Für die Abschaffung des § 166 Strafgesetzbuch

Menschenrechte und Religionsfreiheit – Freiheit von Religion

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KÖLN. (hpd) Religiöse Fundamentalisten töteten im Januar 2015 in Paris 17 Menschen, darunter Zeichner der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und Besucher eines koscheren Supermarktes, und im Februar in Kopenhagen zwei Menschen bei einem Anschlag auf eine Synagoge und eine Kulturcafé-Veranstaltung zum Thema "Kunst, Gotteslästerung und Meinungsfreiheit". Auch für das Rechtswesen in Deutschland stellt sich die Frage nach Konsequenzen.

Bei diesen aktuellen (und zahlreichen anderen) Ereignissen ist anhand der Täterbekenntnisse unstrittig, dass es sich jeweils nicht nur um einen Anschlag auf die betroffenen Menschen handelte, sondern auch auf die Werte eines säkularen und freiheitlichen Gemeinwesens.

Was kann der Rechtsstaat jenseits von besserer Integration, effizienterer Vorfeldaufklärung und Strafverfolgung tun? Wie können wir unsere Gesellschaft angesichts von religiös motivierter Intoleranz und Gewalt resilienter machen? Damit die Menschen in einer pluralen Gesellschaft friedlich leben und auch Religionen koexistieren können. Rasch wird bei schockierenden Attentaten dieser Art in Politik und Medien die Verschärfung von Gesetzen gefordert. Vielversprechender ist jedoch die Aufhebung von bestimmten religiös geprägten Rechtsnormen, mit denen religiöse Besonderheiten auch in Deutschland verankert werden. Die den Religionen und den sich auf diese beziehenden Fundamentalisten eine Sonderstellung geben. Und die eine größere rechtspolitische Klarheit im Sinne eines säkularen und freiheitlichen Gemeinwesens verhindern.

Der folgende Zusammenhang ist wahrscheinlich: Gewaltsame Übergriffe religiöser Fundamentalisten in die Grund- und Menschenrechte, in die Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit, finden leichter in einem politischen und gesellschaftlichen Resonanzraum statt, in dem die Übergriffe der Religionsfreiheit in die Freiheitswerte der Grund- und Menschenrechte, in die Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit, zur althergebrachten Rechtspolitik gehören.

Daher ist aus dem Bereich des deutschen Religionsstrafrechts der § 166 Strafgesetzbuch als eine dieser Rechtsvorschriften ins öffentliche Blickfeld gerückt. Es handelt sich dabei um das Verbot der Gotteslästerung oder Blasphemie. Genauer, um das Verbot der Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen.

Auch wenn die Bundestagspetition zur Abschaffung des § 166 Strafgesetzbuch Mitte Februar 2015 nicht die geforderten 50.000 Mitzeichnungen erhalten hat: die rechtspolitische und gesellschaftliche Relevanz zur Befassung der Gesetzgeber bei Bund und Ländern mit dem Ziel der Abschaffung dieser und vergleichbarer Vorschriften besteht!

Wie Michael Schmidt-Salomon, Antragssteller der Bundestagspetition und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) feststellte: "Man muss sich vergegenwärtigen, dass nach deutschem Gesetz die Satiriker von 'Charlie Hebdo' hätten verurteilt werden können, weil ihre Zeichnungen Fundamentalisten dazu animierten, Terrorakte zu begehen. Eine solche Umkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses dürfte es in einem modernen Rechtsstaat nicht geben!" und der Gesetzgeber müsse klarstellen, dass er die "Freiheit der Kunst höher gewichtet als die verletzten Gefühle religiöser Fanatiker."

Neben den politischen Argumenten gibt es aber auch rechtliche Argumente, den Gotteslästerungsparagraphen ersatzlos zu streichen. Ist der Eingriff in die Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit in Artikel 5 des Grundgesetzes durch § 166 Strafgesetzbuch notwendig und verhältnismäßig? Das darf bezweifelt werden. Zwar werden diese Freiheiten nicht grenzenlos gewährt und das Grundgesetz und die internationalen Menschenrechtsabkommen schützen neben der Meinungsfreiheit auch die Religionsfreiheit. Allerdings ist diese keinesfalls höher zu gewichten als die Meinungsfreiheit – also das Gegenteil dessen wie es die Regelung des § 166 Strafgesetzbuch nahelegt.

Darf Meinungsfreiheit, Kunst und Satire alles? Selbstverständlich nicht: Personen und Personengruppen sind in Deutschland hinreichend per Gesetz geschützt, unter anderem bei Beleidigung (§185 Strafgesetzbuch), übler Nachrede (§ 186 Strafgesetzbuch), Verleumdung (§ 187 Strafgesetzbuch) und Volksverhetzung (§ 130 Strafgesetzbuch).

