Seit gestern darf in bayerischen Behörden, an Schulen und in Universitäten nicht mehr gegendert werden. hpd-Autor Alex Ammon begrüßt diese Entscheidung.
Zunächst ein Wort an diejenigen, die der Ansicht sind, es gebe wichtigere Themen als die leidige Debatte ums "Gendern": Sie haben recht! Beschäftigen Sie sich bitte mit den wichtigeren Dingen, lassen Sie dabei die Sprache in Ruhe und lesen Sie diesen Text nicht weiter!
Wie, Sie lesen doch weiter und sind dennoch der Ansicht, es gebe wichtigere Themen? Dann gehen Sie bitte in sich. Könnte es nicht sein, dass Sie – auch vor sich selber – nur so tun als seien andere Themen wichtiger? Wollen Sie nicht vielmehr, dass dieses Ihnen so wichtige Thema der von oben herab in die Sprache eingeschleusten Gendersignale unangetastet bleiben soll? Bitte lesen Sie weiter! Für Sie ist dieser Artikel. Er wird Sie nicht umstimmen, aber Sie werden sich an ihm reiben. Und diese Reibung ist es, die den Diskurs voranbringt, so die erste These dieses Beitrags.
Und damit sind wir schon mitten im Thema. Beim "Gendern" geht es – so die zweite These – nämlich gar nicht um das (zweifellos wichtige und verfolgenswerte) Ziel der Geschlechtergerechtigkeit. Vielmehr geht es um das demonstrative Anzeigen von Geschlechtergerechtigkeit: Hallo! Ich gehöre zu denen, die gerecht sind! Hast du's gesehen? Nicht? Dann baue ich Sternchen ein – die poppen raus. Jetzt hast du's gesehen, oder? Ich gehöre zu den Guten!
Dieses Zurschaustellen der eigenen Ansicht, noch dazu mit dem Gestus der moralischen Überlegenheit (englisch: "virtue signalling"), ist das Gift, das den Diskurs zum Überkochen bringt. Es erklärt, warum der Streit in der Öffentlichkeit so verbissen und erbittert geführt wird. Den auf diese Weise "Missionierenden" stehen nämlich Menschen gegenüber, die sich nicht "erziehen" lassen wollen, schon gar nicht von einer Truppe selbsternannter Besserwisser. Gesinnungskampf gegen Eigensinn – Sprengstoff in einer aufgeheizten Gesellschaft. Will man so (Geschlechter-)Gerechtigkeit erreichen?
"Sprache verändert sich" lautet das Mantra der Spracherzieher. Das ist korrekt. Aber nur dann, wenn diese Veränderung von der Mehrheit der Sprechenden – und Angesprochenen – auch gewünscht und mitgetragen wird. Wie Umfragen zeigen, ist das mitnichten der Fall: Spracherziehungsmaßnahmen werden von der übergroßen Mehrzahl der Menschen abgelehnt (hier ein Beispiel, abgerufen am 2.4.2024).
Allein das würde schon genügen, rundheraus abzulehnen, was irrtümlich als "gendergerechte Sprache" daherkommt. Doch es geht noch weiter. Gendern ist unwissenschaftlich, nutzlos, dabei bevormundend und autoritär, ja sogar sexistisch – und vieles mehr. Dies hat Fabian Payr in seinem Sachbuch "Von Menschen und Mensch*innen" überzeugend erläutert (Springer 2021). Auch der salomonische Versuch, absichtlich inkonsequent zu gendern erweist sich als Holzweg. Denn: Es genügt ja schon ein einziger zurschaustellender Wink, um zu signalisieren, dass man sich dem Zeitgeist angebiedert hat. Abgesehen davon, dass konsequentes Gendern gar nicht eindeutig und widerspruchsfrei möglich wäre (Arzt:in oder Ärzt:in? Bauer*in oder Bäuer*in?) oder zu absurden Ausdrücken führte (man gendere bitte vollständig konsequent das Wort Bürgermeisterkandidat).
