Ein fast faustisch anmutendes Projekt unternimmt Christoph Meißelbach mit seinem umfangreichen und ausdifferenzierten Buch "Die Evolution der Kohäsion. Sozialkapital und die Natur des Menschen". Sein Anspruch ist es letztlich eine Brücke zu schlagen von der Philosophie (ontologischer Realismus), über die Gesellschaftswissenschaften zu den Naturwissenschaften (biologische Evolution).
Ausgangspunkt sind für ihn die Sozialkapitaltheorien von Bourdieu, Coleman, Putnam und anderen. Deren Theoriedefizite sieht er vor allem darin, dass sie die Natur des Menschen, die ja das "Ergebnis" eines evolutionären Prozesses sind, nicht berücksichtigt.
Die Sozialkapitaltheorien stellen für ihn dabei schon eine gewisse Weiterentwicklung dar, um soziale Wirklichkeit besser zu erklären. Sie versuchten nämlich die in den Sozialwissenschaften vorherrschende Kluft zwischen der logischen Figur des individuell handelnden "homo oeconomicus" und des kulturell determinierten "homo sociologicus" zu überwinden.
Dieser "dritte Weg" zwischen den einerseits akteur- und andererseits strukturzentrierten Theorien enthält seiner Ansicht nach jedoch auch Schwachstellen. So würden zwar beispielsweise die Eigenschaften von Netzwerken beschrieben. Es fehle jedoch eine ultimative Erklärung, warum Menschen zum Beispiel soziale Beziehungen als wertvoll erachteten und empfänden. Warum würden positive Normen von Gemeinschaft und Solidarität internalisiert und wie entstehe Vertrauen, das ja eine unersetzliche Bedingung für soziale Netzwerke darstelle. Die Antworten auf solche Fragen könnten nur im Rahmen einer evolutionär-anthropologisch fundierten Handlungstheorie erfolgen.
Obwohl es in der Natur keinen echten uneigennützigen Altruismus gebe, hätten sich nämlich im Laufe der Evolution "jene kognitiven und sozialen Fähigkeiten herausgebildet, die den Menschen in die Lage versetzten, soziale Beziehungsnetzwerke als Ressource zu nutzen". Basis für die Erklärung dieser Kooperation ist für den Autor die Multilevelselektionstheorie der Evolution. Nach ihr erfolgt die Selektion durch die Konkurrenz auf einzelnen Ebenen wie zum Beispiel zwischen Einzellern, Individuen, Familienclans und Gruppen. Danach werden in der Vererbungseinheit, dem Gen, auch erfolgreiche phänotypische Merkmale codiert. Diese bilden sich allgemein im Austausch mit der Umwelt heraus und beruhen auf bewährten Überlebensstrategien wie zum Beispiel auch der Kooperation.
Menschliche Prosozialität drückt sich für Meißelbach generell in dem Problem des Altruismus aus. Wie komme es, dass egoistische Individuen uneigennützig handelten, also auch selbstlose Denk- und Handlungsweisen praktizierten. Das zeige sich heute beispielsweise im nepotistischen Altruismus (Verwandtenselektion) sowie vor allem auch im direkten und indirekten reziproken Altruismus.
Kooperation in der Natur wird hier somit als Sozialkapital verstanden, als ein "Produktionsfaktor", weil es bei der Reproduktion der Individuen einen Mehrwert erzeugt. Auch bei Marx wird "Kapital" vor allem reproduktiv, nämlich als ein gesellschaftliches Verhältnis im Prozess der vergesellschafteten Reproduktion verstanden. Grundlage dafür ist der Wert. Evolutionär verstanden hat nämlich all das Wert, was zur Reproduktion der Individuen beiträgt. Das gilt auch für die gesellschaftliche Wertschätzung. Insofern sind internalisierte Werte und Normen, die Moral schlechthin, auch als ein Überlebensfaktor zu bezeichnen.
Dass das Eingebettet- und Geborgensein in einen "Sozialverbund", in eine Gemeinschaft, ein Bedürfnis des Menschen ist, zeigt auch die Glücksforschung. Danach sind die Menschen am meisten zufrieden, wenn sie in einer funktionierenden, lebendigen Gemeinschaft leben.
Mir scheint von den Tieren der Mensch am wenigsten von der Natur festgelegt zu sein. Viele sprechen in diesem Zusammenhang auch von einem Kulturwesen. Dennoch zeigt sowohl die Evolutionspsychologie als auch die Soziobiologie und die evolutionäre Anthropologie wie sehr der Mensch auch naturhistorisch geprägt ist. Da stellt sich natürlich die politische Frage, ob aufgrund dieser Theorien vorausgesagt werden kann, dass sich weltweit kooperatives Verhalten durchsetzt und damit eine Weltordnung entsteht, die eine globale Steuerung des Erdballs ermöglicht.
Für seinen interdisziplinär-integrativen Forschungsansatz erhielt Dr. Christoph Meißelbach den Georg-Helm-Preis 2017.
Christoph Meißelbach, Die Evolution der Kohäsion. Sozialkapital und die Natur des Menschen, Springer Nature 2019, ISBN 978-3-658-25056-0, 59,99 Euro / E-Book 46,99 Euro
21 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Das hört sich in den ersten 2 bis 3 Absätzen (über das Buch) einfach nur platt an.
Aber "Georg-Helm-Preis 2017" - immerhin.
Bernd Ehlert am Permanenter Link
Bei Meißelbach geht es letztlich gerade nicht darum, dass sich "weltweit kooperatives Verhalten durchsetzt".
Also von wegen "weltweite Kooperation", stattdessen ganz im Sinne der Verwandtenselektion "Abschottung" von nichtverwandten Völkern und "Freund-Feind-Unterscheidung" (so dass auch wieder der "Marker" des Christentums endlich wieder seine kohärente Wirkung entfalten kann).
Mehr zu dieser Kritik siehe Amazonrezension des Buches unter dem Titel "Vernetztes und Wurzeln schlagendes Gedankengut der 'Neuen Rechten' in der Wissenschaft?"