Noch im Jahr 2014 beschloss dahingegen der 70. Deutsche Juristentag die Empfehlung, den § 166 Strafgesetzbuch beizubehalten, „da diesem, ebenso wie anderen friedensschützenden Tatbeständen, in einer kulturell und religiös zunehmend pluralistisch geprägten Gesellschaft eine zwar weitgehend symbolhafte, gleichwohl aber rechtspolitisch bedeutsame, werteprägende Funktion zukommt. Er gibt religiösen Minderheiten das Gefühl existenzieller Sicherheit.“

Abgesehen davon, dass § 166 Strafgesetzbuch ausgerechnet den kleinen Minderheiten keinen Schutz und damit kein Sicherheitsgefühl bietet, sondern nur größeren Religionsgruppen, kommt dem Blasphemie-Paragrafen in der Tat eine rechtspolitisch bedeutsame, werteprägende Funktion zu: in negativer Hinsicht.

Es ist kein rechtliches Argument bekannt, warum gläubige Menschen im säkularen Staat eine Bevorrechtung gegenüber Atheisten, Azahnfeeisten und allen sonstigen Nicht-Gläubigen, oder auch gegenüber Parteimitgliedern und Fußballvereinsmitgliedern erhalten sollen. Auch kirchenaffine Staatsrechtler wie Prof. Josef Isensee vertreten die Ansicht, dass eine Verschärfung des Blasphemieverbots, wie sie immer wieder populistisch von klerikal orientierten Spitzenpolitikern aus allen Parteien (nicht nur aus den Parteien mit Religionszuordnung im Namen) gefordert wird, gegen das Grundgesetz verstieße.

Recht ist religionsfreie Zone

Im Mittelalter sollten die Vorläufer des § 166 Strafgesetzbuch dazu dienen, die christliche Gemeinschaft vor dem Zorn ihres Gottes zu schützen. Sein rechtsgeschichtlicher Kontext ist aus der Zeit, als die unangefochtene Amtskirche die Religionsfreiheit als Kapitalverbrechen begriff. Auf das Vergehen stand der Tod im Diesseits und ergänzende, umfassende Folter im Jenseits. Das änderte sich im weltlichen Gerichtswesen Deutschlands durch die Aufklärung. Das Rechtsgut wandelte sich vom Schutz des Gottes, über den Schutz der Gefühle der Gottesgläubigen bis heute zum Schutz des öffentlichen Friedens. Denn Religionen konnten bislang nicht nachweisen, dass es den zentralen Gegenstand der Beschimpfung, den persönlichen Gott als Zentrum des beschimpften Bekenntnisses, überhaupt gibt. Und dennoch blieb der Geist des religiösen Vorrechtes bestehen und heute ermutigt das deutsche Blasphemie-Gesetz die gläubigen Menschen, sich beleidigt zu fühlen und ihre Emotionen aggressiv bis hin zur Gewaltsamkeit zu äußern.

Wen schützt der Paragraf? Es sind keine Fälle bekannt (und denkbar), dass Anhänger einer humanistisch, rational und säkular orientierten Weltanschauung gemäß § 166 Strafgesetzbuch durch Satire und Spott ihre Gefühle verletzt sähen, daraufhin den öffentlichen Frieden stören und ihre Attentatsopfer (jedenfalls die Überlebenden) für 3 Jahre ins Gefängnis einwandern sollen. Dafür bietet eine Weltanschauung, die sich nicht auf die mutmaßlichen Vorgaben eines übernatürlichen, allmächtigen und allwissenden Wesens beruft, keinen Anlass und keine Rechtfertigung. Würde beispielweise ein evolutionärer Humanist zur Gewalt greifen, Menschen und öffentliche Gebäude anzünden, wenn an seiner Weltanschauung scharfe Kritik vorgebracht wird? Wenn beispielsweise Darwins Evolutionslehre nicht belegbar oder gar widerlegt sei; eine menschliche Stammzelle nicht eine Zelle, sondern ein beseelter Mensch sei; der Mensch kein sterblicher Trockennasenaffe, sondern Gottes Ebenbild mit ewigem Seelenleben sei. Der evolutionäre Humanist würde – auch bei scharfer Kritik – diese auf Grund seiner Weltanschauung willkommen heißen (müssen). Wenn es sich bei den Beschimpfungen um wahre Tatsachenbehauptungen handelt oder er damit auf innere Widersprüche seiner Thesen hingewiesen würde, wird er seine Weltanschauung sogar der Realität anpassen. Und nicht den umgekehrten Weg wählen. Kein evolutionärer Humanist würde auf Grund seiner Weltanschauung den öffentlichen Frieden in einem demokratischen Rechtsstaat stören oder seinen Mitmenschen damit drohen (können).

Weltanschauliche Bekenntnisse, die auf dem Diesseits, auf Humanismus, Naturalismus und wissenschaftlicher Rationalität basieren, haben keinen Absolutheitsanspruch. Schon deshalb können sie nicht herangezogen werden, um einen Hegemonialdrang über andere Bekenntnisse und Personen auf Grund von unhintergehbaren Wahrheiten auszuüben. Sie halten scharfe Kritik aus.