Jahrestagung der Leopoldina

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Fotos © Adriana Schatton

HALLE/S. (hpd) Warum mag ich Katzen und mein Mitbewohner Fußball? Warum sind manche Menschen immer gut drauf und andere depressiv? Warum können die Leute auf der Jahrestagung der Leopoldina lange Vorträge mit kurzen Pausen genießen, während andere viel mehr Spaß auf dem parallel laufenden Hallenser Salzfest haben?

"Wie wurde ich zu der Person, die ich bin?", ist neben den Fragen nach Leben im All oder nach dem Tod und direkt nach dem "Warum das alles?" wohl die größte Fragen, die man sich überhaupt stellen kann. Die Antwort ist persönlich und politisch brisant, denn sie hilft uns dabei, nicht nur zu akzeptieren, sondern vielmehr wertzuschätzen, dass wir alle unterschiedlich sind und dennoch in einer gerechten Welt leben wollen.

Fünf Jahre Nationale Akademie

In Deutschland gibt es acht größere wissenschaftliche Akademien, die den wissenschaftlichen Austausch zwischen verschiedenen Disziplinen und langfristige Forschungsprojekte fördern. Regelmäßig werden Stellungnahmen publiziert, die politische Debatten sowohl anstoßen als auch Handlungsoptionen empfehlen. In einer Gesellschaft, die mit Entscheidungen zu ethischen Problemen wie der Stammzellforschung, Präimplantationsdiagnostik oder Sterbehilfe konfrontiert ist, muss es kompetente und vor allem unabhängige politische Beratung geben. Vor fünf Jahren wurde die Leopoldina in Halle zur Nationalen Akademie der Wissenschaften ernannt und vertritt die deutsche Wissenschaft seitdem international in verschiedenen Gremien. Einmal im Jahr lädt sie ihre Mitglieder und die Öffentlichkeit zur Jahresversammlung nach Halle ein. Am vergangenen Wochenende präsentierten renommierte Wissenschaftler die Sahnehäubchen ihrer Forschung in allgemein verständlichen Vorträgen zum großen Jahresthema: "Geist-Gehirn-Genom-Gesellschaft. Wie wurde ich zu der Person, die ich bin?"

Die Festansprache hielt Schirmherr der Leopoldina und Bundespräsident Joachim Gauck. Er betonte zur Freude der anwesenden Forscher die Bedeutung von Bildung und Forschung für die Gesellschaft und der dafür notwendigen finanziellen Mittel.
Den Festvortrag hielt der vielfach ausgezeichnete und 1996 zum Leopoldina Mitglied gewählte Biopsychologe Onur Güntürkün über die Wechselbeziehung aus Geist und Gehirn. Wir sind letztlich das Ergebnis unserer im Gedächtnis (und damit Gehirn) abgespeicherten Erfahrungen. Diese sind nicht statisch, sondern hochgradig dynamisch und wirken auf sich selbst und andere zurück.

Die Vorträge wurden in vier Sessions nach den jeweiligen Teilgebieten wie in einem Reigen geordnet: I Genom-Gehirn, II Gehirn-Geist, III Geist-Gesellschaft, IV Gesellschaft-Genom.

I Genom-Gehirn: wie beeinflussen welche Gene das Gehirn

Um den Einfluss des Genoms auf das Gehirn zu untersuchen, brauchen die Forscher Methoden, mit denen sie zielgerichtet bestimmte Gene manipulieren (z. Bsp. an- und ausschalten) und dann die Wirkung auf Gehirn und Verhalten untersuchen können. Der  Österreicher Dirk Trauer und seine Mitarbeiter haben Membranrezeptoren entwickelt, die sich mit Licht steuern lassen. Man bekommt schon eine kleine Gänsehaut, wenn man im Film sieht, wie sie sich die Gen-manipulierten Zebrafischlarven von einer simplen Taschenlampe quasi an- und ausschalten lassen (Photoanästesie). Ist das auch mit Rottweilern oder gar Menschen möglich? Mit diesen Methoden lassen sich aber nicht nur Fischlarven gefügig machen sondern evtl. auch Blindheit heilen.