Ulrich Körner am Permanenter Link
Das was Sie sagen ist natürlich richtig, und ich habe das Gegenteil ja auch nicht behauptet. Als Kosmopolit und überzeugter Europäer sucht man aber immer nach Gründen, aufgrund derer die Welt zusammenwachsen kann.
Bernd Ehlert am Permanenter Link
Die Verwirklichung demokratischer Verhältnisse auf der globalen bzw. internationalen Ebene ist auch meiner Meinung nach dringend notwendig, bzw. sollte das nächste Ziel der geistig-kulturellen Evolution sein.
Ulrich Körner am Permanenter Link
Man kann das Aufkommen des gegenwärtigen "Nationalismus" auch als Gegenreaktion zur Globalisierung interpretieren. Das Pendel schlägt eben auf die andere Seite.
Bernd Ehlert am Permanenter Link
Ich bin der Meinung, dass das "Ausschlagen des Pendels" als Nationalismus nicht unbedingt notwendig war, d.h.
In derselben Weise bin ich der Meinung, dass der Nationalismus die Kriegsgefahr wiederum ansteigen lässt, und diesmal würde ein neuer Krieg mit Atomwaffen geführt werden. Das würde dann wahrscheinlich schon im Sinne eines Pendels endgültig zu der Einsicht führen, dass der Nationalismus und der Rechtsextremismus nicht zur weiteren Evolution des Menschen passen. Aber ist das nötig? Zu dieser Einsicht kann man auch jetzt schon gelangen, und zwar ohne die Zerstörungen eines Atomkriegs. Welche Einstellung ich hier habe, siehe Antwort zu Ockham.
Ockham am Permanenter Link
Hallo Herr Ehlert,
Ihr Zitat: "Es geht vielmehr um "Abschottung gegenüber fremdartigen kulturellen Markern und den sie tragenden Menschen", (S. 461) also um Ethnopluralismus."
Der Ethnopluralismus ist eine Spielart des früheren Gedankengebäudes, wo "Rasse" durch einen naturalisierten Kulturbegriff ersetzt wird. So wurde nur ein Begriff anders umschrieben und die Wirkung einer neuen Strategie ausprobiert, welche mit einem "humanitären Anstrich" ein ähnliches Ziel verfolgen sollte, nämlich die "Reinheit der Rasse" (Quelle 1, vgl. S. 162).
AnhängerInnen des Ethnopluralismus wie der französische Publizist Alain de Benoist sehen gerade in der Aufrechterhaltung der Gruppendifferenz (meiner Meinung nach ist damit die "Abschottung gegenüber fremdartigen kulturellen Markern" gemeint) den wahren Antirassismus, nämlich jenen der die ethnischen Identität der Gruppen anerkennt und versucht sie zu konservieren. Bewusst operieren rechtsgerichtete AktivistInnen mit Slogans wie "sozialistischer Gleichmacherei", welche allgemein eine Assoziation mit dem Totalitarismus hervorrufen soll. Sie sollen den Menschen suggerieren, dass Gleichheit generell einer Gleichschaltung der Lebensverhältnisse, Lebensstile und des Aussehens nach sich zieht. Da eine Integration von Menschen mit anderem kulturellen Background für die ethnopluralistische Theorie einen totalitären Impetus hat, spricht sie sich für eine weitgehende ethnische Separation aus, obwohl Alain de Benoist in jüngster Vergangenheit eher von einem Regionalismus und einem gemäßigten Multikulturalismus spricht. Der Ethnopluralismus versucht auch nicht mehr Superiorität und Inferiorität einer bestimmten ethnischen Gruppe zuzusprechen, sondern versucht eine Trennung zu erreichen, indem er vorgibt als Anwalt/Anwältin von MigrantInnen zu fungieren (Quelle 1: Eine anerkennungstheoretische Wende in der Gerechtigkeitsdebatte - Kultur als Argument ersten Ranges?, Mag. phil. Robert Waldhauser, Dissertation, 2011, S. 161 f.).
Ihr Zitat: "Also von wegen "weltweite Kooperation", stattdessen ganz im Sinne der Verwandtenselektion "Abschottung" von nichtverwandten Völkern und "Freund-Feind-Unterscheidung" (so dass auch wieder der "Marker" des Christentums endlich wieder seine kohärente Wirkung entfalten kann)."
"Weltweite Kooperation" wäre ein Universeller Altruismus. Nun stellt sich die Frage, warum die natürliche Selektion keinen universellen Altruismus begünstigt, wo doch die meisten Gene in einer Spezies universell vorhanden sind. Weil Universeller Altruismus gegenüber dem Verwandtenaltruismus nicht evolutionär stabil ist (Quelle 2: Forscher aus Leidenschaft, Richard Dawkins, 2017, vgl. S. 193). Verwandtenaltruismus ist gegen eine Invasion durch universellen Altruismus stabil, umgekehrt aber nicht (Quelle 2, vgl. S. 194 f.)!
Bernd Ehlert am Permanenter Link
Hallo Ockham,
„Das alte Paradigma der sozialen Evolution, das nach vier Jahrzehnten fast schon Heiligenstatus genießt, ist damit gescheitert. Seine Argumentation von der Verwandtenselektion als Prozess über Hamiltons Ungleichung als Bedingung für Kooperation bis zur Gesamtfitness als darwinschem Status der Koloniemitglieder funktioniert nicht. Wenn es bei Tieren überhaupt zur Verwandtenselektion kommt, dann nur bei einer schwachen Form der Selektion, die ausschließlich unter leicht verletzbaren Sonderbedingungen auftritt. Als Gegenstand einer allgemeinen Theorie ist die Gesamtfitness ein trügerisches mathematisches Konstrukt; unter keinen Umständen lässt es sich so fassen, dass es wirkliche biologische Bedeutung erhält. Auch für den Nachvollzug der Evolutionsdynamik genetisch bedingter sozialer Systeme ist es unbrauchbar.“ (Wilson 2013, S. 221f)
In der Theorie der Verwandtenselektion oder Gesamtfitness hat man den Instinkt der Verwandtenunterstützung mit den mathematischen Gesetzmäßigkeiten der Vererbung verknüpft und meinte darin, ein universelles Gesetz der Evolution gefunden zu haben. Als Hypothese kann man das mal machen, nur, wie Wilson es ausdrückt, es funktioniert eben nicht. Wenn eine Theorie sich nicht empirisch verifizieren bzw. praktisch anwenden lässt, so ist sie darin das, was wir »metaphysisch« nennen, d.h. die begriffliche Theorie passt in einem objektiven Verständnis nicht zu der sinnlich wahrnehmbaren physischen Grundlage dieser Welt. Wie in der Religion bringt die nicht passende und objektiv nicht wahre Theorie zwar einige Vorteile mit sich, in diesem Fall, dass sie gut zu dem passt, was man konservative oder rechte Gesinnungen nennt, aber sie erweist sich in einem objektiven Sinne eben nicht als wahr.
