Endlich: Kein Kreuz mehr mit dem Kreuz

Symbole brauchen eine Einbettung in Macht

Insofern ist das Urteil die Bestätigung eines inhaltslos gewordenen Christentums, dem die politischen, gesellschaftlichen und juristischen Konsequenzen bei Nichtbeachtung abhanden gekommen sind. (Das „Wer nicht zu Kreuze kriecht und glaubt, der wird dran glauben müssen!“) Die ‚Missachtung’ des passiven Angebots von moralischen Werten ist nicht mehr sanktionierbar. Symbole brauchen aber dieser Einbettung in Macht, sonst werden sie beliebig und das Kreuz hat eine gleichrangige Bedeutung wie Zipfelmützen, Lederhosen oder Osterhasen. Das hat eine Reihe von Konsequenzen.

Juristisch sind Blasphemievorwürfe gegen Künstler, die beispielsweise einen Frosch an ein Kreuz nageln, nicht mehr justitiabel.

Gesellschaftlich ist es jetzt ziemlich gleichgültig, ob ein Bischof oder eine Bischöfin das Kreuz auf der Brust auf dem Talar trägt oder die Sängerin Madonna ein ähnlich großes im tiefen Dekollete zwischen den Brüsten, es ist beides nur Blickfang und passive Dekoration.

Kulturell ist nun klar, warum in Draculafilmen – bei denen sowieso kaum jemand nachvollziehen konnte, warum ein Vampir sich durch den Abwehrzauber eines entgegen gehaltenen Kreuzes abgeschreckt sein sollte, bei dem stinkenden Knoblauch schon eher -, das Kreuz als passives Botschaftsangebot nicht mehr funktioniert.

Religiös könnte es zur Frage werden, was denn über die christlichen Altäre gehängt wird, wenn der eher folkloristische Brauch, zwei vieldeutige, querverbundene Bretter dafür zu verwenden, nur noch eine so geringfügige religiöse Bedeutung hat?

Pyrrhus-Sieg

Die Urteile des Verfassungsgerichtshofs in Österreich und des Europäischen Gerichtshof für Menschrechte sind Ausdruck der Kunst der hohen Diplomatie. Einerseits gibt man denen, die einem zornig Schwierigkeiten machen könnten, formal recht, andererseits gibt man eine Begründung dafür, die wahrhaft lächerlich ist.

Sollten Religionsvertreter also die Urteile positiv bewerten (wie „Die Stimme des Papstes und der Weltkirche“) „Das Kruzifix-Urteil ist 'vielleicht das schönste Geschenk' zum 150. Geburtstag Italiens“, dann kann man ihnen nur übermitteln, dass es ein klassischer Pyrrhus-Sieg ist, bei dem man zwar formell etwas gewonnen hat, aber die Kosten dafür ein Mehrfaches bedeuten werden.

Carsten Frerk.