Das „natürliche“ Sittengesetz
Das in Uganda wie auch in Europa von Anhängern christlicher Religionen immer wieder – wenn auch mit unterschiedlichen politischen Konsequenzen – vorgetragene Argument, Homosexualität widerspreche dem „natürlichen“ Sittengesetz, ist aus mehrfachen Gründen unhaltbar:
1. Es entspricht nicht den biologischen Tatsachen
2. Es unterliegt dem naturalistischen Fehlschluss (Humes Gesetz)
Natürlichkeit von Homosexualität:
Mehr als 1.500 Tierarten zeigen homosexuelles Verhalten, darunter vor allem intelligente, in Gruppen lebende Tiere. Dass diejenigen Gene, die Homosexualität (möglicherweise neben anderen Faktoren) mit bedingen, entweder für den Träger oder andere Individuen (Stichwort „kin selection“) evolutiv Vorteile gebracht haben muss, ist angesichts der weltweiten Verbreitung von Homosexualität evident. Ohne den besagten Fittnessvorteil wären die entsprechenden genetischen Anlagen schon längst durch evolutionäre Selektionsmechanismen aus dem menschlichen Genpool und dem Genpool anderer Tierarten verschwunden – was diese offensichtlich nicht sind (Quelle: GEO Kompakt Nr. 20, „Das Paradoxon der Homosexualität“, S. 85-89/Siehe auch Vortrag zum Thema Homosexualität im Lichte der Evolution von Prof. Dr. Thomas Junker auf einer Seite der Universität Trier). Homosexualität ist also ein im Tierreich einschließlich des Menschen weit verbreitetes Phänomen und in diesem Sinne „natürlich“.
Allein schon aufgrund des beim Menschen beobachtbaren Sexualdimorphismus zwischen Mann und Frau und aufgrund statistischer Untersuchungen spricht in empirischer Hinsicht nichts dafür, dass die vom christlichen Glauben propagierte lebenslange heterosexuelle Monogamie ein von der „Natur“ in irgendeiner Weise bevorzugte oder gar charakteristische Form menschlichen Zusammenlebens darstellt. So schreibt der Soziobiologe Prof. Eckart Voland in der FAZ: „Es gibt (fast) nichts an Ehe- und Familienformen, was es nicht gäbe, und jeder, der eine normative Ehemoral predigt, sollte sich besser nicht auf die Empirie des Vorfindlichen berufen. "Normal" erscheint gar nichts, nicht einmal im bescheidenen Sinn einer bloßen Statistik“. (F.A.Z., 30.08.2006, Nr. 201 / Seite 34, „Grundkurs in Soziobiologie (8)-Die monogame Ehe ist erklärungsbedürftig“). Nach einer 1986 von Flinn und Low an 849 Gesellschaften durchgeführten Untersuchung menschlicher Paarungssysteme waren davon 83% polygyn (ein Mann, mehrere Frauen), 16% monogam und 1% polyandrisch (eine Frau, mehrere Männer) (Quellen: „Mann und Frau aus der Sicht der Evolution“ Prof. Oberzaucher; „Soziobiologie“ Thomas P. Weber).
Die Auffassung, Homosexualität sei unnatürlich, die heterosexuelle monogame Ehe dagegen natürlich und die „artgemäße“ Paarungstypform des Homo sapiens, ist also schlicht und ergreifend vor dem Hintergrund heutigen (sozio-) biologischen Wissens über den Menschen falsch.
Naturalistischer Fehlschluss (Sein-Sollen Fehlschluss):
Dass der Mensch biologisch gesehen nicht auf ein bestimmtes „objektives“ oder „natürliches“ Paarungssystem festgelegt ist, und dass homosexuelles Verhalten bzw. Paarbindungen bei Tieren wie bei Menschen weit verbreitet sind, ist eine biologische, d.h. empirisch überprüfbare und nachweisbare Tatsache. „Natürlich“ ist für die Spezies Homo sapiens also ein breites Spektrum an Paarungssystem-Varianten, deren Ausprägung und statistische Häufigkeit innerhalb einer Gesellschaft in Abhängigkeit verschiedenster Rahmenbedingungen variieren kann.
Diese empirische Tatsache ist keine ethische Norm. Es ist eine Tatsache, die man – je nach ethisch/moralischer Position – begrüßen oder ablehnen kann. Die Existenz von Erdbeben, Vanilleeis und Kohlekraftwerken sind ebenfalls empirische Tatsachen. Aus deren Existenz folgt jedoch weder, dass besagte Phänomene deshalb normativ gut sind, noch dass diese deshalb abzulehnen wären. Wer versucht, eine Norm aus empirisch vorgefundenen Tatsachen abzuleiten, vermengt dabei Aussagen zweier völlig unterschiedlicher Kategorien – und begeht einen in der Philosophie als „Sein-Sollen“ Fehlschluss oder „Humescher Fehlschluss“ bekannten Fehlschluss.