Ein grundlegendes Missverständnis
Hinter all der geflissentlichen Genderei steckt hingegen – These drei – ein grundlegendes Missverständnis, das in den letzten Jahren von politisch interessierter Seite aufgeblasen wurde: Die Verwechslung eines grammatikalischen Genus mit dem biologischen Sexus. Eine "Person" ist generisch feminin, kann aber sowohl ein männliches als auch ein weibliches Wesen bezeichnen, sogar – und das ist heutzutage mehr denn je ein Vorteil – alle, die sich irgendwo dazwischen verorten. Vor diesem Hintergrund wird auch ersichtlich, dass ein Feminismus, der die derzeitig gebräuchlichen Formen des Genderns propagiert, an der eigenen Sache vorbei argumentiert: Warum sollten sich Frauen damit abfinden, in der Sprache immer nur als "Anhängsel" aufzutreten? Lehrer-in, Astronaut-in, Bundeskanzler-in! Die gelegentlich erhobene Forderung nach der Einführung eines "generischen Femininums", das das generische Maskulinum – Tit for Tat – ersetzen solle, erscheint da putzig: Das sprachliche Anhängsel als Standard? Nicht im Ernst…!? Wenn schon, dann bitte auch die männliche Form mit Anhängsel! Neben dem generisch neutralen Genus hätte man dann eine männliche und eine rein weibliche Form: Lehrer-Lehrerer-Lehrerin, Astronaut-Astronauter-Astronautin, Arzt-Ärzter-Ärztin usw. Das wäre konsequent, feministisch und fair. Doch auch wieder künstlich. Auch für diese Sprachveränderung bräuchte es einen breiten Konsens der Sprechenden, Schreibenden und Lesenden. Davon sind wir derzeit – nicht zuletzt wegen des aufgeheizten Debattenklimas, siehe oben – weiter entfernt denn je.
Ein schier unauflösbares Dilemma also. Was tun? Jetzt wäre ein Schiedsrichter recht – idealerweise einer, der demokratisch legitimiert ist. Diese Rolle hat nun in Bayern die Staatsregierung übernommen. Sie stellt seit Anfang April klar, was in Behörden und öffentlichen Einrichtungen gilt: die Rechtschreibregeln der deutschen Sprache. Und sie ordnet an, dass dies im offiziellen Miteinander einzuhalten ist – nicht mehr und nicht weniger.
Dass die Staatsregierung dies unter dem Label "Genderverbot" tut, ist politisches Geklingel. Der bayerische Ministerpräsident weiß genau, was die Mehrheit der Bevölkerung denkt. Sie hat die Nase voll von Erziehungsmaßnahmen und Tugendsignalisierungen. Mit solch einer Wut-Mehrheit im Kreuz kann man gerne behaupten (lassen), man "verbiete" die Wurzel des Übels, wo man doch eigentlich nur den offiziellen Schriftverkehr von Behörden und Institutionen regelt. Wer privat Texte verfasst, kann nach Gusto nach wie vor Unmengen an gefühlt geschlechtergerechten Signalmarkern benutzen, bis die Lesenden nur noch Sternchen sehen. Und wer auch noch so reden mag, wird am Ende wohl auch nicht in Söders Kellerverlies geworfen – bei Wasser und Brot und Genderverbot.
Rechtschreibregeln erfüllen den Zweck, Texte lesbar zu halten. Sie sind dafür keine hinreichende Garantie – dazu gehört natürlich mehr, nicht zuletzt der Wille und die Fähigkeit des Autors, sich verständlich auszudrücken. Aber sie sind eine notwendige Bedingung für die leichte Erfassbarkeit von Textinhalten.
Wer Grammatik aber absichtlich missversteht, um damit den Kulturkampf zwischen den Geschlechtern anzuheizen, verdient zunächst die gelbe Karte, bei Fortführen des Foulspiels an Texten dann eben auch mal die gelb-rote. Die hat die Bayerische Staatsregierung nun gezückt – mit Recht.
Lesen Sie hier den zweiten Kommentar zum Thema, der das Genderverbot kritisiert.
