Wer bestimmt, wer wen lieben darf?

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Fotos: Frank Navissi

BERLIN. (hpd) Wer wen liebt, entscheiden die Beteiligten. Und nicht der Staat! Oder? Homosexualität als Grund für körperliche Züchtigung bis hin zu Hinrichtung oder empfindlichen Geld- oder Freiheitsstrafen ist immer noch schreckliche Realität in vielen Ländern. Am Samstag wurde beim schwul-lesbischen Parkfest Friedrichshain auf die fatale Situation homosexueller Menschen im Iran aufmerksam gemacht.

Auf dem Parkfest fand sich auch Politprominenz ein: Berlin ist im Wahlkampf. So auch der Regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit. Der ebenso wie Politiker der Linken und von B90/die Grünen am Stand der Menschenrechtsaktivisten mit einem grünen Band ausgestattet wurde, auf dem in Farsi – „Azadi = Freiheit“ geschrieben stand.

Wir sprachen mit drei Aktivistinnen.

Katayun Pirdawari

(Politologin, Iranistin, politische Aktivistin)
 

hpd: Sie haben diesen Stand hier auf dem lesbisch-schwulen Fest in Friedrichshain organisiert um die auf die Situation der Homosexuellen in Iran hinzuweisen. Was empört Sie so, dass Sie aktiv geworden sind?

Pirdawari: Ich bin 1977 mit 14 Jahren nach Deutschland gekommen. Kurz vor der Revolution 1979, kurz vor den Repressalien für Frauen und Homosexuelle im Iran und kurz vor der Abschaffung der Freiheit zur Gunsten des Islam, der eigentlich Frieden heißen soll. In Deutschland bin ich seit 1979 Iran-Aktivistin, jedoch in keinen Verbänden oder Vereinen. Die Wahlen 2009 haben mich dazu bewogen noch aktiver zu werden.

Stop-Killing-in-Iran begann mit einer Zeichnung. Ich habe die iranische Fahne gezeichnet, Bilder der zwei ermordeten Homosexuellen in Iran hineinkopiert und auf die Fahne in Grün und Rot (STOP-KILLING-IN-IRAN) geschrieben. So ist die Idee geboren worden...

Damit habe ich die Aktion gestartet, die sich nicht nur um den Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen, sondern insbesondere auch um die LGBTI- und Frauenrechtsverletzungen bemüht. Aktionen im Jahre 2010 auf dem schwul-lesbischen Straßenfest, dem CSD und dem SchwuLesbischen Parkfest Friedrichshain 2010 haben eine Solidaritätswelle in der Queer-Community verursacht, was mich dieses Jahr wieder dazu bewog, die heutige Aktion zu starten.

Historie

Spätestens seit der Hinrichtung von zwei schwulen Jugendlichen - Mahmoud Asgari und Avaz Marhoni – (2005) im Iran wurde die Welt auf die Situation Homosexueller in Iran aufmerksam.

Seit der sog. „islamischen Revolution“ 1979 wurden Hundertausende aufgrund ihres Freiheitswillens, aber auch wegen ihrer sexuellen Wünsche und Identitäten verhaftet. Sie wurden und werden gefoltert, vergewaltigt und hingerichtet. Unter den Opfern befanden sich auch mindestens 8000 Homosexuelle.

In ihrem Falle handelten die religiös-konservativen Rechtsgelehrten nach dem Gesetz, der Scharia. Seit den manipulierten Wahlen zu Gunsten Ahmadinedschads 2009 wurden die Repressalien gegen Homosexuelle noch weiter verstärkt. Dazu genügt es oft, „unüblich“ auszusehen. Die vier Zeugen, die das religiöse Gesetz für eine Verurteilung entsprechend der Scharia vorschreibt, werden gar nicht mehr angehört. Da es ja – nach Aussage von Ahmadinedschad - in Iran keine Homosexuellen gibt, wurde und wird ihnen Verrat, Drogenhandel oder Ähnliches vorgeworfen. Und entsprechend verurteilt.

Die erfolgreichen Demonstrationen der letzten Monate haben nichts an der Lage der Menschen im Iran verändert. Die Wortführer sind festgenommen oder sind aufgrund starker Folter geflüchtet. Mit unseren Aktionen im letzten und in diesem Jahr wollen wir nicht nur unseren iranischen FreundInnen unsere Solidarität zeigen. Sondern daran erinnern, was diese mutigen Menschen tagtäglich zu erleiden haben.

 

Farin Fakhari

(Kommunikationswissenschaftlerin, Politologin, internationale Flüchtlingsarbeit mit Schwerpunkt Iran)
 

hpd: Sie arbeiten seit mehr als zwei Jahren fast Tag und Nacht, um den zahlreichen Flüchtlingen Überlebenschancen zu ermöglichen. Dabei haben Sie beispiellose Vernetzungen mitgestaltet und erlebt. Welche Erfolge sehen Sie? Wo sind die Baustellen am größten, beispielsweise im Hinblick auf deutsche Flüchtlingspolitik?

Fakhari: Ich bin 1983 nach meiner Verhaftung aus dem Iran nach Deutschland geflohen, arbeite seit der Niederschlagung der Protestbewegung im Iran seit nunmehr über zwei Jahren rund um die Uhr, um iranischen Flüchtlingen zu helfen.

