Bischof von Sitten schickt Lehrerin in die Wüste

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Glishorn mit Gemeinden Brig-Glis und Naters (CC-BY-SA-3.0-migrated)

BRIG-GLIS. (hpd) Nach der Kruzifix-Affäre im Jahr 2010 zeigen die klerikalen und säkularen Kreise im Wallis erneut grosse Mühe mit der verfassungsmässigen Einhaltung der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Betroffen ist diesmal die Religions- und Ethiklehrerin Edith Inderkummen, welche an der Orientierungsschule von Brig unterrichtete.

Und wie in der Kruzifix-Affäre nimmt auch dieser Fall zügig Anlauf in Richtung Bundesgericht, wenn nicht vorher die Walliser Behörden zur Einsicht gelangen, unbedingt eine Blamage in der nationalen Öffentlichkeit zu vermeiden.

Ein Bericht von Kurt Marti

"Zurück zu den jüdischen Wurzeln"

Inderkummen, die frühere CSPO-Kantonsparlamentarierin und Gemeindepräsidentin von Erschmatt, liess sich am Religionspädagogischen Institut (RPI) der Universität Luzern als Religionspädagogin ausbilden und unterrichtete seit 2006 an mehreren Primar- und Sekundarschulen im Oberwallis. Im Herbst 2012 übernahm sie ein Teilpensum für Religions- und Ethikunterricht an der OS Brig-Glis. Es war ihr ein besonderes Anliegen, mit den Schülerinnen und Schülern auch die kritischen Aspekte des katholischen Glaubens zu behandeln und nicht nur Glaubenswahrheiten zu pauken. Für ihre Offenheit und ihr Engagement erntete sie viel Lob.

Nach jahrelanger kritischer Beschäftigung mit den religionswissenschaftlichen Erkenntnissen über den christlichen Glauben wollte Inderkummen schliesslich "nach der Torah/Tenach jüdisch im Sinne wie Jesus Christus (Jeschua ben Josef) leben, welcher Jude und pharisäischer Rabbiner war". Dementsprechend ist sie "den Weg zurück zu den jüdischen Wurzeln des Christentums gegangen". Deshalb gab sie am 8. März dem Dorfpfarrer von Erschmatt den Austritt aus der katholischen Kirche bekannt.

Ein antiquiertes Unterrichtsgesetz

Am 24. Mai entzog ihr der Bischof von Sitten Norbert Brunner die Lehrerlaubnis für den konfessionellen Religionsunterricht und stützte sich dabei auf das kantonale Gesetz über das öffentliche Unterrichtswesen, das bereits vor Beginn des vatikanischen Konzils 1962 in Kraft trat und das den beiden christlichen Kirchen das Recht einräumt, die Lehrpersonen zum Religionsunterricht zu "ermächtigen". Darüber hinaus verlangt dieses antiquierte Gesetz von den Lehrpersonen im Wallis sogar, dass sie die Schülerinnen und Schüler für ihre Aufgabe als "Mensch und Christ" erziehen, im klaren Widerspruch zur Glaubens- und Gewissensfreiheit in der Bundesverfassung.

Ebenfalls am 24. Mai informierte Generalvikar Richard Lehner im Auftrag des Bischofs das Erziehungsdepartement und die Schuldirektion der OS in Brig-Glis, Inderkummen sei "ab sofort nicht mehr berechtigt" Religionsunterricht im Auftrag der katholischen Kirche zu erteilen. Doch damit nicht genug! Lehner legte im Schreiben dem Erziehungsdepartement ebenfalls nahe, Inderkummen auch die Stunden im konfessionsneutralen Fach Ethik-Religionen-Gemeinschaft (ERG) zu entziehen, das gemäss Lehrplan 21 schweizweit anstelle des konfessionellen Religionsunterrichts tritt. Zwar wisse er, dass es dazu "keiner kirchlichen Beauftragung" bedürfe, aber es sei "unerlässlich, dass Lehrpersonen, welche ERG unterrichten, einer der beiden Kirchen angehören".

In einem Schreiben vom 30. Mai an den Bischof betonte Inderkummen, dass es sich "keinesfalls um einen Glaubensabfall" handle und sie zu einem Wiedereintritt bereit sei, wenn sie "den jüdischen Weg innerhalb der Kirche" leben könne. Der Bischof habe ihr Schreiben jedoch "nicht beantwortet".

