Mit Hamed Abdel-Samad und Prof. Dr. Mouhanad Khorchide im Gespräch

Humanismus als letzte Chance des Islams? (2)

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Hamed Abdel-Samad und Prof. Dr. Mouhanad Khorchide
Hamed Abdel-Samad und Prof. Dr. Mouhanad Khorchide

FRANKFURT AM MAIN. (hpd) Im zweiten Teil des Exklusivinterviews des hpd mit Hamed Abdel-Samad und Prof. Dr. Mouhanad Khorchide geht es um Integration von Muslimen, die Rolle der Islamverbände sowie die Beschneidung von Jungen und Mädchen.

hpd: Thema "Islam und Integration". Deutschland ist hier, im Grunde seit den 60er-Jahren, aufgerufen, sich verantwortungsvoll zu positionieren. Ist der Islam eher ein Integrationshindernis oder ein Integrationsmotor? Was hindert? Was treibt an?

Mouhanad Khorchide (MK): Es hängt immer von der Lesart des Islams ab. Von welchem Islam sprechen wir? Vom salafistischen Islam, vom Islam derer, die jegliche Reformen verweigern oder von einem reflektierten Islam? Man kann nicht sagen, der Islam ist konstruktiv oder dekonstruktiv für die Integration. Welche Lesart des Islams ist konstruktiv? Sehen Sie meine humanistische Lesart des Islams: Ich nehme immer den Anspruch des Islams an sich selbst, in dem er im Koran in Sure 21,107 sagt: "Wir haben dich, Mohamed, lediglich als Barmherzigkeit für alle Welten entsandt, als Maßstab."

Alles in diesem Selbstanspruch ist keine Projektion von mir oder der Moderne, sondern der Koran sagt: "Du bist Barmherzigkeit für alle Welt". Nicht nur für Muslime, für Gläubige, sondern für alle Menschen. Das heißt, jede Interpretation des Korans und der Tradition Mohameds, die mit der Barmherzigkeit nicht übereinstimmt, verwerfe ich ohne Wenn und Aber. Das kann nicht Mohamed sein, ohne dass das jetzt Selektion ist. Barmherzigkeit ist mein hermeneutischer Schlüssel. Mit diesem Verständnis vom Islam als Quelle der Spiritualität und ethischen Grundsätzen hat, glaube ich, niemand ein Problem - als Botschaft der Barmherzigkeit, des Humanismus. Es gibt andere Muslime, die gerade dieses Verständnis vom Islam bekämpfen. Diese haben Probleme mit der Integration.

Hamed Abdel-Samad (HAS): Für mich ist der Islam definitiv ein Integrationshemmnis, denn der Islam wurde mit einem Selbstverständnis und einem politischen Anspruch geboren. Er hat sich in der Geschichte auch auf eine Weise durchgesetzt, die mit Integration heute überhaupt nichts zu tun hat. Nämlich: Islam ist gekommen, um zu herrschen, um eine neue Gesellschaftsordnung herzustellen, in der der Islam das Sagen hat. In der Menschen nicht gleichberechtigt zusammen leben, sondern in der der Islam die Hierarchie bestimmt. Der Islam ist mit dem Anspruch gekommen, dass Gott der Gesetzgeber ist und nicht der Mensch. Im Koran gibt es bestimmte Körperstrafen, aber auch Regeln in Bezug auf Familienrecht.

Die islamische Tradition hat viele dieser Regeln in die Gegenwart übertragen und diese Regeln bauen eindeutig eine politische und geistige Mauer zwischen Muslime und moderne Gesellschaft: moralische Werte im Umgang mit Sexualität, Alkohol, Essengewohnheiten, aber auch politische Vorstellungen, dass letzten Endes das Reich Gottes wiederhergestellt werden sollte. Das ist der raison d’être des Islams. Der Islam ist nicht gekommen, um Teil der Welt zu werden, sondern um den Lauf der Geschichte zu verändern, um eine neue Gesellschaftsordnung zu errichten.

