Mit Hamed Abdel-Samad und Prof. Dr. Mouhanad Khorchide im Gespräch

Humanismus als letzte Chance des Islams? (3)

FRANKFURT AM MAIN. (hpd) Auch im letzten Teil des Exklusivinterviews mit Hamed Abdel-Samad und Prof. Dr. Mouhanad Khorchide wird deutlich, dass die Koran-Exegese der beiden Autoren deutlich unterschiedlich ausfällt. Einig sind sie sich jedoch darin, dass sie in einer humanistischen Gesellschaft leben wollen.

hpd: Auch Punkt 3 der Gründungserklärung hat mich irritiert. Wie kann ein unveränderter Koran in seinem historischen Kontext und gleichzeitig mit den Augen der Moderne gesehen werden, wenn er vielen als das letzte Wort Gottes gilt? Mohamed sei ja das Siegel der Propheten gewesen. Wäre die dazu notwendige Umdeutung nicht willkürlich oder gar korrupt, wie es der Soziologe und Philosoph Hans Albert in Bezug auf christliche Hermeneutik bezeichnete?

Mouhanad Khorchide (MK): Wie gesagt: Wenn das eine menschliche Projektion von außen ist und ich herkomme und sage: Es ist nicht mehr cool, den Koran so zu lesen; es ist cool ihn humanistisch zu lesen. Das wäre eine menschliche Projektion. Wenn ich aber in meiner Vorgehensweise versuche - wie Herr Abdel-Samad zu Recht erkannt hat -, dass ich vom Text ausgehe, um den Selbstanspruch zu erfüllen, indem ich sage, das ist das, was der Koran an sich als Anspruch stellt und sagt: "Ich bin eine Botschaft der Barmherzigkeit", dann ist das keine Projektion, keine Selektion, sondern ein hermeneutischer Schlüssel, mit dem ich versuche den Koran, die prophetische Tradition und den Islam überhaupt zu lesen und daraus konsequent eine ganze Theologie zu entwickeln.
 

hpd: Falls sich Ihr islamischer Humanismus verbreiten könnte: Wie erreicht man, dass niemand in Zukunft den Koran als Begründung einer menschenverachtenden Tat nutzt, wenn nur die Lesart, aber nicht die Quelle verändert wird?

MK: Genau, wie man es geschafft hat, mit der Bibel umzugehen und Christen heute sehr friedlich leben und die Menschenwerte bejahen, obwohl im Alten Testament viel Grausameres und Gewalt bejahendes steht, als im Koran.

Hamed Abdel-Samad (HAS): Genau hier sehe ich das Problem: In dem man den Koran als das unveränderbare Wort Gottes auch theologisch zementiert und diesen Anspruch beibehält, macht man es unmöglich, dass diese Lesart, die Sie wünschen, Geltung gewinnt, denn Sie nehmen einen Satz aus dem Koran und behaupten, das ist der Anspruch Gottes. Sie nehmen die Basmala (Die Anrufungsformel [Im Namen Allahs, des …] am Beginn von 113 Suren), die eigentlich kein Vers aus dem Koran ist, sondern dazukommt.

MK: Das kommt auf die Schule an. Manche sehen es als Teil des Korans.

HAS: Aber es ist kein wirklicher Teil des Korans. Es wird nicht als Vers des Korans gezählt. Es gibt auch andere, die aus dem Koran Grundsätze herausholen: "Die Religion bei Allah heißt Islam." "Gott hat seinem Propheten deshalb die Wahrheit geschickt, damit sie über alle Religionen siegt." Das ist auch ein Grundsatz. Zu den letzteren Passagen des Korans gehört das.

Und wenn jeder den Anspruch hat, irgendeinen Satz aus dem Koran herauszuholen und zu sagen: "Das ist der Kern des Korans", dann werden wir es nie schaffen, weil die anderen immer noch deutlichere Passagen finden. Und zwar aus den späteren Passagen, wo es heißt: "Das ist der Anspruch des Korans." Indem ich sage, das ist das unveränderte Wort Gottes, verhindere ich auch, dass ich zu einer historisch-kritischen Betrachtung der Texte und deren Kontextualisierung komme. Wer bin ich und wer sind Sie, um Gott zu kontextualisieren? Und zu wissen, was Gott wirklich will? Gott hat schon gesprochen.

Und er hat auch den Anspruch mitgeteilt, dass es das letzte Wort ist. Das heißt, bevor er für immer schwieg, hat er Mohamed ausgesucht, damit er sein Manifest, seine neuere Ordnung, alle seine Ansprüche an den Menschen ausformuliert hat. Er braucht dafür keine Exegeten, weil es ja seine letzte Botschaft ist. Aus Sicht eines Salafisten ist das nachvollziehbar, wenn er sagt: "Wenn das die letzte Botschaft Gottes ist, warum brauche ich Mouhanad Khorchide oder irgendeinen Modernen, der den Deutschen gefallen will, damit er das irgendwie schönredet und entstellt, damit es modern klingt?"

