Symposium zu Rainer Werner Fassbinder und zu Antisemitismus und Fremdenfeindlicheit heute

Der Müll, die Stadt und der Skandal

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Michael Quast
Michael Quast

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Edgar Böhlke, Ellen Schulz
Edgar Böhlke, Ellen Schulz

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Hermann Alter, Ulrike Holler, Günther Rühle, Peter Menne
Hermann Alter, Ulrike Holler, Günther Rühle, Peter Menne

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Elisabeth Abendroth
Elisabeth Abendroth

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Armin Pfahl-Traughber (r.) mit Esther Schapira bei einer anderen Veranstaltung
Esther Schapira, Armin Pfahl-Traughber

FRANKFURT/M. (hpd) Fassbinders Drama "Der Müll, die Stadt und der Tod" kam, eingebettet zwischen Diskussionen, im Frankfurter Gallus-Theater als szenische Lesung auf die Bühne. Eingeladen zu dem Symposium hatte die KunstGesellschaft, ein Verein, der sich seit langem mit dem Verhältnis von Kunst und Gesellschaft befasst.

Warum ausgerechnet jetzt ein Symposium zu diesem Thema? Was hat Fassbinder mit dem Antisemitismus zu tun? Eher denkt man doch an seine frühen Filme über "Gastarbeiter", die zum ersten Mal im deutschen Kino die Fremdenfeindlichkeit thematisierten. Aber Fassbinder hat auch ein Stück geschrieben, das den wohl größten Theaterskandal in der Geschichte der Bundesrepublik hervorrief.

Vor 30 Jahren, am 31. Oktober 1985, wurde die Uraufführung von seinem Drama "Der Müll, die Stadt und der Tod" im Schauspielhaus Frankfurt a. M. durch eine Bühnenbesetzung verhindert. Mitglieder der Frankfurter Jüdischen Gemeinde, darunter deren Vorsitzender Ignatz Bubis, hielten dabei ein Transparent hoch, auf dem zu lesen war: "Subventionierter Antisemitismus". Sie fühlten sich verletzt und an die Nazipropaganda erinnert, weil in Fassbinders Stück die Figur eines "reichen Juden" auftritt, der als "Spekulant" im Immobiliengeschäft tätig ist. Realgeschichtlicher und damals allen in Frankfurt präsenter Hintergrund waren die "Häuserkämpfe" und die Umstrukturierung des Frankfurter Westends von einem Wohn- zu einem Geschäftsviertel, bei der in der öffentlichen Debatte auch antisemitische Töne zu hören waren.

Die KunstGesellschaft nahm das 30jährige Jubiläum der Bühnenbesetzung zum Anlass, um am 31. Oktober und 1. November im Frankfurter Gallus Theater noch einmal die Debatte über Fassbinders Drama zu eröffnen: Ist es antisemitisch bzw. fördert es antisemitische Ressentiments, oder ist es ein Stück über Antisemitismus, das zur Aufklärung über dessen Ursachen und Mechanismen genutzt werden könnte?

Die Frankfurter Neue Presse zitierte in einem Vorbericht unter dem Titel: "Diesmal keine Bühnenbesetzung" Dieter Graumann, Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses: Für die Jüdische Gemeinde stelle die Lesung von "Der Müll, die Stadt und der Tod" im Rahmen eines Symposiums keine Provokation mehr dar. "Im Gegenteil. Es ist doch gut, wenn über Antisemitismus diskutiert wird, auch am Beispiel dieses Stücks." (FNP, 29.10.2015).

Obwohl nicht gespielt, sondern nur szenisch gelesen, entfaltete Fassbinders Drama dann am Abend des 31. Oktober eine starke Wirkung: Deutlich wurde die Kälte der portraitierten kapitalistischen Stadt-Gesellschaft, gespiegelt im Rotlicht-Milieu, ihre Unmenschlichkeit. Aus dem trüben Sumpf der Stadtbewohner sticht die Figur des "reichen Juden" heraus: Er erscheint als der einzige, der Mitgefühl zeigt, liebesfähig ist und für die Prostituierte "Roma B." da ist, als alle anderen sie verlassen bzw. verstoßen haben.

Ellen Schulz (Roma B.) und Edgar M. Böhlke (der “reiche Jude”) lasen die Rollen, die sie damals bei der einzigen, als “Wiederholungsprobe” nach der Bühnenbesetzung deklarierten Aufführung spielten. Gemeinsam mit weiteren Schauspielern, die 1985 dabei waren und mit anderen aus der freien Theaterszene Frankfurts, die sich an der Lesung beteiligten. Michael Quast gab den Conférencier: im Frack verlas er die Szenenanweisungen und sang in ironisch-sarkastischer Weise die Schlager und Lieder, die Fassbinder als musikalische Kommentare zum Text vorgesehen hatte. Weiter lasen: Willy Praml (Theater Willy Praml), Wolfgang Spielvogel (Frankfurter Autoren Theater), Reinhard Hinzpeter (Titania), Alexander Brill, Barbara Englert, Wilfried Elste, Birgit Heuser, Peter Kupke, Sonja Mustoff, Cornelia Niemann und Michael Weber. Einziger "Laiendarsteller": Rupert von Plottnitz, der ehemalige Hessische Justizminister, las die Rolle des korrupten Polizeipräsidenten "Müller II". Langanhaltender Applaus dankte dem Ensemble.

Vorspiel

Das Symposium, das von der Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) und dem Kulturamt der Stadt Frankfurt gefördert wurde, begann mit einer Vorstellung des gleichnamigen Sammelbandes "Der Müll, die Stadt und der Skandal. Fassbinder und der Antisemitismus heute", herausgegeben von Reiner Diederich, dem Vorsitzenden der KunstGesellschaft, und Peter Menne. Das Buch enthält ein Gespräch mit Michel Friedman zu Fassbinders Drama, zur Bühnenbesetzung und zu antijüdischen Ressentiments heute, Analysen des Stücks und der Umstrukturierung des Frankfurter Westends von Peter Menne, eine Darstellung der Kontroverse über "Der Müll, die Stadt und der Tod" von Reiner Diederich und Beiträge zum Thema Antisemitismus von Birgit Seemann und hpd-Autor Armin Pfahl-Traughber.

Reiner Diederich und Peter Menne, Foto: Ulrich Meckler
Reiner Diederich und Peter Menne, Foto: Ulrich Meckler