Schuldirektion verhängt rigorose Auflagen

Weil ein Kirchenvertreter ihren Kirchenaustritt öffentlich gemacht und die Gerüchteküche bereits gebrodelt habe, entschloss sich Inderkummen am 3. Juni, ihre Schülerinnen und Schüler über ihren Kirchenaustritt zu informieren. Ein sehr emotionaler Moment, der sie zu Tränen rührte. Am selben Tag gingen Reklamationen von Eltern bei der Schuldirektion ein und am nächsten Tag wurde Inderkummen von Schuldirektor Robert Lochmatter und von Schulinspektor Urs Stoffel zur Anhörung vorgeladen. In einer entsprechenden Aktennotiz wurde festgehalten, dass sie "ab sofort" nicht mehr den konfessionellen Unterricht erteilen könne. Anlässlich des Gesprächs verwies Inderkummen auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit und war mit der "fristlosen Entlassung" nicht einverstanden.

Die Unterrichtung des konfessionsneutralen Faches Ethik-Religionen-Gemeinschaft wurde ihr laut Aktennotiz nur unter rigorosen Auflagen gestattet. Sie musste ihre Vorbereitungen "1-2 Tage vorher" dem Schulinspektor übermitteln und dieser leitet sie an den Schulinspektor zur Begutachtung weiter. Zudem waren Unterrichtsbesuche durch den Schuldirektor und den Schulinspektor vorgesehen. Bei Auffälligkeiten würde dem Erziehungsdepartement "Bericht erstattet" und es würden "allfällige Disziplinarmassnahmen geprüft", heisst es in der Aktennotiz weiter.

Behandlung war "erniedrigend und demütigend"

Gestützt auf den Entzug der Lehrerlaubnis des Bischofs bestätigte Erziehungsminister Oskar Freysinger mit Entscheid vom 20. Juni die Kündigung bezüglich des konfessionellen Religionsunterrichts rückwirkend auf den 4. Juni. Hingegen hielt er klar fest, dass davon die Anstellung für das Fach Ethik-Religionen-Gemeinschaft "nicht betroffen" sei. Einen Monat später reichte Inderkummen gegen diesen Entscheid eine Beschwerde beim Erziehungsdepartement ein, die noch hängig ist.

Darin hält Inderkummen fest, dass die "fristlose Entlassung" aufgrund ihres Kirchenaustritts und der "Rückbesinnung auf die jüdischen Wurzeln" der verfassungsmässig garantierten Glaubens- und Gewissensfreiheit widerspreche. Zudem sei ihr von der Schuldirektion nahegelegt worden, "den Arbeitsort zu verlassen oder den Arzt für eine Krankschreibung zu konsultieren". Zusammen mit der Kontrolle ihres Ethikunterrichts sei dies "erniedrigend und demütigend" gewesen.

Bis heute "keine Kündigung" für das Fach ERG

Obwohl die Kündigung sich nur auf den konfessionellen Unterricht bezog und obwohl ihr bis heute für das Fach ERG nicht gekündigt wurde, erhielt Inderkummen im laufenden Schuljahr 2013/2014 keine ERG-Stunden zugeteilt. Zur Zeit ist sie arbeitslos. Dabei hatte sie ihre ERG-Stunden zusammen mit jenen für den konfessionellen Religionsunterricht bereits im Januar bei der OS-Schuldirektion eingegeben, worauf ihr mitgeteilt wurde, man werde sich "bei der Planung an diese Vorgaben halten".

Eine gegenteilige Information bezüglich ihrer ERG-Stunden hat sie seither keine erhalten, so dass sie davon ausging, zumindest ihren ERG-Unterricht fortführen zu können. Umso mehr als mit dem neuen Lehrplan 21 der konfessionelle Unterricht vom obligatorischen ERG-Unterricht abgelöst wird. Deshalb hat sie am 22. September in einem Nachtrag zur Beschwerde festgehalten, dass sie bis heute über "keine Kündigung" für das Fach ERG verfügt, weil es "bis heute nicht möglich war, sich zu einigen, wer mir kündigen soll". Und weil sie im laufenden Schuljahr keine Stunden erhalten habe, verlange sie für den entstehenden Verlust "eine Entschädigung".