Um sich hier nicht in endlosen theoretischen Diskussionen zu verlieren, ist es angebracht, die beiden unterschiedlichen Theorien (Verwandtenselektion und Wilsons neue Multilevelselektion) an einem konkreten praktischen Fall zu messen, am besten an dem der Migration. Die Globalisierung schreitet unaufhaltsam fort, sowohl in der Wirtschaft, in der Produkte und Produktteile überall in der Welt gefertigt werden, als auch hinsichtlich der neuen Medien. In so gut wie jeder afrikanischen Hütte steht ein Fernseher und auch die Menschen der Dritten Welt nutzen zunehmend die Smartphones mit all ihren neuen Möglichkeiten.
Das Problem dabei ist das große soziale Gefälle in der Welt, was die Wirtschaft für sich bestmöglich nutzt. Dass die Menschen der Dritten Welt sich mit ihrer Rolle der am Existenzminimum lebenden Billigarbeiter nicht zufrieden geben, ist allzu verständlich. Im Grunde aus denselben Gründen, aus denen die Konzerne in die Länder der Dritten Welt »strömen«, um dort billige Produkte fertigen zu lassen, strömen umgekehrt die Menschen der Dritten Welt mit ihrer anderen Kultur und Religion in die reichen Industrieländer, um so am Wohlstand teilzuhaben. Wie lässt sich das Problem lösen, genauer gesagt, mit welcher (Evolutions)Theorie lässt sich das Problem effektiv lösen?
Meißelbachs Buch „Die Evolution der Kohäsion“ bietet hier eine Antwort auf Grundlage der Soziobiologie. Wenn darauf wie in meiner Amazonrezension die Analysekriterien von Pfahl-Traughber angewendet werden, ist dieses Buch jedoch der „Neuen Rechten“ mit ihrer konservativen Revolution zuzuordnen. „Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen“, „Abschottung“, „moralische Doppelstandards im Hinblick auf Eigen- und Fremdgruppen“ sowie „Freund-Feind-Unterscheidung“ sind die Schlagworte, um den „Gemeinsinn“ oder die „Kohäsion“ in der Gesellschaft auf der Grundlage „alter Emotionen und Intuitionen“ zu stärken. Solche Gesellschaften können gemäß Meißelbach „Ressourcen besser als andere verteidigen oder erobern“. Wie Sie es beschreiben, ist das der „wahre Antirassismus, nämlich jener, der die ethnischen Identität der Gruppen anerkennt und versucht sie zu konservieren“. Ich halte mich da an die Definition des Ethnopluralismus, wie sie Pfahl-Traughber gegeben hat. In der Praxis heißt das »Mauern bauen«, nicht nur wie bei Trump, sondern auch wie in der EU als wie auch immer geartete Blockierung der Flüchtlingsrouten.
Erwähnt werden muss hier allerdings noch, dass in der Wirtschaft und im Welthandel in Hinsicht auf die Länder der Dritten Welt von einer „Abschottung“ nicht die Rede ist. Die Menschen dort sollen ruhig weiter im Elend leben, um für die Industrieländer billig produzieren zu können und die Rohstoffe von dort sind natürlich auch jederzeit willkommen.
Wie in meiner Amazonrezension ausgeführt, sind die „alten Emotionen und Intuitionen“, mit deren Hilfe Meißelbach die Kohäsion, das Sozialkapital oder einfach den Gemeinsinn oder Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken will, im Sinne von Wilson nichts anderes als ein bestimmter Instinkt, und zwar der Gruppeninstinkt, den Wilson in seinem Buch beschreibt. Doch das ist evolutionäre rückwärtsgewandt, denn es bedeutet, dass das Verhältnis der Gruppen oder Gesellschaften untereinander (etwa um „Ressourcen besser als andere verteidigen oder erobern“ zu können) nicht mehr von den geistig-kulturellen Errungenschaften der Gerechtigkeit und Fairness bestimmt wird, sondern ganz nach den animalischen Instinkten vom »Recht des Stärkeren«. Wie das konkret aussieht, ist in etwa bei Trump zu beobachten.
Wie sieht dagegen die Lösung aus, die sich aus Wilsons neuer Theorie bzw. seinem neuen Evolutionsverständnis ergibt? Wie in meiner Amazonrezension beschrieben, begeht von Wilson aus gesehen die Soziobiologie den Kategorienfehler, weil sie beim Menschen die Dichotomisierung von Natur und Kultur nicht durchführt. Die Soziobiologie kennt daher gar nicht das (als eigenständige Kategorie), worauf die Evolution des Menschen gründet, nämlich das Geistig-Kulturelle, und sie kennt auch nicht das als solches, was dem entgegensteht, nämlich die genetisch verankerten animalischen Instinkte. Die falsche Theorie führt hier genau wie in der Religion in die Irre.
