Religion als natürliches Phänomen

(hpd) Der US-amerikanische Philosoph Daniel C. Dennett plädiert in seinem neuen Buch „Den Bann brechen" für eine wissenschaftliche Analyse der Religion als natürliches Phänomen - demnach aus evolutionsbiologischer Sicht. Bei aller fragmentarischer Begrenzung und kritikwürdiger Weitschweifigkeit liefert es doch wichtige Anregungen zur Erforschung des Aufkommens und des Überlebens der Religionen aus naturalistischer Sicht.

„Wer an das Studium der Religion nicht mit einer Art religiösen Gefühls herangeht", so noch mit Èmile Durkheim einer der Klassiker der Soziologie Anfang des 20. Jahrhunderts, „kann nicht von ihr sprechen! Er ähnelte einem Blinden, der von Farben spricht." Diese Auffassung findet auch heute noch große Verbreitung und dient nicht selten der Immunisierung gegenüber einer säkularen Wahrnehmung von Religion. Dagegen wendet sich Daniel C. Dennett, Philosophie-Professor an der Tufts University in Massachusetts und bekennender Anhänger der Evolutionslehre Darwins. In seinem bezeichnenderweise „Den Bann brechen" betitelten Buch will er entsprechend des Untertitels „Religion als natürliches Phänomen" deuten. Religionsanhänger empörten sich aber häufig über derartige Forderungen und würden in der Ergründung ihrer Ansichten einen Mangel an Achtung sehen. Diesen Bann will Dennett brechen: „die Tabuisierung einer offenen und uneingeschränkten wissenschaftlichen Untersuchung von Religion als einem natürlichen Phänomen unter vielen" (S. 35).

Die damit verbundene Zielsetzung zieht sich durch die drei großen Teile des Buchs: Zunächst umreißt der Autor seinen methodischen Ansatz, der mit der Forderung nach einer Erforschung der Religion auch zu deren Entzauberung führen könne. In der dabei gewählten evolutionstheoretischen Perspektive soll danach gefragt werden, warum Religionen ähnlich wie andere soziale Phänomene wie Geld, Liebe oder Musik durch natürliche Selektion bestätigt wurden. Der darauf folgende umfangreichste Teil des Textes geht dann dem Verlauf der Evolution der Religion nach. Ihre Entwicklung von einer einfachen Volksreligion zur organisierten Religion deutet Dennett im Kontext der Zunahme der menschlichen Reflexionsfähigkeit und den damit zusammenhängenden Notwendigkeiten zur Interpretation der gesellschaftlichen und natürlichen Umwelt. Und schließlich wird die gegenwärtige Bedeutung der Religion thematisiert, insbesondere vor dem Hintergrund ihres Stellenwertes für die Herausbildung von Moral im menschlichen Sozialverhalten.

Der Autor fasst die zentralen Positionen seiner Erörterung wie folgt zusammen: „Religion hat sich entwickelt, aber dass sie sich entwickelt hat, bedeutet nicht, dass sie gut für uns sein muss ... Es ist nicht überraschend, dass die Religion überlebt. Über Tausende von Jahren hinweg ist sie beschnitten, revidiert und bearbeitet worden, und in diesem Prozess wurden Millionen von Varianten ausgelöscht. Sie hat somit eine Fülle von Eigenschaften, die den Menschen ansprechen, sowie eine Fülle von Eigenschaften, die die Identität der Rezepte für ebendiese Eigenschaften bewahren, Eigenschaften, die Feinde oder Konkurrenten abwehren oder verwirren und Loyalität sicherstellen ..." Und weiter: „Für einige sind die Meme der Religion Mutualisten und bieten unbestreitbare Vorteile, die woanders nicht zu finden sind. ... Für andere sind die Religionsmeme eher giftig; sie beuten weniger angenehme Aspekte ihrer Psychologie aus und machen sich Schuld, Einsamkeit oder die Sehnsucht nach Selbstachtung und Bedeutung zunutze" (S. 376f.).

Das Urteil über Dennetts Deutung der Religion als natürliches Phänomen fällt ambivalent aus: Rein formal enttäuscht und verärgert die Darstellung, erfolgt die Argumentation doch über aus sprunghaft und weitschweifig. Den Text des Buches könnte man wohl ohne inhaltliche Abstriche um gut zwei Drittel kürzen. Hätte der Autor dabei noch eine Abrundung und Zuspitzung seiner Analysen vorgenommen, wäre die von ihm gegen Ende eingeforderte aufklärerische Arbeit auch mit diesem Werk besser zu leisten. Statt dessen füllt der Autor die Seiten mit unterschiedlichen Beispielen und referierten Positionen, ohne deren Nutzen auch klar für die Entwicklung einer kritischen Theorie von Religion herauszuarbeiten. Viele seiner Ausführungen bilden darüber hinaus - allerdings sehr überzeugende - Hypothesen, welche durch einschlägige Forschungen zu überprüfen wären. Insofern präsentiert das Buch auch zahlreiche Anstöße für weitere Reflexionen. Eine entwickelte naturalistische Theorie für das Aufkommen der Religionen enthält sie nicht.

Dafür liefert Dennett gleichwohl eine Reihe von wichtigen Anregungen, die allerdings in der Textfülle häufig untergehen und aufwendig heraus gearbeitet werden müssen. Dies gilt vor allem für die Hinweise auf den Nutzen der Religionen im Kontext der Evolution. Daraus leitet sich indessen keine moralische Rechtfertigung derartiger Glaubensformen ab, spricht der Autor doch zutreffend gegenüber solchen Deutungen von einem „Dumm-Darwinismus" (S. 385). Seine Ausführungen versteht er wohl auch nicht als den großen theoretischen Wurf, sondern mehr als Anregungen für die weitere Forschung. In diesem Sinne wirkt sein Buch auch weitaus differenzierter und sachlicher als Richard Dawkins' Veröffentlichungen zur Religion. Überaus konstruktiv greift Dennett dessen Mem-Thesen auf, um sie auf das Phänomen Religion anzuwenden. Es bleibt in dem immerhin fünfhundert Seiten starken Buch zwar nur bei einem Ansatz dazu, er könnte aber einen wichtigen Schritt in Richtung einer entwickelten evolutionsbiologischen Theorie der Religion sein.

Armin Pfahl-Traughber

 

Daniel C. Dennett, Den Bann brechen. Religion als natürliches Phänomen. Aus dem Amerikanischen von Frank Born, Frankfurt/M. 2008 (Verlag der Weltreligionen), 531 S., 28,80 €

 

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich