächtig solche plumpen Stellungnahmen sein können.
Gesundes Misstrauen erlernen
Religionen und Weltanschauungen werden seit jeher als Türöffner genutzt, um ein kritisches Hinterfragen zu umgehen. Doch am Ende könnte das Misstrauen, dass wir einer KI aus gutem Grunde entgegenbringen, hier einen aufklärerischen Nebeneffekt haben: Die KI erlaubt eine frische, verfremdete Sichtweise auf den uns scheinbar vertrauten Text und die damit transportierten Inhalte. Wir fragen uns erneut, ob dieser Inhalt noch in unsere Zeit passt und was diese uralten Texte uns eigentlich noch sagen können. Die Maschine profanisiert und schürt bei denen ein gesundes Misstrauen, die das Niveau von KI-generierter Kalenderblattlyrik und plumper Manipulation verlassen haben. Dazu gehört aber eben ein gesundes Maß an Skepsis, die längst nicht alle Menschen aufbringen.
12 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Der ständige Versuch der geistlichen Führer, mit modrigen, religiösen Texten die Welt zu erklären, hält die Menschheit auf einer Kulturstufe fest, die ohne diese Texte längst überwunden wäre.
Bernd Neves am Permanenter Link
Das ist zu bezweifeln.
Evil Ernie am Permanenter Link
Da wären jetzt aber ein paar Beispiele sehr interessant.
Auch wäre interessant, welche "säkularen Ideologien" es gibt.
Bernd Neves am Permanenter Link
Sie missverstehen meinen Einwand, wollen ihn vielleicht sogar missverstehen.
Säkulare Ideologien sind alle Lehren mit einem geschlossenen Weltbild, die ohne Gottes- und Jenseitsbezug auskommen.
Dazu gehören alle reaktionären Ideologien wie Sozialdarwinismus, Rassismus, Nationalismus, Neoliberalismus, Kapitalismus (als Ideologiegebäude im Allgemeinen verstanden) auf der einen und progressiven oder progressiv gemeinten Ideologien wie z.B. der Marxismus oder die die entstehende Epistokratie in Gestalt des WEF und der WHO.
Es ist noch gar nicht lange her, dass rassistische und sozialdarwinistische Lehren "Stand der Wissenschaft" waren; heute z.B. ist im wirtschaftwissenschaftlichen Bereich das neoliberale Ideengebäude bestimmend für das Wirtschafts- und Sozialleben weltweit.
Ich brauche wohl nicht weiter auszuführen, wo und wann diese Ideologien dazu dienten, gesellschaftlichen Rückschritt oder Stillstand zu verursachen oder zu rechtfertigen (und sei es bei fremden Gesellschaften), schlagen Sie einfach ein Geschichtsbuch oder eine Tageszeitung auf, um sich über die Folgen zu informieren.
Aus meinem Eingangsstatement eine religiöse Konnotation abzuleiten, empfinde ich als bösartig und dumm.
Evil Ernie am Permanenter Link
Nach meinem Verständnis geht es beim Säkularismus vorrangig um die Trennung von Staat und Kirche. Religion spielt im Säkularismus schlicht keine Rolle.
Von daher unterstreichen Sie sogar die religiöse Konnotation und bestätigen quasi eine religiös/ideoligische Prägung des Begriffes der "säkularen Ideologie", wie ich oben schon schrieb.
Auch wenn Sie das als bösartig und dumm empfinden.
Das dürfen Sie auch, macht es aber nicht besser.
Roland Fakler am Permanenter Link
@Bernd Neves In Bibel und Koran wurden die Denkweisen und moralischen Maßstäbe mit sämtlichen Vorurteilen einer Hirten-, bzw. einer Kameltreiberkultur des Vorderen Orients aus der Zeit vor 2000 bzw.
Bernd Neves am Permanenter Link
Das ist ja Alles richtig und steht in keiner Weise im Widerspruch zu meinem Eingangskommentar.
Vielleicht lesen ihn noch einmal unvoreingenommen.
