„Die Dummheit ist ja tatsächlich überall“

(hpd) Sie ist Voraussetzung für jede Karriere, Garant für bleibenden Reichtum, Grundlage einer zufriedenen Existenz – die Dummheit. Diese These vertritt Esther Vilar in ihrem in einer Neuauflage erschienenen Buch „Der betörende Glanz der Dummheit“.

 

Der hpd sprach mit der Autorin über die Segnungen der Dummheit im Computerzeitalter, die Kunden von Überlebensversicherungsgesellschaften und die Hoffnung auf Veränderung.

Ihre Definition von Dummheit entspricht nicht so ganz dem landläufigen Verständnis davon. Warum meinen Sie, mit Ihrem Ansatz das Phänomen angemessener zu beschreiben?

Esther Vilar: Das von der Psychologie noch heute weitgehend anerkannte Konzept der Primärfähigkeiten, die die Intelligenz eines Menschen ausmachen, ist im Zeitalter der Computer überholt. In fast allen diesen Bereichen sind uns Maschinen inzwischen überlegen: Sie begreifen schneller, kombinieren scharfsinniger, kalkulieren genauer, recherchieren gründlicher, erinnern sich zuverlässiger und folgern logischer als Personen. Falls man also den klassischen Intelligenzbegriff beibehielte, gäbe es bald schon überhaupt keine intelligenten Menschen mehr – abgesehen davon, dass menschliche Intelligenz damit praktisch überflüssig wäre.

Man sollte also mit Intelligenz heute zweckmäßiger das bezeichnen, was uns Menschen den Maschinen, zumindest auf einem bestimmten Sektor, noch immer überlegen macht. Das wären dann zum einen Phantasie – also Vorstellungsvermögen, Einbildungskraft, Einfallsreichtum, die Fähigkeit zu abstraktem Denken – und zum andern Sensibilität, also Empfindsamkeit, Einfühlungsvermögen, Instinkt, Mitgefühl, Takt. Stark vereinfacht sind diese Qualitäten erkennbar an dem Maß an Originalität, Kreativität und Humor, über die eine bestimmte Person verfügt, und – da sie sich dank ihrer Sensibilität in andere hineindenken kann – aus dem Grad an Rücksicht, Hilfsbereitschaft und Toleranz, die sie ihnen entgegenbringt.

Wenn man diese Formel für Intelligenz gelten lässt, ist die für Dummheit ihre Umkehrung. Man kann sie definieren als Phantasielosigkeit – also den Mangel an Vorstellungsvermögen und Einbildungskraft, Einfallsarmut, die Unfähigkeit zu abstraktem Denken – und Unsensibilität (Instinktlosigkeit, Taktlosigkeit, Gefühlskalte, Dickfelligkeit). Ein dummer Mensch wäre demnach unoriginell, unkreativ und humorlos und gegenüber anderen – in die er sich ja mangels Feingefühl nicht hineinversetzen kann – mitleidlos, rücksichtslos und intolerant.

Wie kommt jemand eigentlich zur Dummheit? Ist sie angeboren, wird sie ehrlich erworben?

Esther Vilar: Nach meiner Meinung ist sie nicht angeboren – ich habe noch nie ein wirklich unsensibles und phantasieloses Kind kennengelernt. Dummheit wird erworben. Die Art, wie man sie erwerben kann, wird in Kapiteln wie „Dummheit und Reichtum“, „Dummheit und Karriere“, „Dummheit und Liebe“, „Dummheit und Kunst“ ausführlich beschrieben. Kein Bereich wird ausgelassen, denn die Dummheit ist ja tatsächlich überall. Und wir alle zahlen einen hohen Preis dafür.

Wer ihr Buch gelesen hat, könnte zu der Auffassung gelangen, dass Dummheit zahlreiche Vorteile mit sich bringt – oder hab ich da etwas falsch verstanden?

Esther Vilar: Nun, sie bringt einen nach oben. Wenn man reich ist, hilft sie einem, sein Vermögen zu behalten. Einem Dummen fällt es nicht schwer, den Bedürftigen ihre Wünsche abzuschlagen, weil er sich gar nicht in diese hineinversetzen kann. Und dann geht natürlich auch das Karrieremachen leichter. Neben einer Begabung für bestimmte Tätigkeiten, die natürlich die Grundlage ist, muss man hier zunächst einmal über die Qualitäten des Aufsteigers und später dann über die des Anführers verfügen. Die viel gelobte Eigenschaft Fleiß bedeutet ja auch, dass man zugunsten eines Interesses auf alle anderen verzichtet. Und können nicht die am ehesten verzichten, die nichts anderes reizt? Die nicht verzichten müssen?

