Humanistische Wertebildung

BERLIN. (hpd) Die Humanistischen Akademie Berlin hat Beiträge namhafter Experten über Wertebildung bei Kindern und Jugendlichen in drei Praxisbereichen vorgelegt: Kindergärten, Jugendverbandsarbeit und Fernsehen. Es geht um Humanismus, Demokratie, Geschlechtergleichheit und Kinderrechte. hpd sprach mit dem Direktor der Akademie, Dr. Horst Groschopp.


Humanismus und junge Generation? Wer sich auf so manchem Treffen der säkularen Verbände umschaut, wird den Eindruck nicht los, Humanismus ist ’ne Sache alter Männer...

Horst Groschopp: Nicht nur älter bis alt, sondern auch noch vorwiegend männlich, sehr weiß in der Hautfarbe und wenig Flashmob-tauglich. Aber das ist unser nationaler Blick und auch nicht alle Verbände sehen sich humanistisch.


Spaß beiseite, welche Berührungspunkte mit Jugendlichen gibt es neben der Jugendfeier?

Horst Groschopp: Die Jugendweihe wird nur in einem Beitrag angesprochen. Es sind fünf Bereiche, zu denen etwas gesagt wird: Humanismus und Kinderrechte, Kinderrechte im Lebenskundeunterricht, Wertebildung in humanistischen Kindertagesstätten (das ist der Schwerpunkt), Jugendverbandsarbeit und Sinnfragen im Medium Fernsehen.

Worin unterscheiden sich humanistische Jugendverbände von anderen Jugendverbänden? Oder zugespitzt formuliert: Was ist „das Humanistische“ an ihnen?

Horst Groschopp: Ehrlich gesagt, das wissen wir nicht genau, weil wir nicht das soziologische Potenzial haben, das gründlicher zu untersuchen. Deshalb haben wir Experten eingeladen, die an Shell-Jugendstudien mitgearbeitet haben und die die Konkurrenz studiert haben: christliche Verbände. In deren Beiträgen wird deutlich, dass alle, die sich religiös bzw. weltanschaulich aufstellen, ähnliche Probleme haben, dass aber nicht schon „christlich“ ist, was sich christlich organisiert. Das gilt auch für „humanistisch“. Es ist ja gerade ein ständiger Diskurs nötig, was das ist, wie „bekennend“ das ist usw.


Welche Punkte sind für die Bindung der Jugendlichen an „ihren“ Verband wichtig?

Horst Groschopp: Vielen Humanistinnen und Humanisten ist der Begriff „Gemeinschaft“ suspekt. Aber der Text besonders von Katrin Valentin zeigt, dass Jugendliche ganz normal von Gemeinschaft reden, wenn sie zusammen mit „ihren Leuten“ etwas erleben. Der Begriff wird grammatikalisch seltsam gebraucht. Sie sagen, sie seien „unter Gemeinschaft“, sie „haben Gemeinschaft“ usw.

Auch unsere „Jungen HumanistInnen“ sehen dies so etwa. So dass danach zu fragen wäre, was sie wirklich machen und wie Funktionäre („Erwachsene“), dies womöglich über-deuten. Die Beiträge selbst beschreiben sehr gut, wie Widersprüche kommuniziert werden und was dabei herauskommt. Hinzu kommt, dass es in den Unterstrukturen Cliquen gibt, und dass durch die enge Bindung an Personen auch die Gefahr des Missbrauchs entsteht – nicht unbedingt in einem sexuellen, aber sehr in einem religiösen und weltanschaulichen Sinne, der „Selbstbestimmung“ fraglich macht durch Gruppendruck.

Mehrere Beiträge befassen sich mit „Wertevermittlung“. Welche Rolle spielen dabei unter humanistischer Flagge betriebene Einrichtungen?

Horst Groschopp: Das war für mich selbst die größte Überraschung, dass gerade die Mitarbeiterinnen (es sind meist Frauen) und ihre Leitungen in humanistischen Kindertagesstätten eben nicht bloß die „humanistische Flagge“ hissen, sondern ganz ernstlich fragen, was humanistische Wertebildung in der täglichen Arbeit bedeutet, von den Freiräumen für die Kleinsten in der Frage „was spielen wir heute“ über die „Geschlechtererziehung“ bis zu Problemen des Vorbild-Seins in einem nicht-idealischen, sondern realen Verständnis. Das teilweise naserümpfende Gerede in der säkularen Szene über die Kitas des HVD erhält hier Stoff zum Umdenken, auf alle Fälle zum Mitdenken.

Eine Autorin beschreibt Bildung als soziale Praxis. Was bedeutet dies im Hinblick auf Schulfächer, in denen Kindern Werte beigebracht werden sollen?