Bei Fischen investieren beide Eltern übrigens relativ gleich viel in ihren Nachwuchs. Mit dem Erscheinen der Säugetiere änderte sich das: Weibchen investieren sehr viel mehr an körperlichen Ressourcen und Zeit in die Jungtiere als Väter, die quasi nur den halben Chromosomensatz und vielleicht ein wenig Nahrung beisteuern. Bernhard Horsthemke fasste Untersuchungen zum sogenannten "Imprinting" zusammen, die Geschlechts-spezifische Aktivierung von etwa 100-200 Genen, je nachdem ob sie aus dem Sperma oder der Eizelle kommen. Demnach haben Väter ein großes Interesse an schwergewichtigen Föten, die sich alle Ressourcen der Mutter nehmen, die sie kriegen können. Mütter hingegen möchten ihre Ressourcen für sich und weitere Babys aufsparen. Wahrscheinlich aufgrund dieser Interessensasymmetrie, ist das Gen für einen bestimmten Wachstumsfaktor im Sperma, hingegen dessen Gegenspieler in der Eizelle angeschaltet. Mäuseföten, die beide Chromosomensätze (experimentell) von der Mutter haben, weisen schwerere Gehirne auf, der doppelte männliche Chromosomensatz führt zu leichteren Hirnen. Sorgen mütterlich geprägte Gehirne für einen größeren Neocortex und damit für ein besseres soziales Gefüge, wie es die "Social Brain Hypothesis" vorhersagt?

Mit dem Einfluss des sozialen Umfelds auf das Gehirn kennt sich Andreas Meyer-Lindenberg bestens aus. Er hält die "Dekade des Gehirns" für beendet, mit den gewonnenen Methoden können wir jetzt die "Dekade des psychischen Krankheiten" einleiten. Warum neigen in der Stadt Geborene und Migranten eher zu Schizophrenie? Wie können wir zukünftig im Städtebau die Erkenntnisse der Hirnforschung einfließen lassen? Wie wirken sich instabile Hierarchien auf unser Gehirn aus? Seine Untersuchungen zeigen z.B., dass unser Gehirn Menschen mit höherem Status mit starken neuronalen Antworten repräsentiert, Menschen mit einem geringeren Status als dem unserem jedoch quasi ignoriert!

Andere Menschenarten wie die Neanderthaler hatten mit den psychischen Folgen des Städtebaus eher keine Probleme. Warum eigentlich nicht? Wie und warum schaffte sich homo sapiens in den nur etwa 200.000 Jahren seit seinem Erscheinen auf der evolutionären Bühne eine künstliche hochtechnologisierte Welt, in der er an psychischen Krankheiten leidet, während sich die Steinwerkzeuge in den über 200.000 Jahren, die die Neanderthaler auf der Erde lebten, kaum veränderten? Eine sehr große Frage, die den vielfach ausgezeichneten Genetiker Svante Pääbo aus Schweden umtreibt.

Da er seit 1990 hierzulande forscht, hielt er seinen Vortrag auch auf Deutsch, was immer ein wenig an eine Mischung aus IKEA- und WASA-Werbung erinnert. In Gestik und Tonfall erinnert der messerscharf denkende hagere Wissenschaftler aber eher an einen Geschichtenerzähler, der einer Gruppe neugieriger Kinder etwas über ein weit entferntes Land erzählt. Und seine Geschichten sind so spannend, dass man im Verlauf seines Vortrags wahrscheinlich eine Stecknadel auf den Boden fallen hören könnte.