Es ist nun so, dass die Beseitigung des sozialen Gefälles in der Welt zwar die Lösung des Migrationsproblems ergeben würde, doch nur zu Lasten eines weiteren großen Problems des modernen Menschen, d.h. das würde die Erde endgültig ökologisch nicht verkraften. Folgende Aussage von Wilson aufgrund der Dichotomisierung von Natur und Kultur weist hier den Weg: „Wir sind ein evolutionäres Mischwesen, eine Chimärennatur, wir leben dank unserer Intelligenz, die von den Bedürfnissen des tierischen Instinkts gesteuert wird. Deswegen zerstören wir gedankenlos die Biosphäre und damit unsere eigenen Aussichten auf dauerhafte Existenz.“ (Wilson 2013, S. 23)
Angewendet auf das heutige Leitbild der Menschen, nämlich die durch die moderne Technik ermöglichte exzessive Anhäufung von materiellen Werten, heißt das, dass dieses heutige Leitbild ebenfalls letztlich auf einem Instinkt beruht. Völlig natürlich wird das »Jagen und Sammeln« und der Konsum materieller Werte als ein altvertrautes Verhalten und darin als Sinn des Lebens angesehen. Doch in einem überbevölkerten und begrenzten Lebensraum wird dieses Verhalten mehr und mehr zu einem unangepassten Verhalten, das darin letztlich nur noch animalisch und primitiv ist.
Durch die weitere Entwicklung der immer besser werdenden künstlichen Intelligenz und einer damit verbundenen Industrie 4.0, die in naher Zukunft die zum Leben notwendigen materiellen Produkte selbständig herstellen kann, wird es sich sogar früher oder später zwangsläufig auch auf diese Weise ergeben, dass der Mensch seinen Lebenssinn woanders suchen muss als in der Erwerbsarbeit und der primitiven Ansammlung und dem Konsum materieller Werte.
Und wo sollte er seinen Lebenssinn suchen? Dem Evolutionsmodell von Wilson nach genau in dem, was den Menschen in der Evolution exklusiv auszeichnet, was gemäß Wilson die Evolution menschlicher Gesellschaften zu Zivilisationen geprägt hat, nämlich das Geistig-Kulturelle, das die Soziobiologie jedoch als eigene und unabhängige Kategorie gar nicht kennt.
Ich behaupte einmal, dass das Leitbild von Geist und Kultur als Lebenssinn statt des alten Leitbildes eines von primitiven animalischen Instinkten geprägten Jagens nach Rang, Macht und Reichtum nicht nur das Migrations- und Umweltproblem gleichzeitig löst, sondern so gut wie alle Probleme des modernen Menschen. Dass dieser notwendige Wechsel in der weiteren Evolution vom Tier zum Menschen einfach zu bewerkstelligen ist, das will ich damit nicht sagen. Doch die das gesamte natürliche Werden und Sein des Menschen umfassendste Theorie kann hier eine Orientierung geben.
Ist das eine im Gegensatz zur Soziobiologie objektiv wahre Evolutionstheorie, die empirisch bestätigt werden kann (wie etwa in dem von Wilson genannten Aboriginesbeispiel), und die wie jede andere objektiv wahre Theorie praktisch angewendet werden kann und so auch in bestimmter Weise Vorhersagen ermöglicht? Ich meine: Ja. Auf jeden Fall ergibt sich daraus eine viel vernünftigere und umfassendere Orientierung als mit der Soziobiologie, bei der Meißelbach einen Instinkt, der schon zweimal in Katastrophen geführt hat, jetzt wieder als Ideal und Ziel der weiteren Entwicklung und Evolution des Menschen ausgibt.
Ockham am Permanenter Link
Ihr Zitat: "Ich behaupte einmal, dass das Leitbild von Geist und Kultur als Lebenssinn statt des alten Leitbildes eines von primitiven animalischen Instinkten geprägten Jagens nach Rang, Macht und Reichtum nicht
So einfach ist das nicht, wie Sie sich das vorstellen.
Ihr Zitat: "Dass dieser notwendige Wechsel in der weiteren Evolution vom Tier zum Menschen einfach zu bewerkstelligen ist, das will ich damit nicht sagen."
Wo würden Sie denn zwischen Tier und Mensch eine Grenze ziehen wollen? Darwin selbst schrieb in "Die Abstammung des Menschen": "In einer Reihe von Formen, welche unmerkbar aus einem affenähnlichen Wesen in den Menschen übergingen, wie er jetzt existiert, würde es unmöglich sein, irgendeinen solchen Punkt zu bezeichnen, wo der Ausdruck ´Mensch´ angewandt werden müsste" (Dt. Ausgabe, S. 201 f.).
Ihr Zitat: "Auf jeden Fall ergibt sich daraus eine viel vernünftigere und umfassendere Orientierung als mit der Soziobiologie, bei der Meißelbach einen Instinkt, der schon zweimal in Katastrophen geführt hat, jetzt wieder als Ideal und Ziel der weiteren Entwicklung und Evolution des Menschen ausgibt."
Was man sich unter dem "Instinkt" vorzustellen hat, müsste Wilson erst einmal genau definieren, daran hapert es schon.
Bernd Ehlert am Permanenter Link
Ihr Zitat: „Wo würden Sie denn zwischen Tier und Mensch eine Grenze ziehen wollen?
Um diese Grenze zu eindeutig bestimmen, beziehe ich mich zunächst auf das folgende Zitat von Konrad Lorenz:
„Während all der gewaltigen Epochen der Erdgeschichte, während deren aus einem tief unter den Bakterien stehenden Vor-Lebewesen unsere vormenschlichen Ahnen entstanden, waren es die Kettenmoleküle der Genome, denen die Leistung anvertraut war, Wissen zu bewahren und es, mit diesem Pfunde wuchernd, zu vermehren. Und nun tritt gegen Ende des Tertiärs urplötzlich ein völlig anders geartetes organisches System auf den Plan, das sich unterfängt, dasselbe zu leisten, nur schneller und besser. [...] Es ist daher keine Übertreibung zu sagen, dass das geistige Leben des Menschen eine neue Art von Leben sei.“ (Konrad Lorenz, „Die Rückseite des Spiegels“, München 1987, S. 217)
„Fulguration“ nennt Lorenz das »blitzartige« Entstehen völlig neuer Eigenschaften (wie etwa die Eigenschaft »lebendig«). Über die beiden für ihn größten evolutionären Entwicklungsvorgänge als Übergänge vom Anorganischen zum Organischen (als Beginn der Evolution mit der Eigenschaft »Leben«) und vom Tier zum Menschen (als Beginn einer neuartigen Evolution mit der Eigenschaft »Geist«) sagt er: „Die Parallelen – fast möchte man sagen: die Analogien -, die zwischen diesen beiden größten Fulgurationen bestehen, die sich in der Geschichte unseres Planeten je ereignet haben, regen zu tiefstem Nachdenken an.“ (Lorenz 1987, 216)
Konkret ziehe ich auf dieser Grundlage von Lorenz die Grenze zwischen Tier und Mensch als Besitz des Systems der Sprache. Sprache heißt dabei nicht Tierlaute und auch nicht Verständigung etwa über die Mimik oder das Verhalten. Sprache als „völlig anders geartetes organisches System“ heißt, dass alle sinnlichen Wahrnehmungen neuronal abstrahiert und codiert werden, im Prinzip genauso wie alle Zellvorgänge genetisch codiert sind.
