Deutschland Deine Kinder (Teil 3)

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Mein Name ist Dietmar Krone. Ich wurde 1954 in Remscheid geboren. Von März 1968 bis August 1973 stand ich unter Aufsicht der staatlichen Fürsorge. Es war Fürsorgeerziehung angeordnet. Einweisungsgrund: Sittliche Verwahrlosung. Die Sittliche Verwahrlosung begründete man damit, dass ich schulterlange Haare trug, die sogenannte Negermusik hörte, und in der Schule Lernschwierigkeiten hatte. In der Schule fehlte ich öfters, da ich auf Grund körperlicher Misshandlungen oft im Krankenhaus war. Mutter war alleinprügelnd, da mein Vater früh verstarb. In einer überfallartigen Aktion wurde ich im März 1968 von Polizisten festgenommen und in ein Polizeipräsidium verbracht. Nach 5 Tagen Einzelhaft teilte mir ein Jugendrichter folgenden Wortlaut mit. Im Namen des Volkes ergeht folgender Beschluss: „Der minderjährige Dietmar Krone geb. am 10.05.1954 wird auf Grund sittlicher Verwahrlosung bis zur Vollendung seines 21. Lebensjahres in eine geschlossene Erziehungsanstalt eingewiesen. Es ist Fürsorgeerziehung angeordnet.”

Zuvor wurde ich in eine geschlossene Nervenklinik eingeliefert, wo man mich mit Elektroschocks, Gehirnwasserpunktion, straffer Fixierung an das Bett, so wie der Verabreichung enormer Mengen Psychopharmaka quälte. Man wollte mich offenbar mit diesen Mitteln wieder in die Bahnen von Recht und Ordnung lenken.

Nachdem ich dort 6 Monate festgehalten wurde, überführte man mich direkt in das Erziehungsheim nach Süchteln. Dort angekommen, wurde ich der Gruppe von meinem zukünftigen Gruppenleiter als Geisteskranker vorgestellt. In einem Kellerraum musste ich mich vor anderen völlig entkleiden. Mein Kopfhaar wurde mir brutal entfernt. Ich wurde mit einem Wasserschlauch abgespritzt und dann mit einem Desinfektionspulver überworfen. Vor allen Gruppenmitgliedern musste ich mir meine Schambehaarung entfernen. Nachdem mir die Heimordnung ausgehändigt wurde, bekam ich einen blauen Arbeitsanzug verpasst. Meine Schuhe bestanden aus einem Paar glatten Holzbrettern mit Riemen, um ein Entweichen zu verhindern. Dann wurde mir sofort ein Arbeitsplatz zugewiesen.

Die ersten drei Monate habe ich im Freien alte schmiedeeiserne Zäune und Gitter mit einer Drahtbürste vom Rost befreien müssen. Es gab weder Handschuhe noch sonstige Schutzvorrichtungen, um die Lunge zu schützen. Dann habe ich viele Monate Elektroteile für die Industrie montiert. Im Sommer musste ich bei den Bauern auf den Feldern sehr hart arbeiten. Von 7:30 Uhr bis 18 Uhr Kartoffeln auflesen oder Obst und Gemüse ernten. Der Heimträger bekam von den Bauern 3 DM pro Kind und Stunde. Wir Kinder wurden mit 4 Pfennig pro Stunde entlohnt.

Bereits bei den kleinsten Verstößen gegen die Heimordnung, wie z.B. mit jemandem bei der Arbeit zu sprechen, folgten harte Strafen. Boxhiebe, Tritte, Ohrfeigen, das Verdrehen und Hochziehen an den Ohren, Arme Rumdrehen, sowie stunden- oder tagelanges Einsperren, bei völliger Dunkelheit in die Besinnungszelle bei Wasser und trockenem Brot.

Unser Gruppenleiter brachte auch öfters seinen Stolz darüber zum Ausdruck, dass er bei der Hitlerjugend war. Bei Adolf hätte man uns alle durch den Schornstein gejagt wie andere. Was er genau sagte, möchte ich jetzt hier nicht wiederholen müssen. Da hätte Zucht und Ordnung geherrscht. Die körperliche Züchtigung durch die Erzieher ging so weit, dass ich heute noch 5 Narben vorzeigen kann, die durch körperliche Misshandlungen im Heim entstanden sind. Mein linkes Schultergelenk wurde zertreten, weil mir zwei Teller aus der Hand fielen und zerbrachen. Meine Schulter hatte sofort operativ behandelt werden müssen. Es gab im Heim keinen Arzt. Stattdessen sperrte man mich drei Tage und Nächte in die Dunkelzelle, wo ich auf Grund von Knochenbrüchen, Muskel und Sehnenabrissen an den Knochen höllischste Schmerzen aushalten musste. Ich schrie vor Schmerzen aber niemand brachte mir schmerzstillende Medikamente. Trotz starker Schmerzen musste ich am vierten Tag wieder arbeiten. Das Gelenk ist schief zusammengewachsen. Seitdem bin ich linksseitig behindert.

