Das dicke Ende kommt erst

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Stephansdom Wien in der Abendsonne / Foto: NonScolae (CC-by-sa 3.0/de)

WIEN. (hpd) Die katholische Kirche in Österreich kann die Austrittswelle nicht eindämmen. Allen Versuchen zum Trotz, sie schön zu reden. Mittelfristig gesehen dürfte die allerdings nur ein Teil des Problems sein. Der katholische Schrumpfungsprozess wird sich beschleunigen. Etwas mehr als 63 Prozent der Österreicher sind als Katholiken registriert.

Irgendwann zwischen 2030 und 2040 werden es weniger als 50 Prozent sein.

Das ist eine sehr starke Aussage. Bei näherer Betrachtung ist das aber die wahrscheinlichste aller Varianten. Es sei denn, aus katholischer Sicht geschieht ein Wunder.

Seit dem Jahr 2001 haben gut 500.000 Menschen der katholischen Kirche den Rücken gekehrt. Die Gesamtzahl der Katholiken ist um fast 600.000 gesunken. 5,36 Millionen Katholiken gibt es nur mehr in Österreich, bei knapp 8,5 Millionen Einwohnern. Laut Statistik Austria wird die Bevölkerungszahl bis 2030 auf etwa neun Millionen steigen. Wenn im gleichen Zeitraum die katholische Kirche nur 800.000 Mitglieder verliert, ist sie unter der 50-Prozent-Marke.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass es so kommt. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Austritte auch in Jahren ohne größere Skandale auf über 50.000 im Jahr gestiegen. Selbst wenn diese Zahl etwas runtergeht – mehr als etwa 44.000 Austritte pro Jahr kann die katholische Kirche nicht verkraften, wenn sie 2030 mehr als die Hälfte der Bevölkerung für sich reklamieren will. Wahrscheinlich sogar weniger. Dafür sorgen andere Trends. Auch ohne Austritte beginnt die katholische Kirche in Österreich zu erodieren.

Der Kirche sterben die Leute weg

Ihr sterben die Leute weg. In den vergangenen zehn Jahren wurden nur ein einziges Mal mehr katholische Kinder getauft als Katholiken zu Grabe getragen. Gebe es nicht die Zuwanderung aus EU-Ländern mit katholischer Bevölkerungsmehrheit – die Zahl der registrierten Kirchenmitglieder hätte sich zwischen 2003 und 2011 automatisch um gut 16.000 verringert.  Das geht aus den Statistiken der Bischofskonferenz hervor.

Wenig im Vergleich zu den gut 450.000 Austritten im gleichen Zeitraum – aber immerhin. Vor allem ist es ein Prozess, der sich mittelfristig beschleunigen wird, wenn besonders geburtenstarke Jahrgänge in ein hohes Alter kommen. Das wird die Differenz zwischen Taufen und Begräbnissen größer werden lassen.

Nur mehr 57 Prozent des Jahrgangs 2011 getauft

Dazu kommt, dass auch die Zahl der getauften Kinder immer kleiner wird. Das liegt nicht nur am allgemeinen Geburtenrückgang. 1990 wurden in Österreich 90.000 Kinder geboren, 2011 waren es 78.000. Die Zahl der katholisch getauften Kinder ist noch stärker gesunken. Allein seit 2003 ging sie um fast zehn Prozent zurück. Dementsprechend wurden 2011 nur mehr 57 Prozent aller Kinder, die in diesem Jahr geboren wurden, katholisch getauft. In den 80ern dürfte der Anteil bei 80 Prozent plus gelegen haben. Kardinal Christoph Schönborn selbst verweist darauf, dass in Österreich um die 85 Prozent der Menschen irgendwie getauft worden seien.

Der sinkende Taufanteil hat sicher auch demographische Gründe. In Österreich werden (leicht) überproportional mehr Kinder orthododx getauft oder als Muslime registiert als es dem Bevölkerungsschnitt entsprechen würde. Ihre Eltern sind Migranten und haben ein unterdurchschnittliches Einkommen – und entsprechend mehr Kinder als die Durchschnittsbevölkerung. Das allein erklärt den Einbruch bei den Taufen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht.

Der Schluss liegt nahe, dass die meisten, die in den vergangenen Jahren ausgetreten sind, ihre Kinder nicht mehr taufen lassen. Da helfen alle katholischen Anekdoten nichts, man kenne doch einen Ausgetretenen, der für sein Kind unbedingt eine Taufe hätte haben wollen.

Das wird sich in 30 Jahren verstärkt auswirken, wenn die heute Geborenen ihre ersten Kinder haben werden. Wer nicht getauft ist, wird sein Kind kaum taufen lassen. Unabhängig davon, wie viele Kinder die nächste Generation haben wird – bestenfalls die Hälfte aller heute Geborenen wird ihre Kinder katholisch taufen lassen. Viele werden bis dahin aus einer Vielzahl von Gründen der katholischen Kirche den Rücken gekehrt haben.

Priestermangel macht’s nicht besser

Wenn es nicht für die katholische Kirche noch enger wird. In den vergangenen Jahren wurden in Österreich je knapp 30 katholische Priester geweiht. Damit sie alle katholischen Pfarren im Land versorgen könnten, müssten sie theoretisch um die 100 Jahre im Amt sein. Ohne die Anwerbung vor allem osteuropäischer Pfarrer wäre das katholische Versorgungsangebot längst zusammengebrochen. Und von dort lässt sich immer schwieriger Nachwuchs rekrutieren. Auch der Priesterzuzug aus Afrika geht zurück, wie man hört. Dort wächst die Mitgliederzahl der katholischen Kirche. Die brauchen ihre Leute verstärkt selbst.