Trotzdem Darwin sich der Auffassung von Huxley anschloss, der nach „es durchaus nicht berechtigt [ist], den Menschen in eine besondere Ordnung zu stellen“, (Charles Darwin 1871, „Die Abstammung des Menschen“, Stuttgart 2002, S. 194) war er schon nahe an der Erkenntnis von Lorenz dran, denn Darwin sah das Gehirn des Menschen als „wunderbare Maschine, die allen Arten von Dingen und Eigenschaften Zeichen beilegt und Gedankenreihen wachruft, die niemals durch bloße Sinneseindrücke entstehen könnten, oder, wenn dies der Fall wäre, doch nicht weiter verfolgt werden könnten“, wobei in der konsequenten Systematik daraus „die höheren intellektuellen Fähigkeiten, wie das Schließen, Abstrahieren, das Selbstbewußtsein usw., entstanden“ (C. Darwin 1871/2002, S. 268).
Von daher lassen sich die Instinkte klar definieren, denn sie sind genetisch codiert und wirken über die Emotionen, während Kultur neuronal codiert ist. Mit anderen Worten, es gilt die Dichotomisierung von Natur und Kultur, was Darwin und die Soziobiologie bestreiten und als Kategorienfehler ansehen, während Lorenz und Wilson genau diese Dichotomisierung von Natur und Kultur durchführen.
Von dieser Dichotomisierung von Natur und Kultur her stellt Wilson die Frage: „Warum sollte man [nachdem die Fähigkeit zu Geist und Kultur genetisch geschaffen wurde] die [weitere] Evolution menschlicher Gesellschaften zu Zivilisationen als kulturellen und nicht als genetischen Prozess bezeichnen?“ (Edward O. Wilson, „Die soziale Eroberung der Erde“, München 2013, S. 127) Er beantwortet sie danach empirisch bestmöglich mit dem Extrembeispiel der immer noch steinzeitlich lebenden Aborigines, indem er schreibt, „dass Kleinkinder aus Jäger-und-Sammler-Gesellschaften, die bei Adoptivfamilien in technologisch fortschrittlichen Gesellschaften aufwachsen, zu kompetenten Mitgliedern dieser Gesellschaften werden – obwohl die Abstammungslinie des Kindes sich vor 45.000 Jahren von der der Adoptiveltern getrennt hat!“ (Wilson 2013, S. 127)
In der Dichotomisierung von Natur und Kultur unterliegen Geist und Kultur nicht mehr den genetischen sondern eigenen Gesetzmäßigkeiten. Kultur wird nicht genetisch codiert, erworben, modifiziert, tradiert und wieder angewendet, sondern ausschließlich neuronal im System der Sprachen, in dem wir auch bewusst denken. Dort wird Kultur als weitere Evolution des Menschen neuronal codiert, erworben, modifiziert, tradiert und wieder angewendet. Nur deswegen kann grundsätzlich jeder Angehörige eines steinzeitlich lebenden Stammes trotz einer 45.000 Jahre währenden genetischen Isolation unsere Kultur samt Sprache problemlos übernehmen – was den Emotionen rechter Gesinnungen nach nicht sein kann oder darf.
Wilson sagt: „Die Natur des Menschen sind nicht die Gene, die sie bedingen.“ (Wilson 2013, S. 232). Die Natur des Menschen ist schichtend gespalten, wobei in dieser Dichotomisierung seine eigentliche, exklusive Natur im System der Sprache liegt. Gemäß Lorenz ist das sogar ein neues Evolutionssystem, das das alte, genetische überlagert und sich klar davon abgrenzen lässt (obwohl im menschlichen Verhalten mit dem Einfluss der Instinkte beide auf das Engste ineinander und miteinander verwoben sind).
In der Dichotomisierung von Natur und Kultur lässt sich die Grenze zwischen Tier und Mensch eindeutig und klar bestimmen. Es ist als Widerlegung von Darwins Aussage von daher sehr wohl möglich, den „Punkt zu bezeichnen, wo der Ausdruck ´Mensch´ angewandt werden muss“.
Ockham am Permanenter Link
Ihr Zitat: "In der Dichotomisierung von Natur und Kultur unterliegen Geist und Kultur nicht mehr den genetischen sondern eigenen Gesetzmäßigkeiten."
Sie sind in Ihrem Denken - wie auch die Abendländische Denktradition - einer anti-evolutionären Sichtweise einer Natur/Kultur-Antinomie verfallen. Danach sei menschliche Natur körperlich, organisch, genetisch determiniert, angeboren, reflex- und instinkthaft, kurz eben biologisch. Kultur hingegen sei geistig, seelisch, erworben, flexibel, künstlich, rational, geplant, nicht-materiell, einer höheren Sphäre angehörig. Ihre Annahme beruht auf dem cartesianischen Körper-Geist-Dualismus. Viele Arten zeigen kulturelles Verhalten (z. B. Vögel und Primaten). Kulturisten und Biologisten stehen sich recht unversöhnlich gegenüber, wenn es darum geht, die Variabilität menschl. Verhaltens zu erklären. Kulturistische Auffassungen gehen häufig davon aus, dass die biologische Grundlage des menschlichen Verhaltens sich auf ein paar angeborene Ausstattungen (z. B. Reflexe und Primärbedürfnisse) beschränkt, über die alle Menschen gleichermaßen verfügen. Die angeborene Natur des Menschen wird so als Konstante gesehen. Wie aber eine Konstante keine Vielfalt erklären kann, scheint der Schluss verführerisch nahe liegend, dass der menschlichen Natur kein nennenswerter Anteil an dem Zustandekommen kultureller Verhaltensunterschiede zukommen kann. Das „Angeborene“ sei marginal und rudimentär, so heißt es, jedenfalls kommen Kinder ohne kulturelle Kompetenzen zur Welt. Der extremen Idee des Gehirns als unbeschriebenes Blatt (tabula rasa) wird heute in modernen Lehrbüchern der Entwicklungsspychologie Platz für "interaktionistische" Lerntheorien gemacht (Quelle 1: Soziobiologie, Eckart Voland, vgl. S. 214). Das Gehirn – als eine Art "Allzweckcomputer" gedacht – erscheint in dieser Sicht trotz (oder gerade wegen) seiner komplizierten Architektur für nahezu alles offen. Allerdings sprechen die empirischen Ergebnisse der Neurowissenschaften und Kognitionspsychologie unmissverständliche gegen die Annahme, dass wir Menschen mit einem inhaltsleeren Gehirn geboren werden, das in gewisser Weise einem Allzweckcomputer gleicht. Lernen ist ein biologisch detaillierter geregelter und häufig eng gebahnter ("bereichsspezifischer") Vorgang, und deshalb kann der Mensch auch nicht unbegrenzt formbar sein. Man lernt nur, was man lernen soll. "Soll" ist hier natürlich nicht intentional gemeint, sondern stellt auf den telenomen Charakter des biologischen Evolutionsgeschehens ab: Man lernt nur das, worauf unser Gehirn vorbereitet ist, also wozu es in langen Selektionsprozessen eingerichtet worden ist.
Und nun kommt der springende Punkt:
Vor diesem Hintergrund wird das eigentliche Problem der sogenannten "nature/nurture-Debatte" sichtbar: die unter manchen Biologen und Kulturwissenschaftlern gleichermaßen weit verbreitete Auffassung, wonach "Sozialisation" oder "Kultur" Alternativen von evolutionären Erklärungen menschlichen Verhaltens sein sollen, beruht schlichtweg auf einem Kategorienfehler. Die Frage ist nicht, ob ein bestimmtes Verhalten Ergebnis der natürlichen Selektion oder eines kulturellen Lernprozesses ist, sondern die Frage ist letztlich, aus welchen Gründen welche Lernprozesse aus der natürlichen Selektion hervorgegangen sind (Quelle 1, vgl. S. 215)!
Bernd Ehlert am Permanenter Link
Schade, dass Sie die gänzliche Widerlegung der Soziobiologie durch Wilson nicht nachvollziehen können.
Um dennoch etwas Gemeinsames in unseren Positionen feststellen zu können, muss ich noch einmal auf Ihren ersten Beitrag in dieser Diskussion zurückkommen. Sie bringen darin den französischen Publizisten Alain de Benoist ins Spiel, der laut Verfassungsschutzbericht 2006 (S. 113) zum Führungszirkel der französischen Neuen Rechten gehört. Auf Seite 355 dieses Verfassungsschutzberichtes heißt es weiter zu den Neuen Rechten:
„Bei der Neuen Rechten handelt es sich um eine in den 70er Jahren in Frankreich aufgekommene geistige Strömung, die sich um eine Intellektualisierung des Rechtsextremismus bemüht. Sie beruft sich unter anderem auf antidemokratische Denker, die bereits zur Zeit der Weimarer Republik unter der Bezeichnung „Konservative Revolution“ aktiv waren. Die Aktivisten der Neuen Rechten beabsichtigen die Beseitigung oder zumindest die Beeinträchtigung des demokratischen Verfassungsstaates und versuchen, zunächst einen bestimmenden Einfluss auf den kulturellen Bereich zu erlangen, um letztlich den demokratischen Verfassungsstaat zu delegitimieren und das politische System grundlegend zu verändern.“
Der von Ihnen zitierte Waldhauser steht den Neuen Rechten nach meinem Verständnis ebenfalls kritisch gegenüber, wobei ich Ihre Zitate um das folgende von Waldhauser noch ergänzen möchte:
„Die Neue Rechte entwickelte eine Verschleierungstaktik, indem sie versuchte, sich in demokratiepolitische- und Menschenrechtsdiskurse mit einzubringen, ohne jedoch in Verruf zu geraten, die ehemals offen vertretenen sozialdarwinistischen Ansätze zu bemühen. ‚Es gehört zur Technik dieser „Retorsion“ (Taguieff), der Umkehrung eines ursprünglich mit der entgegengesetzten Absicht entfalteten Gedankens, dass eben die Argumente, die eigentlich zur Widerlegung rechtschauvinistischer Positionen entfaltet wurden, auf listige Weise zur immunisierten Neubegründung solcher Positionen zweckentfremdet werden. Selbst sensible Begriffe, die lange Zeit für die Kennzeichnung der unvergleichlichen Exzesse des rechten Chauvinismus reserviert blieben, werden verkehrt und für die Brandmarkung der Positionen in Dienst genommen, gegen die sich der modernisierte rechte Chauvinismus richtet.’“ (Waldhauser, S. 162)
Diese Verschleierungstaktik betrifft die von Ihnen genannten bzw. zitierten Thesen der Neuen Rechten, dass der Ethnopluralismus der wahre Antirassismus sei, dass die Ansicht von der sozialistischen Gleichheit aller Menschen sowie die „Integration von Menschen mit anderem kulturellen Background“ nichts anderes als Totalitarismus ist und dass der Ethnopluralismus so als Anwalt der Migranten fungiert.
Ich muss aber doch noch einmal konkret Ihre Position hinterfragen und bestätigt wissen: Sehen Sie die von Ihnen zitierten Aussagen ebenfalls als „Verschleierungstaktik“ der Neuen Rechten auf ihrem Weg zu einem Neuen Rechtsextremismus? Pflichten Sie mir mit Ihrem Bezug von Meißelbachs "Abschottung gegenüber fremdartigen kulturellen Markern" als Ethnopluralismus zu Alain de Benoist und den Neuen Rechten in meiner Kritik an Meißelbachs Buch als den Neuen Rechten zugehörig bei?
Die „Verschleierung“ bei Meißelbach besteht darin, dass er seine Thesen wie die der Abschottung oder der moralischen Doppelstandards nach Pfahl-Traughber nicht weiter ausführt und „präzisiert“, so dass auch Sie im Fall der Abschottung nur mutmaßen konnten.
Also ist Meißelbachs Buch auch in Ihrem Verständnis nach dem Verfassungsschutzbericht eine „Intellektualisierung des Rechtsextremismus“ als „Neue Rechte“ mit dem Versuch „einen bestimmenden Einfluss auf den kulturellen Bereich zu erlangen“?
Ockham am Permanenter Link
Ich habe das Buch nicht gelesen und kann mir so kein Bild darüber machen. Möglicherweise interpretieren Sie Aussagen des Buches in eine Richtung, die vom Autor so gar nicht beabsichtigt war.
Bernd Ehlert am Permanenter Link
Ich habe das Buch bzw. die Dissertation von Waldhauser ebenfalls nicht gelesen (http://othes.univie.ac.at/15315/), aber ich habe das Kapitel "Ethnopluralismus" (S.
Meißelbach kann schon von daher mit Waldhauser nicht gestützt werden. Waldhauser deckt die "Verschleierungstaktik" der Neuen Rechten offen, während Meißelbach ganz im Sinne der Neuen Rechten denkt.
"Möglicherweise interpretieren [daher] Sie Aussagen des Buches [von Waldhauser] in eine Richtung, die vom Autor so gar nicht beabsichtigt war."
Ulrich Körner am Permanenter Link
Ist es nicht besser bei der Einschätzung der Kohäsion den Mehrwert des Sozialkapitals in den Mittelpunkt zu stellen. Ich sehe in der "Reinheit der Rasse" keinen Mehrwert für die Reproduktion.
Ockham am Permanenter Link
Hallo Herr Körner,
ja, sie haben recht. Wenn sich bei der Fortpflanzung genetische Informationen zu sehr ähneln, kann das zu Inzucht kommen.
Ulrich Körner am Permanenter Link
Hallo Herr Ockham, ist es nicht generell so, dass dort wo "Reinheit" herrscht, also keine Impulse von außen hinzukommen, Stagnation eintritt. Abschottung hat doch keinen Mehrwert.
Bernd Ehlert am Permanenter Link
Das Grundanliegen von Meißelbach liegt darin, die seiner Meinung nach mehr oder weniger mangelhaften Sozialkapitaltheorien interdisziplinär durch die Evolutionstheorie zu verbessern.
Diese Emotion, „etwas gemeinsam zu haben und zu sein“, fördert nach Meißelbach die Kohäsion, den Zusammenhalt in der Gesellschaft und damit auch das Sozialkapital. Gemäß Meißelbach können diese Gesellschaften viel erfolgreicher agieren und sich durchsetzen, (vgl. S. 455) und „Ressourcen besser als andere verteidigen oder erobern“ (S. 442) als Gesellschaften, die nur durch das Einhalten bloßer „Regeln und Verfahren“ (S. 504) wie in einer herkömmlichen Demokratie funktionieren. „Der Preis dafür [ist] eine Abschottung gegenüber fremdartigen kulturellen Markern und den sie tragenden Menschen“ (S. 461). „Für Gesellschaften, in denen Weltoffenheit und Toleranz – also: Heterophilie – wichtige Leitwerte sind, bedeutet es [dagegen] ein inhärentes, weil tief in der menschlichen Sozialität wurzelndes und deshalb nicht ohne weiteres zu lösendes Problem“ (S. 461).
Im Grunde ist das genau das, was Trump praktiziert, indem er sagt „America First“. Wichtig hierbei ist der Umstand, dass der gegenseitige Umgang dieser sich voneinander abschottenden Gesellschaften nicht mehr nach den humanen und kulturellen Regeln von Fairness und Gerechtigkeit erfolgt, sondern, ganz dieser alten, von Meißelbach ins Spiel gebrachten Emotion nach, nach dem Recht des Stärkeren. Eine gerechtere und humanere Welt schafft dieses Vorgehen mit Sicherheit nicht, wenngleich, das sei zugegeben, die Kohäsion innerhalb einer solchen Gesellschaft steigen mag.
Was hat das jetzt mit der „Reinheit der Rasse“ zu tun? Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich die Intellektuellengruppe der Neuen Rechten bewusst von den Nazis unterscheidet (ansonsten würde sie sich ja sofort intellektuell disqualifizieren). Pfahl-Traughber sagt hier wie von mir in meiner Amazonrezension zitiert: „Ähnlich verhält es sich in der Gegenwart, wo die Neue Reche mit den Neonazis allein schon wegen des Niveauunterschieds und Sozialverhaltens wenig zu tun haben will.“ Das Problem dabei ist nur, dass sich die Neue Rechte hier oft nicht präzise ausdrückt (was nach Pfahl-Traughber ein Erkennungszeichen der Neuen Rechten ist).
So ist dann bei Meißelbach die Aussage zu finden, dass die beabsichtigte Kohäsion und kollektive Handlungsfähigkeit der Gesellschaft „notwendigerweise mit moralischen Doppelstandards im Hinblick auf Eigen- und Fremdgruppen einhergehen [muss]. Die Quellen des Gemeinsinns sind psychologisch also eng mit den Quellen der Freund-Feind-Unterscheidung verknüpft.“ (S. 524) „Moralische Doppelstandards“? Das ist im Sinne von Pfahl-Traughber nichts anderes als Apartheid. Und „Freund-Feind-Unterscheidung“ lässt sich im Sinne des von Meißelbach zitierten Carl Schmitt auch in Hinsicht auf innenpolitische Gegner verstehen, wie etwa Linke und Humanisten.