Brisanter Mailverkehr hinter den Kulissen

Dank ihrer Beschwerde erhielt Inderkummen Akteneinsicht, insbesondere in den brisanten Mail-Verkehr hinter den Kulissen. Damit lässt sich gut nachvollziehen, wieso Inderkummen bis heute weder eine Anstellung noch eine Kündigung für das Fach ERG erhielt:

  • Am 4. Juni rapportierte Marcel Blumenthal, Adjunkt der Dienststelle für Unterrichtswesen, dem bischöflichen Generalvikar Richard Lehner, dass die Weiterbeschäftigung im Schuljahr 2013 - 2014 im Fach Ethik-Religionen-Gemeinschaft "aktuell Gegenstand weiterer (auch juristischer) Abklärungen" sei. Damit antwortete er auf die Forderung Lehners, für das Fach ERG nur Lehrpersonen anzustellen, die einer der beiden Kirchen angehören, obwohl diese Angelegenheit das Bistum gar nichts anging.
  • Am 24. Juni erkundigte sich Adjunkt Blumenthal bei Schulinspektor Urs Stoffel, ob Inderkummen "von der Schule Brig-Glis für ERG vorgeschlagen wird, um im Schuljahr 2013 - 2014 dies zu unterrichten".
  • Am 1. Juli liess der zuständige Briger Stadtrat Patrick Amoos das Erziehungsdepartement wissen, dass das Fach ERG "durch Fach- und Klassenlehrpersonen erteilt" werde, so dass "die Notwendigkeit einer Anstellung einer spezialisierten Fachkraft" für das Fach ERG "nicht gegeben" sei.
  • Am 2. Juli verlangte Adjunkt Blumenthal vom Briger Stadtrat, dass er Inderkummen über diese Stellungnahme informiert.
  • Gleichentags spielte der Briger Stadtschreiber Eduard Brogli den Ball an den Kanton zurück, der seit Anfang 2012 Anstellungsbehörde für die Lehrpersonen sei. Es bestehe deshalb "keine Veranlassung", Inderkummen über die Stellungnahme des Briger Stadtrates ans Erziehungsdepartement zu informieren. Es handle sich bei der Stellungnahme nicht um einen "Vorschlag", sondern bloss um einen "Hinweis".
  • Die Antwort des kantonalen Adjunkts Blumenthal kam postwendend. Mit Verweis auf Artikel 13 des Gesetzes über das Lehrpersonal erklärte er dem Stadtschreiber Brogli, wenn kein Vorschlag für eine Weiterbeschäftigung gemacht werde, müsse "die lokale Behörde diese Mitteilung vor Ort an die betreffende Lehrperson" machen.
  • Dies wiederum liess Stadtschreiber Brogli nicht gelten, weil die erwähnte Bestimmung die Gemeinde Brig-Glis "mit keinem Wort" zur Information der Lehrperson verpflichte. Man könne den "Hinweis" im weitesten Sinne als "Vorschlag" interpretieren, "auch wenn wir nicht explizit die Entlassung beantragen". Damit liege der Ball beim Kanton, "den Fall zu prüfen, zu entscheiden und zu kommunizieren".

Seit dieser peinlichen Ballschieberei wartet Inderkummen vergeblich auf eine entsprechende Information. Auch eine rechtskräftige Kündigung bezüglich des ERG-Unterrichts ist bis heute nicht bei ihr eingetroffen. Dafür wäre Staatsrat Freysingers Erziehungsdepartement zuständig.

Es droht die Niederlage vor dem Bundesgericht

Es ist davon auszugehen, dass die Beschwerde Inderkummens vom Walliser Staatsrat abgelehnt wird und auch ihr Begehren für eine Entschädigung. Die nächste Station wird das Kantonsgericht sein, das bereits in der Kruzifix-Affäre überraschend für den entlassenen OS-Lehrer Valentin Abgottspon entschieden hat, um einen Gang vor das Bundesgericht zu vermeiden. Im Konflikt zwischen dem antiquierten Walliser Unterrichtsgesetz und der Glaubens- und Gewissensfreiheit in der Bundesverfassung wird sich das Bundesgericht mit hoher Wahrscheinlichkeit für letztere entscheiden.

Dabei könnte ein pikantes Detail eine nicht unwesentliche Rolle spielen: In einer Informationsschrift im Zusammenhang mit dem konfessionellen Religionsunterricht wird ausgerechnet der "jüdische Religionsphilosoph Martin Buber" prominent zitiert, um die Argumentation für die sogenannten "Katechetischen Fenster" zu erläutern. Es wird deshalb nicht einfach sein, den Bundesrichtern zu erklären, wieso eine gläubige Religionslehrerin, die zu den jüdischen Wurzeln zurückkehrt, nicht zugelassen wird.

Es ist höchste Zeit, dass das veraltete Walliser Unterrichtsgesetz endlich revidiert wird. Dann wird der Bischof von Sitten seinen Einfluss auf die Schulen endgültig verlieren.

Kurt Marti

[Übernahme von infosperber]