Zweite Pfadfinderorganisation ist religiös neutral
In Österreichs zweitgrößter Pfadfinderorganisation, dem Österreichischen Pfadfinderbund läuft man weniger Gefahr, Gruppen an derart historisch belasteten Orten unterzubringen. In Pfarrheimen hat man sich nicht eingemietet. Der Pfadfinderbund (ÖPB) versteht sich als explizit überreligiös bis säkular. „Für den ÖPB ist die Ausübung einer Religion strikte Privatangelegenheit und wird weder hinterfragt noch beeinflußt“, heißt es auf der Homepage.
Das klingt etwas säkularer, als es ist. Auch beim Pfadfinderbund lautet der Eid: „Ich verspreche bei meiner Ehre, dass ich mein Bestes tun will, meine Pflichten gegenüber Gott und dem Vaterland zu erfüllen, jederzeit und allen Menschen zu helfen und nach dem Pfadfindergesetz zu leben“, erklärt Pfadfinderbund-Sprecher Michael Schreiber gegenüber dem hpd auf Anfrage. „Bei Mitgliedern, die Probleme mit dem Passus „ ...gegenüber Gott“ haben, kann dieser durch Bezeichnungen einer anderen anerkannten Glaubensrichtung ersetzt bzw. ganz weggelassen werden.“
Im Gegensatz zum PPÖ gibt es nach diesem Gelöbnis keine wie auch immer geartete religiöse Erziehung: „Auch taucht in unseren Ausbildungsunterlagen (weder in der Gruppenleiterschule noch in den Unterlagen der Kinder und Jugendlichen) das Thema Religion auf. Das ist für jeden von uns Privatangelegenheit.“ Sollten Kinder und Jugendliche auf Lagern oder an Heimabend Gottesdienste besuchen wollen, ermögliche man das, erläutert Schreiber. „Aber wir versuchen sie in dieser Hinsicht nicht besonders zu fördern oder zu formen.“
Nähe zur Religion trennt Pfadfinder
Das Verhältnis zur Religion ist das trennende Element zwischen den beiden Pfadfinderorganisationen. Der ÖPB spaltete sich 1950 von den PPÖ ab – mit dem Vorwurf, diese seien zu katholisch. Der Vorwurf steht bis heute im Raum. In ländlichen Regionen werde im (im Regelfall katholischen) Religionsunterricht manchmal Werbung für die PPÖ gemacht, hört man aus dem Pfadfinderbund. „Andererseits muss man aber auch sagen, dass wir viele Mitglieder haben, die nicht zu den PPÖ gehen wollen, gerade weil wir den Glauben als Privatsphäre betrachten“, sagt Michael Schreiber.
Die Zahlen sprechen allerdings für sich. Die religiösen PPÖ haben nach eigenen Angaben 85.000 Mitglieder. Der Pfadfinderbund hat etwa 3.000.
Die besondere Nähe zur katholischen Kirche würde PPÖ-Pressesprecher Pertl vermutlich bestreiten. Er legt Wert auf die Feststellung, seine Organisation sei überkonfessionell. Einzelne Pfadfindergruppen seien in evangelischen Pfarren untergebracht. Es gebe auch so genannte „spirituelle Beauftragte“ für Evangelische. In Wien überlege man, ein muslimisches Pendant einzuführen. Scheitern könnte es daran, dass es nicht genügend muslimische Pfadfinderinnen und Pfadfinder gibt, um einen Beauftragen zu rechtfertigen.
Atheisten dürfen – werden aber eidbrüchig
Mit Atheisten in der Organisation hätte der PPÖ nach Aussagen Pertls kein Problem. „Diese Einstellung stellen wir so nicht in Frage“, sagt Pertl gegenüber dem hpd. Der oder die müsste allerdings die Ziele der Organisation respektieren und „die Bereitschaft zeigen, sich mit Religionen auseinanderzusetzen“.
Die Frage, ob der Gottesbezug in der Formel nicht religiöse Interessenten abschreckt, scheint man sich nicht gestellt zu haben. Genausowenig wie die Frage, ob etwa ein Atheist, der den PPÖ beitritt, überhaupt ein gültiges Gelöbnis abgeben kann, wenn er verspricht, Gott zu dienen. Angesichts des Stellenwerts, den solche Zeremonialakte bei den Pfadfindern haben, erscheint das erstaunlich.
Weltverbände schreiben Religiosität vor
Der ÖPB hat diese Probleme nicht. Dafür ist er auch nicht Mitglied bei den weltweiten Dachorganisationen (je eine für Pfadfinder und eine für Pfadfinderinnen). Seit der Abspaltung von den PPÖ wegen deren zu großer Religionsnähe ist er ausgeschlossen. Die Pfadfinder erkennen nur je eine Mitgliedsorganisation pro Land an. Und die muss, so steht es im internationalen Statut, die religiöse Entwicklung von Kindern und Jugendlichen fördern.
Das würde den Handlungsspielraum der PPÖ einschränken, selbst wenn man ein kritischeres Verhältnis zu Religion hätte. Andererseits zeigen die Diskussionen in Großbritannien und Australien, dass nichts so heiß gegessen wie gekocht wird. Weder die britischen Pfadfinder noch die britischen Pfadfinderinnen werden aus dem Weltverband fliegen, wenn sie den Gottesbezug im Eid streichen. Wahrscheinlich wird der Weltverband das einfach ignorieren. Das mutet beinahe an wie eine klassisch österreichische Lösung.
Doch Nachdenkprozess in Österreich?
Bleibt die Frage, ob die Recherchen des hpd nicht doch eine Diskussion anstößt, wie zeitgemäß die Religiosität der Pfadfinderbewegung ist. Die explizit religiösen PPÖ wurden vom hpd offenbar das erste Mal strukturiert mit der Fragestellung konfrontiert – und haben sich entsprechend Zeit für die internen Recherchen erbeten. Ohne Nachdenkprozesse wäre die Beantwortung nicht möglich gewesen. Vielleicht gehen sie ja weiter.
Christoph Baumgarten