Zusammen mit anderen haben wir ein Netz von Iranern und Deutschen aufgebaut. Wir haben Kontakt mit Gestrandeten in der Türkei oder im Nordirak und bemühen uns immer wieder erfolgreich, diesen durch umfangreiche Recherche, vor allem aber persönliche Kontakte Chancen zu bieten, aus Drittländern oder weiteren Staaten in die Bundesrepublik und andere westeuropäische Ländern einzureisen. Wir tun alles, um den hier Eingereisten zu helfen, sich in den ersten Monaten einzufinden, Deutschkurse zu belegen und mit Hilfe der Wohnungswirtschaft günstige Wohnungen zu beziehen. Dazu haben wir Kontakt mit allen wichtigen Institutionen – vom Auswärtigen Amt, Jobcenter bis hin zu Ärzten. Das Einleben ist den meisten Flüchtlingen, die auf diesem Weg z.B. nach Berlin gekommen sind, dank der Unterstützergruppe bisher gelungen. Eine großartige, wunderbare Leistung, wie uns alle bescheinigen.

In manchen Bundesländern haben wir die Institutionen auf unserer Seite, manchmal mangelt es aber bei der reibungslosen Zusammenarbeit mit den Institutionen in Detailfragen und zwei Jahre nach der Niederschlagung der Protestbewegung im Iran hat auch das Interesse vieler Iraner und damit auch das Verständnis für ihre iranischen Flüchtlinge nachgelassen.

Positiv ist, dass es uns gelungen ist, auf besonders Gefährdete oder besonders traumatisierte Flüchtlinge aufmerksam zu machen und sie herzuholen. Dies geschah dank der Kompetenz und der Großzügigkeit deutscher Ministerien. Ich wünsche mir zusammen mit dem Verein, der Flüchtlingshilfe Iran 2010 und der ausgezeichneten Website sowie Mitarbeitern wie Lutz Bucklitsch, dass die Öffentlichkeit noch mehr über die furchtbare Menschenrechtssituation im Iran erfährt und dass noch mehr solcher Gefährdeter eine Chance erhalten, hier in Europa eine neue Heimat zu finden. Im Bereich der Integration gibt es ständig neue Herausforderungen und es hängt sehr von der Freundlichkeit und Kompetenz der jeweiligen Mitarbeiter in den Behörden ab, aber auch der Flüchtlinge selbst, ob es weiterhin positiv verläuft.

Trotz Verbesserungsmöglichkeiten könnte man sagen, dass in Deutschland das soziale Netz die Flüchtlinge gut aufnimmt und für die besonderes Traumatisierten immerhin erste und kostenlose medizinische und psychologisch Ersthilfen gibt, was z. B. in Frankreich nicht der Regel entspricht und in den USA unvorstellbar wäre.

Vor etwas mehr als zwei Jahren sind die ersten Flüchtlinge in Deutschland eingetroffen. Viele können inzwischen gut Deutsch sprechen und haben sich unter andere Exiliraner gemischt und machen gemeinsam Aktionen, wie zum Beispiel in Berlin, wo sie durch eine wunderbare künstlerische Aktion, die mit Hilfe anderer iranischer Flüchtlinge, die bereits fest hier etabliert sind, durchgeführt haben.

Susan Navissi

(Lehrerin für Humanistische Lebenskunde):
 

hpd: Was hat sie bewogen, sich für homosexuelle Menschen in Iran zu engagieren?

Navissi: Es geht mir hier heute sicher um jene, die offenbar nicht selbst entscheiden dürfen, wen sie wie lieben, sondern im Gegenteil um ihr Leben fürchten müssen, sollten sie gleichgeschlechtliche PartnerInnen lieben. Dies ist, neben einigen anderen Ländern, auch im Iran der Fall.

Ich war 12 Jahre alt, als die Revolution in Iran ein diktatorisches Regime stürzte, um gleich darauf ein anderes zu errichten. Ich war 13 Jahre alt, als der Iran-Irak-Krieg begann und die Aufmerksamkeit ablenkte von den vielen Verbrechen, die innerhalb des Landes verübt wurden, wie Massenhinrichtungen von linken Oppositionellen und einer beispiellosen Drangsalierung der Bevölkerung, bei der zum Beispiel angeblich religiös bestimmt wurde, wer sich wie zu kleiden hat, wer mit wem auf der Straße laufen darf und anderes.

Der Schmerz und die Hilflosigkeit, dies aus der Ferne zu beobachten und eine Erziehung, die mich lehrte, die Freiheit des Einzelnen zu achten, führten dazu, dass ich mich engagiere, wenn ich Unrecht sehe. Auch, aber nicht ausschließlich bei Themen, die den Iran betreffen. Liebe und Sexualität sind für mich private Dinge, die zwischen jenen verhandelt werden, die sich lieben und/oder begehren, nicht zwischen Regierung und Regierten.

Im Rahmen meiner Arbeit lehre ich Kinder, sich gegenseitig zu respektieren, die Menschen- respektive Kinderrechte zu achten. Angesichts der zahlreichen Verletzungen eben dieser hart erkämpften Rechte fällt es sogar mir, als überzeugter Optimistin, manchmal schwer daran zu glauben, dass eines Tages alle diese kennen und danach leben werden. Aber nur manchmal!

 

F.N.

 

Weitere Veranstaltungsfotos finden sich hier