Notizen aus Wien

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Paul Weiland, 2010 / Foto: wikimedia commons (Christian Jansky)

WIEN. (hpd) Sehr religiöse Menschen mögen meist keine Atheisten. Der Superintendent der evangelischen Kirche in Niederösterreich, Paul Weiland, gehört offenbar zu dieser Gruppe. Mit Unterstützung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Seine protestantische Geschichtslosigkeiten und Einlassungen zum Religionsunterricht sind bemerkenswert.

Ein Kommentar von Christoph Baumgarten

Man hat beinahe den Eindruck, keine Ausgabe der evangelischen Sendung „Zwischenruf“ auf Ö1 (oe1.orf.at) vergeht ohne mehr oder weniger expliziten Nazivergleich. Paul Weiland, Superintendent (= Bischof) der evangelischen Kirche AB und HB in Niederösterreich kann nicht auf ihn verzichten, wenn er vor denen warnt,
die Religion zur Privatsache machen wollen, und natürlich ganz besonders vor denen, die den konfessionellen Religionsunterricht abschaffen wollen: „Da hat es ja schon manche Ideologien gegeben, die das versucht haben. Aber sie haben alle in menschenverachtender Überheblichkeit, im Größenwahn und im Zusammenbruch aller Werte geendet.“

Wohlmeinende könnten sagen: Gut, der Stalinismus ist da auch drin. Das macht es nicht wirklich besser. Weiland sagt klar, dass heutige politisch tätige Atheisten und Säkularisten auf der gleichen erkenntnistheoretischen und zumindest implizit auch auf der gleichen moralischen Stufe stehen würden wie glühende NS-Anhänger und Stalinisten. Das braucht man sich nicht gefallen zu lassen.

Von einem Protestanten muss man sich das nicht gefallen lassen

Das braucht sich vor allem nicht vom Vertreter einer Einrichtung gefallen zu lassen, deren Mitglieder im März 1938 in Österreich den rechten Arm noch höher hoben als die katholischen Bischöfe. Nachdem nicht wenige in den Jahren zuvor Hitlers fünfte Kolonne gespielt hatten. Dass die „reichsdeutschen“ protestantischen Kirchenvertreter noch wüstere Nazianhänger und Antisemiten waren, entschuldigt das keineswegs. A pro pos Deutschland: Dort lebte genau diese Organisation ja auch in der DDR von Staatsleistungen und genoss Privilegien, von denen einfache DDRler nur träumen konnten. Nachher war man natürlich immer schon dagegen. Das macht aus Paul Weiland und der heutigen evangelischen Kirche in Österreich keine verkappten Nazisympathisanten. Aber jemanden, der die eigene Geschichte gern auf andere projiziert.

Atheisten haben kein vollständiges Leben

Wie er offenbar auch Menschen, die nicht an einen Gott glauben, offensichtlich für Menschen hält, die ihr innerstes Wesen verleugnen: „Der Glaube und die Religion bringen die Dimension des Menschen ins Spiel, ohne die das Leben nicht vollständig ist. Es ist die Dimension des Religiösen, die für jeden Menschen konstitutiv ist, und im Letzten nach dem Grund und Sinn des Seins fragt.“ Eine gewagte Aussage. Es gibt kein einziges seriöses Forschungsergebnis, das Religiosität zu etwas erklärt, was den Menschen erst zum Menschen macht. Im Paralleluniversum der protestantischen (wie auch der katholischen) Kirche spielen Fakten keine große Rolle. Dass sich Paul Weiland nicht vorstellen kann, dass auch das Leben nicht religiöser Menschen vollständig ist, ist sein Problem. Das sollte er auch bitte so deklarieren und nicht als Faktum darstellen. Das macht die Aussage beleidigend.

Zumal Religion kein neutraler Begriff für den protestantischen Superintendenten ist: „Der biblische Glaube engt Menschen nicht ein, er macht sie frei. Frei, nach ihrem Gewissen zu handeln.“ Nicht, dass wer meinen könnte, der Weiland habe die Heiden gleich lieb wie die Protestanten.

Alle irren sich – nur Paul Weiland nicht

Halten wir das Paul Weiland nicht mehr vor. Er hat’s nicht verdient. Nach eigenen Angaben. „Ich habe den Eindruck, dass die Kirchen Zurufe von außen bekommen, die weder dem Selbstverständnis der Kirchen entsprechen noch der heutigen Situation und dem heutigen Erscheinungsbild der Kirchen gerecht werden.“ Und: „In der Geschichte können so gut wie alle Entwicklungen, auch Fehlentwicklungen, nachgewiesen werden. Redet jemand aber von der Kirche heute, dann sollte er oder sie auch von dieser Kirche heute ausgehen.“ Na dann. Geschichtslos die heutigen Kirchen, allesamt.

Weniger Wohlgesonnene könnten Paul Weiland vorhalten, dass er dann auch nicht in die historische Mottenkiste greifen darf, um Andersdenkende unqualifiziert zu diffamieren. Man könnte ihn auch auf den Unterschied zwischen Selbstbild und Fremdbild verweisen. Oder vielleicht darauf, dass er, wenn eh alles anders ist, auch bitte nicht dem Paternalismus daher kommen sollte, dass der Mensch nur durch Religion ein vollständiges Wesen sei. Damit scheint er sich nicht großartig auseinandergesetzt zu haben.

Polemik ersetzt keine Argumente

Wie auch mit vielem anderen nicht. Sein „Zwischenruf“ strotzt vor logischen Fehlern. Sein offenkundiges Unvermögen, einen halbwegs zusammenhängenden und verständlichen Radiokommentar zu verfassen, kaschiert er mit der Ungerechtigkeit der Welt: „Mir fällt auf, dass Menschen über keinen anderen Bereich mit so wenig Wissen, so wenig Information, so wenigen Kenntnissen öffentliche Aussagen und Ansagen machen, wie über den Bereich Religion, Kirche und Glaube.“

Lassen wir mal die Tatsache weg, dass Weiland mit „so wenig (historischem Wissen) […] öffentliche Aussagen und Ansagen“ macht, dass jeder Gymnasiast mit den gleichen Defiziten durchfallen würde. Der Mann will mit diesen Aussagen den konfessionellen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen verteidigen! Dann sei ihm gesagt: Die meisten, die die evangelische oder die katholische Kirche kritisieren, haben diesen konfessionellen Religionsunterricht zwangsgenossen. Organisiert von der jeweiligen Glaubensgemeinschaft ihrer Eltern. Wessen Schuld ist es, wenn sie offenbar keine Ahnung vom „Bereich Religion, Kirche und Glaube“ haben und nicht dem „heutigen Erscheinungsbild der Kirchen gerecht werden“?

Ein schlechteres Zeugnis für den konfessionellen Religionsunterricht ist kaum vorstellbar. Polemik ersetzt keine Argumente. Vor allem nicht, wenn man keine hat.

Und noch eine Unterstellung

Es wird dreister. „Viele, die darüber (den Religionsunterricht) reden, haben einen Unterricht von vor 100 Jahren im Blick, d. h. sie reden über etwas, was sie gar nicht kennen. Heute ist der Religionsunterricht keine konfessionelle Indoktrination, sondern ein Beitrag zur Erziehung eines verantwortlichen Lebens in unserer Gesellschaft. Er ist ein Angebot, das umfassende Ganze des Lebens kennen zu lernen, und ganz und gar keine Einführung oder gar Engführung in die Irrationalität.“

Die wenigsten aktiven Religionskritiker sind auch nur annähernd 100 Jahre alt. Die meisten können sich auf die eigenen Schulerfahrungen beziehen oder auf Erfahrungen aus dem persönlichen Umfeld. Sie kritisieren den aktuellen Religionsunterricht und seine gesetzlichen Grundlagen. Die Gnade, keiner Religionsgemeinschaft zwangseingeschrieben zu werden, haben die wenigsten Religionskritiker in Österreich erfahren dürfen. Das ändert sich glücklicherweise. Der Anteil religiös registrierter Kinder sinkt.

Manche Tiere sind gleicher

Ein kleiner Seitenhieb auf „Gottes Werk und unser Beitrag“ muss offenbar auch sein. Weiland spricht von Nächstenliebe und der Freiheit, auch auf andere einen Blick zu haben. „So ist das Wirken in der Öffentlichkeit nicht ein Privileg der Kirchen, sondern ein Beitrag der Kirchen zu einem verantwortlicheren Leben in unserer Gesellschaft.“ Ganz arm, diese Kirchen, dass sie sich das staatlich finanzieren lassen und nachher als eigene Leistung verkaufen. Privilegien bilden wir uns alle nur ein.

Es kommt einem eine Szene aus George Orwells Parabel Animal Farm in den Sinn. Nach der Revolution gegen den Bauern argumentieren die tonangebenden Schweine (Orwells Analogie auf Spitzenvertreter einer Hierarchie), warum sie bei der Nahrungsmittelverteilung bevorzugt werden müssen. Sie würden die besseren Nahrungsmittel, vor allem die Äpfel, eigentlich nicht mögen. Leider, leider müssten sie sie essen um ihre geistigen Fähigkeiten zum Nutzen der Allgemeinheit fit zu halten. Alle Tiere sind gleich. Manche Tiere sind gleicher.

Aktive Verleugnung der Wirklichkeit

Ist dieses Ausmaß an Realitätsverweigerung, ja aktiver Verleugnung dessen, was man gemeinhin als Wirklichkeit bezeichnet, Absicht oder sieht er die Welt wirklich so? Was soll einem mehr Sorgen bereiten? Macht das die Diffamierungen Weilands beleidigender oder ist es eine hinreichende Entschuldigung? Oder einfach nur ein Beispiel, was an staatlich finanzierten theologischen Fakultäten herauskommt? Und warum bietet der ORF solchen obskuren und diffamierenden „Gedanken“ Sendezeit? Das sollte einmal diskutiert werden.