Aus der faktischen Vielfalt menschlicher Paarungssysteme folgt also weder, dass diese deshalb in normativer Hinsicht wünschenswert sind, noch dass diese deshalb moralisch abzulehnen seien oder dass deren moralische Legitimität mit deren statistischen Auftreten korreliert.
Aus der Behauptung, ein objektiv für den Menschen charakteristisches bzw. „natürliches“ Paarungssystem würde in Form der lebenslangen heterosexuellen Monogamie existieren – eine Aussage, die noch dazu noch nicht einmal mit den empirischen Tatsachen übereinstimmt - abzuleiten, speziell dieses Paarungssystem sei deshalb auch moralisch gut, andere Paarungssysteme dagegen moralisch abzulehnen, ist also in doppelter Hinsicht falsch, weil zum einen schon die empirische Basis fehlt, zum anderen in argumentationslogisch unzulässiger Weise versucht wird, eine Norm aus biologischen Tatsachenaussagen abzuleiten.
Die von der katholischen Kirche propagierte These, Homosexualität sei unnatürlich und daher moralisch abzulehnen, hat in argumentationslogischer Hinsicht in etwa die Qualität wie das Argument, die weltweit statistisch am weitesten verbreitete und „natürliche“ Haarfarbe des Menschen wäre rot (unwahre Tatsachenaussage) und deshalb (Sprung vom Sein zum Sollen) seien auch nur Personen mit diesem biologischen Merkmal moralisch vollwertige Individuen unserer Gesellschaft (und z.B. für den Lehrberuf geeignet).
Fazit
Wenn die Kirche hinsichtlich heterosexueller monogamer Paarbeziehungen also von der einen, für den Menschen charakteristischen oder „natürlichen“ Paarbildungsform spricht, beweist sie dadurch ebenso viel Kenntnis des Menschen, seiner Biologie und seiner Sexualität, wie sie diese schon vor einigen 100 Jahren hinsichtlich astronomischer Fragestellungen trefflich unter Beweis stellte.
Was als Begründungsbasis einzig verbleibt, ist ein über 2.000 Jahre altes Buch voller logischer Widersprüche, empirischer Falschaussagen und inhumanen und inkonsistenten normativen Aussagen, in dem unter anderem auch gegen Homosexuelle gehetzt wird.
Letztlich entsprechen die Thesen der Katholischen Kirche in Deutschland zur Homosexualität genau den gleichen Grundthesen wie auch in Uganda: Homosexualität entspreche nicht der „natürlichen Ordnung“ und sei deshalb moralisch abzulehnen, außerdem erkläre die Bibel, Homosexualität sei Sünde.
Unterschiedlich sind nur die politischen Auswirkungen für die Betroffenen: während Homosexuelle in Deutschland dank der durch Vertreter der Aufklärung erstrittenen Menschenrechte weitgehend gleichberechtigt und sicher leben können, führen die gleichen antiquierten Argumentationsmuster in Gesellschaften, in welchen die Religion noch eine das tägliche Leben bestimmende Macht darstellt, zu einer sozialen Stigmatisierung Homosexueller und Andersdenkender, zu dem Verlust grundlegender Freiheitsrechte und zur weiteren Erosion der ohnehin nur wenig gefestigten rechtsstaatlichen Kultur eines Landes.
Die Denkmuster, die insbesondere bei der Katholischen Kirche in Bezug auf Homosexuelle zu Tage treten, sind steinzeitlich und werden moralisch nicht dadurch besser, dass in Deutschland glücklicherweise kaum noch jemand diese Organisation ernst nimmt.
Wer heute noch Mitglied der Katholischen Kirche ist, sollte sich fragen, ob er durch seine Mitgliedschaft wirklich weiterhin eine Organisation unterstützen will, die durch empirisch und argumentationslogisch unhaltbare Thesen Stimmungsmache gegen Gesellschaftsgruppen betreibt, die nicht in deren Menschenbild von vor 2000 Jahren passen.
Die Position der katholischen Kirche in Bezug auf Homosexuelle ist gesellschaftspolitische Brandstiftung, die dadurch nicht harmloser wird, dass das entfachte Feuer derzeit auf einem anderen Kontinent wütet.
Thorsten Barnickel
„Hängt sie!“ – Outing von "Top Homos" in Uganda (8. Oktober 2010)
(Wider)natürlich?! (25. November 2009)