BERLIN. (hpd) Ministerwechsel in Berlin: Wie es heißt, sollen neue Besen gut kehren, aber das ist bei den Positionen des neuen Innenministers die Frage. Ein Kommentar zur Leitkulturdebatte.
Der Rücktritt von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist schon einige Tage Teil der deutschen Geschichte und soll endlich zu den Akten gelegt werden. Es sei aber erlaubt, die Aussetzung (also die quasi Abschaffung) der Wehrpflicht als die entscheidende Maßnahme in der Amtszeit des Exministers anerkennend zu erwähnen.
Diese längst überfällige Entscheidung gegen viele Widerstände durchgesetzt zu haben, ist ein Meisterwerk, das viele junge Männer begrüßen. Es bleibt zu hoffen, dass der neue Chef der deutschen Soldaten ebenso hart und unerbittlich gegen die Ewiggestrigen anrennt, die der Meinung sind, die Zeit beim Barras würden einem jungen Mann gut tun. Deutschland gehört, nachdem die Wehrpflicht nicht mehr vollzogen wird, zu den fortschrittlichen Staaten, die ihre Streitkräfte mit Freiwilligen besetzen und sich damit der Praxis der Mehrheit der Nato-Staaten anschließen und damit auch international auf dem Stand der Dinge sind.
Der Rücktritt von zu Guttenberg hat das Postenkarussell in Berlin in Gang gesetzt und dazu geführt, dass der CSU-Mann Hans-Peter Friedrich zum Nachfolger im Amt des Innenministers berufen wurde. Friedrich bescherte der Koalition gleich zu Beginn seiner Amtszeit kurz vor der Fastnachtszeit schon eine Art von Aschermittwoch, als er in seiner ersten Pressekonferenz erklärte:
„Aber dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt.“
Herr Friedrich hält es offenbar für dringend notwendig, gleich zu Beginn seiner Amtszeit Muslime und Christen mit religiösem Donner gegeneinander aufzuhetzen, um im Anschluss den Terror abwenden zu können, der durch solche absurde propagandistische Kanzelreden in den Köpfen von Radikalen entsteht.
Lektion in Geschichte
Herr Friedrich scheint auch in Geschichte nicht sehr beschlagen, wenn er nicht weiß, dass die Beeinflussung des Abendlandes auf das so genannte Morgenland erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts begann. Bis dahin sah das anders aus. Die islamische Zivilisation wirkte auf das Abendland schon ein Jahrtausend zuvor ein. Wissenschaft, Technologie, Medizin und eine gewisse Aufklärung waren im Orient weit entwickelt und das zu einer Zeit, als die Christenheit von ihrer kirchlichen Obrigkeit in Dummheit und Gottesfurcht gehalten wurde. Dass wir heute die geistigen Schätze der antiken griechischen Philosophie und Wissenschaft kennen und schätzen, ist ein Verdienst orientalischer Gelehrter, Wissenschaftler und Philosophen.
Die zahlreichen Kriege, die Orient und Okzident ausfochten, wurden nie von Wissenschaftlern, Philosophen oder etwa Ärzten angestiftet, sie fanden immer im Namen der Religion statt. Sie waren die Konsequenz der schrecklichen Allianz von geistlicher und weltlicher Macht und dienten der Landgewinnung und allen voran der Missionierung. Die Kreuzfahrer missionierten fremde Völker mit dem Schwert, hinterließen Blut und Elend und brachten unter anderem viel Know-how nach Europa, das dieses Wissen im Laufe der Zeit anwandte und, als die Macht der Kirche bröckelte, auch verfeinerte.
Herrn Friedrichs Aussage mag einige fanatische Moslems zum Terror verführen. Aber seine Worte sind auch eine Fälschung geschichtlicher Tatsachen und sie dürfte bei den gebildeten Muslimen, die sich nicht allein auf die Religion beziehen, für reichlich Unverständnis sorgen.
Friedrich bekommt zwar hier und da Gegenwind, doch dieses laue Lüftchen wird sich schnell verziehen, und alsdann ist wieder alles in vermeintlicher Ordnung in unserer, von der christlich-jüdischen Kultur geprägten Gesellschaft.
Christlich-jüdisch?
Man staune ob des Kulturbegriffes „christlich-jüdisch“. Das erweckt den Anschein von Nähe und Harmonie der beiden Religionen. Doch alles hat seinen Grund. Wenn es gegen den Islam geht, werden auch die Juden mit ins Boot oder besser auf das Kriegsschiff geholt. Das Schwert gegen Andersdenkende oder Falschglaubende zu erheben, ist den religiösen Fanatikern seit geraumer Zeit – zum Glück für die Welt – versagt. Aber den Versuch, den jüdischen Glauben sozusagen dem christlichen anzuhängen, kann man ja machen. Leider funktioniert auch das mehr schlecht als recht. Der Zentralrat der Juden in Deutschland äußert sich sehr kritisch angesichts dieser Assimilation und verweist auf? - Worauf wohl: Auf die Geschichte.
Die Rücknahme der Exkommunikation der Piusbrüder durch Papst Benedikt XVI. liegt erst zwei Jahre zurück. Verfolgung, Ausgrenzung und Auslöschung jüdischer Menschen finden sich in den 2000 Jahren christlicher LEIT–Kultur mehr als genug.
Außerdem, wenn man schon religiöse Anschauungen zur Leitkultur eines Landes erhebt, was töricht, aber Alltag in Deutschland ist, sollte man es dann nicht korrekt gestalten?
Chronologisch betrachtet müsste es Jüdisch-Christliche Kultur heißen, denn wie jeder weiß, entwickelte sich das Christentum aus dem Judentum heraus. Freilich dann hätten Wulff, Merkel, Friedrichs und all die anderen Christen in der Regierung ein neues Problem. Die Kirchen würden sich zu Wort melden und sich auf ihren Alleinvertretungsanspruch gegenüber dem Göttlichen berufen, den sie anno dazumal von Kaiser Konstantin erhielten. Und wer von den deutschen Politikern legt sich schon mit der Geistlichkeit an?
Die deutsche Regierung hat ein permanentes Problem. Sie hat es, weil in unserem Staat weltliche und kirchliche Macht nur auf dem Papier getrennt sind. In einer wirklich säkularen Gesellschaft würden Äußerungen wie die von Herrn Friedrich nicht ohne negative Folgen für dessen Karriere bleiben.
Im Übrigen bekennen sich fast 35% der Deutschen nicht zu einer Religion und es werden immer mehr - auch bei den Muslimen.
Bleibt die Hoffnung, dass es gelingt, den Schulterschluss zu schaffen und gemeinsam ein Stück weiter zu kommen auf dem Weg hin zum wahrhaft säkularen Staat.
Sollte Herr Friedrichs durch seine Rede wieder ein paar mehr Menschen zu dieser Einsicht gebracht haben, dann hat er zumindest ein wenig dazu beigetragen.
Thomas Häntsch