22 Kommentare
Kommentare
Angela H am Permanenter Link
Leider beschränkt sich Söders Genderverbot auf Neo grammatische Sonderzeichen. Mit dem noch viel schlimmeren Doppelnennungsgestottere wird man im Bayerischen Rundfunk weiterhin auf das Übelste maltraitiert.
Thomas am Permanenter Link
Sprachliche Exklusion - zutiefst linksliberal
Karl Tenholt am Permanenter Link
Der Bayerische MP verbietet das bescheuerte,sprachentstellende
Gendern in den Schulen,Behörden und sonstigen staatlichen Institutionen.
Der Rundfunk gehört nicht dazu.
Stella am Permanenter Link
ein Null-Sterne-Artikel (negativ-Sterne werden ja nicht vergeben)
Olaf R. am Permanenter Link
Na herzlichen Glückwunsch zu diesem Artikel. Endlich sagts mal einer!
Im Ernst: Wer auch immer das hier geschrieben und veröffentlicht hat sollte sich was schämen und zukünftig darauf verzichten, hier in Söderscher Manier zu schreiben. Was genau hat das noch mit Humanismus zu tun? (Was hat das ganze Thema damit zu tun?)
Macht weiter so und ihr werdet bei Achgut und Co. landen (deren Beifall ist euch sicher). Ich bin von den Aussagen in diesen Artikel jedenfalls entsetzt.
Bisher hat diese Seite es klug verstanden, sich bei dem Thema bedeckt zu halten. Was hat sich geändert?
David Z am Permanenter Link
Warum sollte sich jemand schämen, seine Meinung zu äussern? Finden Sie es denn nicht auch gut, mit den Meinungen anderer Mitmenschen konfrontiert zu werden?
Ihr Kommentar klingt schon recht autoritär. Möglicherweise hängt das mit dem Phänomen zusammen, dass Lehrkräfte an Unis dazu bewog, Ihren Studenten das Gendern aufzuzwingen (bzw Nicht-Gendern als Punktabzug zu werten).
Paloma Rosé am Permanenter Link
Endlich sagt's mal jemand, Olaf! Vielen Dank für Deine 1a Diskussionsführung - bei so vielen und so schlagenden Argumenten, kann ens nur zustimmen!
Carola Dengel am Permanenter Link
Super Artikel- mit einer Ausnahme: es gibt nicht nur sogenannten Genderfeministinnen sondern auch die Radikalfeministinnen, die diesen Sprachunfug als frauenfeindlich ablehnen - Alibi-Sprech statt sich den wirklich wi
Gewalt gegen Frauen, Verhütung, Abtreibung, usw..
Unter den ***werden Frauen unsichtbar. Autor*in ….
Thomas am Permanenter Link
Welch Überraschung, dass so eine Meinung von einer augenscheinlich männlich sozialisierten Person kommt. Wer alle Privilegien genießt, kann leicht sowas raushauen.
David Z am Permanenter Link
Woher wollen Sie wissen, wie der Autor "sozialisiert" wurde?
Und was sind das für "Privilegien", von denen Sie da sprechen? (...)
Thomas am Permanenter Link
Mit der ersten Frage beleidigst du deine Intelligenz selbst (außerdem hab ich augenscheinlich geschrieben).
Patriarchat sagt dir was? Einfach mal bissl was dazu lesen oder mal FLINTA* befragen. Ich weiß, is unbequem (ging mir selbst so), aber öffnet einen die Augen. Nur Mut!
David Z am Permanenter Link
Das tut mir sehr leid, dass meine Intelligenz nicht ausreicht, um zu wissen, wie Sie die Sozialisation eines Menschen anhand eines Artikels zu erkennen glauben.
Die zweite Frage haben Sie leider überhaupt nicht beantwortet. Die Frage war nicht Mehrheit vs Minderheit, sondern warum Sie hier das männliche Geschlecht des Autors als Teil des Problems begreifen, wenn wir doch wissen, dass sehr viele Frauen die Sache exakt genau so sehen wie der Autor.
