Prall: Der Dicke König

(hpd) Ralf König hat seine besseren und besten Arbeiten aus elf Jahren, einige zuvor unveröffentlichte, auf mehr als dreihundert Seiten zusammengestellt und ein begeisterter Denis Scheck schrieb dazu das Vorwort. König, der Querdenker, beweist wieder einmal, dass er verblüffend gekonnt von hinten durch die Brust ins Auge schießen kann.

 

Wenn etwa in „Betriebsklima“ die Büroangestellte die sexuell anzüglichen Sprüche des schwulen Kollegen goutiert, dieselben, angeblich herbeigewünschten Sprüche des Hetero-Kollegen allerdings dann doch empört als Belästigung empfindet (S. 9). In sechs Kapitel ist das Buch unterteilt, von „1. Nasenspray. Sprühende Vielfalt“, bis „6. Könnte mal einer kommen? Schamloses“ (fürwahr!). Selbstredend ist auch „3. Heiliger Bimbam, bitte für uns! Beweihräuchertes“, vertreten, so dass neben dem Reisefieber in die exotische Ferne, Schutzengeln und Schwuleninterna auch religiöse Absurditäten vorgeführt werden.

Allein der Aufmacher des „Nasenspray“ ist köstlich, bietet doch ein Eingeborener auf dem exotisch fern gelegenen Markt sein bestes Teil an. Das mittelalte bis ältere Hetero-Paar ist peinlich pikiert, der Schwarze grinst. Im „Hotel Green Hell“ erweist sich der Wunsch, nicht das Übliche, sondern „mal was Anderes“ auszuprobieren, als extrem schmerzhafter Flop für den Mann, dessen Ehefrau mit Kopftuch FKK macht, „falls hier irgendwelche Islamisten rumlaufen! Man weiß ja nie...“ (S. 18-23). Und ein Sohn, der den Eltern sein Coming-Out verkündet, überlegt sich’s aufgrund von deren Reaktion ganz anders als man denkt (S. 24/25).

Ralf König versteht es prächtig, aus alltäglichen Standardsituationen geniale Weisheiten zu generieren. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und zensiert, soweit feststellbar, nichts. Er ist schamlos, ohne obszön zu sein. Er zeigt nackig, was nackig gehört, entblättert seine Protagonisten, blamiert sie auch mal – beziehungsweise er zeigt, wo sie sich blamieren und wie und warum. Trotzdem provoziert er für viele seiner Figuren Verständnis. Nicht für alle. In seinen Geschichten bezieht er Stellung, bekennt sich, handelt politisch, und zwar auf vielen Gebieten und Ebenen. Schönheit, Alter, Religion, CSD, Sex, Drogen, Fernreisen, Exotik und Beziehungen, Interaktionen und Kommunikation, bereitet der Matador des Wortes und Bildes in verschiedensten Variationen auf, öffnet dadurch Türen, ermöglicht so neue Perspektiven.

In einer Hommage an Wilhelm Busch reimt König eine Geschichte über Max und Moritz und deren Rache für vergangene Untaten des frommen Pfarrers Schlomm, der so fromm wirkt wie sein Name vermuten lässt. Jedoch explodieren seine Verklemmungen von Zeit zu Zeit und der unterdrückte Sexualtrieb bahnt sich seinen unkontrollierbaren Weg (S. 64-70). Ein wahrer Splatter ereignet sich dann unter „2. Historienschinken. Sandaliertes“, in „The Games 776 v. Chr“, Örg!! (S. 90-95). Und die Geschichte Abrahams mit Gott, der Ehefrau und einer Gurkensuppe findet sich unter „Götterspeise“ (S. 111-115). In den Schutzengel-Begebenheiten wird manches Mal klar, dass Schutzengel nicht immer das sind, was man sich unter Schutzengeln vorstellt. Vor allem jener in „Also... Es war einmal...“ – Wenn einer unter Umständen nur glücklich sein kann, solange er nicht so viel nachdenkt (S. 163-167).

Geliebt wird auch, zuhauf. Streit, hoffnungsloser Kummer, Herzschmerz, wehe Brustwarzen, geile Männerkörper, junge Dinger, alte Bären, Poppers, Barebacking und kurze Nummern auf dem Autobahnparkplatz. Na ja, die Übergänge zwischen Liebe und Sex verschwimmen auch bei Schwulen manches Mal. Meist ist die Trennung aber klar: Hier Sex, da Liebe. Schlaffe Partner, die nur noch passiv herumliegen, sich beim Sex nicht mal mehr bewegen. Alt eingefahrene Pärchen, die sich selbst vergessen und manchmal wieder(er)finden. Und zugleich werden Grenzen aufgebrochen, brutal vorgeführt: Die schwule Lebensart gibt es nicht. Und es gibt sie doch: „Kreisch!!! Nana Mouskouri!!!“ Versus: Politik der Gleichberechtigung (S. 187; Kapitel „4. Samba! Feierliches“).

In „5. Faltenwürfe. Schleichendes Siechtum“ erfahren wir, wie der Druck der Jugend einem zu schaffen machen kann, Hypochonder und fishing for compliments produziert, nein, ein Lifting brauchst du nicht. Das fängt bereits früh an, nämlich mit 19 („Knöspchen“, S. 204/205). Der Tod steht eigentlich schon vor der Tür, daher braucht man vor dieselbe nicht mehr zu gehen. Vielleicht sollte man aber doch lieber hoppeln? („Poesie und Ratio“, S. 214/215)