Sascha Larch am Permanenter Link
Und dazu haben Sie auch Beispiele oder Belege Herr Neves?
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Jetzt kann man die Menschen schon elektronisch indoktrinieren, gespenstisch.
Der letzte Satz im Artikel sagt genau was vermutlich auch passieren wird, die Mehrheit
derer, welche sich darauf einlassen sind vermutlich begeistert von der Innovation und
kein Gedanke an Skepsis darüber, was die KI da anrichten kann.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Wie schon richtig bemerkt macht es kaum einen Unterschied, ob so mancher fromme Text von einer BOT oder von einem routinierten Kultbeamten produziert wird.
„Ob es in Ordnung sei, für den Erhalt des Dharma (des religiösen Gesetzes, der Lehre) sein Leben zu opfern?“
Laut Augustinus von Hippo muss man das sogar in einem unheiligen schmutzigen Krieg (siehe Wikipedia): „Was, in der Tat, ist denn überhaupt so falsch am Krieg? Dass Menschen sterben, die ohnehin irgendwann sterben werden,…“ schreibt er, der Große Heilige Kirchenlehrer.
„Stattdessen erschienen so betont milde und gütige Passagen, dass ich schon an eine Abschaltvorrichtung bei Besuchern aus dem atheistischen Deutschland geglaubt habe“
Die entsprechenden Sprachregelungen kann man sicher zum grossen Teil aus den Lehrmitteln der katholischen Priesterseminare entnehmen.
„dass eine "dumme" KI religiöse Texte allzu wörtlich wiedergeben… würde...“
(Kein Vorwurf an den Autor, „allzu wörtlich“ ist schließlich eine „allzu gebräuchliche“ Floskel. Aber „wörtlich“ ist ja eigentlich nicht modifizierbar.)
Wie man die religiösen Texte der Bibel richtig versteht regelt der Katechismus der Katholischen Kirche in den Kapiteln 109ff:
01. (109) wissen und „darauf achten“, was die menschlichen Verfasser wirklich sagen wollten
02. (109) wissen und „darauf achten“, was Gott durch ihre Worte uns offenbaren wollte
03. (110) die Verhältnisse ihrer Zeit kennen
04. (110) die Verhältnisse ihrer Kultur kennen
05. (110) die zu der betreffenden Zeit üblichen literarischen Gattungen kennen
06. (110) die damals geläufigen Denkformen kennen
07. (110) die damals geläufigen Sprechformen kennen
08. (110) die damals geläufigen Erzählformen kennen
09. (111) den Geist, in dem sie geschrieben wurde kennen
10. (112) den Inhalt der ganzen Schrift kennen
11. (112) die Einheit der ganzen Schrift kennen
12. (113) die lebendige Überlieferung der Gesamtkirche kennen
13. (114) den Zusammenhang der Glaubenswahrheiten untereinander kennen
14. (114) den Gesamtplan der Offenbarung kennen
15. (116) die Regeln der richtigen Textauslegung kennen
16. (117) die Bedeutung der Ereignisse, die sie in Christus haben, kennen
17. (117) das richtige Handeln kennen
18. (117) die ewige Bedeutung kennen
Wäre mal eine interessante Aufgabe, das alles in „BibelLesenKI“ einzuprogrammieren. Was dann wohl aus den Heiligen Biblischen Schriften herauskäme ? Die schwierigste Aufgabe wäre wohl herauszufinden, was die Autoren, incl. Gott selber, „eigentlich sagen wollten“. Das müsste man offenbar wissen, bevor man die Bibel überhaupt aufschlägt.
Mark am Permanenter Link
Jesus war eine religiöser Fanatiker, diese AI prägt die Vorstellung eines friedliebenden Hippies, der alle Menschen liebte. Wer so etwas glaubt ist eigentlich ein Atheist.
Rene Goeckel am Permanenter Link
Auch wenn die Texte von einer KI kommen, sie sind und bleiben menschengemacht. Ob der Käse nun von Aldi oder Lidl kommt, ist doch vollkommen Wurst.