Schulunterricht gab es im Heim nicht. Ich habe nicht einmal einen Volksschulabschluss. Mein letztes Zeugnis belegt den Besuch der dritten Klasse. Das hat mir im weiteren Leben viele Unannehmlichkeiten bereitet. Die nicht eingezahlten Beiträge fehlen mir heute an meiner Rente.

Ich bin ausgebeutet und misshandelt worden. Ich bin zum Krüppel getreten worden und wurde sexuell mehrfach missbraucht. Mir wurden heimlich Medikamente in das Essen gemischt, wie z.B. Valium, Librium und Hengolin etc. Nachdem ich von einem Erzieher so zugerichtet wurde, dass ich durch einen Schock tagelang nicht ansprechbar war, steckte man mich in die geschlossene Psychiatrie. Dort sollte ich die Welt des Schreckens kennen lernen. Auf Grund meiner schlechten Verfassung verbrachte ich dort 18 Monate. Nur durch die Initiative eines Arztes, eines Krankenpflegers und eines Anwalts wurde die Rückführung in das Heim verhindert. Erst im September 1973 konnte ich die Anstalt als freier Mensch verlassen und in das damalige Westberlin reisen.

In Berlin hatte ich enorme Schwierigkeiten einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden, da ich nicht einmal einen Volksschulabschluss nachweisen konnte und aus einem Erziehungsheim kam. Ich habe nur Arbeit bekommen, die andere nicht machen wollten. Die psychischen, und seelischen Schäden, die mir im Heim zugefügt wurden, sind nicht reparabel. Bis zum heutigen Tag bin ich immer noch in psychotherapeutischer Behandlung. Ein Gutachten belegt, dass eine Heilung der vielen Traumen ausgeschlossen ist. Eine Heilung der zertretenen Schulter ist unmöglich.

Als völlig gesunder Mensch kam ich ins Heim. Als ich dieser Hölle wieder entkam, war ich schwerbehindert. Die Grundlage für ein normales Leben wurde mir durch den Heimaufenthalt auf Lebenszeit zerstört. Ich bin seit vielen Jahren berentet und habe einen Schwerbehindertengrad von 70 %.

Im Erziehungsheim

Man schob mich ab ins Erziehungsheim,
6 Jahre, stand auf dem Schein. 

Auf Staatskosten würde ich hier leben 

dafür könnte ich auch arbeiten, 

und mich auch regen. 

Den ganzen Tag, von früh bis spät 

für 4 Pfennig die Stunde, 

so wie es hier steht. 

Prügel gab es fast jeden Tag, 

so viel, und oft, wie der Erzieher mag. 

Du bist kein Mensch,
du bist nichts wert,
du bist nur Dreck, 

drum nahm man dich,
aus der Gesellschaft weg. 

Das du hier bist, hat schon seinen Grund,
jetzt geh an die Arbeit, und halt deinen Mund. 

Wie ein Tier, sperrten sie mich ein, 

dabei wollt ich doch frei -und geborgen sein. 

Nun war ich hier, allein, verlassen, 

alle schienen mich zu hassen, 

niemand hat sich sehen lassen. 

Zu Weihnachten, kam keine Post,
und kein Paket, jeder aus dem Weg mir geht. 

Für jede Kleinigkeit, 
egal was immer, 

sofort in das Besinnungszimmer. 

Und die Seele schreit vor Not, 

nur Wasser gab´s, und trocken Brot. 

Dort war es dunkel, still und kalt, 

kein freundlich Wort im Heime schallt. 

Und jeden Tag, erneut und wieder, 

du bist kein Mensch, du bist zuwider. 

Du landest wieder in den Gassen 

dich wird man nie in Ruhe lassen, 

du landest ganz bestimmt im Knast, 

weil du keinen Charakter hast. 

Aus dir wird nie was, du bist nur Dreck, 

drum bist du hier, sperrt man dich weg. 

Und die Moral von der Geschieht, 

ich hab´s erlebt, ist kein GEDICHT. 



Dietmar Krone

Redaktion Evelin Frerk

 

 

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