BERLIN. (hpd) Gaucks erste Rede als Bundespräsident war besser als die meisten Reden seiner Vorgänger – und man hätte sie fast schon als “gut” bezeichnen können, hätte er am Schluss auf das abgeschmackte Zitieren eines “göttlichen Willens” verzichtet: “Gott und den Menschen sei Dank: Dieses Erbe dürfen sie erwarten.”
Heiligs Röckle! Wer sich zur Bekräftigung seines Standpunkts auf solch zweifelhafte Größen beruft, dem kann man schwerlich vertrauen. Entweder mangelt es ihm an intellektueller Schärfe oder aber er verwendet solche Formeln in rhetorisch-demagogischer Absicht. Beides passt nicht zu einem führenden Repräsentanten des modernen Rechtsstaats im 21. Jahrhundert.
Ich fürchte daher, mit meiner Prognose Recht zu behalten: Gaucks Freiheitsrhetorik wird gerade im Bereich der negativen Religionsfreiheit blinde Flecken aufweisen. Die Interessen des konfessionsfreien Drittels der Bevölkerung (etwa im Arbeitsrecht ) wird er, der sich schon bei “ProReli” auf die Seite der Kirchen schlug und nun mit David Gill ausgerechnet ein EKD-Ratsmitglied zum Chef des Bundespräsidialamtes machte, kaum vertreten.
Doch ich will den Tag nicht vor dem Abend verreißen: Joachim Gauck hat es in der Hand, meine Hypothese in den nächsten Monaten gründlich zu widerlegen. Es würde mich freuen, wenn er sich trotz aller Unkenrufe als würdiger Repräsentant des säkularen Staates erweisen würde – als ein Präsident, der weiß, dass es politisch unklug, ja: geschmacklos ist, sich auf “Gott” zu berufen in einem Land, in dem es mehr Konfessionsfreie als Katholiken oder Protestanten gibt.
Michael Schmidt-Salomon