Er berichtet von den technischen Schwierigkeiten und der letztendlich erfolgreichen Sequenzierung des Neanderthaler-Genoms und den damit verfügbaren Methoden zur Untersuchung des genetischen Unterschieds zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Menschen-Unterarten. Konzentriert man sich auf die Protein-kodierenden Gene (und nicht den überwiegenden Rest der sogenannten regulativen DNA Abschnitte), zählen die Genetiker ganze 87 Gene mit 96 Aminosäureunterschieden. Nicht gerade viel bei etwa 20.000 Genen. Pääbo pickt sich ein viel-erforschtes Gen heraus, das sich in gleich drei Aminosäuren von dem unseres nächsten lebenden Verwandten, den Schimpansen, jedoch an keiner Stelle von der Neanderthaler-Kopie unterscheidet und in Zusammenhang mit der Evolution des Sprechens steht. Aus noch unpublizierten Studien geht hervor, dass das Genprodukt über Verstärkungslernschleifen den Übergang von deklarativem zu prozeduralem Gedächtnis ermöglicht, also dabei hilft, neue Bewegungsabläufe zu automatisieren.

Ein Thema, das übrigens auch den Gast für den Abendvortrag aufhorchen lassen könnte. Der aus Israel stammende und Holocaust-Überlebende Nobelpreisträger Daniel Kahnemann forscht in Princeton u.a. an  kognitiven Verzerrungen. Hierbei handelt es sich um Phänomene der subjektiven Wahrnehmung bei der Interpretation der Umwelt. In vielen sehr anschaulichen Beispielen führt der fast 80-jährige Psychologe vor, wie leicht wir uns in unserer Wahrnehmung täuschen lassen, wem wir vertrauen und was wir als erwiesen hinnehmen. Kahnemann nimmt hier auch Bezug zur den katastrophalen Daten aus amerikanischen Umfragen zur Kreationismus-Debatte. Denken kosten Energie, weshalb wir lieber vertrauensvollen Personen das Denken überlassen. "Wir sind so beschäftigt mit Fehlermachen, dass wir gar keine Zeit haben, sie zu bemerken!"

Er teilt unser Denken in zwei Kategorien: Typ 1 und Typ 2 Denken. Mit dem Typ 1 fasst er alle spontanen, schnellen assoziativen (automatisierten) Gedanken zusammen, z.B. beim Sehen der Formel 2+2= . Typ 2–Denken benötigt Reflexion und energie-aufwendigeres Nachdenken. Alles in Allem also nichts wirklich Neues und dennoch furchtbar wichtig in einer Welt, in der möglichst objektive Entscheidungen für ein gerechtes Zusammenleben getroffen werden müssen.

II Gehirn-Geist: Freier Wille und Miniaturgehirne

Über die klassischen und neu konzipierten Libet-Experimente, welche ein dem Handeln vorausgehendes Bereitschaftspotential im Gehirn offenlegen und damit die Idee des sogenannten Freien Willen hinterfragen, referierte Patrick Haggard aus London. Er und sein Team konnten zeigen, dass bei geringer Stimulation der entsprechenden kortikalen Motorareale der Wille entsteht, den jeweiligen Körperteil auch zu bewegen. Bei intensiverer Stimulation kommt es schließlich auch dazu. In seinem Schlusswort betonte er, dass eine Bestrafung in der Rechtsprechung weiterhin nötig sei um zu lernen, sein "Gehirn auf politisch korrekte Weise zu benutzen".

Martin Giurfa aus Toulouse stach mit seinem Thema aus der Referentenliste eindeutig hervor: Er untersucht die kognitiven Leistungen des Bienengehirns und präsentierte eindrucksvoll, dass Honigbienen in der Lage sind, allgemeine Regeln, wie das Konzept "gleich/ ungleich" zu extrahieren. Ob sie dafür eine gewisse Form des Bewusstseins benötigen, wurde nicht diskutiert, wäre aber hochspannend!

Der Neuropsychologe Thomas Elbert arbeitet an der Universität Konstanz zu Trauma-Forschung und hat u.a. eine Menge zur Therapie von tief-traumatisierten Kindersoldaten beigetragen.