Nein, "Patriachart" sagt mir im kontemporären, europäischen Kontext nichts. Aber ich weiss, dass es starke bis sehr starke patriarchale Strukturen in den Gesellschaften von zB. Indonesien, Iran/Persien, Türkei, Kongo, China, Vietnam, Thailand, Georgien, Armenien und Ungarn gibt, obwohl dort eine genderneutrale Sprache gesprochen wird. Was genau sollte mir hier die Augen öffnen?
M.S. am Permanenter Link
Na, dann oute ich mich mal als weiblich sozialisierte Frau mit Studienabschluss (die angeblich noch am ehesten dem Gendern zustimmen), die sich für ihre Tochter, die dieses Jahr eingeschult wird, einen vernünftigen Ge
Der Artikel hätte vielleicht an der Stelle, an der männliche Formen vorgeschlagen wurden, den "Personon" noch miteinbeziehen können. Ansonsten könnte es passieren, dass sich Männer nicht angesprochen fühlen. So aus Prinzip, weil auch Männer meist ein eingebautes Gerechtigkeitsempfinden haben.
Das einfachste wäre es aber, den ganzen Quatsch einfach zu lassen. Ich jedenfalls bin nach wie vor ein Mensch und keine Menschin. Und mich interessiert in einem Nachrichtenartikel das Geschlecht der erwähnten 1 Polizisten und 2 Polizistinnen auch in etwa so sehr wie deren Haarfarbe oder Schuhgröße.
Thomas am Permanenter Link
Inklusion ist allumfassend. Wenn das für dich Quatsch ist, sagt das viel aus. Davor schützt offensichtlich auch kein Studienabschluss, genauso wie vor inhaltsleerer Polemik. In diesem S*inne...
David Z am Permanenter Link
Wie kommen Sie darauf, dass das generische Maskulinum nicht inkludierend sei?
M.S. am Permanenter Link
Mit Inklusion hat das nur überhaupt nichts zu tun. Nehmen wir als Beispiel einen Artikel über die Rettung von Unfallopfern.
Warum soll das Geschlecht also überall genannt werden? Warum sollte es wichtig sein, wo man sich doch eigentlich einig ist, dass es gerade nicht wichtig ist? Das ist völlig absurd.
David Z am Permanenter Link
Soweit ich das sehe ein sehr sachlicher und rundum gelungener Artikel.
Thomas am Permanenter Link
Da kann ich nur sagen: Augen öffnen, Brille auf und/oder Scheuklappen abnehmen
David Z am Permanenter Link
Sie scheinen den absoluten Durchblick zu haben. Wo sollte ich denn hinschauen? Auf die Grammatikalischen Probleme, die Gendern verursacht? Auf die Probleme, die Gendern für Sprachanfänger verursacht?
Oliver Stephan am Permanenter Link
Guter Artikel. Wenngleich ein wenig reißerisch und überspitzt formuliert trifft er meiner Meinung nach den Kern genau.
libertador am Permanenter Link
"Wenn schon, dann bitte auch die männliche Form mit Anhängsel!
Dieser Absatz enthält Defätismus. Es gäbe keine Möglichkeit etwas zu ändern, also lassen wir die Sprache in ihrem merkwürdigen Stadium in dem es eine weibliche Sonderform gibt, aber die männliche die generische ist.
Der Vorwurf der Künstlichkeit bedarf darüber hinaus einer Erläuterung. Ist damit einfach gemeinst, dass Sprachveränderung durch Nutzung etabliert wird. Dies ist naheliegend, wenn man einen vermeintlich erforderlichen Konsens anspricht. Das übersieht aber, dass ein Konsens eben nicht mehr besteht, wenn es ein Verbot von Alternativen braucht. Damit könnte man mit diesem Verständnis auch die aktuelle Sprache ohne Gendersternchen als künstlich darstellen, da sie keinen Konsens darstellt. Sie wird ja offensichtlich angegriffen, sonst bräuchte es kein Verbot.
M.S. am Permanenter Link
Es gibt so manchen Mikrokosmos, da wurde das Gendern mit Sonderzeichen als Quasi-Standard von oben herab allen anderen aufgedrückt. Das hat Auswirkungen nicht nur auf die Bewertungen von Leistungen z.B.