Wenn man die Illusion verfolgt, dass der Islam positiv auf die Integration wirken kann, dann ist das ein zweischneidiges Schwert. Ich bin für Religionsfreiheit, ich bin dafür, dass alle Muslime ihre Religion hier frei ausüben dürfen. Aber wie ich eingangs sagte: der Islam ist eine spirituelle und soziale Lehre, die ich wunderbar finde, und er hat eine politische und juristische Seite, die ich katastrophal finde. Wenn sich der Islam nicht von diesem authentischen Teil, von diesem juristisch-politischen Teil trennt, dann kann der Islam nur noch ein Hindernis werden. Wenn, wie Mouhanad Khorchide das anstrebt, nur die sozialen und spirituellen Aspekte des Islams mehr betont werden und die politische und juristische Seite in ihrer Zeit begraben werden, dann kann natürlich dieser Islam - wenn er existiert, noch tut er es nicht - eine Rolle in der Gesellschaft spielen. Wer bin ich, Muslimen ihren Glauben wegzunehmen?
 

hpd: Zekeriya Altug vom türkischen Moschee-Dachverband Ditib hatte Ihr Buch als "Schmähschrift" bezeichnet. Für Sie scheint es ein wichtiger Beitrag zur Grundrenovierung des Islams zu sein, bevor sich die Muslime mit der Gebrauchsanweisung für Deutschland auseinandersetzen. Woher kommen Ihrer Meinung nach diese diametral auseinanderliegenden Positionen, da nach außen alle stets nur die Integration muslimischer Bürger in unsere Gesellschaft vor Augen haben?

HAS: Das ist sehr interessant, dass Herr Altug das über das Buch gesagt hatte - am gleichen Tag, als das Buch erst erschien. Wann er die Zeit fand, es zu lesen, ist mir schleierhaft. Vielleicht hat er parapsychologische Fähigkeiten. Aber es ist typisch: das Buch wurde kritisiert – Wochen bevor es auf dem Markt war. Diese Kritik ist typisch und auch reaktionär, gerade für die Islamverbände, weil man jede Kritik als Frontalangriff auf die Existenzberechtigung der Muslime und der Islamvereinigungen selbst sieht. Da besteht die Gefahr, dass man das alles 1 zu 1 sieht. Ich unterstelle Ditib, dass sie überhaupt kein Interesse hat, dass sich Muslime in Deutschland integrieren. Sie haben das Interesse, dass Türken in Deutschland eng an Erdoğan gebunden werden. Punkt! Und sie tun alles, dass es so bleibt. Integration und "wir leben zusammen" und "Tag der offenen Moschee" und alle diese Maßnahmen können vielleicht dem deutschen Staat und Bürger das Gefühl vermitteln, dass es anders ist. Aber das sind nur Lippenbekenntnisse.

Mohamad

Der beste Beweis dafür, dass Ditib und andere Islamverbände nicht an Integration interessiert sind, ist nicht, dass sie mich kritisieren oder versuchen, mich in ein schlechtes Licht zu rücken, sondern dass sie Mouhanad Khorchide kritisieren, dass sie (gemeinsam mit den anderen Verbänden. Ergänzung durch Prof. Khorchide) ein Gutachten geschrieben haben – 70-seitig – um ihm seine Lehrerlaubnis zu entziehen, weil er aus dem Islam etwas Brauchbares für die Moderne schaffen will und weil er ein anderes Islambild lehren will, damit die Lehrerinnen und Lehrer in der Schule und Imame einen anderen Islam präsentieren.

Was haben sie für ein Problem mit ihm, nur weil er ihnen die Deutungshoheit über den Islam streitig macht? Sie wollen den authentischen Islam behalten und sie wollen die Deutungshoheit. Aber er ist ein gläubiger Moslem. Er lehnt nicht die Grundlagen des Islams ab. Er versucht sich auch im Rahmen der islamischen Theologie zu bewegen. Aber sie kritisieren ihn nicht nur, sondern greifen ihn an, wollen ihm sogar seine Lehrerlaubnis entziehen. Das ist das beste Beispiel, dass sie Antidemokraten sind, dass sie nicht an Integration interessiert sind.