In Wien trägt man dem Rechnung. Pfarren werden fusioniert. Die Versorgung wird ausgedünnt. Der Rest Österreichs wird bald folgen. Das mag die zwölf bis dreizehn Prozent Kirchgeher unter den Katholiken weniger stören. Ob der Sonntagsgottesdienst um 9 Uhr ist oder ob der Pfarrer bei ihnen den dritten des Tages um 11 Uhr 15 abspult, ist für den Großteil eher belanglos. Kommen werden sie fast alle.

Höhere Hürden für Taufscheinkatholiken

Für die fast 90 Prozent Taufscheinkatholiken erhöht das die Hürden, die sie ohnehin so selten wie möglich überspringen wollen. Die Christmette wird wohl ausfallen, wenn sie nicht im Ort stattfindet. Und wie viele werden ihr Kind nicht taufen lassen („weil’s halt dazugehört“), wenn sie drei Dörfer weiter müssen, um den Pfarrer in seiner Sprechstunde zu erreichen? Längere Wegstrecken setzen ein Mehr an Motivation voraus als zu der Zeit, als es buchstäblich um jede Ecke eine Kirche gab.

Klassen, in denen es keinen öffentlich finanzierten katholischen Religionsunterricht mehr gibt, werden in wenigen Jahren nichts Unbekanntes mehr sein. Sofern es dann überhaupt noch einen verpflichtenden konfessionellen Religionsunterricht gibt.

Die katholische Zuwanderung wird das langfristig auch nicht abfedern können. Der Höhepunkt der Migration aus den östlichen EU-Nachbarstaaten dürfte erreicht sein oder knapp bevorstehen. Je nachdem, wie sich die wirtschaftliche Lage dort entwickelt. Wahrscheinlich gibt es nach dem EU-Beitritt Kroatiens heuer einen Schub katholischer Einwanderer, der auch das eine oder andere Jahr anhalten wird. Langfristig wird das nicht reichen. Es sei denn, das halbe Rheinland will hier wohnen. Wovon auch nicht auszugehen ist. Außerdem sind die auch nicht mehr so katholisch wie früher.

Tragweite muss bekannt sein

Der katholischen Führungsriege muss die Tragweite der Entwicklungen bekannt sein. Es muss ihr auch klar sein, dass es so gut wie nichts gibt, was sie dagegen tun kann. Religion spielt im Leben der meisten Menschen in Österreich so gut wie keine Rolle mehr. Missionierungsversuchen, verschämt Neuevangelisation genannt, sind sie nicht zugänglich.

Der demokratisch-rechtsstaatliche Rahmen der Republik, in den die Kirche trotz zahlreicher Privilegien eingebettet bleibt, gestattet ihr auch immer weniger, die Schäfchen mit mehr oder weniger sanftem ökonomischem Druck bei der Stange zu halten. Und je mehr Menschen auch am Land ausgetreten sind, desto geringer wird der gesellschaftliche Druck dabei zu bleiben oder die Kinder taufen zu lassen. Was langfristig bleiben wird, ist eine relativ kleine Gruppe sehr Überzeugter. Die so genannte Überzeugungskirche, auf die Christoph Schönborn immer wieder Bezug nimmt.

Allein, an der gesellschaftlichen Bedeutung der Kirche darf sich in den Augen ihrer obersten Vertreter nichts ändern.

Abwickler der katholischen Erbmasse

Die katholischen Kirchenoberen sind längst Abwickler der katholischen Erbmasse geworden. Das mag ihnen in dieser Tragweite bewusst sein oder nicht. Dafür, dass sie es wissen, spricht, dass sie immer mehr eine „christliche Kultur“ bzw. Prägung vor sich hertragen wie sonst die Monstranz zu Fronleichnam. Nach Überzeugung der Kirchenhierarchie ist sie es, die dieses angebliche Prägung bewahren und beschützen muss. Warum, wie und vor wem, bleibt bei näherer Betrachtung unklar. Man erfährt nur, dass die Oberchristen Österreichs ein nicht mehr christliches Österreich (was auch immer man darunter verstehen mag) nicht so toll finden. Das dürfte niemanden ernsthaft überraschen.

Nur bezahlen muss den Schutz einer christlichen Prägung irgendwer. Auch Sicht der Kirchenoberen ist klar, wer: Die Allgemeinheit. Die muss zwangsbeglückt werden. Ob wie bisher von der Kanzel aus oder durch von ihr finanzierte kirchliche Kultureinrichtungen oder Schulen – dem Klerus ist’s egal. Wenn sie nicht kommen, sollen sie zahlen. So ist das mit dem Glauben.

Späteren Legitimationsproblemen versucht man seit Jahren argumentativ vorzubeugen. Von wegen kulturelles Erbe, von dem ja alle... und so. Im Moment funktioniert die Taktik ganz gut. Die Schäfchen werden ins Trockene gebracht, bevor...

Wobei, Schäfchen eher nicht. Die rennen ja davon. Versuchen wir es noch mal: Die finanziellen Angelegenheiten werden langfristig geregelt, bevor die 50-Prozent-Grenze sichtbar wird. Ist die mal unterschritten, hat man ein massives Legitimationsproblem. Dann wird man keine neuen finanziellen Leistungen mehr lukrieren können. Aber das, was man hat, wird man noch ziemlich lang verteidigen können. Aus katholischer Perspektive vermutlich fast so gut wie ein zu 80 Prozent katholisches Österreich.

Christoph Baumgarten