Nordkoreas Armee hat ständig über eine Million Soldaten unter Waffen. In diesem Zusammenhang muss sowohl erwähnt werden, dass die Gesamtbevölkerung Nordkoreas bei knapp über 24 Millionen liegt, aber auch, dass die Armee diverse landwirtschaftliche Aufgaben und Bau-Aufgaben übernimmt. Die Ausrüstung der Armee gilt als veraltet.
Während der Delegierte Nordkoreas vor dem Menschenrechtsausschuss der Uno-Vollversammlung den Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung und Bildung in seinem Land lobt, ist dieser abhängig davon, zu welcher Klasse man gezählt wird. Es gibt die drei Hauptklassen der „loyalen Personen“, „schwankenden Personen“ und der „feindliche gesinnten Personen“ (Zu letzterer Klasse gehörte Shin ab dem Augenblick seiner Geburt in Camp 14.). Dieses Klassensystem wurde in den 50er Jahren eingeführt und in den 60er Jahren durch die Untergliederung in 51 Untergruppen weiter ausgebaut. Zu welcher Klasse man gehört, entscheidet über den Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung.
Diese Versorgung ist allerdings selbst für die Klasse der loyalen Personen mehr als mangelhaft. Lebenswichtige Operationen wie Blinddarmentfernungen mussten (bestätigt zumindest für die 90er Jahre) teilweise ohne Narkose durchgeführt werden. Die Versorgung ist insbesondere auf dem Land sehr schlecht. Nordkorea hat eine sehr hohe Tuberkuloserate und auch Hepatitis (Hauptsächlich Typ A) ist stark verbreitet. Impfungen fehlen im Prinzip vollständig. Das Auswärtige Amt stuft die medizinische Versorgung als „landesweit äußerst unzureichend“ ein: „Wegen des allgemeinen Mangels an Medikamenten, Verbandsstoffen, medizinischen Instrumenten und Hilfsmitteln wird eine gut ausgestattete Reiseapotheke empfohlen. Krankenhäuser, selbst die speziell für Ausländer vorgesehenen, bieten keinen westlichen Standard. Ernstere Erkrankungen müssen deshalb in anderen Ländern behandelt werden.“ Auch die Trinkwasseraufbereitung ist „mangelhaft“.
Mit dem Tod Kim Il Sungs 1994 und dem Machtwechsel auf Kim Jong Il nach einer dreijährigen Trauerzeit hat das Militär an Einfluss gewonnen, das Amt des Präsidenten ist freigeblieben. Kim Il Sung gilt als „ewiger Präsident“, auch wenn Kim Jong Il später ebenfalls als „Großer Führer“ bezeichnet wurde wie früher sein Vater. Nach seinem Tod am 17. Dezember 2011 wurde Kim Jong Il zum „Ewigen Generalsekretär“ und „Ewigen Vorsitzenden“ der Koreanischen Arbeiter Partei, sein Nachfolger wurde sein jüngster Sohn Kim Jong Un.
„Ich hatte nicht gelernt, dass man bei der Hinrichtung seiner Mutter Tränen vergießen muss.“
Der Mann, der Marc Wiese im Interview gegenübersitzt, erzählt ihm von einer Situation, die beinahe unmöglich zu begreifen ist. Als Shin 14 Jahre alt ist, belauscht er ein Gespräch zwischen seinem Bruder und seiner Mutter. Sein Bruder ist von der Fabrikarbeit geflohen, was sein Todesurteil bedeutet, worauf die Mutter ihm rät einen Fluchtversuch zu unternehmen. Shin meldet dies seinem Lehrer der Nationalen Sicherheitsbehörde, warum, versucht er im Interview mit dem Regisseur zu erklären. Zum einen dachte er, es sei das richtige Verhalten, hatte man ihm dies doch, seit er denken kann, eingetrichtert; die Welt außerhalb des Lagers kannte Shin nicht einmal aus Erzählungen. Zum anderen empfand er eine unbeschreibliche Wut, da seine Mutter dem Bruder eine kleine Portion gekochten Mais mitgab und er von ihr noch nie etwas aus dem kleinen Geheimvorrat erhalten hatte.
Am nächsten Tag wurde Shin aus der Lagerschule abgeholt und ins Lagergefängnis gebracht. Hier wurde er für sieben Monate verhört und gefoltert. Dabei wurde er unter anderem an die Decke gehängt und unter seinem Rücken ein Feuer entfacht. Von einem Mitgefangenen, der seine schweren Brandverletzungen versorgte (soweit es unter den Umständen möglich war), erlebte er hier zum ersten Mal in seinem Leben menschliches Mitgefühl. Dass Menschen einander helfen könnten – allein diese Idee war für den damals 14jährigen unvorstellbar gewesen.