Begeisterungsfähigkeit ist eine wunderbare Eigenschaft. Doch wenn einer es fertigbringt, sich nach Jahrzehnten noch immer für das gleiche Produkt zu begeistern, sollte man da nicht besser von geistiger Anspruchslosigkeit reden? Ist Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein – das Gefühl, dass man für bestimmte Aufgaben der Beste sei, und damit der Wunsch, für all die weniger Guten „Verantwortung zu tragen“ – tatsächlich ein Intelligenzbeweis? Es ist verständlich, wenn uns ein anderer vertraut – von unseren sorgfältig kaschierten Schwächen kann er ja meist nichts ahnen. Es ist natürlich, wenn wir einem anderen vertrauen. Da wir nicht in ihn hineinsehen können, wissen wir wenig von seinen Abgründen. Doch vertrauen in uns selbst? Und Mut, Risikofreude, sind das nicht Tugenden, die einem am leichtesten fallen, wenn man sich der Gefahren einer bestimmten Unternehmung nicht bewusst wird? Wenn man nicht in der Lage ist, sich die Katastrophen auszumalen, die man mit einer Entscheidung unter Umständen heraufbeschwört? Wenn man sich gar nicht fürchten kann?

Gibt es dann überhaupt noch Hoffnung, wenn die Dummen gewissermaßen durch die Natur der Dinge nach oben gespült werden?

Esther Vilar: Davon handelt das letzte Kapitel. Jeder kennt Murphys flott formuliertes Gesetz: „Wenn etwas schiefgehen kann, dann wird es auch schiefgehen.“ Doch als dieser Satz dann eines Tage auf einem Plakat der New Yorker Subway geschrieben stand, schrieb ein logisch denkender Passant „Mister Murphy ist ein Optimist“ darunter. Und tatsächlich: Alles kann eben nicht schiefgehen – weil ja theoretisch auch etwas gutgehen könnte. Es muss also auch bei Murphys düsterer Regel die berühmten Ausnahmen geben. Doch das ist, wie jeder erkennt, keine große Hoffnung auf eine glückliche Lösung. Das, womit wir praktisch zu rechnen haben, ist der Sieg der Dummheit.

Und die Intellektuellen? Die Arbeiterklasse? Das Humanistische Zentralkomitee? Die freischwebenden Haschrebellen? Glimmt denn nirgendwo ein Licht?

Esther Vilar: Das klingt jetzt humorlos, ich weiß. Aber eigentlich nicht.

Das ist ja alles schon schlimm genug, aber was einen Teil des hpd-Publikums endgültig erschüttern dürfte, ist Ihre Einschätzung, dass Religion ein Bedürfnis der Intelligenten ist. Das hieße dann ja im Umkehrschluss, dass Atheisten...

Esther Vilar: Man sagt immer so leichtfertig, dass Religion etwas für die Dummen sei. Die Dummen sind der Religion nur oberflächlich verbunden. Sie machen einfach weiter, weil sie nicht darüber nachdenken oder weil sie ihnen nützlich ist. Es sind die Intelligenten, die an der Idee des Sterbenmüssens verzweifeln. Wir sind alle zum Tod verurteilt, doch die das wirklich empfinden, die vor Angst fast verrückt werden, sind die mit der Phantasie. Religionen sind Überlebensversicherungsgesellschaften, ihre Angebote sind grandios. Und darum sind es eben nicht nur die Dummen, die hier Zuflucht suchen, sondern auch die Verzweifelten von der Gegenseite. Denn es ist ja schon eine arge Zumutung, dass man hier eines Tages spurlos wieder verschwinden soll.

 

Ich danke Ihnen für das desillusionierende Gespräch, Frau Vilar.

Die Fragen stellte Martin Bauer.

 

Esther Vilar: Der betörende Glanz der Dummheit. Durchgesehene Neuauflage. Aschaffenburg 2011, Alibri Verlag. 196 Seiten, kartoniert, Euro 16.-, ISBN 978-3-86569-066-1

 

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich