In einem Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verteidigt der Redakteur Reinhard Müller aus Anlass der brutalen Angriffe auf Politiker den Gottesbezug im Grundgesetz. Dem setzt unser Autor entgegen: Gottesglauben allein ist kein Garant für Rechtschaffenheit und Menschlichkeit.
"Wer Menschen aufgrund ihres Bekenntnisses oder ihrer Parteizugehörigkeit zusammenschlägt, handelt ebenso gottlos wie außerhalb unserer Grundordnung. (…) Durch die Erwähnung Gottes wird klar, dass die freiheitliche Ordnung in die Zukunft blickt und auch eine Zukunft hat", heißt es im Artikel der FAZ.
Dem ist in einer Sache zuzustimmen: Wer Menschen aufgrund ihres Bekenntnisses oder ihrer Parteizugehörigkeit zusammenschlägt, handelt außerhalb unserer Grundordnung. Dieses Verhalten allerdings mit Gottlosigkeit in einen Zusammenhang zu bringen, ist falsch. Sicherlich ist brutale Gewalt äußerst unchristlich, wenn man das christliche Ideal der Nächstenliebe zum Maßstab nimmt. Brutale Gewalt ist aber auch äußerst unmenschlich, wenn man die ethischen Ideale eines säkularen Humanismus beachtet. Menschlichkeit ist kein christliches Monopol.
Atheismus und Agnostizismus sind zunächst nur philosophische Standpunkte zur Möglichkeit der Existenz von Göttern, die für sich allein noch nichts über moralische Orientierung und moralisches Handeln aussagen. Man kann auch als Theist moralisch falsch handeln. Das beweisen die zahlreichen Fälle von sexuellem Missbrauch durch Amtsträger und Mitarbeiter der Kirchen. Und das beweisen nicht zuletzt auch die Terroranschläge der jüngeren Vergangenheit, deren Protagonisten keinen Zweifel an der Größe und Unfehlbarkeit ihres Gottes haben, wenn sie an ihr blutiges Werk gehen. Gottesglauben allein ist kein Garant für Rechtschaffenheit und Menschlichkeit.
Was Menschen fehlt, die Andersdenkende zusammenschlagen, ist nicht der Glaube an Gott, sondern eine reflektierte moralische Orientierung. Richtig ist die Feststellung Reinhard Müllers, dass das Gewaltmonopol beim demokratischen Rechtsstaat liegt. Dass dieser für seine Legitimität einen religiösen Bezug in der Verfassung braucht, muss man aber in Frage stellen. Die Zukunft unserer freiheitlichen Grundordnung sieht realistisch betrachtet so aus, dass sich ein immer größer werdender Anteil der Menschen in Deutschland auch ohne Gottesglauben in ihr aufgehoben fühlen muss. Stand 2022 sind 48 Prozent der Menschen noch Mitglieder einer der beiden großen Kirchen. 44 Prozent sind konfessionell ungebunden.
Der moderne Verfassungsstaat muss religiös und weltanschaulich neutral sein, weil in ihm Bürger ganz verschiedenen Glaubens und sehr viele Bürger ohne religiösen Glauben leben. Dass die sich alle benehmen müssen, um friedlich miteinander zurechtzukommen, ist selbstverständlich. Dass es gemeinsame – wenn vielleicht auch verschieden begründete – Werte braucht, stellt niemand in Abrede. Der Bezug der Verfassung auf eine Instanz, an deren Existenz nicht von allen Bürgern geglaubt wird, ist im 21. Jahrhundert aber nicht mehr der richtige Weg.
Und wem, wie man im Fall der dumpfen Schläger in Dresden vermuten kann, eine philosophische Reflexion intellektuell zu mühsam ist, der darf sich gerne auch ohne Gottesglauben an die einfache und unmittelbar einsichtige Formel halten: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." Daran ist nichts deshalb falsch, weil man den lieben Gott vielleicht für ein Hirngespinst hält.
9 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Das Christentum hat Christen selten daran gehindert, weniger gewalttätig zu sein als Nichtchristen.
Helmut Lambert am Permanenter Link
"Durch die Erwähnung Gottes wird klar, dass die freiheitliche Ordnung in die Zukunft blickt und auch eine Zukunft hat" Was für eine krude Aussage. Nicht zu fassen!
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Religion war und ist immer noch das Moralmäntelchen der gewaltbereiten Gläubigen, wer aus der Vergangenheit nichts lernt, der muss die selben Fehler immer wieder machen.
solche für ihren Machterhalt, auf Kosten der Gesellschaft.
Janosch Rydzy am Permanenter Link
Die Formulierung „Gottesglauben allein ist kein Garant für Rechtschaffenheit und Menschlichkeit“ halte ich für äußerst unglücklich.
Es würde mich überraschen, wenn der Autor dieses Artikels das so meinte, denn an anderer Stelle heißt es passender: „Dieses Verhalten [Anm.: brutale Gewalt] allerdings mit Gottlosigkeit in einen Zusammenhang zu bringen, ist falsch“. Sprich: Das eine hat mit dem anderen schlicht nichts zu tun.
Ich möchte empfehlen, das Wort „allein“ (und bei der Gelegenheit auch das n am Ende von „Gottesglauben“) aus dem eingangs zitierten Satz zu streichen, so dass das Ergebnis lautet: „Gottesglaube ist kein Garant für Rechtschaffenheit und Menschlichkeit“, auch wenn selbst diese Formulierung noch so verstanden werden kann, als mache der Gottesglaube es zwar wahrscheinlicher, dass jemand diese Charakterzüge an den Tag legt, aber keine hundertprozentige Garantie dafür sei. Noch besser wäre z.B. „Gottesglaube ist kein Indikator für Rechtschaffenheit und Menschlichkeit“.
Und als letzte Anmerkung: Wie Michael Schmidt-Salomon gerne betont, zuletzt bei seinem Interview mit „Jung und Naiv“ auf YouTube: Die sogenannte „Nächstenliebe“ ist nicht das Synonym für Mitgefühl, als das sie oft verstanden wird, sondern geht im Christentum wie auch in anderen Religionen in aller Regel mit dem „Fernstenhass“ einher: Mitgefühl nur für die Mitglieder unserer Gruppe – Tod und ewige Verdammnis für diejenigen, die außerhalb stehen; ganz besonders für die Abtrünnigen, die sich aktiv dazu entschieden haben, unsere Gruppe zu verlassen.
Andreas Dietz am Permanenter Link
Danke für die ausführliche Rückmeldung.
Schmidt-Salomons Wortspielerei mit der Nächstenliebe, die seiner Ansicht nach in aller Regel mit "Fernstenhass" einhergeht, muss man nicht teilen. Ich selbst kenne keinen einzigen Christen, der die Fernen hasst. Wie kommt man nur zu solchen pauschalen Aussagen?
Ganz im Gegenteil: Oft schließen Christen auch ferne Menschen in ihre Nächstenliebe mit ein. Das Ergebnis sind dann zum Beispiel Patenschaften, eine hohe Spendenbereitschaft und entwicklungspolitisches Engagement.
Dazu kann man mit einer weltlich-humanistischen Ethik aber auch gelangen.
Tobias Seyb am Permanenter Link
Ich bin gottlos, Herr Müller!
Ich habe mein Abo der FAZ mit Bedauern vor einiger Zeit wieder gekündigt. Solche Kommentare waren mit ein Grund.
Ich bin ein friedliebender Mensch, ich verabscheue Gewalt und Hass und möchte das verwirklichen, was sich die meisten Christen im Bereich Ethik in Selbsttäuschung unter einem "christlichen" Leben vorstellen. Und deshalb bin ich seit langem - gottlos.
Denn mit Bezug auf einen imaginierten Gott besteht grundsätzlich die Gefahr, dass man sich nicht am Mitmenschen, sondern an ausgedachten Normen und Vorurteilen orientiert.
Die religiöse, insbesondere die christliche Ethik/Moral hat schon längst bewiesen, dass man besser ohne sie lebt als mit.
Ein anständiger Mensch zu sein gelingt viel besser, wenn man "gottlos" ist.
Was für eine ewiggestrige Anmaßung steckt noch in den Köpfen vieler christlich sozialisierter Menschen, auch wenn sie gebildet sind.
Sven Knurr am Permanenter Link
Der verlinkte Text der FoWiD ist allerdings auch irreführend; dort wird "Kirchenbesuch" mit "aktiv praktiziertem Glauben" gleichgesetzt.
Klarsicht(ig) am Permanenter Link
Nachdem 1945 „den Führer der Teufel geholt hatte", schienen viele Deutsche und wohl auch die „Väter des GG" unter einem „monokratischen Phantomschmerz" gelitten zu haben.
Dem Deutschen Volk wurde in seiner Geschichte schon mehrfach „eingeimpft", dass es sich gefälligst ein „Bewusstsein seiner Verantwortung" vor einem Monokraten (1) zuzulegen habe. Bei diesen Monokraten handelte es sich um Könige, Kaiser und einem „vom Volk geliebten Führer ".
Zu diesem Zweck stellten die beiden „Glaubenskonzerne" (Amtskirchen) den fiktiven Protagonisten/Monokraten aus ihrem „Märchenbuch für Erwachsene“ zur Verfügung, welches sie noch immer mit großem Erfolg in ihren „Glaubensgefolgschaften“ vertreiben.
Die „Väter des GG" bauten alsdann den sogenannten Gottesbezug (2) in die Präambel des GG ein. Er ist dadurch konkretisiert, dass die Autoritäten des Bundes und einiger Länder die „Worthülse Gott", die „Glaubens-Infizierte“ beliebig mit ihren unterschiedlichen religiösen Fantasien zu füllen pflegen, oder die Furcht vor diesem fiktiven Monokraten, - bezeichnet als „Ehrfurcht vor Gott" und „Gottesfurcht" -, in der Präambel des Grundgesetzes und an anderen Stellen in den jeweiligen Verfassungen und Gesetzen verankerten.
„Ehrfurcht vor Gott" und „Gottesfurcht" gehören zum breiten Spektrum mentaler Empfindungen der „Glaubensgefolgschaften“ beider „Glaubenskonzerne" (Amtskirchen) und deren Klerikern sowie der Mitglieder anderer religiöser Glaubenskollektive. Was haben aber subjektive religiöse Empfindungen in Rechtsnormen zu suchen ? Absolut nichts !
Verfassungs- und Gesetzgeber haben durch ihre Handlungsweise irrationales „Glaubensgut" und „religiöse Empfindungen" unverdient „gesetzlich geadelt“ und ihnen ebenso unverdient den Anstrich von Rationalität verliehen.
Durch die Gesetze, in die sie die Formulierungen „Gott", „Ehrfurcht vor Gott", „Gottesfurcht“, „So wahr mir Gott helfe" und „Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden" einarbeiteten, haben die „Gesetzesautoritäten" dem Deutschen Volk klar gemacht, dass sie nicht davon ausgehen, dass es sich um einen fiktiven Monokraten handelt, der nur in ihren und anderen Hirnen „Glaubens-Infizierter“ spukt, sondern dass sie vielmehr annehmen, dass dieses „Allmachtwesen“ mit dezidiert kontrademokratischer Gesinnung mit Gewissheit existiert. Das müssen glaubensferne Menschen staunend als Faktum zur Kenntnis nehmen.
Es wäre logisch nicht nachvollziehbar und daher blanker Unsinn, wenn der Verfassungsgeber in der Präambel des GG für das Deutsche Volk noch vor den Menschen eine Verantwortung vor „Gott“ gesehen hat, er sich aber gleichzeitig nicht sicher gewesen war, dass ER existiert. Zudem hätte es die Qualität einer Lüge, wenn man dem Deutschen Volk eine Verantwortung gegenüber etwas aufbürdet, von dem man nicht sicher weiß, dass es existiert.
Das Deutsche Volk hat einen Anspruch darauf, von den „Gesetzesautoritäten" zu erfahren, wodurch sie zu der sicheren Erkenntnis gelangt sind, dass der Monokrat aus dem „amtskirchenlichen Märchenbuch für Erwachsene“ tatsächlich existiert. Nur wenn sie über eine solche „Spezialerkenntnis" verfügt haben sollten, hätte es ihnen evtl. als erlaubt erscheinen dürfen, den finsteren Monokraten an verschiedenen Stellen unserer Rechtsnormen zu platzieren.
Verweis:
(1) http://de.wikipedia.org/wiki/Monokratie
(2) http://de.wikipedia.org/wiki/Gottesbezug
Gruß von
Klarsicht(ig)
Klarsicht(ig) am Permanenter Link
Der Inhalt eines Videos bei YouTube hat mich sehr überrascht, weil es sich beim Autor des Videos um einen Jounalist handelt, den ich sehr schätze und bei dem ich nicht vermutete, dass er die im Video enthaltenen unkr
Besondern folgende Behauptung des Journalist im Video hat mich dazu veranlasst, hier diesen Kommentar zu schreiben: „Ein Bundeskanzler dieser Republik, der seinen Amtseid ohne Gottesbezug spricht, wie Olaf Scholz zum Beispiel, begeht schon zum Amtsantritt Verrat an unserer kulturellen Identität.“
Ich habe dann den nachstehend ersichtlichen Kommentar geschrieben, der hier evtl. von Interesse sein könnte:
„Ich denke, dass sich Herr Scholz bei seiner Eidesleistung durch Weglassung des ,Gottesbezugs' höchst ethisch verhalten hat, denn offensichtlich glaubt er nicht daran, dass es wahr sei, dass Gott ihm hilft oder helfen wird. Durch die Weglassung des ,Gottesbezugs' hat er klar zum Ausdruck gebracht, nicht lügen zu wollen.
Wenn ,Glaubens-Infizierte' einen Amtseid leisten, pflegen sie am Schluss von ihm durchweg die irrationale Behauptung aufzustellen, dass es ,wahr' sei, dass ,Gott' ihnen ,helfen werde'. Selbst beim Antritt höchster Ämter scheut man sich nicht, sich durch die Aufstellung dieser Behauptung zu blamieren. Denn es ist mindestens blamabel, wenn jemand tatsächlich denkt und behauptet, er könne mit Gewissheit erwarten, von einer Entität, die als ,Gott' bezeichnet wird und deren Sein durch äußerste Ungewissheit gekennzeichnet ist, irgendeine Hilfe zu bekommen.
Warum nimmt man am Schluss der Eidesformel nicht ein Faktum aus der Erfahrungswirklichkeit auf, das intersubjektiv wahrnehmbar ist ? So könnte man es dem künftigen Amtsinhaber z. B. gestatten, dass er am Schluss des Eides sagt: ,So wahr es für mich ist, dass Menschen von Frauen geboren werden'.
,Glaubens-Infizierten' sollte das nachdenklich machen, sofern es ihnen natürlich bekannt sein sollte, was Bertrand Russel gesagt haben soll: ,Das zu postulieren, was man braucht („Gott“ d. A.), hat zwar viele Vorteile, aber es sind dieselben wie die Vorteile des Diebstahls gegenüber der ehrlichen Arbeit.' “
Gruß von
Klarsicht(ig)