Shin wird nach sieben Monaten entlassen und direkt aus dem Gefängnis zur öffentlichen Hinrichtungsstelle gebracht. „Ich sah mit meinen eigenen Augen, wie meine Mutter und mein Bruder öffentlich hingerichtet wurden. Meine Mutter wurde gehängt und mein Bruder erschossen. Ich empfand dabei keine Gefühle, da mir mein ganzes Leben lang das Konzept einer Familie völlig fremd war. Ich empfand nichts dabei, als sie getötet wurden. Ich dachte, dass sie es wegen ihrer Vergehen verdient hätten.“
Alle Insassen von Camp 14 müssen den öffentlichen Hinrichtungen beiwohnen; nur wer wichtigste Aufgaben zu erfüllen hat, muss nicht zusehen. Mit 4 Jahren musste Shin zum ersten Mal in Begleitung seiner Mutter einer Hinrichtung zusehen. Dies ist auch, wie er im Interview mit Marc Wiese erzählt, seine erste Kindheitserinnerung.
„Wir dachten, dass dies notwendig sei, um unser Land zu schützen.“
In seinem Film „Camp 14“ hat Marc Wiese nicht nur mit Shin Dong-hyuk über die Lager in Nordkorea gesprochen, es ist ihm auch gelungen, zwei hochrangige Täter zum Gespräch zu bewegen.
Kwon Hyuk, ehemaliger Kommandant der Wärter in Camp 22, einem anderen Lager, das sich im nordöstlichen Teil des Landes befindet, lebt heute mit seiner Familie in Seoul, Südkorea. Für jede Hinrichtung eines Häftlings erhielt er Sonderrationen, Fleisch und zwei Flaschen Alkohol. Es ist nicht einfach, den Berichten dieses Mannes zuzuhören, den Marc Wiese als „einfach gestrickt“ bezeichnet. Ohne eine sichtbare Spur von Anteilnahme berichtet er, wie er Menschen ermordet und zu Tode folterte, Frauen vergewaltigte und sie umbrachte, wenn sie schwanger wurden. Er erzählt auch, was man in Nordkorea tun muss, um in ein Lager deportiert zu werden. Nennt man zum Beispiel die Führer Kim Il Sung oder Kim Jong Il beim Namen und verzichtet auf die Anrede „Dongji“ („Genosse“), dann ist das schon ein ausreichender Grund. Oder wenn man aus dem Zeitungspapier der Rodong Sinmun, dem Sprachorgan der Partei der Arbeit Koreas Zigaretten dreht und dabei übersieht, dass ein Bild von Kim Il Sung auf dieser Seite der Zeitung ist. Einige Aufnahmen, die im Film gezeigt werden, wurden von Kwon zur Verfügung gestellt, er hatte sie heimlich im Lager gefilmt.
Oh Yangnam hat für den Geheimdienst der Polizei in Nordkorea hunderte Menschen festgenommen und in die Lager deportiert, an Verhören bzw. Folterungen teilgenommen. Während er von seinen eigenen Taten erzählt, hat er immer wieder sichtbar Schwierigkeiten direkt in die Kamera zu sehen, er blickt ständig unruhig hin und her, steht wiederholt vom Stuhl auf und stellt klar, dass er nach diesem Interview niemals wieder über diese Zeit sprechen wird. Er berichtet, wie ganze Familien deportiert wurden, da in Nordkorea die Sippenhaft gilt. „Ich bereue zutiefst, dass ich so grausam gehandelt habe“, sagt er gegen Ende des Interviews, „Ich bedaure in Nordkorea geboren zu sein. Warum habe ich mich so verhalten? Wir sind doch alle gleiche Menschen.“ Vor einer Wiedervereinigung Koreas hat er große Angst, der Gedanke, einem seiner Opfer gegenüberzustehen, ist für ihn unerträglich.
Marc Wiese ist es wichtig, die beiden Täter nicht als Monster zu zeigen, sondern als von einem totalitären System geformte Menschen. Daher zeigt er Hyuk Kwon auch in seinem heutigen Privatleben als Familienvater. Oh Yangnam lehnte alles außer einen Interview an einem neutralen Ort ab. Seine Rechtfertigungsversuche, er war von der Notwendigkeit dieser Grausamkeiten zum Schutz des Vaterlandes überzeugt klingen recht vertraut; es ist deutlich zu sehen, dass ihn diese selbst nicht überzeugen können.