Beispielbild
Horst Groschopp / Foto: Peter Groht
Horst Groschopp: Den Nürnberger Trichter gibt es gerade hier nicht. Man kann Kindern nicht Werte „beibringen“. Der Begriff „Werteerziehung“ ist grundsätzlich falsch und auch nicht humanistisch. Im Buch berichtet Eva Ellerkmann, was diese Einstellung für die Behandlung der Kinderrechte im Lebenskundeunterricht bedeutet.

Bedeutsam ist hier der Beitrag von Christa Preissing. Sie schreibt, dass Kinder nur Werte bilden, wenn sie geschätzt werden von den Erwachsenen, mit denen sie zusammen leben und die ihnen etwas wert sind; von den anderen Kindern, mit denen sie zusammen leben und die ihnen etwas wert sind; und von denjenigen, denen sie zugehören – von der Gesellschaft, in der sie aufwachsen.
Das vorliegende Buch gibt hier praktische Orientierung, zumal wir wissen, dass die Abhängigkeit der Wertebildung von der sozialen Praxis vom ersten Lebenstag an stattfindet.


Und die Medien, können sie Werte vermitteln?

Horst Groschopp: Jo Reichertz ist einer der bekanntesten Medienwissenschaftler in Deutschland. Wir haben ihn gefragt, wie es denn mit den „Frohen Botschaften“ im Fernsehen an die Jugend aussieht und welche Rolle dabei Werte, Religionen und das Diesseits der Medienrealität spielen. Herausgekommen ist nicht nur ein kritischer Blick auf Medienkonsum, sondern eine tiefer gehende (und darum eben auch nicht sehr einfache Antworten gebende) Analyse, wie „Sinnbildung“ geschieht. Das relativiert den „Kirchenfunk“, lässt aber Humanisten fragen, ob das, was sie meinen, überhaupt vorkommt bzw. wie das, was da läuft, „weltanschaulich“ einzuschätzen wäre. Da helfen stereotype „säkulare Forderungen“ überhaupt nicht weiter.

Der Band vereint die Beiträge verschiedener Tagungen, die zu unterschiedlichen Themen arbeiteten. Lässt sich trotzdem so etwas wie ein vorläufiges Fazit zum Verhältnis von Humanismus und junger Generation ziehen?

Horst Groschopp: Das hängt davon ab, was unter Humanismus verstanden wird. Meint dies allgemeine humanistische Prinzipien wie Weltlichkeit, Solidarität, Individualität, Toleranz, Selbstbestimmung usw., so ist mir nicht bange angesichts der Ergebnisse der Jugendstudien. Die Frage ist doch aber, wieso funktioniert das in diese Richtung ohne den dezidierten Beitrag „eigener“ Einrichtungen. Für mich wäre die Antwort nicht, diese seien dann eben nicht nötig. Wir können aber zeigen, und dazu leistet das Buch einen kleinen Beitrag, was z.B. humanistische Kitas zusätzlich bringen. Und was wir gar nicht wissen, ist, wo ist gelebter „Volkshumanismus“ selbstverständlich und wodurch zeichnet er sich aus?

Das ist nun aber ein sehr positiver Blick. Was sagt denn der ehemalige Präsident des HVD zu dem Ertrag des Buches für den Verband?

Horst Groschopp: Es gibt in dem Band einen sehr lehrreichen Artikel über Demokratie in der „Jugendfeuerwehr Hamburg“ von Helmut Richter, einem Experten für „Vereinspädagogik“, den ich meinem Verband sehr ans Herz lege. Das Problem sei, so führt der Autor aus, dass sich jede Verbandsarbeit zwischen den Extremen „Ersatz-Familie“ und „Betrieb“ abspiele.

Daraus ergäben sich zwei Gefahren für die Demokratie im Vereinsleben: Wo der Verein Ersatz sei für Familiäres, wüchsen feudalähnliche Abhängigkeitsverhältnisse. Werde der Verein zum Betrieb, führe dies zur Disziplinierung der Mitgliedschaft und der Haupt- und Ehrenamtlichen, um den Betriebszweck – die Dienstleistungen – erfüllen zu können. Demokratie, so Richter, müsse es auch geben, „wenn jemand sich freiwillig und für begrenzte Zeit aus einer Sachnotwendigkeit heraus, einer Leitung unterordnet – und wenn im Nachhinein die Möglichkeit besteht, die getroffenen Entscheidungen zu diskutieren und gegebenenfalls zu kritisieren.“

Ich denke, das ist klar genug. Und so möge es bitte auch die Leserschaft mit diesem Sammelband halten: Kritik ist herzlich willkommen.

 

Die Fragen stellte Martin Bauer.

 

Horst Groschopp (Hrsg.): Humanismus und junge Generation. Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin, Band 3. Aschaffenburg 2010. Alibri; 176 Seiten, Abbildungen, kartoniert, Euro 18.-, ISBN 978-3-86569-074-6

 

Der Titel ist auch im denkladen erhältlich.