Als ich meine typisch ‚deutschen’ Vorbereitungen für diesen Besuch organisiert hatte, Fahrpläne, Verbindungsdaten, Informationen ausdrucken, da habe ich mich gefragt, ob es diese Planungsdaten sind, die Länder erst zivilisiert machen. Wenn ich ins Internet gehe, dann weiß ich, dass der Bus 47 am Montag um 08:22 Uhr von der Waterloo Station abfährt, so und so lange braucht und dann dort ankommt ... Also, die Idee, dass alles so durchorganisiert ist, mit Zeitplänen, Fahrplänen, Öffnungszeiten, mit Veranstaltungskalendern ... ist das zivilisierte Kultur? Es ist doch ein umfassend geregeltes Leben.
Das interessiert mich zwar, aber ich selber lebe meist ohne diese ganzen Regeln. Ich gehe eher zum Flughafen und sage, ich nehme das nächste Flugzeug, das in die Richtung fliegt, in die ich möchte. Und wenn ich einen halben Tag warten muss, das macht mir gar nichts, ich habe ja Bücher bei mir. So bin ich eher. Aber deine Art ist natürlich viel effizienter.
Na gut (gemeinsames Lachen), ...
Ja, meine Methode ist eher ungehobelt. Ich kann sie mir auch nur leisten, weil ich so viel Zeit habe und weil ich ja irgendwie auch immer meinen Arbeitsplatz mit mir herumtrage.
Aber ich denke, dein Lebensentwurf ist dann spannender ...
Manchmal, manchmal auch nicht ... (Sie lächelt)
Schau, wenn bei dir die Dinge funktionieren ... Du willst an einem Tag noch irgendwo hin fliegen und es geht an dem Tag auch noch ein Flugzeug, dann freust du dich und sagst vielleicht: „Schön! Ich habe nur ein halben Tag warten müssen und brauchte nicht zu übernachten oder musste nicht wieder nach Hause fahren ...“. Meine Auffassung ist dagegen anders. Es ist ja alles wie am Schnürchen geplant und wenn etwas nicht funktioniert, dann bin ich ziemlich irritiert, vielleicht sogar durcheinander oder verärgert. Für Überraschungen ist in diesen Situationen, die ich aber nicht nur lebe, eigentlich kein Platz.
Ja, bei mir gibt es für Überraschungen sehr viel Platz. Aber es passiert eigentlich wenig Überraschendes. Die Schauspielerin Maria Schell hat mir einmal gesagt, man müsse sich einmal irgendwo in New York auf eine Bank setzen, ewig, und schauen, was mit einem passiert. Da kommt dann bestimmt etwas ganz Neues. Aber etwas so Extremes habe ich eigentlich noch nie gemacht.
Aber das würde heißen, man muss geduldig sein.
Ja, man muss geduldig sein, man kann es aber auch herausfordern. Ich kann jetzt nackt auf die Straße rennen und dann habe ich schon ein Abenteuer ... (Lachen) Dann passiert alles Mögliche, ... angefangen von der Polizei und ich würde dann sicherlich heute Abend nicht hier sitzen, sondern in irgendeiner Anstalt, wo sie mich ein bisschen beobachten ...
Das wäre ein Abenteuer, aber sicher keines, das man sich wünschen würde?
Nur wenn es gut ausgegangen ist, nennt man es hinterher gerne ein Abenteuer ..., wenn es schlecht ausgeht, dann hat man andere Wörter dafür, dann war es zumindest ein Unglück. Ganz steuern lässt sich eben nicht alles ... Bis jetzt.
Ich habe in diesem Moment, wie auch im Allgemeinen, den Eindruck, dass sich Komödien und Tragödien im Theater nicht in ihrer Ausgangssituation unterscheiden, sondern nur dadurch, dass an einer bestimmten Stelle jemand etwas sagt oder eben nicht sagt, und aus diesem Nicht-Sagen entsteht häufiger eine Tragödie ... wenn jemand es sagt, dann bleibt es einfach lustig. Hinsichtlich des Aspekts Abenteuer oder Nicht-Abenteuer ist die Grundsituation die gleiche: Es handelt sich um eine ungewöhnlichen Situation einer Bedrängung oder eines Erlebens, und je nachdem was dann passiert, wird es dann das Abenteuer in der Rückerinnerung oder ein dramatisches, schlimmes Erlebnis, was einen das ganze Leben niederdrücken kann. Aber der Ausgangspunkt ist möglicherweise derselbe.
Es ist richtig, dass die Situation, dass einem jemand keine Antwort gibt, sofort etwas Ungewöhnliches ist. Wenn die Antwort ausbleibt, kann sich in einem Stück vieles verändern. (Denkt nach) In Stücken hab ich es schon ausprobiert, im Leben fällt mir das Riskieren schwerer.
Was heißt Risiko? Risiko wird doch so gebraucht, dass man nicht weiß, wie sich etwas entwickelt, ob es sich zum Guten oder zum Schlechten entwickelt, ...
Ja. Aber ich habe ein gewisses Talent zum Glück. Ich denke immer, dass es sich zum Guten entwickeln muss oder sogar zum Noch-Besseren ..., zumindest wenn ich wieder einmal umziehe.
Wie ist es, wenn du eine Arbeit begonnen hast und in dieser Zeit deinen Wohnort veränderst, würde die Geschichte, die Handlung dann einen anderen Verlauf nehmen?
Wenn ich an etwas schreibe, würde ich nicht umziehen, bevor es fertig ist. Aber ich bin schon mit ganz starken Plänen umgezogen, das und das wird gleich nach der Ankunft in Angriff genommen, wird jetzt geschrieben, und dann machte ich etwas ganz Anderes. Das passiert. Die ganze Zeit eigentlich.
Verändert der Raum also den Menschen?
Ein bisschen. Aber mehr die Leute, mit denen man zusammen ist. Die verändern einen schon .
Mein Eindruck für mich ist, dass ich viele Facetten habe und welche davon zum Tragen kommen, das hängt sehr stark von der Resonanz der Menschen ab, mit denen ich zusammen bin.
Ja, eben, man verändert sich, je nachdem mit wem man zusammen ist ... Nicht ganz, aber ein bisschen. Und das macht vielleicht das Umziehen interessant, zu sehen, wie man sich dabei verändert ... Aber ich denke, dass ich mich im Laufe meines Lebens nur wenig verändert habe. Ich hatte mein ganzes Leben lang die Möglichkeiten, mich zu entscheiden. Deshalb ist vielleicht auch die Freiheit eines meiner Hauptthemen geworden ... Wenn ich schreibe, kommt irgendwo auch immer die Freiheit vor.
Es ist schon eine große Herausforderung in totaler Freiheit zu leben, wie ich es die meiste Zeit in meinem Leben versucht habe ... Natürlich nicht als Kind. Es ist eine so schwierige Sache, weil man für alle Folgen - für das, was man selbst entschieden hat, in aller Freiheit - auch wieder selbst verantwortlich ist. Viele Leute schwärmen so von der Freiheit, ich schwärme nicht davon, ich bin froh, wenn ich etwas habe, was mich festhält. Zumindest ein paar Verhaltensregeln. Als ich eine junge Mutter war, musste ich dort bleiben, wo mein Kind zur Schule ging, und so weiter. Das war eigentlich gar nicht so schlecht. Sonst wäre ich wahrscheinlich auch schon damals herumgereist.