Wegen der nicht präzisierten Aussagen kann man das alles »nur« im Sinne von Trumps Politik verstehen, um die Kohäsion und den Mehrwert des Sozialkapitals in einer Gesellschaft zu steigern, aber, trotz der bewussten Abgrenzung zu den Nazis hin, können diese Aussagen auch sehr schnell zu einem Rassismus hin erweitert werden. Auf jeden Fall findet die Kohäsion und den Mehrwert des Sozialkapitals, den Meißelbach im Sinn hat, auf Kosten von Humanismus und Demokratie statt.
Und falls es nur um die Begrenzung der Migration gehen sollte, das lässt sich auch ohne die beabsichtigten verfassungsfeindlichen Eingriffe von Meißelbach bewerkstelligen.
Ulrich Körner am Permanenter Link
Hallo Herr Ehlert, Sie sind ja tief in das Thema eingestiegen. Das was Sie von Meißelbach so zitieren widerspricht, ganz allgemein, nicht meinem Verständnis.
Nun zu der "Verengung", die Meißelbach in seinem Buch beschreibt. Wenn er von "fremdartigen kulturellen Markern" schreibt, von denen man sich abschotten will und die zu einer Doppelmoral für innen und außen führt, dann ist das unter heutigen Bedingungen durchaus nachvollziehbar. Auch die EU muss ihre Grenzen dicht machen, um nicht zu erodieren. Die weltweite wirtschaftliche Migration ist nichts anderes als ein weltweiter Marktmechanismus. So war das auch bei den frühen menschlichen Populationen. Die Migration heute muss jedoch "gesteuert" werden, indem vor allem die Ungleichheit bekämpft wird. Das geht natürlich nicht im nationalen Rahmen. Und damit sind wir wieder bei der menschlichen Anpassung. Dabei zeigt die phylogenetische Evolution, dass sich immer das Rationale durchsetzt. Und doch sind wir im Grunde biologische Wesen.
Bernd Ehlert am Permanenter Link
Hallo Herr Körner,
ich stelle erstaunt fest, wie gut die Strategie der Neuen Rechten aufgeht. Selbst hier in einem, wie ich es einschätze, eher linken Medium, verfängt ihre Strategie.
Denn „Abschottung“ im Sinne von Carl Schmitt bedeutet gerade nicht, mittels anwendbarer Gesetze oder Verordnungen die Migration zu begrenzen oder zu steuern. Es ist von jeher selbstverständlich, dass jeder Staat bestimmt, welche oder wie viele Migranten er zulässt. Wenn ich in die USA fliege und sage, dass ich US-Bürger werden möchte, das aber abgelehnt wird, so ist das keine Abschottung im Sinne von Carl Schmitt und der Neuen Rechten. Selbst wenn ich innerhalb einer Gesellschaft einem Verein, einer Partei usw. beitreten will, muss ich erst einmal einen Antrag stellen, der auch abgelehnt werden kann.
„Abschottung“ im Sinne von Carl Schmitt und der Neuen Rechten ist es, wenn aufgrund bestimmter „Marker“ wie Hautfarbe, Religion, politischer Überzeugung usw. diesen Menschen die Grundrechte abgesprochen werden bzw. hier eben verfassungfeindliche „moralische Doppelstandards“ verwendet werden.
Die Neuen Rechten verwenden dabei nicht mehr den Begriff „Rassismus“, sondern „Ethnopluralismus“, was nach Pfahl-Traughber folgendes bedeutet: „Eine Abwertung anderer Kulturen und Völker wird offiziell abgelehnt, komme doch allen Kulturen und Völkern gleiche Wertigkeit zu. Deren Angehörigen wäre aber die Identitätswahrung am besten in den jeweiligen Heimatländern möglich, was in ihrem angeblich eigenen Interesse eine entsprechende Rückkehr nötig mache. Diese Auffassung läuft somit in der Konsequenz auf eine ‚Ausländer raus’-Politik hinaus oder würde in der Bildung von Apartheid-Strukturen in den jeweiligen Gesellschaften münden.“
Wenn Meißelbach unter Verwendung des Schmitt-Begriffs „Freund-Feind-Unterscheidung“ schreibt: „Die Quellen des Gemeinsinns sind psychologisch also eng mit den Quellen der Freund-Feind-Unterscheidung verknüpft.“, so ist das durchaus, ja nach dem Verständnis von Schmitt zwingend, innenpolitisch anwendbar.
Pfahl-Traughber schreibt dazu: „Die gemeinten Intellektuellen bekennen sich durchaus zur Demokratie, deuten das Gemeinte aber in ihrem Sinne um. Dabei gehen sie von einer auch ethnischen, aber insbesondere politischen Homogenität des Volkes aus. Es soll eine Einheit von Regierenden und zu Regierenden geben, was letztendlich eine Opposition ebenso wie den Pluralismus ausschließt.“
Carl Schmitt war übrigens nicht nur ein konservativer, sondern darin auch ein katholischer Denker, das heißt in seinem Sinne wäre etwa auch der „Marker“ „Atheismus“ (oder „links“ oder „liberal“) dazu geeignet, auf diese irregeleiteten Menschen die „moralischen Doppelstandards“ anzuwenden, und sie so etwa in Arbeitslagern zu konzentrieren, bis sie wieder zum christlichen Glauben (oder zur „rechten“ politischen Überzeugung) finden. Das würde natürlich darin die ethnische, religiöse und politische „Homogenität des Volkes“ sicherstellen und die „Evolution der Kohäsion“ hätte in dieser Gleichschaltung ein Maximum erreicht.
Wie gesagt, die bei Robert Waldhauser erwähnte „Verschleierungstaktik“ der Neuen Rechten fruchtet. Man verwendet einfach neue, harmlos klingende Begriffe, verbindet diese geschickt mit Thesen des lebenslangen NSDAP-Bekenners Carl Schmitt, wendet das auf das Migrationsproblem an und schon schwimmen die Menschen in diesem gewünschten Fahrwasser mit und bekennen sich auf diese Weise zu den Zielen eines rechtsextremen Staates.
Ulrich Körner am Permanenter Link
Hallo Herr Ehlert, Sie unterstellen mir etwas das ich nicht behaupte. Ich sage nur, die in der Evolution herausgebildeten Instinkte und Emotionen wie z.B.