Jahrestagung der Leopoldina

III Geist-Gesellschaft: Wie geht die Gesellschaft mit den Erkenntnissen der Neurobiologie um?

Die erste (!) referierende Frau auf der Tagung, Elisabeth André von der Universität Augsburg ist Informatikerin und eine Koryphäe auf dem Gebiet der Mensch-Maschine-Kommunikation. Sie präsentierte ihre Forschung zu simulierten Emotionen. Ihre empathischen Roboter und animierten Figuren werden sowohl bei Walt Disney, als auch für  Präventivmaßnahmen gegen Mobbing an Schulen oder in der Gender- und Rassismusforschung erfolgreich eingesetzt.

Die zweite Frau in der Runde, Bettina Schöne-Seifert ist Mitglied im Nationalen Ethikrat und machte in ihrem Vortrag klar, dass die meisten populären Vorwürfe gegenüber den Neurowissenschaften zu Biologismus und Reduktionismus inhaltsarm und fehlerhaft seien.

Hans-Peter Blossfeld arbeitet auf dem Gebiet der Lebensverlaufsforschung und ergründet die sozioökonomischen Mechanismen, die dazu führen, dass  Kinder unterschiedliche Lebens- und Bildungswege einschlagen, obwohl sie dieselben intellektuellen Voraussetzungen mitbringen. Ein politisch sehr aktuelles Thema, wenn es um Betreuungsgeld und Ganztagsschulen geht.

Einen historischen Abriss zur Geschichte der "Seele" und des "Freien Willens" zeichnete der Leiter der interdisziplinär forschenden Berlin School of Mind and Brain, Michael Pauen. Gegen Ende nimmt er der ganzen Debatte um die Revolution der forensischen Kriminalistik ("Gehirne bestrafen") den Wind aus den Segeln, da er die Alltagserfahrungen (das subjektive Gefühl der Willensfreiheit) für stärker hält als die Wirkung von neurobiologischen Erkenntnissen auf unser persönliches Handeln.

IV Gesellschaft-Genom: Zwillingsstudien und Epigenetik

In der letzten Session schloss sich der Kreis: Eric Turkheimer von der University of Virginia sprach über die alte nature-nurture Debatte, den Einfluss der Gene und der Umwelt auf das Verhalten. Um diese möglichst sauber voneinander zu trennen, untersucht er ein- und zweieiige Zwillinge, vergleicht aber auch das Genom von Schizophrenie Patienten mit denen von Kontrollgruppen. Sein Interesse gilt nicht mehr dem "WIE VIEL" des Verhaltens wird durch das Genom erklärt, sondern "WAS" verursacht die Unterschiede.

Der Wissenschaftshistoriker Volker Roelcke von der Universität Gießen behauptete in seinem Vortrag, dass die meisten wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht zielgerichtet sondern zufällig aufgedeckt werden und man zu lange an wissenschaftlichen Dogmen, wie z.B. an dem zentralen biologischen Dogma der Einbahnstraße zwischen DNA und Protein festgehalten hätte. In der anschließenden Diskussion wurde er dafür scharf kritisiert. Natürlich arbeiten die Wissenschaftler mit Modellen, aber diese seien nicht starr, sondern dynamisch, zudem seien wissenschaftliche Projektplanungen natürlich zielgerichtet.

Ein gesellschaftlich brisantes Thema bearbeitet der Mediziner Andreas Plagemann. Er sieht in dem Problem der Überfettung in der westlichen Welt einen Teufelskreis aufgrund der perinatalen Programmierung. Übergewichtige Schwangere setzen ihre Föten einer gefährlichen Umwelt aus, die die Gene für z.B. Wachstumsfaktoren epigenetisch so justieren, dass die geborenen Babys bereits übergewichtig sind und ihr Leben lang bleiben, was sich auch wieder auf die nächste Generation überträgt. Am Ende seines Vortrages nahm er sich die Zeit für einen Appell und sprach besonders die jungen Frauen im Auditorium an, während der Schwangerschaft nicht für zwei zu essen, Muttermilch der Flaschennahrung vorzuziehen und sich ausreichend zu bewegen um der Übergewichts-Epidemie, die die Ursache von vielen "Volkskrankheiten" ist, entgegenzuwirken.

Die Abschlusslesung hielt Chris Frith von der University of London über kollektives Lernen und wie gemeinsame Erfahrungen und der Austausch darüber Kultur erschafft.

Es wäre doch wünschenswert, wenn die Jahresversammlung 2013 der Leopoldina etwas dazu beiträgt, dass wir akzeptieren, dass wir uns unsere Persönlichkeit nicht "aus freien Stücken" ausgesucht haben, sondern die evolutionären und mechanistischen Ursachen unseres Verhaltens begreifen. Wenn wir diese einfache Idee verinnerlicht haben, können wir unsere Mitmenschen ein wenig gerechter beurteilen statt vorschnell zu verurteilen.

Adriana Schatton