(hpd) Auf Basis der neuesten Ergebnisse der Genforschung konstatiert der Mediziner Joachim Bauer in seinem Buch „Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus": „Gene bzw. Genome folgen drei biologischen Grundprinzipien...: Kooperativität, Kommunikation und Kreativität." Die gut lesbare Darstellung zur neuesten Forschung weist auf wichtige Komponenten für die Deutung der Evolution des Menschen hin, widerlegt aber allenfalls einseitige Interpretationen des Darwinismus.
In den letzten Jahren machte die Genforschung gewaltige Sprünge: Mittlerweile gilt das Erbgut des Menschen als vollständig entschlüsselt. Was bedeuten nun aber die damit verbundenen Erkenntnisse für unser Bild von der Evolution, das insbesondere von den Lehren Charles Darwins geprägt ist? Dieser Frage widmet sich der Mediziner Joachim Bauer, der lange Jahre im In- und Ausland im Bereich der molekular- und neurobiologischen Forschung tätig war und heute als Universitätsprofessor in der Abteilung für Psychosomatische Medizin des Uniklinikums in Freiburg arbeitet. Sein jüngstes Buch formuliert bereits im Titel die darauf bezogene Antwort: „Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus". Der Autor geht davon aus, dass der Darwinismus und die Soziobiologie Lebewesen und ihre Gene als autistische Akteure oder wie physikalische Objekte betrachte. Die damit verbundenen Dogmen prägten ein falsches Bild von der Biologie des Menschen und müssten nach den neuesten Ergebnissen der Genforschung überwunden werden.
In den zehn Kapiteln seines Buches will Bauer zeigen, über welche in ihnen selbst angelegte biologische Strategien Organismen und ihre Gene verfügen. Dabei deutet er zunächst die Ergebnisse der modernen Genforschung als Revolution biologischen Denkens, müssten doch fortan Genom und Zelle als kreatives System verstanden werden. Gene seien weder autonome Akteure noch der Ursprung des Lebens, gab es doch nach Bauer zuvor schon RNS-Moleküle und Proteine. Die Evolution dürfe auch nicht mehr als Entwicklung von Einzelkämpfern, sondern müsse als Entwicklung von biologischen Systemen verstanden werden. Als Reaktion auf Umweltstressoren veranlassten diese genomische Selbstveränderungen, wodurch es zur Entstehung neuer Arten gekommen sei. Gene sollte man fortan als kommunikative Moleküle und das Genom als ein zur Wahrnehmung von äußeren Signalen befähigtes System betrachten. Daher müsste auch von anthropologischen Konzepten wie dem „Aggressionstrieb" oder dem „egoistischen Gen" Abschied genommen werden.
Zwar hält der Autor Darwins Theorie über die Entstehung des Lebens aus einer evolutionären Entwicklung heraus für unumstößlich. Andere Bestandteile - auch in der modernen Variante der „New Synthesis" - müssten aber zugunsten einer neuen Theorie verworfen werden. Deren Grundlagen werden in zehn Punkten abschließend vorgestellt. Der inhaltliche Kern von Bauers Auffassungen und Kritik besteht in folgenden Positionen: „Genome sind dank zahlloser Informationen, die ihnen vom Gesamtorganismus bzw. von der Zelle zufließen, in der Lage, auf Inputs der verschiedensten Art, insbesondere auf bestimmte Stressoren, zu reagieren, und sie tun dies nicht nach dem Zufallsprinzip, sondern nach Regeln, die in ihnen selbst verankert sind. Die Prinzipien, die bei einem Blick auf die Evolution des Genoms deutlich werden, sind: Kommunikation, Kooperation und Kreativität" (S. 142). Gene seien demnach nicht im Rahmen der Evolution zufällig entstanden, sondern fortlaufend durch Lebensstile und Umweltfaktoren reguliert worden.
Das Urteil über Bauers Buch fällt differenziert aus: Einerseits liefert es einen gut verständlichen und überaus kenntnisreichen Einblick in die neuesten Ergebnisse der Genforschung. Hierbei zeigt sich, dass eine eindimensionale Sicht der Evolution des Menschen als Resultat rein biologischer Prozesse so nicht haltbar ist. Souverän kritisiert der Autor darüber hinaus auf Basis der neueren Forschung Annahmen wie sie etwa in der Theorie vom „egoistischen Gen" von Richard Dawkins zum Ausdruck kommen. Zum anderen verdient aber Kritik, dass seine Einwände mit der Forderung nach einem Abschied von Darwinismus und Soziobiologie viel zu weit reichen. Hierbei blendet Bauer aus: Altruismus und Egoismus müssen keineswegs Gegensätze bilden, und Kommunikation und Kooperation sind auch in dem kritisierten Verständnis wichtige Bestandteile der Evolution. Die von ihm referierten Forschungsergebnisse sprechen nicht für den rigorosen Abschied, sondern für die korrigierende Ergänzung eines undogmatischen Darwinismus.
Armin Pfahl-Traughber
Joachim Bauer, Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus, Hamburg 2008 (Hoffmann und Campe-Verlag), 223 S., 19,95 €





