Zehn Jahre Freigeisterhaus

INTERNET. (hpd) Vor 10 Jahren ging das alte Freigeisterhausforum Online. Seitdem ist einiges im Internet geschehen und es fragt sich, ob solche Foren wie das Freigeisterhaus mittlerweile noch zeitgemäß sind. Der hpd sprach mit dem Gründer dieses Forums.

Vor 10 Jahren, am 22. April 2002, ging das alte Freigeisterhausforum online. Gab es eine aktive säkulare Internet Community in der Pre-Freigeisterhaus Ära?

Auf Internet-Plattformen wie dol2day und diversen Foren gab es durchaus schon eine kleine atheistische Internet Community. Wobei der Begriff „Community“ hier wohl etwas zu hoch gegriffen ist. Eher eine Ansammlung von agilen Einzelkämpfern, die sich mit besonderer Vorliebe auch in Foren des „Klassenfeindes“ tummelten. Wenn es um organisierte Säkulare im Internet ging, ist mir damals nur der IBKA mit seiner spartanischen, aber gut strukturierten Webseite und dessen offener Mailingliste aufgefallen. Andere Angebote hatten mich damals nicht angesprochen bzw. eher abgeschreckt.

Was hat sich seitdem geändert?

Generell kann man sagen, dass die säkulare Szene in Deutschland heute vollständig im Internet-Zeitalter angekommen  ist. Und das in seiner vollen Breite mit diversen Diskussionsforen, Social Network Präsenzen bei Facebook & Co., einem eigenen Pressedienst und der Giordano-Bruno-Stiftung mit den von ihr betreuten Projekten. Die Buskampagne ist ein gutes Beispiel für die Fortschritte, die die säkulare Szene in den letzten 10 Jahren gemacht hat. Natürlich auch mit Rückenwind von den „Neuen Atheisten“ aus dem angloamerikanischen Kulturraum. Das Freigeisterhaus ist bis heute das größte deutschsprachige Internetforum der säkular/freigeistigen Szene. Hier sind in den letzten 10 Jahren viele Personen virtuell zusammengekommen, die dann auch im Real Life gemeinsame Projekte durchgeführt haben.

Sind Internetforen wie das Freigeisterhausforum nicht in Zeiten von Facebook überflüssig geworden?

Facebook ist ein Social Network, das Freigeisterhaus ist ein Internetforum, spezialisiert auf Diskussionen. Natürlich kann man auch in Facebook diskutieren. Dort ist Diskussion aber nur ein Feature unter vielen. Internetforen sind dagegen auf Diskussion hin optimiert worden. Eingefleischte Facebook User verlassen ihr Facebook Universum nur sehr ungern. Das kann ich zwar verstehen, sie können aber nicht erwarten, dass sich die gesamte säkulare Szene bei Facebook anmeldet und sich deren Regeln unterwirft. Daher sehe ich eine fortschreitende Verlagerung von Diskussionen in das Facebook-Universum als kritisch an. Das erzeugt einen Druck, sich dort anzumelden, wenn man mitdiskutieren und mitmachen will. Damit begibt sich die säkulare Szene in eine totale Abhängigkeit zu einem Internetkonzern. Neben der Usability stellt sich hier auch die Frage der Kontrolle von Inhalten und des Datenschutzes.

Wird das Thema Facebook & Datenschutz nicht in letzter Zeit etwas überstrapaziert und trägt bereits paranoide Züge?

Alles, was bequem ist, wird gerne mit Daten gefüttert. Google, Facebook & Co. verführen viele Menschen dazu, ihre gesamten privaten Daten in der „Cloud“  abzuladen. Damit verbunden leider auch Daten von Personen, die dies definitiv nicht wünschen. Wenn die Daten erst einmal bei einer Datenkrake wie Facebook und Google gelandet sind, werden auch Begehrlichkeiten von interessierter Seite geweckt. Neben dem Datenschutz kann man Unliebsames, wozu in vielen Ländern auch der Atheismus gehört, zentral mundtot machen. Das ist bei einem dezentralen Ansatz, wenn überhaupt, nur mit einem ernorm hohen Aufwand möglich. Im Jahr 1984 gab es einen populären Werbespot der Firma Apple in Anlehnung an den berühmten Roman von George Orwell. „And you’ll se why 1984 won’t be like ‘1984’”. Heute ist Apple selbst auf der "dunklen Seite der Macht". So schnell kann das gehen.

Warum wird dann für die säkulare Szene kein eigenes „Facebook“ aufgebaut?

Ich hatte das einmal im internen Forum der Giordano-Bruno-Stiftung angeregt. Das Interesse konvergierte, von einigen Technik-Begeisterten mal abgesehen, praktisch gegen null. Die Usability der Facebook Alternativen ist meilenweit von ihrem Original entfernt. Zumal die inhaltlichen Schnittmengen in der säkularen Szene für ein lebendiges Social Network vermutlich nicht ausreichen würden.

Du bist 2008 beim Freigeisterhaus als für die Technik Verantwortlicher ausgestiegen. Wie ist Dein heutiges Verhältnis zum Freigeisterhaus und seiner Community?

Seit meinem Abschied als technischer Administrator des Freigeisterhaus-Forums habe ich mich als einfacher User nur noch sporadisch dort gemeldet. Wenn manche Vertreter des Christentums den Atheismus als „Säurebad“ für ihre Glaubensüberzeugungen ansehen, so ist das Freigeisterhaus-Forum für mich ein Säurebad für den organisierten Atheismus. Der teilweise aggressive Diskussionsstil schreckt mich aber persönlich ab. Wobei ich hier wohl im Glashaus sitze. Ich wünsche dem Freigeisterhaus weitere 10 Jahre erfolgreiche Jahre.

Die Fragen stellte Michael Süder