Der Koran ist nicht modern. Der Koran ist nicht für die Moderne gemacht. Wir sind viel weiter, als der Koran. Wir brauchen keine Erlaubnis von Allah oder Mohamed, um friedlich miteinander zu leben. Warum geben wir den friedlichen Texten des Korans mehr politische Autorität? Und warum wundern wir uns danach, dass die Radikalen genau das Gleiche tun, indem sie diese politische Autorität aufgreifen und daraus ihre Legitimation für Gewalt nehmen?

MK: Darf ich nur einen Satz dazu sagen? Ich sehe da nicht meine Position – und das steht sogar als Nr. 1 in den 17 Thesen (der Gründungserklärung). Der Islam ist nicht abgeschlossen. Gott hat nicht das letzte Wort gesprochen.

HAS: Wo steht das?

MK: Gott spricht durch jeden Menschen von uns.

HAS: Wo steht das? Wo kann man das aus dem Islam selbst herauslesen? Er hat gesagt, dass der Prophet Mohamed der letzte Prophet ist und das der Koran seine letzte Botschaft ist.

MK: Weil er durch uns spricht. Weil er die Vernunft des Menschen würdigt. Wenn das, was ich durch meine Vernunft sage, in Ordnung ist, ist es gottgewollt. Das war die Größe überhaupt von Averroes, den die Kirche kritisiert hat, als er von der doppelten Wahrheit gesprochen hat: Texte der Offenbarung, aber auch menschliche Vernunft. Er sagt: "Beide – Offenbarung und Vernunft - haben dieselbe Quelle und gehen auf Gott zurück." Deshalb sagt er, das ist ein verlässlicher Partner. Und wenn die Vernunft zu etwas kommt, so sagt Averroes – und das vertrete auch ich –, dann ist es auch göttlich.

HAS: Aber ist gibt gerade in der Religion des Islams eine Menge Geschichten, die mit Vernunft überhaupt nichts zu tun haben: Dass Gott zu einem Menschen in der Höhle spricht, dass ein Mensch nach Jerusalem mit einem Pferd fliegt. All das hat mit Vernunft nichts zu tun.
 

hpd: Schlussfrage, Herr Khorchide: Würden Sie in einer Welt ohne monotheistische Religion leben wollen? In einer Welt, in der vielleicht ein Gott an Menschen, diese aber nicht mehr an jenen Gott glauben?

MK: Monotheistische Religion ist zu allgemein. Es kommt immer auf die Lesart der jeweiligen Religion an. Ich würde nicht in einer Welt leben wollen, in der humanistische Werte nicht gelten. Ich will nicht in einer Welt leben in der man von einem Gott ausgeht, der nicht selbst an den Menschen glaubt im Sinne, dass er ihm vertraut, der restriktiv ist, sich wie ein Diktator aufführt. In dieser Welt will ich nicht leben.

Ich will in einer Welt leben, in der der Mensch gewürdigt wird, in der humanistische Werte auch ihre Gültigkeit haben und geschützt sind. Und deshalb glaube ich an Gott, weil Gott diese humanistischen Werte in seinen Attributen verkörpert. Somit sind sie absolut geschützt. Dieser Gott lädt dazu ein, die Welt entsprechend humanistisch und barmherzig zu gestalten.
 

hpd: Herr Abdel-Samad: Würden Sie gerne in einer Welt mit dem neuen islamischen Humanismus leben wollen?

HAS: Ich hoffe, dass diese Welt irgendwann existiert, aber ich weiß, dass der Humanismus vom Islam unabhängig ist und sich sogar in vieler Hinsicht widerspricht. Denn der Humanismus geht vom mündigen Menschen aus, der nicht 24 Stunden am Tag von Gott beobachtet wird.

Er geht aus von allen Freiheiten für den Menschen, sich frei zu entfalten. Davon, dass dieser Mensch Autonomie über seinen eigenen Körper hat und entscheidet, wen er liebt, wen er küsst, was er isst, was er nicht isst. Aber Gott interveniert und verbietet den Menschen diese Freiheiten. Deshalb schließen sich für mich Humanismus und Islam eigentlich aus.
 

hpd: Vielen Dank für das anregende Gespräch!
 

Das Interview führte Bernd Kammermeier für den hpd.

Mouhanad Khorchide: Gott glaubt an den Menschen - Mit dem Islam zu einem neuen Humanismus, Herder 2015, 272 Seiten, ISBN 978–3–451–34768–9, 19,99 Euro

Hamed Abdel-Samad: Mohamed - Eine Abrechnung, Droemer 2015, 224 Seiten, ISBN 978–3–426–27640–2, 19,99 Euro